Segelflieger führen viel Equipment mit sich, welches sich teilweise in einem Wohnmobil verstauen lässt. Was manchem Wohnmobil-Piloten nicht bewusst ist: schnell sind je nach Wohnmobil-Typ und Ausrüstung die Zuladungs-Reserven ausgeschöpft. Sind Wohnmobile überladen, können sie zu einer Gefahr für den Straßenverkehr werden und die Fahrzeughalter werden zur Kasse gebeten.
Ist das Weiterfahren mit einem überladenen Wohnmobil erlaubt?
Überladene Wohnmobile beeinflussen das Fahrverhalten. Der Fahrer selbst unterschätzt nicht selten die Gefahr. Ein höheres Gewicht überfordert häufig die Bremsen. Die Folge können ein längerer Bremsweg oder schlimmstenfalls komplettes Bremsversagen sein.
Bei überladenen Wohnmobilen spielen verschiedene Kriterien eine Rolle:
Unfallrisiko steigt: Überladene Wohnmobile lassen sich schwerer lenken und kontrollieren. In unvorhergesehenen Situationen wird es schwieriger, schnell zu reagieren und das Fahrzeug anzuhalten.
Fahrzeugleistung ist beeinträchtigt: Ein überladenes Wohnmobil hat schwer zu tragen. Es kann zu Problemen kommen, die Geschwindigkeit zu halten und Steigungen zu bewältigen. Wenn die Motorleistung gefährdet ist, erhöht sich der Verschleiß wichtiger Fahrzeugteile.
Reifen werden überlastet: Die Überladung sorgt dafür, dass ein hoher Druck auf den Reifen lastet. Der Reifenverschleiß setzt frühzeitiger ein. Bei längeren Autobahnfahrten mit hohen Geschwindigkeiten drohen Reifenplatzer. Eine weitere unschöne Begleit-Erscheinung ist der erhöhte Benzinverbrauch.
Fahrzeugstruktur wird benachteiligt: Die Hersteller geben das maximal zulässige Gewicht vor. Überladene Wohnmobile sind in ihrer Struktur gefährdet. Die verstärkte Belastung von Fahrwerk, Federung und Rahmen kann dazu führen, dass Risse entstehen und sich der Rahmen verformt und damit die Sicherheit des Fahrzeuges massiv beeinträchtigt wird.
Hinweis: Kommt es zu Unfällen mit überladenen Wohnmobilen, zahlt die Versicherung oft nur einen Teil oder verweigert die Leistung komplett. Gefährdet die Überladung die Verkehrssicherheit, ist die Weiterfahrt nicht gestattet. Mit dem Wohnmobil darf erst weitergefahren werden, wenn die Ladung reduziert wurde und das Gewicht den im Fahrzeugschein gemachten Angaben entspricht.
Welche Konsequenzen hat ein überladenes Wohnmobil?
Wer sein Wohnmobil überlädt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Rechtlich gesehen liegt keine Straftat vor. Sanktionen drohen aber trotzdem. Welche Konsequenzen die Überladung des Fahrzeuges letztlich besitzt, ist abhängig vom Prozentsatz der Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts.
Ist das Wohnmobil nicht schwerer als 7,5 Tonnen, liegen die Bußgelder zwischen zehn und 235 Euro. Mit Punkten in Flensburg muss gerechnet werden, wenn die Überschreitung des Gesamtgewichts 20 Prozent und mehr beträgt. Bei schwereren Wohnmobilen gelten strengere Regeln. Es wird keine Toleranz gewährt und die Bußgelder beginnen bei 30 Euro.
Drohen Sanktionen, wenn das Wohnmobil minimal überladen ist?
Bei minimaler Überladung des Wohnmobils greift in Deutschland bei Fahrzeugen bis 7,5 Tonnen eine Toleranzschwelle von fünf Prozent. Der Fahrzeugführer wird verwarnt und darauf hingewiesen, zukünftig besser auf die Einhaltung der zulässigen Last zu achten. Bußgelder drohen aber nicht.
Bei Fahrten ins Ausland sollten sich Fahrzeughalter nicht auf diese Toleranzschwelle verlassen. In Österreich gelten zum Beispiel zwei Prozent Überladung als Toleranz-Bereich. Die Berechnung in Dänemark erfolgt nach einzelnen Prozentpunkten. In Frankreich und weiteren Ländern wird keine Überladung toleriert und die Sanktionen greifen bei jeden zusätzlichen Kilogramm.
Welche Sanktionen drohen im Einzelnen?
Laut Bußgeldkatalog werden überladene Wohnmobile mit folgenden Sanktionen belegt:
Überladung mehr als fünf Prozent: 10 Euro Bußgeld
Überladung mehr als zehn Prozent: 30 Euro Bußgeld
Überladung mehr als 15 Prozent: 35 Euro Bußgeld
Überladung mehr als 20 Prozent: 95 Euro Bußgeld, ein Punkt in Flensburg
Überladung mehr als 25 Prozent: 140 Euro Bußgeld, ein Punkt in Flensburg
Überladung mehr als 30 Prozent: 235 Euro Bußgeld, ein Punkt in Flensburg
Spielen neben dem zulässigen Gesamtgewicht weitere Faktoren eine Rolle?
Ob ein Wohnmobil überladen ist, geht aus den Vorgaben in den Fahrzeugpapieren hervor. Laut § 34 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung wird das Gesamtgewicht eines Fahrzeuges wie folgt definiert: technisch zulässiges Gesamtgewicht unter Berücksichtigung von Werkstoffbeanspruchung und weiterer Vorschriften.
Wohnmobile bis 3,5 Tonnen gelten besonders schnell als überladen. Hierfür ist nicht unbedingt die Gepäcklast verantwortlich. Das Eigengewicht der Mitfahrer kann die Grenzen des zulässigen Gesamtgewichts bereits gefährden, ohne dass die Zuladung berücksichtigt wurde.
Dieser Ratgeber wird Ihnen von „anwalt.org“ zur Verfügung gestellt.
Ein Traum für jeden Piloten: Spontanität, Freiheit und das Abenteuer, dorthin zu fliegen, wohin der Wind einen trägt. Doch was passiert, wenn das Wetter umschlägt oder die Dämmerung schneller hereinbricht als geplant? Uli Schwenk, Inhaber von Jaxida Cover, hat sich dieser Frage gestellt und eine Lösung geschaffen, die mehr ist als ein Dach über dem Kopf – ein Stück Freiheit, das in jeden Flugzeugrumpf passt.
Freiheit unter dem Flügel:
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Wanderflug über malerische Landschaften. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu und am Himmel ziehen Wolken auf, die eine ungemütliche Nacht versprechen. Die nächste Ortschaft mit einem Hotel ist meilenweit entfernt, ein Taxi kaum zu organisieren. Genau in solchen Momenten entsteht der Wunsch nach einer einfachen, sicheren und komfortablen Lösung. Eine Lösung, die es Piloten erlaubt, die Freiheit des Fliegens bis zum letzten Moment auszukosten, ohne dabei ein Risiko einzugehen.
Vom Datenblatt zur gelebten Erfahrung
Für Uli Schwenk, den passionierten Piloten und Kopf hinter den Jaxida Covern, sind technische Daten und Materialwerte das eine. Das andere ist das Gefühl für die wahre Praxistauglichkeit eines Produkts. „Auf dem Papier mögen die Werte stimmen“, erklärt Schwenk, „aber ich wollte es selbst spüren.“ Gesagt, getan. Kurzerhand packte er den Prototypen seines neuesten Produkts, das Flügelzelt, in seinen Motorsegler Valentin Taifun und begab sich auf eine Wochenend-Reise, um die Funktionalität unter realen Bedingungen zu testen.
Sein Ziel: Nicht nur die einfache Montage und das geringe Packmaß zu bestätigen, sondern auch die entscheidenden Details zu prüfen. Hält der Zeltboden dem Druck stand, wenn man sich darin bewegt? Bleibt das Innere auch bei starkem Tau oder einem überraschenden Regenschauer wirklich trocken? Die Antwort fand er unter der Tragfläche seines eigenen Flugzeugs, irgendwo auf einem idyllischen Flugplatz, umgeben von nichts als Natur.
Ein Sicherheits-Plus
Das Konzept des Flügelzelts ist so einfach wie genial. Anstatt ein Zeltgestänge mitzuführen, nutzt es die Tragfläche des Flugzeugs als stabiles und dichtes Dach. Mit wenigen Handgriffen wird das leichte Zelt unter dem Flügel befestigt und gespannt. Das Ergebnis ist ein erstaunlich geräumiger und geschützter Raum für zwei Personen, wie die Bilder von Schwenks Reise eindrucksvoll beweisen. Mit einem Gewicht von nur 3,8 Kilogramm und minimalem Packmaß findet es selbst im engen Flugzeug-Rumpf Platz.
Der entscheidende Vorteil des Flügelzelts geht über den reinen Komfort hinaus. „Es diszipliniert den Piloten“, betont Schwenk. Anstatt bei aufziehendem schlechten Wetter auf einen Weiterflug zu pokern, fällt die Entscheidung, sicher zu landen und zu übernachten, leichter. Man hat alles dabei. Diese Risikovermeidung ist ein Beitrag zur Flugsicherheit. Man übernachtet direkt am Flugplatz, spart sich lange Wege und ist am nächsten Morgen gleich wieder startklar.
Fazit: Ein Stück gelebte Freiheit
Uli Schwenks Praxistest zeigt: Das Flügelzelt hält, was es verspricht. Es ist eine Symbiose aus Funktionalität, Sicherheit und dem Abenteuergeist. Es ist eine Antwort auf den Wunsch nach Unabhängigkeit und Spontanität, ohne Kompromisse bei der Sicherheit eingehen zu müssen. Für Piloten, die das Fliegen als ganzheitliches Erlebnis sehen und die Nähe zur Natur und zur eigenen Maschine schätzen, ist das Flügelzelt von Jaxida Cover mehr als ein Ausrüstungsgegenstand – es ist ein treuer Begleiter für unvergessliche Momente unter dem eigenen Flügel.
Produkt-Eigenschaften im Überblick:
Vorteil
Beschreibung
Bewertung
Geringer Stauraum
Benötigt während des Transports wenig Platz im engen Flugzeug-Rumpf.
Vorteil bei Reisen, wenn der Stauraum sehr klein ist.
Einfache Montage
Leicht zu montieren.
Eine einzelne Person kann das Zelt einfach aufbauen
Wetterschutz
Schutz gegen Niederschlag durch die Nutzung der Tragfläche als Dach.
Die Tragfläche als Dach zu nutzen ist eine clevere und effektive Lösung, um das Zelt stabil zu halten.
Angenehmes Klima
Trockenes und angenehmes Klima im Zelt
Wasserdichte und atmungsaktive Konstruktion hat Praxistest bestanden
Risikovermeidung
Diszipliniert den Piloten bei aufkommenden schlechten Wetterlagen, zu landen und zu übernachten, statt in schlechtes Wetter einzufliegen.
Zusätzlicher Sicherheitsaspekt
Praktische Lage
Flugplätze bieten meistens ausreichend Platz zum Campieren und man kann direkt am Flugplatz übernachten.
Erhöht den Komfort und die Flexibilität für Piloten auf Reisen.
Die neue Realität der Alpenquerung zwischen Maurienne und Gran Paradiso
Die Luftraum-Struktur mit den neu geschaffenen Nationalpark-Unter- und Obergrenzen zwischen dem Vallée Modane und Aosta versperrt seit Dezember 2021 bis auf hohe Überflüge in einer NW-Wind-Welle einen legalen Durchflug.
Autor: Ernst Willi
Die Verwirrung war perfekt. Erst hieß es 4500 Fuß AMSL, dann 4500 Meter AMSL, schließlich wurde über AGL versus AMSL diskutiert. Doch die Schwarm-Intelligenz der Segelflieger-Gemeinschaft und die akribische Recherche französischer Kollegen wie Ludovic Launer aus Grenoble haben Klarheit geschaffen: Die Luftraum-Obergrenze des Nationalparks Gran Paradiso liegt tatsächlich auf 4500 Meter AMSL. Das ist das faktische Ende einer Ära. Die flugtaktische Bedeutung dieser hochgelegenen Region zwischen dem Modane- und Aosta-Tal ist bei Querungen zwischen Süd- und Nordalpen enorm. Für Südfrankreich-Urlauber mit Streckenflug-Projekten ist besonders lästig, dass die beliebte Flugroute entlang der französisch-italienischen Grenze mit der dort auftretenden Konfluenz bei thermischen Bedingungen kaum mehr legal passierbar ist.
Vanoise: Westliches Umfliegen als Option
Dramatisch stellt sich die Situation im Nationalpark Vanoise dar. Hier ist keine legale Passage aus dem Vallée Modane zum Isère-Tal und nach Aosta möglich, es sei denn, man fliegt immer 1’000 m AGL – was in den verwinkelten Tälern der Region bei thermischen Bedingungen illusorisch ist.
Die Region wird von Parkwächtern kontrolliert, online-Flugdaten sowie Flarm- / IGC-Aufzeichnungen werden ausgewertet, und es wurden bereits empfindliche Bußen ausgesprochen. Das letzte, schmale Schlupfloch bei der Grande Sassière im östlichen Val d’Isère, das lange die Nutzung der Konfluenz entlang der italienisch-französischen Grenze ermöglichte, wurde vor durch ein zusätzlich eingefügtes Schutzgebiet namens „La Bailletaz“ ebenfalls „gestopft“.
Segelflieger als unsichere Partner
Eine Gruppe von Segelfliegern ist aber 2025 mit den Verwaltungen der französischen Nationalparks Vanoise, Mercantour und Vercors ins Gespräch gekommen. Sie verfolgt das Ziel, Durchflugkorridore für den Segelflug freizugeben. Leider waren die Voraussetzungen bis Frühling 2025 nicht sehr gut, da seitens der Nationalparks wiederholt auf die laufenden Verletzungen dieser Lufträume hingewiesen werden konnte und Segelflieger als unsichere Partner angesehen wurden.
Im Nationalpark Mercantour wurde 2016 eine Verordnung erlassen, die den Segelflug unter 1000 Metern verbietet. Ein Jahr später, 2017, wurden die bis dahin bestehenden Ausnahmekorridore ersatzlos abgeschafft. Für motorisierte Luftfahrzeuge gilt ein generelles Verbot.
Diese Entwicklung zeigt ein Muster: Die Nationalparks verschärfen systematisch ihre Bestimmungen, ohne Rücksicht auf die jahrzehntelang praktizierte Nutzung durch Segelflieger zu nehmen. Was einst als selbstverständlich galt, wird heute als Störung der Fauna betrachtet.
Rechtliche Konsequenzen: Bis zu 3000 Euro und Beschlagnahme
Die rechtlichen Konsequenzen von Luftraumverletzungen sind drastisch. Bei einem Überflug unter 1000 m durch ein Segelflugzeug kann zunächst eine Verwarnung an den Piloten oder Verein erfolgen. Wird durch einen vereidigten Beamten ein Ordnungs-Widrigkeits-Protokoll aufgenommen, folgt ein Verhör.
Die möglichen Strafen sind empfindlich:
Verstoß
Gesetzliche Grundlage
Sanktion
Unerlaubter Überflug unter 1’000 m
Art. R.331-68, R.331-71, L.173-7 UGB
Bis € 1’500
Wiederholung des Überflugs
Art. R.331-73, R.331-68, R.331-71, L.173-7
Bis € 3’000
Nicht genehmigtes Spiel/Sport
Art. R.331-66, R.331-71, L.173-7
Bis € 750
Störung von Tieren
Art. R.331-65, R.331-71, L.173-7
Bis € 750
Besonders drastisch: Als zusätzliche Sanktion ist die Beschlagnahmung des Tatmittels möglich – das bedeutet den behördlichen Einzug des Segelflugzeugs. Für die Ahndung als Ordnungswidrigkeit genügt der objektive Verstoß; ein Vorsatz ist nicht erforderlich.
Die Überwachungs-Realität
Die Zeiten, in denen Luftraumverletzungen unentdeckt blieben, sind vorbei. Moderne Überwachungs-Methoden machen jeden Flug nachverfolgbar. Flarm-Daten werden systematisch ausgewertet, IGC-Logger-Aufzeichnungen analysiert, und Online-Plattformen wie Weglide und OLC werden zur Kontrolle herangezogen.
Das ist ein problematischer Aspekt: Viele Piloten laden ihre Flüge auf diese Plattformen hoch, obwohl offensichtliche Luftraumverstöße vorliegen. Damit verschaffen sie sich unfaire Vorteile gegenüber regelkonformen Piloten und dokumentieren ihre Rechtsverstöße auch noch öffentlich, was natürlich der der Segelflieger-Community schadet.
Angesichts dieser Situation empfehlen Streckenflug-Experten der südfranzösischen Segelflug-Zentren das westliche Umfliegen der gesamten problematischen Region Vanoise. Die Route führt über das Valgrisenche und den Mont Fallère nördlich von Aosta, um einigermaßen sicher in die Walliser Alpen zu gelangen.
Dieser Umweg ist einerseits länger und meteorologisch anspruchsvoller, anderseits bietet er mit dem Flugplatz Albertville eine mindestens so sichere Aussenlande-Option wie etwa jene in Sollières oder in der (unlandbaren) Maurienne zwischen Bonneval und St.Rémy de Maurienne. Vor allem ist er aber legal und vermeidet die Risiken einer Luftraum-Verletzung.
Valgrisenche und Mont Fallère: neue Schlüsselrouten
Das Valgrisenche, ein unscheinbares Seitental des Aostatals, gewinnt an Bedeutung. Wo früher selten Piloten vorbeikamen, verläuft nun eine wichtige Verbindung zwischen den südfranzösischen Startplätzen und den Walliser Alpen. Der Mont Fallère, ein 3’061 m hoher Gipfel nördlich von Aosta, wird zum üblicherweise thermikstarken Orientierungspunkt für die Route ans Matterhorn.
Écrins: Positive Beispiele für Korridor-Vereinbarungen
Ein Lichtblick in der ansonsten düsteren Luftraum-Landschaft ist der Nationalpark Écrins. Hier ist es gelungen, durch Verhandlungen zwischen der FFVP (Fédération Française de Vol à Voile) und der Parkleitung geregelte Flugrouten zu vereinbaren. Diese Korridore zeigen, dass Kompromisse möglich sind, wenn beide Seiten konstruktiv zusammenarbeiten.
Die Écrins-Lösung basiert auf dem Prinzip der kontrollierten Nutzung: Segelflieger dürfen bestimmte Routen nutzen, müssen sich aber an die definierten Korridore halten. Dieses Modell kann auch anderswo Schule machen, sofern die Segelflieger-Gemeinschaft sich als verlässlicher Partner zeigt. Wichtig ist die konsequente Einhaltung der bestehenden Regeln, um Vertrauen aufzubauen und die Grundlage für Verhandlungen zu verbessern.
Technische Hilfsmittel
Moderne GPS-Geräte mit Luftraumwarnung warnen vor kritischen Bereichen und helfen, auch bei schwierigen Wetterbedingungen den Überblick zu behalten. Gleichzeitig hat sich die Überwachung der Lufträume professionalisiert. Flarm-Geräte, ursprünglich zur Kollisionsvermeidung entwickelt, werden heute auch zur «externen Luftraum-Überwachung» verwendet. Jeder Flug hinterlässt z.B. im Open Glider Network zudem direkte digitale Spuren im Internet, die ausgewertet werden.
Die Rolle der Flugplätze und Vereine
Die großen Flugplätze der Region – St.-Auban, Sisteron, Serres, Puimoisson, Vinon, Fayence – stehen in der Verantwortung, ihre Piloten über die aktuellen Bestimmungen zu informieren. Tägliche Briefings müssen die Luftraumproblematik thematisieren und auffällige Piloten müssen angesprochen werden. Die Kultur muss sich ändern: Regelkonformes Verhalten muss selbstverständlich und Luftraumverletzungen müssen geächtet werden. Fluglehrer und erfahrene Piloten tragen Verantwortung. Sie müssen nicht nur technisches Können vermitteln, sondern auch ein Bewusstsein für die rechtlichen und ethischen Aspekte der Fliegerei schaffen. Zeiten, in denen Luftraumverletzungen vielleicht noch als Kavaliers-Delikte galten, sind vorüber.
Internationale Zusammenarbeit
Die Alpen kennen keine nationalen Grenzen, und die Probleme der Alpenfliegerei lassen sich nur durch internationale Zusammenarbeit lösen. Deutsche, österreichische, schweizerische, französische und italienische Segelflieger-Organisationen müssen gemeinsam auftreten, um gegenüber den Nationalparkverwaltungen Gewicht zu haben.
Erste Ansätze einer solchen Zusammenarbeit sind erkennbar. Juristische Schritte gegen überzogene Luftraumbestimmungen werden koordiniert, Informationen über erfolgreiche Verhandlungen ausgetauscht, und gemeinsame Standards für regelkonformes Verhalten entwickelt. Diese Bemühungen verdienen Unterstützung von jedem Piloten, der auch in Zukunft in den Alpen fliegen möchte.
Die Zukunft der Alpenfliegerei liegt nicht in der Konfrontation, sondern in der Kooperation. Die erfolgreichen Verhandlungen im Nationalpark Écrins zeigen, dass Kompromisse möglich sind, wenn beide Seiten konstruktiv zusammenarbeiten. Die laufenden Gespräche mit den Verwaltungen der Nationalparks Vanoise, Mercantour und Vercors sind ein Hoffnungsschimmer, auch wenn die Ausgangslage schwierig ist.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Glaubwürdigkeit der Segelflieger-Gemeinschaft. Nur wenn wir beweisen können, dass wir verlässliche Partner sind, die sich an vereinbarte Regeln halten, werden weitere Korridore möglich sein. Jeder einzelne Pilot trägt Verantwortung für das Gelingen dieser Verhandlungen.
Die Wahl liegt bei Ihnen als Pilot/-in. Die Alpen warten – auf jene, die bereit sind, sie mit Respekt und Verstand zu erfliegen.
Diese Artikel-Serie basiert auf Erfahrungen aus der Praxis des Mistral-Fliegens, aktuellen Erkenntnissen über Brisen-Systeme und der 2025 aktuellen Entwicklung der Luftraum-Bestimmungen in den französischen Alpen. Er richtet sich an erfahrene Streckenflugpiloten und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Angaben zu Luftraumbestimmungen und rechtlichen Konsequenzen entsprechen dem Stand von Juli 2025 und können ändern. Piloten sind selbst dafür verantwortlich, sich über die aktuell gültigen Bestimmungen zu informieren.
Lokale Windsysteme verstehen: Das Régime des Brises
Autor: Ernst Willi
Während der Mistral als dominanter Nordwind Schlagzeilen macht, ereignet sich in den südwestlichen Alpen ein subtileres, aber nicht weniger faszinierendes meteorologisches Phänomen: das Régime des Brises. Diese lokalen Windsysteme, die durch Temperatur-Unterschiede zwischen verschiedenen Oberflächen entstehen, beeinflussen die Flugbedingungen maßgeblich und können zu erstaunlichen Aufwind-Linien führen.
Der klassische Blick an einem „normalen“ Thermiktag vom Col d’Etaches aus nach Südosten in Richtung Italien. Erkennbar ist eine deutlich tiefere Thermikobergrenze (Wolkenbasis) als auf der französischen Seite der Konvergenzlinie entlang der Grenze zwischen Italien und der Grande Nation.
Wenn das Mittelmeer in die Berge fliesst
Die Seebrise des Mittelmeers ist ein wichtiger Akteur. Wenn sich das Land tagsüber schneller erwärmt als das Meer, entsteht über dem Land ein Unterdruck, der kühlere Luft vom Meer ansaugt. Diese kühlere und feuchtere Luft strömt landeinwärts und kann in Küstennähe oder in Tälern, die zum Meer hin offen sind, bis weit ins Landes-Innere spürbar sein. In den südlichen Alpen dringt die Seebrise tief in die Täler ein und bildet dort Konvergenzlinien, die für Segelflieger interessant sind.
Neben der großräumigen Seebrise existieren lokale Brisen, die durch die Topographie der Alpen geformt werden. Diese Brisen können je nach Tageszeit und Sonnen-Einstrahlung unterschiedliche Richtungen und Stärken aufweisen. Sie wirken oft zusammen mit klassischer Thermik und können erstaunliche Aufwind-Linien bilden, die dem unvorbereiteten Piloten als Zufallstreffer erscheinen, tatsächlich aber meteorologisch erklärbar sind. Beispiele für das Brisen-Phänomen können Sie anhand der folgenden Skizzen und Flugbilder erkennen.
Gesamt-Übersicht über das Régime des Brises in Südostfrankreich. Skizzen z.Vf. gestellt von Soaring Adventures, Gabriel Briffe.Das Régime des Brises über dem Plâteau Puimichel, dem Val d’Asse und dem Bléone-Tal. Die Talwinde konzentrieren sich am und südlich des ersten „Riegels“, des Cousson.Übersicht der Talwind-Systeme zwischen Durance und Mgne de Coupe, Mgne de la Blanche (Parcours) sowie dem Lac de Serre-Ponçon.Das Talwindsystem im Kessel von Gap. HIer zusätzlich unbedingt den kontrollierten Luftraum des Fallschirm-Betriebes über dem Flugplatz Gap beachten.Brisen-System zwischen Aspres, Col de Cabre und dem Col de la Croix HauteUnd hier noch die Übersicht des Talwindsystemes nördlich des Col Bayard, des Talkessels des Trièves und Grenoble.
Konvergenzlinien: Wo Brisen aufeinandertreffen
Das Zusammentreffen verschiedener Brisen-Systeme führt zur Bildung von Konvergenz-Linien – jenen unsichtbaren Autobahnen des Segelflugs, die erfahrene Piloten zielsicher ansteuern, während andere ratlos in der Umgebung kreisen. Die Seebrise vom Mittelmeer, lokale Tal- und Hangwinde, und die großräumigen Systeme wie Mistral oder Marin schaffen ein dreidimensionales Puzzle aus Luftbewegungen.
Seebrise über Lachensund in Caille
Konvergenzlinien sind nicht statisch. Sie verschieben sich mit der Tageszeit, der Sonneneinstrahlung und der großräumigen Wetterlage. Am Vormittag können sie noch schwach ausgeprägt sein, um am Nachmittag zu kraftvollen Aufwindstraßen zu werden. Der erfahrene Pilot lernt, diese Entwicklung vorherzusehen und seine Flugplanung anzupassen.
«Le Marin»: Feuchtigkeits-Transport aus dem Süden
Der Südost-Wind, auch als Marin bekannt, transportiert feuchte Luft vom Mittelmeer und kann zu Wolkenbildung und Niederschlägen führen. Für den Segelflieger ist der Marin ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bringt er die für Leewellen wichtige Feuchtigkeit, andererseits kann er die Sicht verschlechtern und zu unvorhersagbaren Wetterbedingungen führen. Interessant ist der «Marin» z.B. an den südöstlichen Flanken der Lure, wo im Durance-Tal die Feuchtigkeit aufläuft.
Genau hinsehen lohnt sich: An den südöstlichen Flanken der Lure läuft (im Durance-Tal) die Feuchtigkeit auf.Der Nordost-Wind beeinflusst die Regionen St. Genis, Aspres und Serres.
Im dritten Teil des Berichtes gehen wir morgen auf die neue Realität bei Alpenquerungen in der Vanoise und am Gran Paradiso ein.
Aktualisierter Leitfaden für Streckenflugpiloten in Zeiten verschärfter Luftraumbestimmungen
Dieser Blick aus dem Gran-Paradiso-Nationalpark westwärts zum Col du Carro und ins Vallée Modane ist heute unter 4’500 m AMSL illegal, selbst wenn man wie hier in der Welle fliegt. Gut erkennbar ist die Wirkung des Nordwest-Windes, welcher die eindringende Feuchtigkeit «nach Italien zurückschiebt».
Autor: Ernst Willi
Die Zeiten unbeschwerter Alpenquerungen scheinen vorbei. Was lange selbstverständlich war – der Flug entlang der französisch-italienischen Grenze mit ihren verlockenden Konfluenz-Linien – ist seit Dezember 2021 zur navigatorischen Herausforderung mutiert. Die beliebte Route durch das Herz der Alpen, die Generationen von Streckenflugpiloten zu legendären Distanzen verhalf, ist heute kaum mehr legal passierbar.
Doch die Alpen haben ihre Geheimnisse noch nicht alle preisgegeben. Während sich Luftraumgrenzen verschieben und Nationalparks ihre Schutzbestimmungen verschärfen, eröffnen sich gleichzeitig neue Erkenntnisse über die komplexen meteorologischen Systeme der Region. Das Régime des Brises – ein faszinierendes Zusammenspiel lokaler Windsysteme gewinnt für die praktische Flugplanung an Bedeutung.
Aber es gibt Hoffnung. Die Mistral-Autobahnen der Provence, die bewährten Wellensysteme zwischen Vinon und dem Pic de Bure, funktionieren nach wie vor. Mehr noch: Neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel zwischen klassischen Mistral-Wellen und lokalen Brisen-Systemen eröffnen alternative Routen und Strategien. Die Seebrise vom Mittelmeer, die tief in die Alpentäler eindringt, der feuchtigkeitstransportierende Süd-Ost-Wind Marin, und die topographisch bedingten lokalen Brisen – sie alle spielen eine Rolle in einem komplexen meteorologischen Puzzle, das es zu verstehen gilt.
Dieser Artikel verbindet bewährte Erfahrungen aus 25 Jahren Mistral-Fliegerei mit Erkenntnissen über Brisen-Systeme und der harten Realität verschärfter Luftraum-Bestimmungen. Er richtet sich an erfahrene Streckenflugpilot/-innen, die auch unter den veränderten Bedingungen ihre Leidenschaft für die Alpenfliegerei ausleben wollen – legal, sicher und mit Respekt vor Natur und Luftraum.
Die Mistral-Autobahnen, bewährte Routen in neuem Licht
Alles festbinden – oder die Kunst des Startens bei 50 km/h Wind
Wer schon einmal bei Mistral in Vinon war, kennt das Ritual: Der eiskalte Nordwind pfeift durch jede Ritze, nimmt alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist, und verwandelt den Flugplatz in eine Art Kampfzone. Doch genau hier, wo andere längst aufgegeben haben, beginnen legendäre Flüge. Die Gebrüder Gérard und Jean-Noël Herbaud starteten bereits 1992 von hier zu ihrem unglaublichen 1380-Kilometer-Zielflug nach Fès in Marokko. Gilles Navas hebt von derselben Piste ab, um Flüge mit mehr als 1500 Kilometer zwischen Furka und Pyrenäen zurückzulegen.
Blau markiert sind die Mistral-Leewellengebiete rund um das Durancetal.
Der Schlüssel: Die vordersten Kondensfetzen
Im Idealfall gelingt der Einstieg schon nach einem kurzen Schlepp von wenigen hundert Metern. Manchmal klappt das sogar direkt über dem Pistenende der Runway 28 von Vinon. Seine feinen, vom Wind zerzausten Kondens-Fetzen bilden sich am Nordost-Ende des Kühlwassersees des ITER von Cadarache ständig neu. Man fliegt am besten den vordersten, luvseitigen Wolkenfetzen an – und sei er noch so zart in der Entstehung.
Ob man darunter steil einkreist und sich tendenziell wegblasen lässt oder die Nase des Seglers stationär am Horizont hin und her führt, ist sekundär. Wichtiger ist, in der Steigzone zu bleiben. Bei trockener Luft, wenn das provençalische Flachland wenige Kondens-Fetzen produziert, ist ein langer Schlepp auf die Luvkante des Lubéron bei Céreste oder an den auffälligen, viereckigen Wasserspeicher im Süden des Lubéron-Hauptgipfels unvermeidlich.
Vorfliegen unter FL 75 – die R-71-Problematik
Ist der Welleneinstieg gelungen, wird das System oft erst in voller Ausprägung erkennbar. Das Steigen in der Leewelle kann schon in der Region des Lubéron auf drei bis vier Meter pro Sekunde anwachsen. In einer Minute klettert der Segler damit bereits 1’400 m in die Höhe und droht, die Luftraumgrenze des R-71 auf FL 75 zu durchstoßen.
Hier zeigt sich die erste moderne Herausforderung: Werden die Kunstflugachsen von der Armée de l’Air nicht benötigt, ist mit einer Freigabe auf Salon Approach 135.150 MHz ein Aufstieg bis FL 115 möglich. Das erleichtert das Vorfliegen gegen manchmal 90 km/h Gegenwind zum nächsten Wellensystem südlich der Lure enorm. Doch auch unter FL 75 ist es machbar – am einfachsten, indem der Pilot der Westseite des Durancetals den Hügeln und häufig sichtbaren Kondens-Fetzen-Aufreihungen über den östlichen Lubéron-Hügel-Ausläufern bis zur Lure und nach St.-Auban folgt. Der Weg an der Westseite des Durancetals hat sich als sicherer erwiesen als jener über das auf den ersten Blick logischere, aber höhere und schwieriger landbare westlichere Gelände den Hügeln der Sternwarte Forcalquier entlang.
Aufnahme vom Frühling 2024. Im Hintergrund erkennen Sie den Etang de Berre bei Marseille und im Vordergrund das Durancetal vor der Mündung in die Rhône. Südlich des Lubéron war mit Freigabe von Marseille Info ein Wellen-Einstieg ab 1’300 m bis auf 4’500 m MSL möglich.
Lure – die «Mutter aller Leewellen»
Südlich der sogenannten Lure-Pfanne, einem unübersehbaren Gelände-Parabolspiegel, produziert der Nordwestwind eine der stärksten Leewellen der Alpen. Die dortigen Steigwerte treiben das Variometer häufig an den oberen Anschlag. Hier noch im richtigen Moment die Sauerstoff-Zufuhr sicherzustellen und bei Salon Approach eine Freigabe zu verlangen, sorgt für Betriebsamkeit im Cockpit. Es hilft, im Cockpit gut vorbereitet zu sein.
Der Einstieg südlich der Lure hat zwei Vorteile: In der Nähe ist das Segelflug-Zentrum von St.-Auban / Château-Arnoux als Landemöglichkeit. Außerdem sind hier Wellenfenster eingerichtet, die über das Zentrum von St.-Auban bei Salon Approach aktiviert werden können und in einem Sektor Flüge bis auf FL 195 ermöglichen. Sorgfältiges Navigieren ist wichtig – die umliegenden Luftraum-Sektoren reichen bis FL 115 hinunter und werden rege von Verkehrsfliegern genutzt.
Man erwischt die Welle häufig auch tief unten im Gelände. Bewährte Einstiegspunkte sind das südwestliche Ende des Flugfeldes St.-Auban, die unübersehbaren Steinbrüche südlich der Lure-Pfanne oder die Hügellandschaft direkt westlich des Segelflugplatzes.
Solide Hard- und Software verwenden
Zur sicheren Nutzung unkontrollierter und kontrollierter Lufträume ist ein aktuelles Moving Map-System unverzichtbar. Investieren Sie Zeit und etwas Geld in eine solide betreibbare Hard- und Software, etwa SkyDemon, EnRoute Flight Navigation oder XC Soar, bzw. sorgen Sie für eine aktuelle Software- und Karten-Version auf einem fest im Flugzeug verbauten System. Und lernen Sie vor dem Start, sie zu bedienen.
Zwei Wege gegen den Sturm zum Pic de Bure
Wer auch im Mistral lieber Distanzen als Höhen erfliegt, hat zwei Möglichkeiten: Den Weg nach Nordwesten über das Jabron-Tal, Montagne de Chabre, Col de Cabre und Serres zum Pic de Bure, oder nach Nordosten über Gap. Die Gap-Route hat den Vorteil einfacherer Luftraum-Strukturen bis FL 195, aber den Nachteil seltener leicht strukturierter und erkennbarer Wellensysteme.
Verwenden Sie neben obiger Skizze immer die offiziellen und aktuellen Karten des SIA für Ihre Navigation und beachten Sie die Auswirkungen der Luftdruckänderungen auf das QNH.
Häufiger erflogen wird der Flugweg über das Jabron-Tal, den Montagne de Chabre, Col de Cabre und den Anflug der Pic-de-Bure-Welle aus Südosten. Hier sind die Luftraum-Grenzen von FL 115 zwar eine Einschränkung, andererseits sind die Wellensysteme leichter erkennbar, weil mehr Feuchtigkeit aus dem Nordstau abgespült wird. Man braucht auch keine astronomischen Höhenreserven, um den Einstieg an den Pic de Bure zu schaffen.
Der riesige Gebirgs-Klotz des Pic de Bure spielt eine Schlüsselrolle für alle, die bis auf FL 195 hinauf fliegen oder längere Strecken in die Wellensysteme des oberen Durance-Tales, des Val Susa, Aosta und ins Gebiet südlich der Walliser Alpen zurücklegen wollen. Doch hier beginnen bereits die Probleme der modernen Alpenfliegerei – denn das obere Durancetal um Briançon ist bei Nordwind häufig stark mit Feuchtigkeit zugespült, und die klassischen Weiterflugmöglichkeiten sind durch neue Luftraumbestimmungen eingeschränkt.
Im nächsten Teil von morgen gehen wir im Detail auf die lokalen Brisensysteme ein.
Wer sich von den vielen kontrollierten Lufträumen nicht abhalten lässt und sich auf die Westseite des Rheins nach Lothringen wagt, wird oft mit toller Thermik belohnt.
Autor: Holger Leicht
Frankreich – für viele Segelflieger ein „weißer Fleck“ auf der fliegerischen Landkarte. Zu Unrecht. Denn westlich des Rheins beginnt ein Terrain, das mit thermischer Qualität, landschaftlicher Vielfalt und fliegerischer Freiheit lockt – wären da nicht die komplexen Luftraumstrukturen und die oft abschreckenden militärischen Sperrgebiete.
Segelflug jenseits des Rheins
Mit sorgfältiger Vorbereitung, Respekt und Mut zur Initiative erschließt sich eine faszinierende Welt: Die Vogesen als thermisch hochinteressante Mittelgebirgskette, das angrenzende Gebiet Richtung Jura, das Flachland Richtung Westen oder gar weiter nach Belgien – weitläufig, wenig frequentiert und in vielen Bereichen überraschend zugänglich.
Die Flugspuren von Holger Leicht zeigen, dass jenseits von Schwarzwald und Alb auch Flüge aus Deutschland in den „Grand Est“ möglich sind.
Thermik, Topografie und taktische Einstiegspunkte
Die Vogesen bieten häufig zuverlässige Thermik – insbesondere an der Kante vom Ballon d’Alsace bis Bad Dürkheim lässt sich eine „Rennstrecke“ von rund 200 km fliegen. Doch der Einstieg ist anspruchsvoll: Die Rheinebene fungiert oft als thermisches Nadelöhr. Frühstarts aus dem Schwarzwald erfordern hohe Basishöhen (> 2.000 m), da die Querung sonst kaum Sinn ergibt – besonders bei inversionsbedingt noch „totem“ Rheintal.
Alternativen bieten sich durch Anflüge über den Pfälzerwald oder – bei günstiger Lage – über Colmar oder Saverne. Mit gezielten Freigaben durch Straßburg APP oder Bâle Info lässt sich der Einstieg gezielt planen und effizient gestalten.
Blick auf die Stadt Nancy
Luftraumstruktur: Auf den ersten Blick unübersichtlich – mit System dennoch beherrschbar
Frankreichs Luftraumstruktur mag zunächst einschüchtern: LF-Rs, CTRs, TMAs, ZRTs, RTBAs – kaum ein Akronym fehlt. Doch vieles relativiert sich bei genauerer Betrachtung:
Sperrgebiete (LF-Rs) die uns Segelflieger behindern (militärische) sind an Wochenenden eigentlich nie aktiv. Und unter ihnen befinden sich auch zahlreiche Segelflugsektoren, die uns gar nicht stören. Darüber gibt auch die französische AIP-Auskunft, ob ein Luftraum am Wochenende überhaupt aktiv sein kann oder nicht. Im Flug sicherheitshalber bei FIS nachzufragen schadet natürlich nicht.
RTBAs («Réseau Très Basse Altitude», Tiefflugrouten) sind eine spezielle Art der LF-Rs, dieaber normalerweise nur unter der Woche aktiv sind und schon am Tag davor online einsehbar, auch mit den entsprechenden Höhen (stundenweise): Vorsicht, hier erscheinen nur die RTBAs, aber keine der übrigen LF-Rs. RTBA’s sind in der ICAO-Karte anders umrandet als LF-Rs.
AIP Supplements, die in Frankreich fast täglich erscheinen,definieren Lufträume, die nicht in der IACO-Karte zu finden sind. Für die Tour de France genauso wie für zeitweise Militärübungen und Ähnliches. Von diesen temporären Lufträumen (französisch ZRTs, «Zones Réglementées Temporaires») gibt es allein 2025 bis Juli 130 Stück. Von denen, die noch aus den Jahren (!) vorher gültig sind, ganz zu schweigen. Wie gut das moderne Tools wie SkyDemon oder ähnliche abbilden, sei dahingestellt. Immerhin versendet die SIA ca. einmal monatlich einen Newsletter mit den AIP-Supplement-Anpassungen und -Neuerungen.
FIS und APP sind so gut wie immer sehr freundlich, hinterfragen aber gerne mal, ob man auch brav einen Flugplan hat. Manche Flugplätze wie z. B. Metz-Nancy haben riesige TMAs, aber tagsüber so gut wie keine Flugbewegungen. Und auch die Stimmen am Radarschirm von Militärgebieten wie Luxeuil oder Phalsbourg zeigen sich fast durchweg kooperativ, wenn man sich professionell und freundlich verhält. Selbst in Basel und Straßbourg ist mit der richtigen Wortwahl so einiges möglich.
NOTAMs sollte man auf jeden Fall vor dem Flug checken, denn dort finden sich schon viele Informationen über die Aktivierung von Sperrgebieten und AIP SUPs, die oft per NOTAM aktiviert werden (aber eben nicht nur).
Das Credo lautet: Verstehen statt Vermeiden. Wer die relevanten Sektoren identifiziert und sich auf die Funkkommunikation vorbereitet, kann die Luftraumkomplexität entschärfen und dann legal bis FL115 operieren.
Ausrüstung und Planung – Effizienz und Sicherheit durch clevere Vorbereitung
Für den erfolgreichen Flug nach Frankreich sind folgende Tools sehr hilfreich:
Tablet mit aktuellem Luftraum, hilft im Fall der Fälle den Überblick zu bewahren, z.B. mit XCSoar oder SkyDemon. Ein Klick kann da oft die letzte Unklarheit beseitigen, obwohl das das Beschäftigen mit den Lufträumen vor dem Flug nicht ersetzen kann
In-Ear-Headset für saubere Funkverständlichkeit
Papier-Kniebrett mit einer Liste der LF-Rs, die man durchfliegen will und um Infos vom Fluglotsen zu notieren
Flugplan via DFS – in wenigen Minuten vorbereitet und über Mobilgerät jederzeit änderbar
Transponder ist kein Muss, aber hilfreich, um leichter durchzukommen. Wenn man ohne XPDR fliegt, hilft systematische Nummerierung französischer TMAs umso mehr.
Der Flugplanist für grenzüberschreitende Flüge nach Frankreich notwendig, vor allem weil die Lotsen häufig danach fragen – ein kurzer Funkspruch bei FIS genügt zur Öffnung. Auch das Schließen bei Rückkehr ist so problemlos möglich, aber nur in Deutschland, unsere Nachbarländer erlauben das teilweise nur telefonisch nach der Landung. Die Zusammenarbeit mit FIS ist vor allem auch bei den aktiven Lufträumen und beim Navigieren durch TMAs/CTRs entscheidend.
Fliegerische Möglichkeiten – Streckenpotenzial jenseits der Standardrouten
Einmal eingetaucht in das «Hinterland» eröffnet sich ein (von VFR-Fliegern) kaum genutzter Luftraum. Westlich der Vogesen warten weite, flachwellige Regionen mit geringem Verkehr und teilweise großflächig homogenem Segelflug-Wetter. Die Verbindung über Belfort nach Süden in den Schweizer Jura ist landschaftlich ebenso ein Erlebnis. Nach Norden führen Strecken bis ins belgische Luftraumsystem.
Fazit: Weg von der Ölspur – Frankreich bietet mehr, als man denkt
Was bleibt, ist ein Appell an die fliegerische Neugier: Wer sich nicht scheut, die Karte genau zu studieren, NOTAMs zu prüfen und auf englischsprachige Frequenzen zu wechseln, wird mit einsamen Thermiklinien undneuen Streckenoptionen belohnt. Frankreich fliegerisch zu entdecken, heißt auch: sich vom mentalen Sicherheitsdenken um und unter der heimischen TMA zu lösen – kontrolliert, vorbereitet, aber mit Weitblick. Also bitte nicht einfach nur unüberlegt losfliegen.
Eintritts-Seite der SIA (Système d’information sur les armes). eAIP wählen, darauf den Mini-Link unter dem „+“-Zeichen öffnen:Danach aus einem umfangreichen Dokument den gesuchten Luftraum herausfiltern (oft hilft die Suche mit „Control F“ über den gesamten Inhalt weiter).
Tiefflug-Routen, Réseaux très basses altitudes RTBA
Eintritts-Seite der SIA, unter „Preparation de vol“ die Unterseite „Cartes SZBA“ öffnen.Übersichtsseite über den Status der unterschiedlichen Tiefflugstrecken prüfen.Detail-Seite der Tiefflug-Streckenabschnitte prüfen.
Hellrot: aktiv, Untergrenze > 0ft AGL
Dunkelrot: aktiv, Untergrenze = 0ft AGL
Hellblau: inaktiv, Untergrenze > 0ft AGL
Dunkelblau: inaktiv, Untergrenze = 0ft AGL
Hinweis zur Eigenverantwortung: Der hier präsentierte Inhalt entspricht dem Stand von Juli 2025 und ist nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Als Segel- und Motorflieger/-in handeln Sie auf eigene Verantwortung.
Luftwanderung, Tag 3, Berner Oberland, Wallis, Surselva, Ostschweiz
Autor: Peter Schmid
Die Begrüssung zum Frühstück mit einem breiten „Güetä Morgä“ hat uns sofort daran erinnert, in welch herrlicher Gegend wir gestern gelandet sind. Unser Entscheid, einem komfortablen Hotel-Zimmer den Vorzug gegenüber einer staubfreien Ecke in einem Flugzeug-Hangar zu geben, stellt sich erneut als goldrichtig heraus. Wenn schon Wandersegelflug, dann bitte mit Stil.
Obwohl erst seit zwei Tagen unterwegs, stellt sich schon ein bisschen Routine ein. Wir studieren Wetterkarten, Lufträume, DABS und was es sonst noch so zu tun gibt. Allerdings ist die Aufgabe heute deutlich einfacher. Normalerweise überlegen wir uns, wohin es gehen soll, und mindestens so wichtig, ob wir dort am Folgetag wieder wegkommen. Der Sonntag, 13. Juli 2025 gilt aber schon seit einigen Tagen in den Vorhersagen als segelfliegerisches Streichresultat, weshalb wir beschliessen, heute Samstag „nach Hause„, also nach Schänis zu fliegen. Bei aller Planung geniessen wir aber trotzdem ein wunderbares Berner Oberländer Frühstück. So darf der Tag durchaus weitergehen – einfach köstlich. Ein Kamerad der SG Obwalden bietet an, den Shuttledienst vom Hotel zum Flugplatz Zweisimmen für uns zu übernehmen. An dieser Stelle nochmals besten Dank dafür.
Auf dem Flugplatz angekommen, stellen wir schnell fest, dass noch andere Segelflieger von der guten Thermikprognose für diesen Samstag, 12. Juni, gelesen haben. Jedenfalls war das Gewusel schon recht gross. Es stellt sich fast eine Art Hektik ein. Spätestens als sich die Berner Oberländer Kameraden an den Start gesellen, ist diese Hektik blitzartig verflogen. Dieser wunderbare Berner Oberländer Dialekt ist ein Entschleunigungs-Programm. Da sich bekanntlich Fliegen und Hektik schlecht vertragen, wäre unser Lösungsansatz, dass man ab sofort nur noch Berner Oberländer Dialekt auf Flugplätzen spricht. Damit ist Ruhe programmiert.
Dank der Tatsache, dass wir während unseres Wandersegelfluges den Motor jeweils nur für einen kurzen Steigflug nach dem Start einsetzen mussten, brauchen wir während der gesamten Reise nicht nachtanken. Insgesamt verbrauchen wir auf unserer Reise bescheidene 13 l Treibstoff. Bei einer Gesamtstrecke von etwas über 1’100 km ergibt dies nur 1.2 l/100 km. Bei solchen Verbrauchswerten werden selbst Elektroauto-Fahrer neidisch.
Jetzt ist aber Schluss mit lustig, volle Konzentration ist gefragt, unsere Aufmerksamkeit gilt dem Eigenstart. Voltenplan, Pistenlänge, Halbbahn-Markierung, wo muss der Start abgebrochen werden etc. Diesen Details gilt es beim Eigenstarter, höchste Beachtung zu schenken. Leider sind die Systeme nicht sonderlich zuverlässig – deshalb gilt beim Eigenstarter als goldene Regel – assume the worst and hope for the best.
Glücklicherweise schnurrt unser Solo Triebwerk zuverlässig wie ein alter Kater, dies ist gut so, denn Notlande-Wiesen im Ausflug nach dem Start in Zweisimmen sind selten wie Schnee in der Sahara. Nach dem Steigflug und einem ausgedehnten Motor-Kühllauf verpacken wir unsere bleierne Thermik und finden rasch die ersten Aufwinde. Die Wetteroptik um uns herum ist allerdings eigenartig. Teilweise gibt es wunderbare Cumulus-Wolken, unweit davon hängen aber Wolken völlig motivationslos in tieferen Lagen. Ernst zaubert mit Geduld und sauberem Fliegen genügend Höhe her, sodass wir schon bald am Wildstrubel vorbei, über den Plaine Morte Gletscher ins Wallis gleiten können. Der französische Ausdruck „Plaine“ steht übrigens für Ebene. Und es ist tatsächlich eine Ebene, vor tiefem Überflug wird daher abgeraten.
Trotz wunderbarer Wetteroptik, das Wallis überzeugt noch nicht. Ernst kämpft mit ruppiger Leethermik, welche vom Nordwind zerrissen wird und nur schwache Aufwinde liefert.
Erst nördlich von Visp klettern wir in einem sehr guten Aufwind von 2’700 auf fast 3’400 m damit sind wir wieder „im Geschäft“. Einer alten Tradition folgend, übergibt mir Ernst den Flieger auf Höhe. Als nach und nicht vor dem Aufwind. Ich entscheide mich, die Talseite zu wechseln. Wind und Sonneneinstrahlung rufen nach der Südseite des Wallis. Bei den ersten Wolken in der Region des Pizzo Cervandone handelt es sich allerdings um Sirenen – ACHTUNG: kurzer Ausflug in die griechische Mythologie – Sirenen sind meist weibliche, in Darstellungen bisweilen bärtige Fabelwesen (da war doch noch etwas mit einem Österreicher – aber ist ja Wurscht) die durch deren betörenden Gesang die vorbeifahrenden Schiffer anlockt, um sie zu töten.
Na ja, ganz so schlimm war’s dann auch wieder nicht, aber gestiegen sind wir auch nicht. Der Aufwind beim Fülhorn im Binntal (einem der ursprünglichsten Alpentäler) hat dann aber zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk funktioniert – eben doch, lieber zuverlässige Walliser Aufwinde als griechische Sirenen.
Mittlerweile neigt sich unser Stromvorrat dem Ende zu. Während wir bei unserem früheren Arcus M mit den Solarpanels problemlos drei bis vier Tage ohne Batterie-Laden fliegen konnten, sind die Batterien unseres neuen Arcus M jetzt definitiv leer geflogen. Vermutlich müsste man eher sagen, leer gequatscht, haben wir doch bei unserer gestrigen Umrundung der TMA Genf permanent entweder mit Geneva Info oder Chambéry Approach geplaudert. Wobei es keinesfalls so war, dass wir ein ungehemmtes Mitteilungsbedürfnis verspürten, vielmehr zeigten die ATC’s ein ausgeprägtes Bedürfnis, mit uns zu reden.
Egal, wir sind früher auch ohne elektronische Instrumente geflogen, Fahrtmesser und Stauscheiben-Variometer müssen reichen. Etwas blöd ist, dass man heutzutage nicht einmal mehr eine Höhenanzeige hat, da auch diese nur noch elektronisch betrieben wird. Aber wie war die Theorie nochmals, wenn ich eine Krete oder einen Passübergang anfliege und die Landschaft dahinter „mehrwird„, also hinter dem Pass immer mehr Landschaft im Tal sichtbar wird, dann reicht die Höhe für den Überflug. Auch dafür braucht es keinen Höhenmesser.
Als wir in einen sehr guten Aufwind am Winterhorn im Urseren-Tal einfliegen, markiert Ernst im Frontsitz das akustische Variometer. Bei starkem Steigen piepst er wie ein alter Pirol, im Sinken tönt er wie eine heisere Krähe. Da ist mir Ruhe im Cockpit sympathischer, also stelle ich das humanoide Variometer wieder aus.
Jedenfalls beschliessen wir, mangels Elektrizität an Bord den Flug nicht weiter zu verlängern, sondern direkt nach Schänis zu fliegen. Im Val Russein versuchen wir, in super-ruppiger Luft Höhe zu gewinnen, um über den Sandpass in Ernst’s Heimat, das Glarnerland zu gleiten.
Obwohl sich Ernst im Grundsatz immer sehr manierlich verhält, das Glarnerland will uns (noch) nicht. Die Aufwinde am Piz Avat fühlen sich an wie ein kräftiger Föhnsturm und verlangen volle Aufmerksamkeit. Leider manifestierte sich, dass der Sandpass keine Option war. Etwas weiter draussen im Tal finden wir einen gut entwickelten Aufwind, der genügend Höhe für den sicheren Überflug über den Kistenpass spendet. Voilà und schon fühlt sich Ernst wieder sauwohl, weil zu Hause. Es braucht gar nicht soviel.
Die Bilanz unserer dreitägigen Reise:
Strecke: Etwas über 1’100 km (WeGlide)
Flugzeit: 17 h
Treibstoff: 13 Liter
Erlebnis: Unbezahlbar
Begegnungen: Nur spannende – die anderen vermeiden wir
Wandersegelflug ist eine wunderbare Sache, um segelfliegerisches Neuland zu erkunden. Die Tatsache, dass man nach halber Flugdistanz nicht schon an den Rückflug denken muss, hat etwas Befreiendes. Es wird nicht unsere letzte Reise gewesen sein, Ideen & Pläne haben wir noch ganz viele. Wir freuen uns auf die kommenden Abenteuer.
Hier finden Sie Berichte der beiden vorgängigen Flugtage:
-> Tag 1, Schänis-Speyer-Schwarzwald-Jura-Grenchen -> Tag 2, Grenchen-TMA Genf-Chambéry-Savoyen-Unterwallis-Zweisimmen
Luftwanderung, Tag 2: Jura, Savoyen, Unterwallis, Berner Oberland
Autor: Ernst Willi
Die heutige Wetterprognose passt nahtlos zu jenen der Vortage. Sie war ja ein Grund, gestern Grenchen zu erreichen, um heute den Jura nutzen zu können. Da sollte die Vorhersage die Umrundung der TMA Genf erlauben. Das haben wir nämlich beide noch nie gemacht, obwohl in den vergangenen Jahren Flüge vom Schweizer Mittelland über den Jura bis westlich von Genf, dann mit einer Verlängerung nach Südfrankreich und über die Alpen zurück nach Hause häufiger erfolgreich durchgeführt worden sind. Die Spezialisten dafür sind die Knonauer Meisterpiloten Bert Schmelzer, Jürg Haas und der Oberaargauer Rolf Friedli (unvollständige Aufzählung).
Über dem Jura ist es heute um diese Tageszeit selbst in der Luft einsam. Das ändert sich weiter westlich in der Region Genf mit zahlreichen Passagierflugzeugen, die in der Stadt an der Rhone ungestört und sicher starten und landen wollen.
Die Thermik-Luftraum-Schere
Die Schwierigkeit an diesen Flügen scheint die sich schliessende Schere zwischen dem Gelände und den kontrollierten Lufträumen zu sein, während gleichzeitig eine etwa 50 km lange, thermiklose Region durchquert werden muss. Die Lufträume liegen ab 5’500 Fuss oben drauf, darunter ist das Gelände etwa 3’000 Fuss hoch, je nachdem, wo man misst. Und damit soll man 40-50 km weit gleiten können – auch mit einem modernen Arcus etwas verrückt, nicht?
Die TMA’s der Flughäfen von Genf und Chambéry.
Tatsache ist, dass die erwähnten Piloten diesen Flaschenhals allein 2025 mehrmals durchflogen haben. Nicht immer ganz sorgenfrei, wie die Flugaufzeichnungen im in OLC und auf WeGlide zeigen. Aber dafür allein an Bord. Wir sind immerhin zu zweit, d.h., einer kümmert sich um Freigaben und Luftraum-Planung, der andere fliegt. Mein Respekt vor unseren Kollegen wächst während und nach dem Flug, denn der heutige Tag wird definitiv «keinSelbstläufer».
Bis in die Region Genf kommen wir abgesehen von einem zaghaften Einstieg über der Hasenmatt in Grenchen und über dem Schweizer Leistungs-Sportzentrum Magglingen vernünftig voran. Der uns wohlgesinnte Thermikgott platziert immer mal wieder Cumulus-Wolken auf unserem Flugweg. Je näher wir Genf kommen, umso mehr werden diese aber unerreichbar für uns – weil sie wie immer im kontrollierten Luftraum hingehängt sind, was natürlich vom Thermikgott etwas unsorgfältig ausgeführt worden ist. Mehrmaliges Nachfragen für eine höhere Freigabe in Genf bei der geduldigen Controllerin wird abschliessend mit einem trockenen Funkspruch quittiert: «please look now to your left…» Machen wir. Oha, da ist jetzt tatsächlich ein Airliner gute 1’000 Fuss über und neben uns im «downwind to Runway zero-four». Alles klar. Darum ist Geneva Information so humorfrei. Da hilft natürlich auch ein Transponder nicht viel.
Unverdrossen halten wir uns an die Luftraumgrenzen. Blöd nur, dass die TMA von Genf so einen grossen Bauch hat. Grosse Bäuche sind immer etwas unkommod. Auch dieser ist nicht hübsch. D.h., Peter ist in ständigem Funkkontakt und ich zirkle den Flieger zwischen der Luftraum-Untergrenze und dem Jura-Waldrücken unter mir westwärts.
Chambéry’s Controller rettet uns
Langsam schwindet meine Zuversicht, unseren Plan ohne Motorhilfe zu bewältigen. Über uns vertrocknen die letzten Cumulus. Wir fliegen nur noch ca. 100 m über Grund. Und voraus ist die Luftmasse trocken und ohne verräterische Thermik-Zeichen. Kein Wölklein weit und breit. Nun muss definitiv etwas passieren, sonst stehen wir am Boden oder müssen den Motor starten.
Da rettet uns der Controller vom Flughafen Chambéry. Peter erwischt kurz nach dem Erreichen des Luftraumes von Chambéry auf der unterbruchsfrei benutzten Frequenz der französischen Voralpenstadt einen freien Funk-Slot und kann unser Anliegen, so hoch wie möglich steigen zu wollen, anbringen. Der Controller muss ein Segelflieger sein. Denn er gibt uns eine Freigabe bis 9’000 Fuss, obwohl wir an unserem aktuellen Standort eigentlich nur bis 5’500 Fuss steigen dürfen.
Das ist mal eine Ansage! Jetzt liegt der Ball bei mir. Mit untypischer Geduld bastle ich den Arcus an die Wolkenfetzen hinauf, und die hängen immerhin auf 8’000 Fuss. Von da oben sieht die Welt sofort anders, etwas runder aus. Die Zuversicht ist sofort zurück, wir nehmen Kurs auf das «Massif des Bauges» westlich von Chambéry. Das ist eigentlich die erste Voralpen-Krete der Savoyer Alpen.
Knapp über dem Massiv des Bauges gelingt der Einstieg in die Savoyer Voralpen.
Kanalisierte Bise und Talwinde
Das Bikerparadies «Massif des Bauges» sehen wir uns dann unverhofft etwas genauer an, immerhin erreichen wir nach einem langen Gleitflug gerade knapp die Krete, die von der Bise längs angeströmt wird. Was das genau bedeutet, wird uns einen Moment später deutlich aufgezeigt. In der Region Genf kanalisiert der Nordostwind zwischen dem Jura und den Savoyer Alpen und erhöht aufgrund des geografischen „Düsen-Effektes“ sein Tempo, was im Winter zu bizarren Eisgebilden am Genfersee führt.
Heute führt der Effekt dazu, dass man am besten am östlichen Ende einer Krete einfädelt, will man nicht ständig hinter jeder Erhöhung ins Lee fallen. Das passiert uns erstmals über dem Tal des Chéran-Flusses, der von den Gipfeln bei Albertville nach Nordwesten fliesst. Wir geraten mal wieder in einen «Wasserfall». Peter rettet uns dann mit einem beherzten Sprung an einen Prallhang, der im Talwind-System steht. Uffhh, das war nicht so geplant! Man kann da zwar eine wunderbare Aussicht auf die Chartreuse und bis hinauf an den Genfersee geniessen, aber etwas höher wäre der Blick noch eindrücklicher gewesen.
Im tiefen Hangflug an den Hàngen der Savoyer Alpen. Im Hintergrund ist die „Chartreuse“ erkennbar, ebenso wie die weissen Blatt-Unterseiten der Laubbäume am stark vom Talwind-System angeströmten „Prallhang“.
Aus der Ferne schöner
So geht das nun in einer Endlos-Schlaufe weiter. Wir folgen den Bergketten ostwärts, immer begleitet von etwas wirbligen Aufwinden, die vom Nordost weggeweht werden, kaum hat man die Gipfel überstiegen. Südlich der bekannten Savoyer Skigebiete von Morzine Avoriaz verliert Peter dann doch für einmal die Geduld und fliegt etwas tiefer als eigentlich geplant ins Rhonetal ein, weil einfach die Aufwinde kaum mehr auswertbar sind, obwohl über uns dicke Cumulus-Wolken hängen. Kaum zu glauben, aber wir können einfach nicht höher steigen.
Die Cumulus-Wolken liegen in den Savoyer Alpen auf den Gipfeln auf und lassen uns wenig Spielraum, um uns dazwischen agil bewegen zu können.
Die Strafe folgt auf dem Fuss, denn die müde Genfersee-Luft wird natürlich vom Talwindsystem im Wallis angesogen. Was dazu führt, dass in diesem massiven und langen Tal in tiefen Lagen thermisch nichts zu holen ist. Wir stellen trocken fest, dass die Wettervorhersagen diese Tatsache präzise prognostiziert haben. Nur hilft uns das jetzt nicht weiter. Wir sind nämlich nur noch auf 1’300 m ü.M. über dem Flugplatz Bex.
Da war doch mal was
Ich erinnere mich an die Fluglehrer-Ausbildung in Sion. Da konnten wir regelmässig an der ins Haupttal ragenden Krete von Nendaz in geringer Höhe wegsteigen. Denn das Walliser Talwindsystem gehört aufgrund der Topografie zu den stärksten in der Schweiz. Daran erinnere ich mich gerade noch rechtzeitig, um eine der ersten engen Stellen über der Festung Saint-Maurice zu erreichen.
Die Festung Saint-Maurice. Bild: Saint-Maurice Tourisme. Die Schweizer Fahne mussten wir anfangs sogar von unten bewundern.
Nun müht sich Peter über eine Stunde in den starken Turbulenzen des Ostwindes, der sich hier ziemlich ungemütlich mit dem dynamischen Unterwalliser Talwind mischt, ab. Endlich sehen wir die Lawinenverbauungen am oberen Hang-Ende wieder etwas näher im Cockpitfenster, unser Höhenmesser zeigt sogar wieder eine «2» zu Beginn der Zahlenreihe an. Boahh, was für ein Krampf. Der schwere Arcus ist für solche Übungen nicht ganz ideal, man bekommt seine Gesamt-Masse von 800 kg einfach bei jeder Hang-Acht zu spüren. Kaum ist man etwas zu schnell, schiesst man über die tragende Zone nahe am Hang hinaus und fällt ins Lee des generell über die Kreten absinkenden Ostwindes, fliegt man zu langsam und zu eng um die Ecken, um das zu vermeiden, fällt man im schlimmsten Fall in den Wald. Alles nicht so einfach heute.
Irgendwie drücken wir uns dann doch um alle Kanten und Lees über den Col du Pillon und kommen damit unserem heutigen Ziel «Zweisimmen» einen grossen Schritt näher.
Spannung bis zur Landung
Für einen sicheren Endanflug fehlen jetzt nur noch ein paar Meter. Deshalb gewinnen wir an den steilen Nordhängen des Gstellihorns im Talwind-System der Saane nochmals etwas Höhe dazu. Vorausgegangen ist diesem letzten «climb» ein erneuter «Sturz durch den Wasserfall» östlich des Col du Pillon mit Sinkwerten um 4 m/sec. Da nähert sich der Talboden dann schwindelerregend schnell. Die südliche Talseite ist mit Seilbahnen verbaut, man kann hier also zwischen «starkem Sinken» auf der Nordseite und «Hängenbleiben an der Luftseilbahn» an der Südseite auswählen. Irgendwann ist der Spuk aber vorbei, wir sind ausreichend hoch für das letzte Pässchen dieses Flugtages zwischen den noblen Hotels und Villen in Gstaad und unserem nicht minder hübschen Zielort Zweisimmen.
Bis auf einen kurzen Schreckens-Moment im Endanflug, in dem 20 Sekunden vor der Landung noch jemand einen Segler über die Piste schieben will, läuft alles, wie es muss, wir stehen etwas geschafft, aber trotzdem zufrieden am Pistenrand von Zweisimmen und verstauen unseren Arcus am direkt am südlichen Pistenkopf.
Hübsche Autostopper
Wir sind unverhofft mitten im Schlussabend des Fluglagers Zweisimmen gelandet, welches der Segelflug-Verband der Schweiz jährlich durchführt. Felix Deutsch, der SFVS-Verbands-Präsident, ist gerade auf Inspektionsreise und unser segelfliegender Nationalrat Matthias Jauslin verbringt hier seine Sommerferien. Vorbildlich in der Schweiz. Mit so viel Prominenz haben wir nicht gerechnet.
Das Finden eines Hotelzimmers war schon einfacher als heute. Aber nach mehreren Versuchen finden wir im Hotel Diana im benachbarten St. Stephan die Zusage für eine nächtliche Bleibe. Der Ort beherbergt einen ehemaligen Militärflugplatz mit 1’700 Meter Betonpiste, die heute vor allem für die Business-Jets als Landeplatz dient, welche auf der kürzeren Piste in Saanen bei Gstaad zuwenig Auslauf haben. Eigentlich hätten wir ja auch hier landen können, denn nun müssen wir noch eine Fahr-Gelegenheit auftreiben, um unsere Schlaf-Gelegenheit zu erreichen.
Wir lösen das wie immer. Der Hübschere von uns beiden steht an den Strassenrand und zeigt seinen Daumen. Peter macht das wie immer mit viel Nachdruck. Auf die Dauer hilft eben nur Power. D.h., er steht eigentlich auf die Strasse und hält die Vorbei-Fahrenden auf. Peters Taktik funktioniert erneut dermassen gut, dass sich die Autofahrer/-innen nach wenigen Minuten eigentlich darum streiten, wer uns fahren darf.
Eine Samariterin
Das Rennen macht eine Samariterin, die extra für uns einen Kindersitz ausbaut, während ein anderer netter Autofahrer nach einer ersten Vorbeifahrt in der Gegenrichtung enttäuscht wieder wenden muss und leer ausgeht. Die junge Mutter fährt uns direkt vor’s Hotel.
Da schmeisst eine emsige Dame den Laden beinahe alleine. Sie erledigt den Restaurant-Service und betreut gleichzeitig die Hotel-Reception und ankommende Gäste. Und das erst noch mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Auch hier fällt uns wie bereits gestern in Grenchen die freundliche und unkomplizierte Art und Weise der Gästebetreuung sehr positiv auf. Besser kann man das nicht machen.
Heute geniessen wir erst eine feine «Berner Röschti mit Kalbsleber», um kurz darauf altersgerecht ermattet in die Kissen zu sinken. Wir hüpfen so früh in die Federn, dass Peter erst die Vorhänge ziehen muss, um eine Art Dunkelheit zu simulieren. Nur so könne er einschlafen. Na dann, gute Nacht allerseits!
Atem-los und Strom-los Dass die Stromversorgung bei einem modernen Doppelsitzer über die Solaranlage auf dem „Rücken“ problemlos sichergestellt ist, würde ich nach dem heutigen Tag anzweifeln. Den Transponder haben wir gezwungenermassen während des ganzen Fluges aktiv in Betrieb gehabt, dazu haben wir fleissig die Funktaste gedrückt, um mit den Controllern in Grenchen, Genf und Chambéry in Verbindung zu bleiben. Das Resultat waren bei der Landung zwei leergesogene Bordbatterien. Die Motor-Batterie haben wir natürlich nicht „angetastet“, man will ja, wenn es eng wird, nicht noch den Propeller durch einen Sturzflug „anwerfen“ müssen, da will man lieber den regulären Anlasser benutzen.
Lehre daraus: Ein Batterie-Ladegerät muss auch bei engsten Raum-Management bei einem Wanderflug immer mit an Bord. Sich nur auf die Solarlade-Kapazität der PV-Flächen zu verlassen, ist eine schlechte Idee, damit kann man bei starker Belastung durch die Elektrizitäts-Verbraucher an Bord bestenfalls die vorhandene Rest-Spannung erhalten.
Nachtrag zu den Lufträumen beim Flug „um den Genfer Bauch herum“
Die französische AIP erwähnt zu den vier TMA-Sektoren von Chambéry Folgendes: „Downgrading to class E : – from the 2nd Monday of April to the 2nd Friday of December. – outside this period, and with the exception of the French Christmas holidays: – from Monday 1100 UTC to Thursday 2359 UTC.“
Damit hat man bei Flügen rund um die TMA Genf mehr Planungssicherheit. Man kann die TMA Genf bis maximal 5’500 ft unterqueren oder mit Clearance höher durchqueren und darf von April bis Dezember oder anders formuliert „ausserhalb der Winter-Skisaison“ in Savoyen mit dem Erreichen der Luftraumgrenze von Chambéry wieder bis mindestens 9’500 ft steigen.
In dieser Saison profitieren wir von besonderem Wetterglück. Regelmässig wie Weihnachten reserviert mein temporärer Luft-WG-Partner Peter Schmid bei unserer Flugschule in Schänis den Arcus M für einen mehrtägigen Wandersegelflug. Meistens können wir beim üblichen mitteleuropäischen Wetter nur in der Hälfte der Fälle wirklich abheben, die andere Hälfte versinkt jeweils im wochenlangen «Monsun», obwohl wir mit raffinierter Datumswahl dem Gott der Cumulus- und Lenticularis-Wolken ein Schnippchen zu schlagen versuchen. In der Saison 2025 ist wettermässig für einmal alles anders – da müssen wir an allen reservierten Daten in die Luft. Fast immer. Denn eines der Daten fällt einem saublöden Zusammenprall unseres Arcus M auf dem Flugplatz Hausen zum Opfer, bei dem das Hangartor auf den Arcus fällt, weil der Pilot den Motor startet, ohne im Flugzeug zu sitzen – oder so ähnlich. Die Bilder des Vorfalls eignen sich jedenfalls nur für Instruktionen, wie man es auf keinen Fall versuchen soll.
Rund drei Monate nach dem Malheur ist der HB-2000, den natürlich auch Sie in Schänis für einen längeren oder kürzeren Ausflug chartern können, wieder startbereit. Bei einem ersten, zaghaften Motorentest mit einem Piloten im Flugzeug und die Flugzeugnase für alle Fälle in Richtung Piste gedreht, springt er nach 20 Sekunden Anlasser-Zeit zuverlässig an. Tatsächlich, wenn die Zweitakter Strom und Benzin bekommen, machen sie meistens, was sie müssen – anspringen.
Gesamt-Übersicht unseres Wandersegelfluges im Juli 2025.
Harziger Beginn
Nach mehrjähriger Wandersegelflug-Erfahrung hat sich unser Reise-Gepäck etwas reduziert. Inzwischen haben wir sogar Reserven, die wir aber auch nicht nutzen. Etwa für ein Batterie-Ladegerät. Unser früheres Sportgerät, welches nun unser Freund Sigi Föhn durch die Welt bewegt, hatte ein ausgezeichnetes Solar-Ladestrom-Elektrizitäts-Konsum-Verhältnis. Fliegen an der Sonne reichte aus, um die Bordbatterien-Spannung an Ort und Stelle zu halten. Bei unserem neuen Sportgerät ist die Reichweite etwas kleiner, aber dazu folgen später Details.
Zu früh eingeklappt
Jedenfalls verläuft der Beginn unserer Reise etwas harzig. Die Einschätzung der mutmasslich anzutreffenden Thermik ist optimistisch, wir schalten den Motor schon nach zehn Minuten aus, was sich schnell als «zu früh» herausstellt. Dafür brauche ich anschliessend beinahe eine Dreiviertelstunde, um endlich über die Voralpenkreten im Toggenburg huschen zu können. Wenigstens hat man so Ruhe vor den Lufträumen. Aber eigentlich bin ich jetzt schon müde. Der Fallschirm drückt etwas auf die rechte Niere, der Steuerknüppel lässt sich lose umherdrehen (wenigstens fällt er nicht ab) und meine 1.5 l-Wasserflasche rutscht immer mal wieder der Länge nach durchs Cockpit.
Dafür rollt der Ball nun trotzdem. Nur nicht von kleinen Widrigkeiten beeindrucken lassen. Die TMA in Zürich umfliegen wir elegant östlich des Toggenburgs, um im Raum Wil erstmals wieder etwas Höhe aufzubauen, um die vom Thermikgott schön präsentierten Cumulus über dem Flugplatz Amlikon und später dem Schynerberg (Thermik-Hügel am Westende des Bodensees) zu erreichen. Na also, geht doch! Der Rest ist vorläufig Honigkuchen-Essen.
Im Schwarzwald wie in Namibia
Wir huschen zügig nach Norden. Nichts stört unser zügiges Fortkommen in Richtung Schwarzwald. Der VW-Direktor Peter ärgert sich zwar leicht über das «protzige» Mercedes Testzentrum in Immendingen und wir wundern uns gemeinsam über eine Luftraum-Meldung zu einer mir bisher unbekannten «satellite zone» nördlich der Kontrollzone von Donaueschingen. Aber sonst läuft’s eben, wenn’s mal läuft. Die Controllerin bei «Langen Information» ist leider auch nicht «familiar» mit unserem seltsamen Luftraum, also fliegen wir mit angehaltenem Atem einfach mal durch (es ist nur eine schmale, rechteckige Zone auf dem Display eingeblendet) und lassen dafür den Parachute-Jumping-Zylinder von Schwenningen unberührt.
Der idyllisch gelegene Flugplatz Winzeln-Schramberg
Der Schwarzwald zeigt sich von seiner guten Seite. Obwohl die Thermik-Obergrenze für unsere Verhältnisse nicht allzu hoch angesetzt ist, kommen wir sehr gut voran. Peter steuert den Arcus zügig nordwärts, eingedreht wird nur, wenn das Vario über 3 m/sec klettert. Das hatten wir gemeinsam zuletzt in Namibia. Da ist einfach die Gegend etwas fader.
So geht das weiter bis in die Region Bruchsal, wo die Wolken definitiv tiefer hängen, die Thermik blasser und der Himmel dafür blauer bzw. dunstiger wird.
Schnittmuster-ähnliche Luftraumstruktur über Lothringen. Wirkt schon nicht gerade einladend.
Alles «rot»
In der Region Speyer-Hockenheim packt uns sozusagen das Heimweh und wir canceln unser ursprünglich anvisiertes Zielgebiet «Saarland» für heute. Dazu mag neben der schwächeren Thermik die etwas ungemütliche Luftraumstruktur in Lothringen beitragen, die uns morgen auf unserem geplanten Weg in Richtung Burgund mit Schnittmuster-artigen, undurchdringlich scheinenden Militärzonen erwartet hätte. Da ist die vorherrschende Farbe auf der ICAO-Karte «rot». Schon nicht so einladend. Ich weiss gar nicht, ob man da ohne eine wirklichschützendeController-Hand eine Chance hat, durchzukommen – um andere, unsichere Faktoren wie möglicherweise unzuverlässige oder «am falschen Ort hingestellte Thermik» erst gar nicht zu erwähnen. Die Aufwinde und Wolken stehen ja bekanntlich immer jenseits der Luftraumgrenze, während die Abwinde da sind, wo man gerade fliegen muss.
Fliegendes Pistenkreuz
Also drehen wir die Nase unseres Arcus M wieder südwärts. Peter fällt über Holger Backs DG-Fabrik ein «fliegendes Pistenkreuz» auf. Das stellt sich nach genauer Prüfung als Test-Volocopter heraus. Während wir uns zur aviatischen Elektromobilität und zum unübersehbaren Karlsruher Wildparkstadion austauschen, falle ich etwas aus der Thermik. Es will gerade nicht so recht. Auch das Einfädeln ins höhere Gelände südöstlich von Karlsruhe funktioniert nicht mehr so zuverlässig wie geplant. Wir fliegen eine Etage tiefer als gewollt über das grosse Waldgebiet zwischen Pforzheim und Freudenstadt, bis ich endlich über einem moorigen Hügelrücken einen zuverlässigen Aufwind ausgrabe. Dafür verabschiedet sich nun ein Satelliten-gestütztes Instrument nach dem andern. Zuerst das LX, dann auch mein (Backup-) Tablet. Alle haben keinen GPS-Empfang mehr. Nun kann man natürlich locker ohne GPS und auch mal ohne Variometer-Ton fliegen, aber ein nicht-funktionierendes System lenkt ab, wenn man über längere Zeit alles Mögliche versucht, es wieder in Gang zu bringen. Ob das die Rache für unseren Durchflug der «satellite zone» ist?
Im Kriechgang durch den Schwarzwald
Es ging schon besser heute. Peter müht sich von Freudenstadt aus am Feldberg vorbei in Richtung Rheintal. Über uns hängen schöne Cumulus-Wolken. Jedenfalls aus der Ferne betrachtet. Von unten sehen sie deutlich löchriger aus. Wir mogeln und von Krete zu Krete, bis wir einfach einen Aufwind nehmen müssen, wenn wir nicht bald einmal landen wollen.
Wenn die Bäume doch in den Himmel wachsen
Ich werde den Eindruck nicht los, kaum einmal soviele hohe Tannen wie heute aus der Nähe gesehen zu haben. Ein Uralt-Schlager von „Ronny“ passt daher gut zu unserer Situation.
Über dem idyllischen Wiesental südwestlich von Todtmoos gräbt Peter dann direkt über einem Gleitschirm-Startplatz (warum stehen die überhaupt am Boden?) einen zarten Aufwind aus, dem er mit viel Geduld 500 Höhenmeter abringt. Jetzt sind wir aber sowas von «wieder im Geschäft».
Optimistisch nehmen wir Kurs Richtung Jura. Unter unserem linken Flügel ziehen Hütten-Hotzenwald mit seinem Hanglandungs-Flugplatz und später der Flugplatz Fricktal-Schupfart durch. Im Ohr haben wir den Basler Controller, da wir damit rechnen, demnächst die südlich von Basel liegenden «Tango-Sektoren» durchfliegen zu können.
Burgruine Froburg nördlich von Trimbach-Olten
«Feingewinde-Drehen» über Olten
Aber es kommt anders. Der lokal zügige Nordostwind erzeugt über der Jurakette eine Art Wasserfall. Interessant ist dabei immer, dass auf der Luvseite kaum nutzbare Aufwind anzutreffen sind, auf der Leeseite aber oft problemlos nutzbare Abwinde. Nach endlosem Herumeiern südlich des Hauensteins fallen wir letztlich auf 1’000 m ü. M. nach Olten hinunter. Weil darüber eine Wolke steht, die uns magnetisch anzieht.
Es dauert einen Moment, bis wir irgendwo darunter sowas wie steigende Luft orten können. Aber dank Peters Geduld klettern wir in einem zarten, dafür umso schaukeligeren Aufwind so hoch, dass tatsächlich wieder ein Frequenz-Wechsel von Grenchen/Info und -ATIS zurück nach Basel nötig wird. Der Basler Controller mag sich aber um diese Tageszeit nicht mehr mit uns Segelfliegern abgeben, das Transponder-Signal reicht ihm, um uns Richtung unseres heute ausgewählten Ziels «Grenchen» fliegen zu lassen.
Platz mit Vorzügen
Da waren wir ja schon einmal – Kenner/-innen erinnern sich vielleicht an «der Jura ist das schönere Slowenien». Der Grenchen Airport hat durchaus seine Vorzüge. Ein modernes Hotel mit tollem Restaurant unmittelbar am Flugplatz. Eine lange (Gras-) Piste. Eine gute Infrastruktur, wenn man mal was braucht (etwa einen Mini-Inbus-Schlüssel für den losen Steuerknüppel). Und hilfsbereite Leute am Flugplatz. Wir freuen uns also auf ein feines Nachtessen und ein kommodes Hotelbett und landen gegen 19:00 Uhr fein säuberlich auf der Graspiste 24 R in Grenchen.
Der neue Tower des Grenchen Airports.
Eine freundliche Frauenstimme empfängt uns nach der Landung am Telefon. «Natürlich haben wir noch ein Zimmer für Sie frei!» Das sind nun richtig gute Nachrichten. Überraschenderweise dürfen wir sie auch noch in breitem Berner Dialekt hören. Das ist man sich hierzulande ja nicht mehr gewohnt, weil in der Gastronomie kaum mehr Schweizer arbeiten (wollen).
Blick aus dem Hotelfenster auf das Pistensystem.
Wir bekommen sogar ein «Familienzimmer» mit freier Sicht auf die Pisten. Peter hat neben seiner Schlafgelegenheit noch eine kleine Stube in seinem Zimmer. Aber wir sind so müde, dass wir nach dem Nachtessen nicht mal mehr den EM-Fussballmatch der Schweizerinnen gegen Finnland ansehen. Die Augenlider werden schwerer und schwerer, je länger der Ball rollt.
Und morgen Früh geht’s natürlich wieder weiter. Da wollen wir ins Berner Oberland. Aber weil das zu einfach wäre, fliegen wir um die Kontrollzone Genf herum. Einfach kann ja schliesslich jeder.
Fenster-los. Der Aufreger des Tages passiert unmittelbar vor dem Start. Das Triebwerk hat gerade seinen Testlauf absolviert, ich will auf die Piste 34 in Schänis rollen, da tönt Peter im Kopfhörer enttäuscht: „Neeeiiinn, das darf ja nicht wahr sein – ich habe das Fenster verloren!“ – Hääähhh? Auf Nachfrage präzisiert er, dass ihm das Lüftungsfensterchen beim Öffnen nach aussen „abgefallen“ sei. Vorsichtshalber lege ich mal den Motor still, das wird bestimmt keine Zwei-Minuten-Reparatur. Denn ohne Fenster fliegt sich ein Arcus akustisch miserabel. Eine Reparatur scheint in der Eile aber ebenso unmöglich und den Flug schon vor dem Start abbrechen wollen wir nicht.
Also kleben wir das kleine Kunststoffteil einfach mit Tape fest. Was wäre die Welt ohne Kabelbinder, Sekundenkleber und Duct Tape? Hanspeter Wetli und Sigi Föhn helfen uns hilfsbereit bei der Reparatur – es kann trotzdem losgehen. Nach Ende des Wander-Segelfluges reparieren wir den Fall natürlich fachgerecht mit dem richtigen Zwei-Komponenten-Kunststoffkleber.
Lehre daraus: Das Seitenfensterchen nur über die Befestigungs-Bügel nach aussen drücken – sonst kann es sein, dass man die Klebeverbindung überstrapaziert, die Auflagefläche ist einfach etwas klein für eine dauerhafte Verbindung.
Donnerstag, 24.August 2006 Das Wetter verschlechterte sich weiter. Es ist wirklich kein Flugtag. Um neun mache ich mich auf den Weg zurück mit Auto und Anhänger. Es sind 200 km und 3,5 Stunden Fahrt – einfach. Hinfahrt, Abbauen, Zurückfahren, zwei Landeäcker begutachten und Einkaufen hat den ganzen Tag gedauert.
Hygiene ist übrigens kein Problem. Zahnbürste, Zahnpasta, eine Reisetube Waschmittel und am besten noch Rasierzeug als permanente Flugzeugausstattung reichen aus. Die Wäsche wurde täglich komplett im Waschbecken der Hotels gewaschen. Morgens habe ich die Sachen dann leicht feucht angezogen und ich mich zum Zwecke der Endtrocknung noch eine halbe Stunde ins Bett gelegt.
So stand Lucy eine Nacht auf dem UL-Platz im Susa-Tal. Die nur 25 m breite Piste beginnt direkt an der Fahrerseite des Autos. Blick nach Osten, 13:00
Es gab viele neue Eindrücke und das Ganze war ein tolles Abenteuer.
Mittwoch, 23.August 2006 Diesmal sagen sie Labilisierung voraus. Prima, endlich keine Inversionen mehr. Der Plan ist schnell geschmiedet: Gegen 11:30 starten, Schlepp bis zum Taleingang, bis 15:30 versuchen über den Pass zu kommen, nach 15:30 zurückfliegen und Mega-Schlepp nach Briançon doch noch Realität werden lassen. Die Basis startet bei 1400 m ü.M., aber das änderte sich schnell. Schon sind es 1500 m am Teileingang. Da bleibt sie auch. Mühsam im Tiefflug zum Rocciamelone vorgekämpft mit einer Landemöglichkeit in Sicht (25 km westlich von Torina-Aeritalia gibt es einen UL-Platz, Valsusa Microlight Site, 350 m lang, aber nur 25 m breit), versuche ich wirklich alles, aber nichts geht. Die Inversion ist nicht wie geweissagt weg, die Labilisierung dagegen ist trotzdem da. Über 2000 m ist einfach nicht zu kommen und jetzt wird es auch noch regnerisch.
„Nichts wie weg hier und schleppen lassen“ geht mir westlich von Susa in 1900 m durch den Kopf. Leider zu spät, das Wetter kippt bereits. Geschlossener Stratus macht sich breit, im Gegenzug die Thermik dünn. Tja, ich muss den Tatsachen ins Auge schauen und mich zu einer Landung auf dem UL-Platz entschließen. Ganz schön schmal, das Ding und Hochspannungsleitungen im Anflug talauswärts… nicht schön, aber es klappt. Die Einheimischen landen mit dem Wind taleinwärts; ich weiß jetzt warum.
Neben der Autobahn Richtung Susatal-Ausgang: der nur 25m breite UL-Platz (Valsusa Microlight Site).
„Selbst ist der Mann“ geht mir durch den Kopf. Nein, nach so einem Abenteuer auf dem Heimatflugplatz anrufen und um Hilfe bitten: das geht ja gar nicht.
Um Klaus Ohlmann up-to-date zu halten, hatte ich abends immer angerufen, ihm das Wichtigste zu erzählen. Wie ich bald erfuhr, nahmen Klaus‘ Fluggäste rege Anteil, weil er es sich nicht nehmen ließ, die Fortsetzung der Geschichte jeden Morgen im Briefing zu erzählen.
Ich schiebe Lucy also die Bahn entlang in eine kleine Bucht und machte mich auf den Weg nach Frankreich. Inzwischen ist es halb Vier und ich bin durstig und hungrig, aber guter Laune. An der Landstraße angekommen trampte ich in Ermangelung besserer Ideen. Bald hält ein etwa 85jähriger Italiener an, der mein Anliegen, zu einem Bahnhof zu gelangen, zu seiner Sache erklärt. Erstaunlich treffsicher gelingt es ihm, immer etwas Straße zur Rechten und Linken des Autos zu halten. Mit dem Zug gelangt man bis an den Fuß des Col de Montgénèvre. Der Ort heißt Oulx. Hier muss man umsteigen in den Bus. Er fährt das letzte Mal um 19:30 Uhr nach Briançon.
„Das ist noch lange“ denke ich mir und beschließe, es mit trampen zu versuchen. Im Ort kann ich mich endlich mit Nahrungsmitteln eindecken. Frisches Schinkenbrötchen und ein Bier gibt es, mäßig warm ist es auch, denn hier hinten im Tal kommt sogar die Sonne durch, die sich gegen den Wind behauptet. So stehe ich 1,5 Stunden an der Trampstelle, das Bier psychologisch geschickt hinter einer Reklametafel versteckt, aber trotzdem erfolglos. Um 19:00 zurück am Busbahnhof ruft meine Freundin von Deutschland aus an und hat inzwischen recherchiert, dass um 20:25 der letzte Zug von Briançon Richtung Serres fährt. Leider muss mir der Busfahrer mitteilen, dass er diesen Zug in der Regel um ca. zehn Minuten verpasst. Innereuropäische Absprachen finden wohl nur in Brüssel statt. Aber wer wird da aufgeben? Schließlich gibt es ja Taxis. Für 50 Euro pauschal werde ich souverän im Tiefflug über den Pass befördert. Der Anschluss ist sicher – so bin ich um 23:00 in Veynes und wenig später auf dem Flugplatz.
Schön, mal wieder daheim zu sein, allerdings mit schlechtem Gewissen, da Lucy ja noch unbeaufsichtigt im Susa-Tal auf dem UL-Platz steht.
Beim Frühstück an der Bar der Rezeption des einfachen, aber ordentlichen Hotels erzählte ich dem Hotelchef meine Geschichte. Zum Glück spricht er gut Englisch. Er ist bereit, den Flugplatz im Süden der Stadt Torino Aeritalia anzurufen und zu klären, ob es jemanden mit Hänger und Auto gäbe, der mich holen könnte. Leider klappt das nicht, alle Privatpiloten sind in Fayence, um Urlaub zu machen. Aber sie wurden ihrerseits aktiv, riefen in Caselle an und bekamen eine Clearance zur Landung auf dem Flughafen, um einen F-Schlepp durchzuführen.
„Das ist doch was!“
Diesmal habe ich Vorfahrt!
Schnell noch die wichtigsten Behördengänge, für die mir eine Person des Flughafens zur Seite gestellt wird. Als Flugplatztaxi bekommen wir einen großen Airliner Gelenkshuttle-Bus. An diesem Tag, so wie an dem Tag davor, muss ich dauernd mein großes Schweizer Taschenmesser abgeben, um durch diverse Kontrollen zu gelangen. Es mutet wie ein Wunder an, dass ich es am Schluss immer noch mein Eigen nennen darf.
Der Plan, das Segelflugzeug wieder flott zu bekommen, war so:
Die Schleppmaschine landet doppelt besetzt vormittags auf dem Flughafen. Auf dem Vorfeld wird der Schleppzug fertig gemacht, der Copilot der Schleppmaschine hält meinen Flügel, bis wir auf der Startbahn sind, nach dem Eindrehen in die Bahn wird der Flügel abgelegt, der Co rennt in die Schleppmaschine und ab geht’s mit hängender Fläche den Alpen entgegen.
Aber zuerst muss ich noch in die VIP-Lounge, um zu bezahlen. Die Landungen kosten nichts, nur die Starts. Insgesamt mit allen Drum und Dran sind es 100 Euro, die ich auf dem Flughafen lasse. Die sympathische Frau Ramp-Officer fragt mich beim Erstellen der Rechnung, was denn mit meinem Motor los sei, da ich ja auf Hilfe eines anderen Flugzeuges angewiesen sei, das mich abschleppen muss, wie ein altes Auto. Ich erkläre ihr ganz höflich, dass mein Flugzeug keinen habe. Sie schaut sich in der Runde um, es sind selten weniger als fünf Leute um mich herum, sie fängt an zu lachen und schaut die anderen ungläubig an. Bis dahin schien ich ihr, glaube ich, ganz normal.
Der Follow-Me-Convoy, einer läuft an der Fläche mit
Endlich sind die Formalitäten erledigt – ich habe dazugelernt und diesmal nicht einen internationalen Flug deklariert – der Schleppzug kann nun installiert werden. Ich sitze bereits im Flugzeug, schließlich bewegen sich auf internationalen Flughäfen Flugzeuge nicht ohne Pilot auf die Startbahn. So geht es im Gänsemarsch und Standgas der Schleppmaschine den Rollweg entlang zur Startbahn. Natürlich nicht ohne Follow Me, der gelb schwarz und mit Warnleuchte vor uns herfährt. Wieder muss die Bahn für anderen Flugbetrieb gesperrt bleiben, dank perfekter Planung und Umsetzung allerdings nur kurz.
Am Eingang des Susa-Tales geklinkt und endlich wieder frei, versuche ich, über den Rocciamelone genug Höhe für den Weiterflug nach Westen zu bekommen. Aber gestern ging das Wetter bereits kaputt. Es ist eine Inversion im Tal, die einfach nicht zu überwinden ist. Schade, letztes Jahr hatte das prima geklappt: Im Schlepp an den Eingang des Susa-Tales, Rocciamelone polieren am Gipfel eine Welle finden und über den Monte Rosa wieder zurück nach Serres.
Heute jedenfalls ist nichts zu holen. Ich entschließe mich, umzudrehen und von Torino-Aeritalia einen Mega-Schlepp zum Col de Montgénèvre einzuleiten. Leider wird die Schleppmaschine aber gebraucht, so dass ich mit dem Rückflug die Einleitung der nächsten Übernachtung in Italien vollzog.
Die Menschen auf diesem Flugplatz sind hilfsbereit und sehr nett und das Flugplatzrestaurant ist prima. Eine kleine, aber feine Holzhütte dient mir zur Übernachtung. So wird der Abend mit netter Unterhaltung eine runde Sache.
Am nächsten Tag wird mir klasse geholfen, so kann ich gegen 11:00 starten. Tief geklinkt und lang den Hang poliert macht sich das Wetter so gegen 12:00 ganz ordentlich. Super, das ist Heimflugwetter. Besser eigentlich noch. Da kann man doch erst mal ein Stück in die andere Richtung schauen. Ich verabschiede mich über Funk mit dem Versprechen, Marseille Info zu kontaktieren, wenn ich wieder nach Frankreich einfliege.
Das Ziel ist schnell festgelegt: Samedan, wenn’s schnell genug geht. Es läuft gut. An Locarno vorbei – mit Transponder und Freigaben – bin ich schnell am Comer-See. Im Tal Richtung Samedan, dem Val Bregaglia – wird es etwas schwieriger und so entschließe ich mich, ca. 25 km vor Samedan – am Maloja – in 2’500 m zu wenden, schließlich will ich ja noch nach Serres, was ja auch noch ca. 400 km sind!
Mit Mühe geht es hier wieder weg, aber das war zu erwarten. Um abzukürzen und Boden gut zu machen, will ich diesmal südlich von Locarno bleiben. Das läuft nicht gut. In 1’500 m ü. M. muss ich 20 Minuten parken und bekomme dafür 1000 Höhenmeter dazu. Südlich von Domodossola wird das Wetter schlechter, der Weg direkt am Monte Rosa vorbei nach Aosta ist unmöglich.
Ein neuer Plan muss her: Erst nach Südwesten, dann entscheiden, ob in Richtung Aosta abgebogen wird oder ob die Querrippen südlich des Gran Paradiso zum Susa-Tal angeflogen werden. Irgendwas davon muss ja gehen. Am Rand der Po-Ebene entlang gleitend mit blauen wolkenlosen Himmel und Höhe verlierend – in die stabile Ebene mag man wirklich nicht schauen – erkenne ich schnell, dass es wohl nur noch nach Aosta reichen kann. Das Wetter in den Alpen ist einfach zu schlecht geworden. Mit allen Tricks versuche ich den Einstieg ins Aosta Tal. Tief rein, tiefer raus. Dann halt nochmal: Höher rein noch tiefer raus. OK: Woanders rein, fast gar nicht mehr raus. Das kostet Nerven und Zeit.
Aosta-Talausgang, Blick nach Osten aus ca. 4000 m. Der Berg unter dem Flügel hat einen Brisenhang, der in seinem grünen Bereich auch in tiefster Gangart funktioniert.
Nach einigen Versuchen entscheide ich mich notgedrungen, am Taleingang am Rande der Po-Ebene auf dem Flugplatz Ivrea zu landen. Aber eins ist noch zu tun: Aosta anfunken und bitten, Marseille zu informieren, dass ich in Italien bleibe, schließlich will ich nicht den SAR aktivieren. Leider erreiche ich sie nicht, aber 1300 m sollte doch wenigstens für Funkkontakt mit Turin reichen.
«Nearest Airport-Funktion» im Logger aktiviert, so habe ich schnell die Frequenz von Turin. In Englisch – wie der gesamte Funkverkehr – gebe ich bekannt, dass ich vom Typ Segelflugzeug bin und trage mein Anliegen vor. Sofort sind sie bereit, mir zu helfen und Marseille zu informieren.
Kurze Zeit später werde ich von Turin gerufen mit der Auskunft, den Flugplatz Ivrea gäbe es nicht (mehr). „Verflixt, das gibt es doch gar nicht“, denke ich mir. Mit der Höhe ist ein schneller Entschluss fällig, inzwischen ist es auch schon wieder halb Acht. „Ok, dann sollte ich wohl versuchen, nach Turin zu kommen, allerdings bin ich 100 m unter Gleitpfad und 40 km entfernt!“
Blick nach Süden in die Po-Ebene aus ca. 4000m vom Val di Locana aus. Turin liegt vor dem schwarzen Bergrücken in der Ebene.
Kurz entschlossen drehe ich ab, ohne Ivrea zu suchen. Versuchen kann man es ja… wo ich einen Acker nehme, ist schließlich egal.
„D-99, wo sind Sie nun?“
„30 km vorm Flugplatz unter Gleitpfad!“
„Schalten Sie auf den Transponder Code xy“
„Mach‘ ich, Transponder steht auf… sorry, leider ist die Stromversorgung zu schwach“
Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich bei Locarno sparsamer gewesen. Es war ja schon der zweite Flugtag ohne Lademöglichkeit! Es muss also ohne gehen. Um den Gleitpfad penibel zu beobachten, entschließe ich mich Höhe/Entfernung, nicht von Meter/Km auf Fuß/Meilen zu schalten.
„D-99, wo sind Sie?“
„18 km vor dem Flugplatz und ich weiß noch nicht, ob ich es schaffen kann!“ Ein Flug mitten in der Po-Ebene von Norden her Turin anfliegend, absolut ruhige Luft inzwischen nach Acht und etwas diesig, absolutes Neuland und erstaunlich wenig Landbares…das macht nervös, jetzt
bloß nicht an die Rückholtour denken. Es ist drückend und warm im Cockpit, und um keinen Meter Höhe zu verschenken, schalte ich die Lüftung ab und atme flach, um Erschütterungen zu vermeiden 🙁 Der Mann am Funk erzählt mir noch irgendwas, was ich aber schon wegblende, ich glaube es geht um einen Helikopter am Flugplatz. Vor mir in der Ferne startet ein Airliner gegen meine Flugrichtung, der bald nach links abdreht; ein nettes Bild, das beruhigt und man fühlt sich nicht mehr so einsam in der Luft.
„D-99, now you are number one!“
OK, denke ich mir, aber etwas ungewöhnlich ist die Info für einen Flugplatz schon.
„Sie haben Landerichtung 18“
Na, da bin ich aber froh, wäre allerdings sowieso ohne Platzrunde direkt gelandet. Inzwischen ziemlich tief, aber laut Rechner 130 m im Plus – das ruckelfreie Atmen hat sich ausgezahlt – fährt es mir plötzlich ins Herz:
Landung 18 ???
Moment mal, auf der Karte haben die doch 27 und 09, so finde ich die Bahn ja nie. Schnell die Karte rausgeholt und nachgeschaut – Schock, Schwerenot – der falsche Platz, ich spreche die ganze Zeit mit dem Kontroller vom internationalen Flughafen von Torino Caselle!
Nearest Airport für Turin hatte ich ja nur wegen der Frequenz gebraucht; wieso habe ich die vielen Airliner-Piloten auf der Frequenz nicht gehört?
Jetzt sehe ich auch die Landebahn, Mensch, ist die groß!
„Turin, jetzt sehe ich die Bahn, ich bin jetzt safe. Ich könnte auch auf dem Taxiway landen, wenn Sie möchten“ (schließlich will ich ja nicht die Airliner vom Starten abhalten).
„D-99, landen Sie auf der Bahn!“
„Wo hätten Sie es denn gern, am Anfang, in der Mitte oder ganz im Süden?“
„Das ist Ihre Entscheidung, die Bahn gehört Ihnen!“
OK, meine Entscheidung, die Bahn ist Mein, aber ich will sie eigentlich nicht mal geschenkt haben. Kurz landen, den ersten Taxiway rechts raus und so tun, als wäre ich gar nicht da, ja so mach ich’s. Direkt nach dem Aufsetzen drehe ich ab auf den ersten Zubringer, der ja heute eigentlich der letzte Abrollweg für die Gegenrichtung ist, und schon bin weg von der Landebahn. Na, immerhin, das hat geklappt.
Nach dem Öffnen der Haube endlich wieder frische Luft und Ruhe. Aber nicht lange. Neben mir schwebt nun ein wirklich dicker und lauter Hubschrauber. Aus ihm springen vier Menschen in Montur, rennen zu mir und… wollen mich nicht verhaften, sondern Lucy zur Seite schieben. Ich suchte Kameras und James Bond, aber das war alles echt!
„Das wird nicht billig“, denke ich mir. Aber was soll ich machen, nun ist es, wie es ist. Es stellte sich heraus, dass der Kontroller einen Helikopter aktivierte, um die Einschlagstelle sofort lokalisieren zu können, falls ich es nicht bis zum Flughafen schaffen sollte. Tatsächlich sind die Landemöglichkeiten im Bereich davor nicht gerade üppig verteilt. Die Bahn wurde für mich etwa eine Viertelstunde lang freigehalten.
Der Rest des Abends beinhaltet eine nette Führung durch sämtliche Räume des Flughafens. Zum ersten Mal brauche ich wirklich alle Papiere, die man so an Bord hat. Ich komme mir vor, wie jemand, der das Prozedere an internationalen Flughäfen im „Film-rückwärts-Modus“ durchläuft.
Nach mehreren Stunden sind die Formalitäten erledigt und Lucy wird zu Fuß mit drei weiteren Leuten vom Flughafen in Begleitung eines Follow Me auf der Wiese unter dem Tower abgestellt. Sie steht dort wie ein Museumsstück aus Zeiten, in denen man dort noch Segelflug betrieb.
In ca. 200m Höhe, mitten über Turin
Gegen elf Uhr nachts bin ich dann endlich mit einem Taxi zu einem Hotel gelangt. Da ich selten meinen Auto-Führerschein beim Fliegen dabeihabe, war das Mieten eines Autos leider unmöglich. Im Stadtteil des Hotels findet sich sogar noch ein Toast und ein Bier, während dicht über der Stadt wieder Airliner an- und abfliegen.
Sonntag, 20. August 2006Schon seit einigen Tagen haben wir Mistral-Lage, Nordwind über einem mehr oder weniger breiten Teil der Westalpen. Mal wieder zeigt sich der August mit vielen Möglichkeiten, die Alpen vom Talgrund bis zur Sonne, von Westen bis Osten und vom Süden bis in den Norden im Flug ohne Motor zu erkunden.“Heute Nachmittag frischt der Nordwind auf…“ so hören wir es von Klaus Ohlmann. „Nördlich vom Susa-Tal kann mit Wellen gerechnet werden und ansonsten brauchbare Thermik“, so etwa ist der Bericht für heute.
Das klingt doch nicht schlecht. Also ab in die Luft, den Tag genießen. Zuerst in den Süden, der Gewohnheit wegen, dann die Gegend um Briançon inspizieren und nachsehen, wo es wellt.
Der südliche Startplatz von Serres la Batie mit dem weißen Pic de Bure im Hintergrund (Quelle: H. Rupp)
Südlich von St. Andrė – östlich des Parcours – wird es blau und nur Piloten, die es auch sind, ignorieren das. Also in den Norden. Horst Rupp, Gerd Spiegelberg und Gerd Heidebrecht sind schon auf Nordkurs und ich habe auch gerade meine LS8-15m (oder kurz: Lucy) auf Nord eingedreht. Das obere Verdon-Tal lässt sich mit etwas Mühe nehmen. Bei Barçelonnette angekommen, zeigt sich: Die Basis steigt nach Norden an. Am Col de Vars steigt sie weiter… sehr geschickt macht sie das, so lockt sie uns immer weiter in den Norden, die anderen drei immer ein paar Kilometer vor mir. Wie Brotkrumen im Wald geht es den Wolken hinterher bis in den obersten Teil des Modane-Tals hinter den Ort Bonneval an den Col du Carro. Hier parken schon eine Weile Horst Rupp und Gerd Spiegelberg. Im Moment als ich ankomme, verschwinden sie nach oben in einer Welle.
Gerd Heidebrecht, schon auf der Aosta-Seite, meldet wenig später den Einstieg in die Welle ein Tal weiter westlich. Ich, entzückt von so vielen Wellen und guten Cumuli im Bereich von Aosta, nehme mir vor, etwas Zeit gut zu machen (die anderen sind schließlich schon in 5000 m und weiter auf Nordkurs), thermisch zum Matterhorn zu fliegen, dann thermisch zurück an den Einstiegspunkt von Gerd und dort in die wohlgepflegte Welle einzusteigen, die mich vielleicht am Abend noch nach Aubenasson am Rande des Rhône-Tals trägt.
Es klappt alles prima. Am Grand Nomenon (Grivola) trägt mich schwache Welle auf die Nordseite – die Basis ist hier auf 3500 m – und schnell bin ich 15 km südlich des Matterhorns. Der Rest der Strecke sieht mir zu zeitraubend aus.
Der Rückflug klappt auch ganz gut, allerdings haben sich die Wolken irgendwie verändert. Was soll’s – dann halt mit einem kleinen Umweg zum Einstiegspunkt wieder auf die Südseite des Aosta-Tales und Welle suchen.
Konzept gemacht und umgesetzt, komme ich bald am Welleneinstiegspunkt im Val de Rhêmes an. Etwas suchen und ab in die Welle… na gut, ein wenig mehr suchen und dann halt noch ein wenig mehr…
Bin ich im falschen Quertal? Könnte sein. Nichts wie raus hier und eines weiter nach Osten ins Val Savarenche. Der Hang geht 🙂 Höhe machen, vorfliegen und ab dafür nach ganz oben. Beim Vorfliegen habe ich wohl danebengegriffen. Naja, dann halt nochmal an den Hang und vorfliegen. Und… und… und…
Flugplatz Aosta (Quelle: Karl & Konrad aus Pegnitz)
Ich muss es einsehen: Die Welle ist weg. 3500 m Basis, der Weg über Val d‘ Isère ist wettertechnisch nicht machbar. Das sieht nicht gut aus. Da hilft nur, das Notprogramm einzuleiten, schließlich ist nun schon halb sieben durch. Nach einiger Sucherei Richtung Mont Blanc dann – mitten im Kessel – 2m/s Steigen im Schnitt – Strike, geschafft, das kann noch klappen. Schnell bin ich auf 3500 m, aber da ist dann auch Schluss. Nun ist es schon wieder eine Stunde später, der Wellenzug ist abgefahren.
Um noch Leute anzutreffen, lande ich gegen Acht in Aosta. Das Hotel am Flugplatz kenne ich schon. Inzwischen kann man dort auch essen und Flugbetrieb ist für den nächsten Tag sichergestellt. Na immerhin, so kann man doch auch mal eine Nacht verbringen.
Lange habe ich mich auf diesen Wettbewerb gefreut, habe mir im Vorfeld um das Wetter und meinen Trainingsstand, die Technik und die Helfercrew und nochmal ums Wetter Sorgen gemacht.
Autor Martin Knops
Noch Anfang Mai schien zumindest der südliche Teil Deutschlands im Rekordtempo die Niederschlagsdefizite des Vorjahres kompensieren zu wollen. Hahnweide-Wettbewerb und verschiedene andere Veranstaltungen waren komplett ins Wasser gefallen oder im Schlamm stecken geblieben (wie eine EB29 beim Startversuch auf der bereits erwähnten Hahn-weide). Doch rechtzeitig für die Deutschen Meister-schaften in Bayreuth drehte das Wetter und es baute sich die berühmte Omega-Wetterlage mit einer stabilen Hochdruck-Brücke von Großbritannien bis ins Baltikum auf. Wenn Engel reisen…
Nun liegen begeisternde, aber auch anstrengende zwei Wochen hinter mir. Zwölf Tage Fliegen (10 Wertungstage und 2 Trainingstage), 57 Flugstunden, über 5000 Strecken-Kilometer. Weit ausladend ging es bis an die polnische Grenze, quer durch Tschechien, an die österreichische Grenze, rund um Nürnberg und natürlich entlang des Thüringer Waldes sowie des Erzgebirges. So viele Eindrücke, so viele Erlebnisse, Euphorie, aber auch Anspannung und Enttäuschung!
Unser Sport hat schon einiges zu bieten, wenn alles so perfekt zusammenkommt: Wetter, Organisation, Kameradschaft, sportlicher Wettbewerb und im besten Fall die eigene Leistung.
Das imposante Starterfeld.
Dabei musste am 2. Wertungstag zunächst ein Schockmoment überstanden werden. Bayreuth ist als Flugplatz ideal geeignet, um ein Feld von 90 Maschinen aufzunehmen und sowohl in der Start- als auch in der Landephase sicher zu meistern. 1000m Länge, neben der Asphaltbahn noch 4 weitere parallele Start- und Landestreifen; da können ruhig auch mal 40 Flugzeuge innerhalb von 8 Minuten landen, eins alle 12 Sekunden. Das schaffen sie weder in Frankfurt noch in Schiphol 🙂 .
Aber ohne Tücken ist der Platz mit seiner „Flugzeugträgerlage“ auf dem Bindlacher Berg oberhalb der Festspielstadt Bayreuth dann doch nicht. Bei Ostwind, der uns beständig durch die zwei Wochen begleitete, bildet sich im Anflug ein starkes Lee aus, das über die Jahrzehnte schon so mancher Pilot massiv unterschätzt hat.
Intensiv wird hiervor bei jeder Gelegenheit gewarnt: hoch und schnell anfliegen, im Zweifel rechtzeitig ins Tal abdrehen, dort sicher landen oder den Motor ziehen… und doch hat es einen von uns erwischt mit einer „Landung“ in der Steilböschung kurz vor der Schwelle. Der Schock saß und leider gab es wirklich Momente des Bangens. Erst das Gerücht, dass „einer fehlt“, es nicht in den Flugplatz geschafft hat. Keiner hat es richtig gesehen. Dann die Bestätigung, die ersten Feuerwehrfahrzeuge, die auf den Platz rollen. Dann ein Name: ein guter Freund von mir! Zum Glück ist alles recht glimpflich ausgegangen: Pilot nur leicht verletzt und sogar der Flieger mehr oder weniger am Stück.
Wie lief es sportlich für mich und Conrad, unser „JS1-Team“? Wie gesagt: Euphorie, Anspannung, Enttäuschung. Es gab von allem reichlich. Dabei war es unglaublich lehrreich und einfach toll, mit und gegen vier Weltmeister (mit zusammen neun Titeln), einen Europameister und weitere Spitzenpiloten zu fliegen. Wer sich die Wertung der Offenen Klasse anschaut, der kommt leicht zu dem Schluss, dass die EB29R einfach unschlagbar und weit überlegen ist. Sechs dieser Wundermaschinen waren am Start und sie flogen untereinander ihre eigene Meisterschaft aus, belegten ungefährdet die ersten sechs Plätze. Dahinter bis zum letzten Wertungstag Conrad und ich auf den Plätzen 7 und 8, „best of the rest“, bevor wir am allerletzten Tag Letzte wurden und in der Gesamtwertung noch um 2 Plätze abrutschten auf 9 (Martin) und 10 (Conrad) – das war so ein Moment bitterer Enttäuschung.
Es wäre aber viel zu einfach, alles nur auf das Material zu schieben. Ja: die EB29R ist eindeutig das weltbeste Segelflugzeug. Aber genauso klar ist auch, dass „die Weltmeister“, dass insbesondere Michael Sommer, Felipe Levin und Holger Karow (aber auch Markus Frank) als Piloten eine Klasse besser fliegen. Wow! Ich bin noch dabei, sauber zu analysieren und möglichst viel daraus zu lernen… aber klar ist, dass die Jungs konsequenter fliegen, nur die stärksten Aufwinde annehmen, keinen unnötigen Kreis drehen, dabei natürlich die Wetterentwicklung perfekt im Blick haben und ganz allgemein ein (noch) viel besseres Lagebild haben als unsereins.
Ein schönes Beispiel hierfür zeigte sich am vierten Wertungstag. Die Sportleitung schickte uns weit nach Tschechien, bis an die Grenze des Prager Luftraums und von dort wieder zurück an den Nordrand des Bayrischen Waldes – immer entlang des besten Wetters mit optimaler Cumulus-Bewölkung – so das vollmundige morgendliche Versprechen unseres (ansonsten sehr guten :-)) Wetterfrosches. Stattdessen gab es in der tschechischen Ebene Blauthermik mit mäßigen Arbeitshöhen und dichte Cirren-Feldern, welche die Sonneneinstrahlung zeit- und abschnittsweise fast völlig unterbanden. Heiko sprach als Sportleiter am nächsten Morgen von einem schönen „Ochser“ – man wollte es uns ja nicht zu einfach machen und ein wenig selektieren. „Mission accomplished“!
Nach einem letzten Bart auf etwa 1800m NN entschieden sich Conrad & ich (und ein paar andere) die Bergkette des Oberpfälzer Waldes weit nördlich anzufliegen. Fast querab zum Kurs ging es „in die Sonne“. Leider glitten wir bis zum Grenzgebirge trotz Sonneneinstrahlung durch tote Luft und erst am Höhenzug selbst gelang aus niedriger Höhe mühsam der erneute Anschluss an die Thermik.
Andere glitten (mit etwas weniger Ausgangshöhe) stur auf Kurs in das abgeschattete Gebiet – und zogen wenig später den Motor. Im Vergleich zu diesen Kollegen waren wir die Helden des Tages, hatten genau die richtige Entscheidung getroffen und einen entscheidenden Vorsprung herausgeflogen. Super!
Leider gab es da aber auch noch „die Weltmeister“. Diese erkannten aus exakt unserer Ausgangslage, dass sie mit der im letzten gemeinsamen Aufwind gewonnenen Höhe auf Kurs durch das abgeschattete Gebiet hindurchgleiten und dahinter in 500m über Grund wieder die sonnenbeschienenen Höhenzüge erreichen würden. Kein Umweg und im Endeffekt noch nicht einmal ein erhöhtes sportliches Risiko. Auch wir hatten -trotz Sonne- in der Ebene kein Steigen mehr gefunden und waren über dem Höhenzug in 400 m über Grund wieder eingestiegen – leider weit ab vom Kurs. Hiermit nahmen Michael Sommer, Felipe Levin und Bruno Gantenbrink uns mal eben 20 min ab. Chapeau!
Michael Sommer & Felipe Levin sind ohnehin ein eigenes Kapitel wert. Diese beiden zelebrieren zusätzlich zu ihrer individuellen Klasse perfekten Teamflug und sind damit praktisch unschlagbar. Wie schwer Teamflug auf höchstem Niveau ist, konnten wir an verschiedenen Beispielen und nicht zuletzt an uns selbst beobachten. Bei den meisten funktioniert es genau so lange, bis es schwierig wird – und dann platzt das Team! Der eine fliegt rechts, der andere links, der eine zündet den Motor, der andere schafft es nach Hause. Super! Unterm Strich bildeten Conrad und ich (neben Nathalie und Peter) das zweitbeste Team in der offenen Klasse – Welten schlechter als Sommer & Levin und doch um Längen besser als alle anderen, die letztlich vergeblich versuchten, zusammen zu fliegen.
Ohne hier (schon) ins Detail zu gehen: Es gibt mehrere Knackpunkte, die den Teamflug im Wettbewerb so erschweren. Grundsätzlich ist Kommunikation das Ah und Oh – und das Potential für Missverständnisse unendlich groß. Akustische und sprachliche Verständigungsprobleme, zu spätes Drücken des Funkknopfes, aber auch weniger Banales: „ich dachte das sei klar“, „wir hatten das doch am Boden so besprochen“, „aber die Lage war dann doch ganz anders“, „ich dachte…“.
Darüber hinaus haben wir beide unterschätzt, wie viele Entscheidungen Bauchentscheidungen sind, die man nicht komplett rational erklären kann. Wenn hier nicht beide das gleiche Bauchgefühl haben, dann setzt sich entweder einer durch – und wenn es schief geht, ist der Ärger vorprogrammiert. Oder das Team wird gleich ganz gesprengt. Dazu ist es bei uns nie gekommen, aber wir haben es bei anderen beobachtet… der eine fliegt rechts, der andere fliegt links…
Auch unterschätzt haben wir wie oft und wie schnell sich zwischen den Teampartnern Höhenunterschiede von mehreren 100m ausbilden. Ein Kilometer lateraler Abstand, der Vorfliegende „zieht“ 3m/s, steigt damit 100 m, bevor Nummer Zwei überhaupt im Aufwind ankommt. Und natürlich trifft der Nachzügler den Aufwind nicht genauso gut, ruck zuck liegen 300 Höhenmeter zwischen beiden Flugzeugen. Während Nummer 1 immer noch satt steigt, ist Nummer 2 zusehends verzweifelt. „Diesen Aufwind müssen wir sofort verlassen“, das Steigen ist zu schwach (nur für Nummer 2!), der Abstand wird immer größer. Wie die Lücke wieder schließen? Oben warten macht keinen Sinn. Der Bart ist für „Nummer 2“ ja schwächer, zu schwach! Nummer 1 kann nun schneller vorfliegen, schneller Höhe abbauen. Er kommt damit aber auch eher im nächsten Aufwind an. Ist dieser gut, so vergrößert sich der Abstand der Teampartner gar! In dieser Situation ist die Versuchung für den tieferen Teampartner groß, etwas „Eigenes“ zu probieren, nicht den gleichen Flugweg zu wählen, sondern „die andere“ Wolke anzufliegen oder gar hinter dem Partner einzukreisen. Nur so scheint ein Aufholen möglich – dieses Verhalten birgt aber auch ein großes Risiko, das Team weiter auseinander driften zu lassen.
Noch schwieriger wird die Sache, wenn es nicht darum geht, dass einer mit 3 m/s steigt und der andere nur mit 2 m/s, sondern wenn es vielmehr in niedriger Höhe ums „Überleben“ geht, wenn der Eine steigt und der Andere nicht. Dies sind die Knackpunkte fürs Team. Conrad und ich haben in verschiedenen Situationen tatsächlich aufeinander gewartet. Aber es gibt auch Momente, in denen dies nicht sinnvoll ist, in denen man sich trennen muss. Und es gibt Situationen, in denen beide dies unterschiedlich einschätzen. Dann wird es richtig schwierig.
Wie schaffen es Sommer & Levin praktisch immer zusammen zu bleiben, meist auf die Sekunde genau gleich schnell zu fliegen? Ein Stück weit bleibt es für mich ein Rätsel, aber sie fliegen wirklich mit sehr geringen Abständen, um die oben erläuternden Situationen bestmöglich zu vermeiden und sie sind einfach perfekt eingespielt – bewundernswert!
Die Saison 2022 wird in die Annalen der Segelfliegerwelt eingehen. So gutes Wetter an so vielen Tagen hat es in Mitteleuropa wohl noch nie gegeben. Und doch war es mir nicht vergönnt, einen wirklich großen Flug zu machen. Eigentlich hätte es für drei Tausender reichen müssen. Aber irgendwie hatte ich dieses Jahr kein Händchen für den richtigen Einsatz meiner raren Jonkers. Stattdessen übte ich mich mehrfach im Fliegen bei minimalen Bedingungen. Wenn im Sauerland die Wolkenbasis nur 500m über Talgrund liegt, wenn man sich von Aussenlandefeld zu Aussenlandefeld hangelt, wenn das Steuergerät des Jets nicht mehr ausgeschaltet wird, weil man den Motor jeden Moment brauchen könnte – dann hört für viele der Spaß auf. Für mich nicht 😃. Als ich eines Abends am Flugplatz begeistert von einem solchen Flug erzählte, unterbrach mich August mit diesem Satz: „Martin: sowas macht auch nur Dir Spaß.“
Vielleicht kommt bei derartigen Flügen tatsächlich meine bislang unentdeckte masochistische Ader durch 😃. Das ist es aber nicht allein. Vielmehr besteht für mich ein besonderer Reiz darin, aus jedem Wetter das Beste rauszuholen. Wenn es an einem solchen Tag dann gelingt, ohne Motoreinsatz 200, 300, 400 oder gar 500 km zu fliegen, wenn man es schafft, nach Stunden im Tiefparterre doch noch ins Hammerwetter einzufliegen, wenn man mehrfach kurz vor der Aussenlandung noch den rettenden Bart findet, dem „Schicksal“ der Landung (oder des Motorzündens) knapp von der Schippe springt, dann setzen diese Erlebnisse (noch) mehr Endorphine frei als ein schneller Flug bei idealen Bedingungen.
Und natürlich schult das Fliegen unter diesen Bedingungen ungemein. Jetzt kommt es darauf an, beim Kreisen das Flugzeug handwerklich perfekt zu beherrschen. Jetzt zählt jede einzelne taktische Entscheidung und Fehler werden sofort mit dem vorzeitigen Ende des Fluges bestraft.
Hinzu kommt, dass auch Wettbewerbe oft an Schlechtwettertagen entschieden werden. Wer zu Hause nur bei bester Thermik ins Cockpit steigt, wer an schwierigen Tagen jammert, anstatt mit positiver Einstellung den Widrigkeiten zu trotzen, der hat von vornherein keine Chance.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich ist es in Ordnung, bei zweifelhaften Wetterlagen nicht weit weg zu fliegen. Insbesondere ohne Motor. Die Wahrscheinlichkeit einer Außenlandung steigt unweigerlich, und so sehr ich dafür werbe, eine Aussenlandung als etwas Normales anzusehen: provozieren sollte man diese nicht.
Ich erinnere mich immer noch lebhaft a den zweiten Wertungstag in Oerlinghausen 1996 (ja, so alt bin ich schon!). Das Wetter erlaubte es gerade, das Feld der Teilnehmer in die Luft zu bekommen und in der Luft zu halten. Auf dem Zettel stand eine Minimalaufgabe mit 150 km Länge. Im ersten „Aufwind“ auf Strecke entschieden etliche Piloten, umzudrehen und nach Hause zu fliegen! Sie waren fest davon überzeugt, dass es an diesem Tag eh keine Wertung gäbe, weil es niemandem gelingen würde, ausreichend weit zu fliegen. Auch verspürten sie wenig Lust auf den sie erwartenden schlammigen Acker einschließlich mühsamer Bergung und aufwändiger Säuberung des Flugzeuges. Ich dagegen flog weiter und kämpfe mich Schritt für Schritt, Aufwindchen für Aufwindchen weiter bis zur letzten Wende Höxter-Flugplatz.
Dieser liegt auf einem Bergrücken westlich der Weser. Der Himmel war fast komplett zugezogen, aber in das Wesertal strahlte seit Minuten die Sonne ein. Ich flog einige Kilometer über die Wende hinaus, verlängerte also „unnötig“ die Strecke, tauchte in das Wesertal ein und fand am sonnenbeschienenen Hang zuverlässiges Steigen. Langsam, aber beständig ging es nach oben bis an die Wolkenuntergrenze. Von Westen zog mittlerweile die angekündigte Warmfront auf. Vermutlich würde ich die frisch erkurbelte Höhe nur noch Abgleiten und beizeiten auf einem Acker ausrollen. Doch da entdecke ich etwa 10 km vor mir eine Wolkenlücke. Durch diese hindurch beleuchten die letzten Sonnenstrahlen des Tages ein goldgelbes Weizenfeld. Als ich näherkomme, erkenne ich Bussarde, die über dem Feld kreisen. Ich erreiche sie in ca. 150 m über Grund.
Mittlerweile hat sich die Wolkenlücke wieder geschlossen, der Lichtschalter wurde wieder ausgeknipst, aber das Variometer schlägt aus: 1 m/s Steigen. Ich kann mein Glück kaum fassen. Eine halbe Stunde später lande ich im frontalen Nieselregen in Oerlinghausen. Alle anderen sind in dem Moment entweder auf Rückholtour oder sitzen, so sie den Tag frühzeitig aufgegeben haben, bei Kaffee und Kuchen – und reiben sich verwundert die Augen: Wo kommt der denn her? Das gibt es doch gar nicht!
Dies soll keine Heldengeschichte sein, sondern ein Beispiel dafür, wie wichtig eine positive Einstellung im Wettbewerb ist. Alles Kopfsache. Und es soll ein Beispiel dafür sein, dass nicht immer die größten Flüge diejenigen sind, an die man sich noch nach Jahrzehnten erinnert. Es sind vielmehr die besonderen Flüge. Das kann dann auch mal ein 150 km Dreieck sein.
Zurück ins Jahr 2022 und zu dem Flug, von dem ich August vorschwärmte.
Als ich am Morgen des 11. Juni meinen Flieger lüfte, ernte ich fragende Blicke: Was hast Du denn heute vor? Der Himmel ist zu dieser Zeit mit 7/8 Strato-Cumulus bedeckt, der Wetterbericht für Rheinland, Eifel, Sauerland – sprich für alle Landstriche um uns herum – mies. Das gute Wetter wartete weit im Süden und sollte NRW erst am Folgetag beglücken. Aber ich hatte nur heute Zeit, jammern hilft nicht.
Mental hatte ich mich genau auf das eingestellt, was nun folgte: Mit 800 m Basis ins Bergische vortasten, weiter mit 1000 m Basis durchs Sauerland, die ganze Zeit also maximal 600 m über Grund. Erste Aufgabe: oben bleiben. Suche nach dem nächsten Anschluss, dabei einigermaßen Kurs Richtung Osten halten.
Biggesee – mit Weitwinkel aufgenommen und doch recht nah
Zum ersten Mal richtig tief bin ich am Biggesee, immerhin in Reichweite des Flugplatzes Attendorn. Geduldig versuche ich, den halben Meter Steigen zu optimieren, fliege nach 5 min mit 150 zusätzlichen Metern weiter, nur, um mich wenig später erneut in 200 m über Grund wiederzufinden. Jetzt geht es aber endlich eine ganze Etage höher, auf über 700, im nächsten Bart sogar auf 900 m AGL, gefühlt geradewegs in den Orbit! Die neu gewonnene Höhe nutzte ich zum Vorflug bis Allendorf / Eder. Bis hierhin war es anstrengend, aber auch schön. Ich war gut geflogen und stolz, es bis soweit geschafft zu haben. Ab jetzt sollte auf dem nun anstehenden Weg nach Südwesten alles besser werden. Das Wetter baute deutlich auf und ich erwartete einen Spaziergang ohne weitere Tiefpunkte. So der Plan…
Über dem Westerwald wurde es inhomogen mit Ausbreitungen und Abschattungen und mir gelang es nicht wie gewünscht, „richtig Gas zu geben“. Ich flog nicht mehr gut. Während ich nördlich Montabaur in mäßigem Steigen kreiste, sinnierte ich unschlüssig über den weiteren Flugweg. Sollte es nach Süden zwischen Frankfurt und Hahn hindurch gehen? Dort lockten in großer Entfernung richtig schöne Wolken. Oder entlang der Mosel? In dieser Richtung war es breitgelaufen, aber etwas Steigen würde sich auf dem Weg finden, ohne wieder ins Tiefparterre abtauchen zu müssen – dachte ich. Oder doch auf kürzestem Weg westlich um Köln rum?
Eigentlich ist Entscheidungsfreude eine meiner Stärken, aber in dieser Situation habe ich komplett versagt. Meine Wahl fiel zunächst – wenig überraschend – auf die „schönen Wolken“ jenseits des blauen Lochs im Süden. Erst wollte ich aber an die Basis steigen, was nicht gelang. Mein Bart fing an zu schwächeln und so stieg ich aus, hatte aber nicht den Mumm, das blaue Loch zu überspringen und flog stattdessen nach Westen Richtung Rhein, wo unter den breitgelaufenen absterbenden Cumulanten nichts ging. Auf der verzweifelten Suche nach Thermik baute ich noch einen großen, letztlich sinnlosen Schlenker ein, verlor weitere Höhe und musste schließlich in den Rheingraben abtauchen.
Rheinschleife bei Düsseldorf-Urdenbach
Das war richtig schlecht! Immerhin fand ich auf der westlichen Talseite aus Ameisenkniehöhe und schon fast im Hangflug wieder Anschluss. Den Koblenzer Fernsehturm sieht man auch nicht alle Tage Auge in Auge, aber auf die entsprechenden Fotos hätte ich gerne verzichtet!
Koblenz Fernsehturm – aus ungewohnter Perspektive
Nach diesem unnötigen Absitzer ging es immerhin im Fahrstuhl auf schwindelerregende 1800 m und wenig später weiter Richtung Süden dem Hammerwetter entgegen. Trotz guter Optik rannte es aber selbst hier nicht für mich. Ich traf einfach die Aufwinde nicht und probierte viel zu lange rum, anstatt weiter vorzufliegen. Einfach schlecht!
Vor zwei Stunden noch machte es mir nichts aus, in 200 m Höhe rumzukrebsen und jetzt hatte ich nicht die Traute, aus immerhin noch 700 m AGL die nächste Wolke ins Visier zu nehmen. Wie kann das sein? – Ein Stück weit ist das sogar rational zu erklären: Mit der Basishöhe steigt auch der Abstand der Bärte. Wenn es hoch geht, sollte man daher eher nicht richtig tief herunterfliegen. Verfehlt man den angepeilten Aufwind, dann erreicht man den nächsten möglicherweise nicht mehr. Es fehlt der berühmte Plan B. Meine Faustregel: „freiwillig“ nur bis zur halben Konvektionshöhe runterfliegen.
Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. Und so eine Ausnahme wäre in diesem Moment eindeutig angesagt gewesen: Wenn man aus 700 m AGL sieben lange Minuten in schwachem Steigen rummacht, erst dann entnervt aufgibt, weiterfliegt und auf dem Weg zum erlösenden 2,5 m/s Bart nur 150 Höhenmeter verliert, dann ist das fast schon peinlich, dann hat man 7 Minuten verschenkt! Im Wettbewerb darf das nicht passieren!
Es lief also nicht wirklich. Wie sollte das erst auf dem Rückflug im wieder schlechteren Wetter werden? – Einfacher auf keinen Fall!
Ehe ich mich versah, steckte ich über dem Westerwald erneut in Schwierigkeiten. Diesmal allerdings unverschuldet. Diffuse Wolkenoptik, schlechte Sicht, kaum Sonneneinstrahlung. Welcome back!
Jetzt war aber auch mein alter Kampfgeist wieder geweckt, und nachdem der Anschluss an die Wolkenbasis einmal geschafft war, wurde es ein fast schon entspannter Heimflug ohne weitere Probleme.
Immerhin 540 km standen am Ende auf der Uhr. 540 km mit Höhen und Tiefen und rekordverdächtigen 72 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Langsam wie nie, wetterbedingt, aber auch wegen eigener Fehler. Lehrreich war‘s, spannend war‘s, schön war‘s!
Wie gut, dass ich am Morgen den Flieger aufgebaut hatte – trotz oder gerade wegen des miesen Wetterberichts! Flugdetails.
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Der Aletschgletscher mit dem Konkordiaplatz (Zusammenfluss der Gletscher).
Autor Martin Knops
Noch ein wunderbarer Alpenflug
Von den Eindrücken eines einzigen Fluges kann ich wochenlang, monatelang zehren. Wenn nötig sogar über den ganzen Winter, wenn Skifahren und andere Aktivitäten die Lücke mehr schlecht als recht füllen.
Ein einziger Flug füllt den Akku für lange Zeit. Aber mehr ist nie Zuviel und gerade in den Alpen geht es meist Schlag auf Schlag. So war ich nach dem atemberaubenden Ritt durch Massif Central und Hochalpen gerade aus dem Cockpit gestiegen, hatte das Flugzeug vertäut, ein wenig gegessen und eine Mütze Schlaf genommen, da saß ich schon wieder in der JS1 und wurde in den Himmel über Serres gezogen; zusätzlich motiviert durch die Aussicht, dass dies wohl der letzte Flug des Urlaubs, vielleicht der ganzen Saison werden würde.
Traumziel aller in Südfrankreich fliegenden Piloten: der Rhônegletscher, die Quelle der Rhône.
Am Nachmittag sollten von Westen dichte Cirren aufziehen, Vorboten des schlechten Wetters der nächsten Tage. Doch vorher versprach es nochmals ein schöner Thermiktag zu werden. Wenn auch mit Überentwicklung und eingelagerten Schauern über den Ecrins und der Vanoise.
Mein Plan war, über den Vercors und die westlichen Ausläufer der Ecrins zum Mont Blanc zu fliegen und von dort das Rhonetal hinauf zum Furkapass vorzustoßen. Das musste dieses Jahr einfach nochmal sein, auch wenn klar war, dass der Rückweg zwischen Schauern im Osten und aufziehender Abschirmung im Westen schwierig werden würde.
Mit weiteren Details des Rückfluges wollte ich mich zunächst nicht beschäftigen. Kommt Zeit, kommt Rat und zur Not… gibt es da ja noch den Jet.
In über 20 Jahren Alpensegelflug bin ich nur einmal aussengelandet und habe nie einen Motor vermisst. Aber ja: Dieses Jahr hätten 2 von 3 Flügen ohne Motor anders ausgesehen. Ich wäre nicht ins Zentralmassiv geflogen und ich hätte am 3. Tag nicht dem Furka „Hallo“ gesagt – der Jet eröffnet neue Horizonte, hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden!
So ging es nach dem Ausklinken und einigen Kreisen frohen Mutes Richtung Norden. Statt das mäßige Steigen bis zur Wolkenuntergrenze auszuschöpfen, blieb ich zunächst bewusst unter Hangkante und surfte die sonnenbeschienenen Ostflanken entlang. Dies macht wirklich Spaß und ist zudem recht eindrucksvoll: in den Bergen, nicht über den Bergen.
An der Ostkante des Mont Augille im „Trièves“.
Erst am Mont Aiguille, einem wunderschönen, der Ostkante des dem Parc National du Vercors vorgelagerten Monolithen, schraubte ich mich auf 2700 m und gewann so genug Höhe für die Talquerung Richtung Ecrins. Diesen Weg hatte ich bislang selten gewählt, weil er sich meteorologisch nicht oft anbietet. Leider, denn die Landschaft, die man hier durchfliegt, ist fantastisch, einfach wunderschön und abwechslungsreich. Ich sog die zahlreichen Eindrücke im Vorbeiflug bewusst auf und griff auch wiederholt zur Handykamera. Ich hoffe, die Fotos vermitteln näherungsweise die Anmut dieser Landschaft!
Blick vom Pic des Eustaches / Chaîne de Belledonne (südöstlich von Grenoble Le Versoud) zum Massif des Bauges bei Challes-les-Eaux.
Je weiter ich mich von meinem Startort Serres entfernte, desto vertrauter wurde mir die Gegend kurioserweise. Mont Blanc, Matterhorn, Rhônetal, Furka: diesen Teil der Alpen hatte ich mir in den letzten Jahren Stück für Stück erflogen und mittlerweile fühle ich mich hier so wohl wie im heimischen Sauerland.
Die Gletschwelt des Südwallis. Rechts in der Mitte erkennt man die Silhouette des Matterhorns.
Ich genoss jede Minute dieses zunächst völlig entspannten Fluges zwischen den höchsten Bergen Europas. Das Wetter wurde zunehmend besser und so ging es zügig am Mattertal vorbei auf die Nordseite des Rhonetals und auf dem Hauptgrad Richtung Furka. Alles lief wie am Schnürchen und das änderte sich zunächst auch nicht auf dem Rückweg.
Eines der schönsten Täler der Schweiz, das Goms, zeigt sich thermisch von der besten Seite.
Querab des Mont Blanc wurde allerdings klar, dass es schwierig werden würde, nach Serres zurückzukommen. Über der weitläufigen Vanoise ließ sich kein einziger Sonnenstrahl mehr ausmachen. Hier ging es schon mal nicht durch. Im Westen zog bereits deutlich die angekündigte Abschirmung auf. Die Einstrahlung war bereits massiv eingeschränkt. Dennoch lag hier die einzig sinnvolle Option: Gas rausnehmen, Nase Richtung Südwest, die leidlich angeströmten Westhänge entlang fliegen und auf die eine oder andere Thermikablösung setzen.
Auf dem Rückweg franst das bisher gute Segelflugwetter aus.
Das klappte zunächst auch ganz gut, aber ein richtiger Aufwind ließ sich nicht mehr finden. Aufgeben gilt aber nicht! Landeoptionen gab es genug, zunächst Chambery, dann Grenoble. Ein einziger vernünftiger Bart fehlte noch für den sicheren Gleitflug nach Serres. Aber der wollte sich entlang der Bergkette nordöstlich von Grenoble einfach nicht finden lassen. Jetzt musste eine Entscheidung her: Talquerung nach Westen in die Chartreuse, wo eine eher sterbend aussehende Cumulus-Wolke „lockte“ oder „geradeaus“ unter die einzige, eigentlich noch gut aussehende Wolke weit südlich Grenoble. Letztere Wolke würde ich knapp erreichen. Würde sie nicht „ziehen“, gäbe es keinen weiteren Weg nach vorne, stattdessen nur den zurück zum Flugplatz Grenoble. Die Chartreuse bot dagegen mehrere Optionen, sollte es „die eine“ Wolke nicht tun, gäbe es noch eine 2. und letztlich den Einflug in den Vercors.
Nicht einfach, wie alle „echten“ Entscheidungen. Und doch: hätte es nicht noch einen weiteren Gedanken im Hinterkopf gegeben, hätte ich alle meine Karten auf die (noch) gut aussehende Wolke gesetzt – und wäre nach Hause gekommen, wie ich im Nachhinein im Internet sehen konnte 😖 (ein anderer Flieger hat fast zu gleicher Zeit diesen Weg gewählt).
Vom rechten Pfad abgebracht hat mich, dass ich noch nie zuvor in der Chartreuse war und noch nie zuvor aus dieser Lage den Rückweg westlich des Vercors gewählt hatte. Auch dieser weiße Fleck auf der Landkarte wollte erobert werden: also hinein ins Verderben – Grrr.
Um die Kirche im Dorf zu lassen: Das Verderben bestand letztlich im Zünden des Motors in sicherer Anflughöhe auf Grenoble. Nach zehn Minuten und knapp 1000 zusätzlichen Metern befand ich mich im Endanflug auf Serres und dank einer Wolkenstrasse, die sich trotz der Abschirmung noch gebildet hatte, konnte ich den Flug sogar noch etwas ausdehnen. Genau für solche Situationen habe ich den Motor schließlich. Und doch: ich gräme mich selbst nach Monaten noch. Es wäre möglich gewesen, ohne Jet nach Hause zu kommen und ich habe es nicht geschafft. Diese Gedanken mag mancher Leser kleinkariert finden. Ich bin aber froh, dass ich immer noch so ticke. Nur mit dieser Einstellung wird man besser. Und genossen habe ich den Flug trotzdem. Sehr sogar 😀.
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Im Tiefflug über das Massif Central
Autor Martin Knops
Das Fluggebiet, das sich von Serres aus erschließt, ist atemberaubend und auch nach vielen Jahren, über hundert Flügen und achthundert Stunden noch abwechslungsreich. Mehr noch: es bietet auch nach all den Jahren noch neue Varianten, neue fantastische Eindrücke und es gibt sogar noch weiße Flecke auf der Landkarte, die es zu erschließen gilt. In solche weißen Flecken bin ich dieses Jahr an jedem der drei Flugtage vorgestoßen. Die Gletscherwelt zwischen Mt. Blanc und Matterhorn mit 30 Viertausendern hatte ich bislang genauso wenig durchflogen wie die Chartreuse nordwestlich von Grenoble. Und vor allem hatte ich mich noch nie über das breite Rhonetal in das Massif Central gewagt.
Das Rhônetal, Blick auf Valence.
Ein solcher Ausflug aus dem Alpenraum bietet sich natürlich nicht bei jeder Wetterlage an. Aber es hatte mich in den vergangenen Jahren schon mehrfach in den Fingern gejuckt… allein, getraut habe ich mich nie. Zu groß schien mir das Risiko, nach der Talquerung keinen Thermikanschluss zu finden und den Tag frühzeitig auf dem Acker zu beenden. Zugegeben: gegen derartige Bedenken hilft ein Jet im Rücken ungemein. Also nahm ich das Abenteuer nach einem regenbedingten Pausentag frohen Mutes in Angriff.
Eigentlich wollte ich zunächst in den Norden und später in das Zentralmassiv fliegen. Aber der Tag begann durch den Regen des Vortages zäh und als ich kurz nach 12 Uhr in die Luft kam, sah es Richtung Ecrins noch gar nicht einladend aus. Also spontan umgeplant und Richtung Aubenasson, zum Sprungbrett über das Rhônetal. Basishöhen waren im Zentralmassiv mit 2000 m angesagt. Das schien mir ausreichend. Hätte ich mich besser vorbereitet, wäre ich allerdings zu einem anderen Schluss gekommen. Schließlich handelt es sich beim Massif Central um eine Hochebene, 1300 bis 1500 m über dem Meeresspiegel. Für die, die nicht mitgerechnet haben: 500 bis 700m über Grund sind selbst in landbarem Terrain nicht gerade üppig…
Für den Sprung über das Rhônetal wollte ich natürlich so viel Höhe wie möglich tanken, aber wie üblich fiel die Basis hier deutlich ab und letztlich mussten 1600 m für den Absprung reichen (Flugdetails).
Auch die bewaldeten Hügel mitten im Rhônetal brachten nicht das erhoffte Steigen und so baute sich unerwartet vor mir das Sperrgebiet um das AKW Cruas zum unüberwindbaren Hindernis auf. Eben noch war mein Plan, die erste Wolke hinter dem Atomkraftwerk anzufliegen und dafür das Sperrgebiet zu überfliegen. Nun musste ich nördlich um das AKW herum und mir war klar, dass es richtig knapp werden würde, den dringend nötigen Thermikanschluss zu finden. Voraus lockten herrliche Wolken – unerreichbar. Nördlich und noch eine ganze Ecke entfernt stand über den ersten Hügeln eine zerfaserte Wolke. Die musste es bringen. Warum nur hatte ich die kurzen Ohren montiert? Die Extra-Gleitpunkte der 21 m hätte ich jetzt gut gebrauchen können…
Das Atomkraftwerk Cruas im Rhônetal.
In 200 m über Grund lupfte es – das Landefeld im Tal fest im Blick. Spannend blieb es aber noch unendlich gedehnte Minuten. Meterchen für Meterchen ging es nach oben. Oder besser gesagt: 3 Meter hoch und 2 wieder runter. Schließlich entwickelte sich doch noch ein vernünftiger Aufwind und wenig später konnte ich aufrichten und Kurs nach Westen nehmen. Der Einstieg ins Zentralmassiv war geschafft. Dachte ich und fand mich kurz darauf wieder in 200 m über dem rapide ansteigenden Gelände. Immerhin ging es jetzt mit gutem Steigen Richtung Wolkenuntergrenze. Aber spätestens hier wurde mir bewusst, auf was ich mich heute eingelassen hatte. Das Wolkenbild lud zum schnellen Vorfliegen ein – eine fast teuflische Versuchung. Ein verpasster Aufwind, ein Moment der Unkonzentriertheit und die Orientierung musste sofort statt nach vorne nach unten gehen – oder besser in die Ferne, querab vom Kurs Richtung potentiell landbaren Geländes.
Mont Devès.
Glücklicherweise blieb mir ein weiterer Tiefpunkt erspart und es gelang mir, die herrliche Landschaft aufzusaugen und zu genießen. Hier war ich sicher nicht zum letzten Mal – so toll!
Das Hochplateau des Massif Central
Der Wiedereinstieg in die Bergwelt der Haute Provence gestaltete sich leider fast so spannend wie Stunden zuvor der Sprung ins Zentralmassiv. Wieder tief über der ersten Rippe, wieder kämpfend im schwachen Steigen. Aber auch das war irgendwann geschafft. Nun kannte ich mich wieder aus, nun war ich zurück in vertrautem Terrain und obwohl immer noch tief steigerte ich mich schnell in einen regelrechten Flow.
Unter der westlichen Hangkante des Parc National du Vercors.
Unter Hangkante am Vercors entlang, rüber zum Pic de Bure, erst dort die ersten wenigen Kreise. Weiter in die Ecrins, rauf auf den Parcours Royal, diesen komplett nach Norden durchgeflogen und raus aus der Umzingelung der Beinahe-Viertausender ins „freie Gelände“. Alles im Geradeausflug – es lief! Die nächste Wolke katapultierte mich regelrecht über 4000 m und weiter geradeaus durch die Vanoise zur Konvergenz an der italienischen Grenze, knapp südlich des Gran Paradiso.
Beeindruckende Optik entlang der Konvergenzlinie an der italienisch-französischen Grenze.
Von dort aus ging es ohne einen einzigen Kreis zurück in die Ecrins, den Parcours Royal und den Parcours herunter bis an die Gorge du Verdon am östlichen Ende des Lac de St. Croix. Wahnsinn! Nun den Parcours nochmal herauf bis an den Morgon und zurück nach Serres. Ein Flug für die persönlichen Annalen. Wow!
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Im Tal von Chamonix: Blick auf die Aiguille du Midi und die Grandes Jorasses im Hintergrund.
Autor Martin Knops
Was für eine Saison! Ganz persönlich, aber auch allgemein. In den 35 Jahren meines bisherigen Fliegerlebens gab es wohl noch kein Jahr, in dem in Deutschland an so vielen Tagen 1000er geflogen worden sind.
Und ich war an keinem dieser Tage zur Stelle – falscher Ort, keine Zeit (meist), verpennt oder gerade auf einem Wettbewerb – dazu später mehr. Auch in meinem Urlaub in den französischen Alpen habe ich es so schlecht wie noch nie erwischt: nur drei von sieben Tagen waren fliegbar.
Grund sich zu grämen? Mitnichten! Auch ich habe fantastische Flüge gemacht – spektakuläre sogar! Und nebenbei bin ich nach 14 Jahren Abstinenz erfolgreich wieder ins Wettbewerbsgeschehen eingestiegen. „Erfolgreich“ ist sogar leicht untertrieben: Mit einem zweiten Platz im Jenacup gegen und vor Koryphäen wie Bruno Gantenbrink und Alexander Müller hätte ich im Leben nicht gerechnet – einfach wunderbar!
Zäumen wir das Pferd ausnahmsweise mal von hinten auf und beginnen mit den drei tollen Tagen in Serres. Eigentlich sollte es wie üblich eine volle Flugwoche werden. Aber der Wettergott hatte diesmal etwas dagegen.
Angekommen am Freitag, 12.August 2022, begann es am Samstag vielversprechend: homogene Bedingungen bis weit in den Norden (in Deutschland wurden an dem Tag mal wieder 1000 km geflogen), aber weitgehend blau, im Südosten dafür Gefahr von Schauern und niedrige Basis.
Nicht alle teilten meine Euphorie, hatten sie doch 14 Tage grandiosen Wetters in den Knochen, ein Tag besser als der andere. Und jetzt Blauthermik… die verbrachte man doch besser am Pool als in der Luft.
Inmitten der Gletscherwelt des Wallis (Blick von Norden auf den Mont Blanc de Cheillon)
Mich dagegen schreckt Blauthermik im Gebirge überhaupt nicht. Leicht übertreibend behaupte ich sogar, dass Wolken im Gebirge nur stören – als Störfaktor im ansonsten perfekten Zusammenspiel von Wind, Sonne und Orographie.
Dabei schätze natürlich auch ich eine möglichst detaillierte und verlässliche Prognose von Arbeitshöhen und Thermikgüte. Damit lässt sich das Risiko unangenehmer Überraschungen beim Flug ins Blaue effektiv reduzieren. Herausgekommen ist an diesem Samstag ein wunderbarer Flug über mehr als 700 km zunächst nach Norden durch die Ecrins, westlich vorbei am Mont Blanc und zurück durch die Gletscherwelt des Wallis. Dort nur mit der Hilfe von Sonne und Wind hindurch zu fliegen, ist immer wieder so beeindruckend, die Landschaft so imposant und majestätisch!
Selbst in über 3000m Höhe fühlt man sich hier ganz klein, muss man den Kopf in den Nacken legen, um im Vorbeiflug einen Blick auf den fast 2000m höheren Gipfel zu erhaschen. Hier gibt es tatsächlich noch das sprichwörtliche ewige Eis, hier schweifen die Blicke über die wohl ausgedehnteste Gletscher-, Eis- und Felslandschaft, die die Alpen zu bieten haben.
Am weitläufigen Mont Blanc Massif bewundere und bestaune ich immer wieder die tollkühn konstruierten Seilbahnen, die die unwirtlichsten Ecken erschließen. Unglaublich, welch winzige Vorsprünge und Felsnadeln hier als Untergrund für Pfeiler, Stützen und Stationen dienen. Mit welchem Einsatz, sicher auch Einsatz von Menschenleben sind diese Bauwerke wohl einst errichtet worden. Kein Vergleich mit den eher profanen Seilbahnen, die ich aus den von mir typischerweise besuchten Skigebieten kenne.
Die Bergwelt zwischen Mt Blanc im Westen, Aostatal im Süden, Mattertal im Osten und Rhônetal im Norden glänzt dagegen durch ihre Unberührtheit. Nur vereinzelte Stauseen zeugen hier von menschlicher Zivilisation. Ansonsten schweift der Blick über viele viele Kilometer von Gipfel zu Gipfel, von Gletscher zu Gletscher, von Schneefeld zu Schneefeld. Kein Dorf, kein Skigebiet, keine Seilbahn. Dafür ein Viertausender neben dem nächsten – Wow!
Ich sauge das alles in mich auf und genieße! Ein wunderbarer erster Flugtag!
Das „Dach Europas“, der Mont Blanc
Irgendwann wird die Flugzeugnase doch gen Süden gedreht und ich entschwinde dem Wallis Richtung Vannoise. Unter bewusster Umgehung des Vogelschutzgebiets am Gran Paradiso geht es jetzt zügig auf fast schon ausgetretenen Pfaden zurück in heimatliche Gefilde. Modanetal, Bardonecchia, Brianconnais; hier kann ich mich schon fast schlafwandlerisch bewegen. Und doch macht es immer noch und immer wieder ungeheuren Spaß hier zu fliegen – und das Wetter sorgt immer wieder für Überraschungseffekte und lehrt einen Neues.
Heute läuft es und ich werde fast übermütig. Dreihundert Kilometer mit nur 5 Kreisen, einfach fantastisch! (Hier der Link zum Flugweg 😀).
Geradeaus, immer weiter geradeaus geht es nach Süden bis zum Lac de Castellane und von dort wieder nach Norden bis an die Nordspitze der Écrins, immer noch ohne Kreis zurück nach Serres.
Das hat echtes Suchtpotenzial: atemberaubend, berauschend. „Klein Martin, der König der Berge“ – ein wenig fing ich an mich so zu fühlen – und erschrak! Hier droht es, gefährlich zu werden. Niemals darf man den Respekt vor den Bergen verlieren, niemals darf man überheblich, gar leichtsinnig werden, immer muss man das Bewusstsein für die Gefahren wach halten!
Diese Gedanken vermochten es natürlich nicht, meine Freude über diesen wunderbaren ersten Flugtag zu trüben. So toll! Ich war einfach glücklich, schlicht und einfach – glücklich! Allein für diesen einen Flug hatte sich die weite Anreise schon gelohnt!
Viel ist bereits geschrieben worden über die Gefahren des Fliegens, und wer sich durch all meine Artikel gearbeitet hat (ich hoffe, das war mehr Vergnügen als Arbeit), der hat hier und da auch bei mir schon einiges zum Thema „Sicheres Fliegen“ gefunden.
Sicheres Fliegen erreicht man nicht durch Verharmlosen – wer hat nicht schon gehört, dass die Fahrt zum Flugplatz das Gefährlichste am Fliegen sei – sondern durch bewusste Auseinandersetzung mit den Gefahren. Dazu gehört vor allem und zuvorderst das Teilen von Erfahrungen. Dies klingt selbstverständlich, und doch erlebe ich immer wieder eine gewisse Zurückhaltung beim Teilen kritischer Situationen oder Unfälle. Diese Zurückhaltung hat vielfältige Ursachen. Das fängt damit an, dass nur derjenige sinnvoll Erfahrungen teilen kann, der sich selbst intensiv mit eigenen Fehlern beschäftigt. „Gerade nochmal gut gegangen; schnell verdrängen und bald vergessen“ sind dagegen weit verbreitete Mechanismen. Und selbst Unfälle werden oft durch Verdrängen statt durch intensive Aufarbeitung verarbeitet.
Hinzu kommt die Sorge, sich angreifbar zu machen, wenn man über eigene Fehler spricht. Es braucht schon ein gewisses Standing und ein dickes Fell, um dagegen immun zu sein oder eben ein Umfeld, das das Teilen von Fehlern fordert und fördert. Ein solches Umfeld gilt es zu schaffen; das ist absolut essentiell für eine funktionierende Sicherheitskultur.
Es gibt noch eine weitere Sorge, die ich insbesondere gegenüber Nichtfliegern und Interessenten oder Neumitgliedern schon oft wahrgenommen habe: Allzu plastische Schilderungen von Gefahren, kritischen Situationen und Unfällen könnten abschreckend wirken, nicht etwa die Sinne schärfen, sondern die Menschen ganz vom Segelflugsport wegtreiben. Da ist leider ein Funke Wahrheit dran. Ich war auch nicht begeistert, als mein Sohn mir eröffnete, dass er den Motorradführerschein machen wird. Eben weil ich dieses Hobby für gefährlich halte.
Fast alle Segelflugunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Menschliches Versagen des Piloten. Technisches Versagen ist extrem selten. Beim „normalen“ Fliegen sind unsere Flugzeuge praktisch „unkaputtbar“ (Achtung: beim Kunstflug sieht das ganz anders aus). Gegen „menschliches Versagen“ halten sich die meisten Piloten für immun und das eigene Fliegen folglich für sicher. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus: „Diese haarsträubenden Fehler würden mir so nie passieren.“ Leider doch.
Ich habe im Laufe von 35 Jahren Segelflug mehrere Freunde und Bekannte durch tödliche Segelflugunfälle verloren. Alle erfahrene Piloten und keine Draufgänger. Hinzu kommen einige sehr bekannte Segelflieger von Helmut Reichmann bis Klaus Holighaus. Durch Autounfälle habe ich in dem Zeitraum niemanden verloren. Solche Schicksale kenne ich nur aus zweiter und dritter Hand und wie jeder aus der Statistik. Kommen wir endlich zum Kern dieses Artikels, zum Teilen persönlicher Erfahrungen. Aus 35 Jahren gibt es da leider einiges zu berichten und wer weiß, vielleicht wird hieraus ja eine kleine Serie. Heute möchte ich mich auf die drei wirklich gefährlichen Situationen fokussieren, in die ich in meinem Fliegerleben geraten bin und in denen ich wirklich Glück hatte. Glück, dass es nicht zu Unfällen kam bzw. in einem Fall Glück, dass es bei kleineren Schäden geblieben ist.
Zwei dieser Situationen hatten eine entscheidende Gemeinsamkeit: Tunnelblick. Man hat einen Plan und lässt alle Informationen, die nicht zu diesem Plan passen, abprallen, ignoriert sie, schiebt sie von sich, konzentriert sich vollständig auf das eine Ziel, den einen Plan, den es umzusetzen gilt. Das Ausblenden unerwünschter Informationen kann sehr weit gehen: „Es kann nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf.“
Es musste reichen, musste, musste, musste… Fall 1 trug sich in den 90er Jahren in der Provence zu. Es herrschte Mistral und von Sisteron aus ging es zunächst im F-Schlepp an den Gache. Dort im Hangaufwind auf maximale Höhe und weiter zum Lure. Von hier stürzt man sich wahlweise nach Norden ins Jabrontal auf der Suche nach dem Rotor des vorgelagerten Höhenzuges, des „Ubac“ oder man wagt es, nach Süden über den Grat des Lure abzutauchen und steigt über dessen sanft abfallender Südflanke in den Rotor und weiter in die Welle ein. Gelingt dies nicht wie geplant, so kann man sich den Einstieg in die Welle und den Aufstieg an die Tropopausen-Grenze allerdings erstmal abschminken. Stattdessen müssen ganz kleine Brötchen an den sogenannten Hinkelsteinen gebacken oder gar in St. Auban gelandet werden.
Blick aus der Lure-Welle nach Nordwesten ins „Vallée du Jabron“ und zum „Chabre“
Für mich hiess es also «Nase gegen den Wind aufrichten und ab ins Jabron-Tal». Nach längerem Kampf in der Rotorturbulenz gelang tatsächlich der Einflug in das laminare Steigen. Dies ist immer wieder extrem beeindruckend. Den ganzen Tag lang hat man gegen die Widrigkeiten des Mistrals gekämpft. Das fängt schon beim morgendlichen Aufbauen an. Bei 70 -80 km/h Wind den Flieger zusammenzustecken macht keinen Spaß. Zu Hause käme man bei derartigem Wetter nicht im Traum auf die Idee zu fliegen.
Weiter geht es mit einem ruppigen und fordernden F-Schlepp an den Hang. Hier geht es wunderbar nach oben bis einige 100m über Hangkante, aber beim Vorflug zum nächsten Hang müssen bereits wieder die Gurte festgezurrt sein. Lose Gegenstände im Cockpit sind unbedingt zu vermeiden. Wer das missachtet, merkt schnell, warum dies mehr als ein gut gemeinter Ratschlag ist. Auch empfiehlt sich eine Schaumstoffeinlage im obligatorischen Hütchen, um die Schläge auf die Schädeldecke zu dämpfen. Trotz festgezurrter Gurte sind unsanfte Kontakte mit der Haube praktisch unvermeidbar.
Was es jetzt auch braucht, ist unerschütterliches Vertrauen in die Konstrukteure und Erbauer des Fluggeräts. Hier wird es wirklich beansprucht und gnadenlos durchgeschüttelt. Hat man dies alles überstanden (im Doppelsitzer sind Mitflieger mit empfindlichem Magen ein echtes Risiko :-), so erwartet einen als nächstes der oben schon mehrfach zitierte Rotor. Dieser steht im Lee eines angeströmten Bergrückens. Man kann ihn sich wie eine überdimensionale Waschmaschinentrommel vorstellen. Die Achse liegt etwa auf Kammhöhe des Bergrückens in dessen Längsrichtung und in der drehenden Trommel geht es auf der einen Seite rauf und auf der anderen runter. Typischerweise gelingt es nicht, einen vollen Kreis in der aufsteigenden Trommelhälfte zu platzieren. Stattdessen geht es vom starken Steigen übergangslos in starkes Fallen und wieder zurück. Unterm Strich bleibt dann hoffentlich ein positives Saldo und man arbeitet sich langsam (oder auch zügig) zum oberen Scheitelpunkt der Wäschetrommel hinauf. Dort lockt dann der Lohn für all die Mühen: plötzlich wird alles ruhig, keine Spur mehr von Turbulenz. Die Flugzeugnase wird gegen den Wind ausgerichtet, die Geschwindigkeit auf die des Windes eingestellt (üblicherweise 80-120 km/h). Jetzt geht es ortsfest wie im Fahrstuhl nach oben mit 2, 3, 4, 5 oder mehr m/s. Wow!
Wie hoch es in der Welle des Ubac für mich ging, erinnere ich nicht mehr. In jedem Fall so hoch, dass das weite Durance-Tal tief unter mir lag und ich von weit oben auf den bewaldeten Rücken des nördlich gelegenen Chabre schaute. Die Strecke dorthin schien wie ein Katzensprung. Auf dem Weg würde ich wahlweise in den nächsten Wellenaufwind fallen oder alternativ in den kräftigen Hangaufwind auf der Nordseite des Chabre einsteigen.
Ich erhöhte die Geschwindigkeit und flog nach Norden gegen den Wind, den Höhenzug des Chabre fest im Blick. Nun ging es in den absteigenden Ast der Welle. Eigentlich musste es eine andere Welle sein, aber für derartige Gedanken hatte ich keine Kapazitäten. Ich fiel nun wie ein Stein, nicht mit fünf, eher mit Zehn Metern pro Sekunde. Ich fiel ins Bodenlose und gegen den starken Wind ging es kaum voran. Noch sah ich mein Ziel, den Kamm des Chabre, von weit oben. Aber der Winkel änderte sich dramatisch schnell. Schon erkannte ich wie flach der südliche Waldrücken über etliche Kilometer wirklich abfällt. Noch war Zeit nach Osten ins breite Durancetal abzudrehen, den Chabre zu umfliegen, sich ihm von Norden mit Rückenwind wieder zu nähern und ganz nebenbei wohl auch dem Gebiet starken Fallens zu entfliehen. Aber ich blieb fixiert auf den Weg voraus. Da vorne lag der Grat des Chabre. Da wollte ich hin. Mittlerweile musste ich den fallenden Ast der Welle längst nach unten verlassen haben. Jetzt befand ich mich im direkten Lee des Chabre, was zunächst keinen Unterschied machte. Es ging immer noch mit Macht nach unten. Aber nun wurde es wieder turbulent. Ich erkannte unter mir bereits, wie die Wipfel der Bäume sich im Wind bogen und durchgeschüttelt wurden. Jetzt war es bereits zu spät fürs Abdrehen. Ich war zu tief, das Waldgebiet zu ausgedehnt, zu flach abfallend, um ihm im starken Fallen zu entkommen. Jetzt gab es tatsächlich nur noch den Weg nach vorne. Ich fasste den Steuerknüppel noch fester mit beiden Händen, fixierte die Passhöhe voraus, den niedrigsten erreichbaren Übergang. Immer noch klebte die Variometer-Nadel am unteren Anschlag, immer noch wurde der Winkel zum Pass mit jeder Sekunde flacher. Aber nun war es maximal noch ein Kilometer. Fahrt halten, hoffen, beten!? Es musste reichen, musste, musste, musste…
Mit maximal 50 m Höhe überquerte ich den Pass und wurde sofort vom starken Hangaufwind in die Höhe gerissen. Nur langsam löste ich mich aus meiner Schockstarre. Und wenn ich das hier so schreibe, 25 Jahre später, packt es mich immer noch, läuft mir immer noch ein Schauer über den Rücken. Das war knapp, richtig knapp…
Ich hatte mich in eine Situation manövriert, aus der es nur noch einen Ausweg gab. Und dieser wurde zunehmend zu einem sich zügig schließenden Nadelöhr. All das hatte ich viel zu spät erkannt, als es schon zu spät war für naheliegende Alternativen, die mir zuvor weit offenstanden. Ich war fixiert auf meinen Plan A, erkannte nicht bzw. viel zu spät, dass dieser überhaupt gefährlich werden könnte, gefährlich wurde, dass es irgendwann keine Alternativen zur Passquerung mehr gab. Tunnelblick!
Realitätsverweigerung Fall 2 trug sich am ersten Wertungstag der Deutschen Meisterschaften in Lüsse 2005 zu. 1995 war ich bereits die DM der Junioren mitgeflogen, aber für die „großen“ Meisterschaften hatte ich mich nun zum ersten Mal qualifiziert. Sechs Jahre zuvor war die Qualifikation an „Fall Nummer 3“ gescheitert. Mehr dazu weiter unten im Text. Danach hatte ich für einige Jahre keine Quali-Wettbewerbe mehr geflogen.
Symbolbild „Aussenlandung“.
Meine Vorbereitung war alles andere als optimal. Wenige Monate zuvor hatte ich einen neuen Job angetreten samt Umzug, anstrengender Einarbeitungsphase und Vereinswechsel. Geflogen war ich die ganze Saison so gut wie nicht. Zwei Wochen vor dem Wettbewerb wurde zudem meine Tochter geboren. „Kein Problem“ meinte die Hebamme; Schwiegereltern und Eltern waren zur Unterstützung dabei – und trotzdem: Unter dem Strich hätte ich die Teilnahme an der DM absagen sollen. Dass ich es nicht getan habe, wirft mir meine Frau heute noch vor – mit Recht.
Am ersten Wertungstag gab es Blauthermik – genauer: es war blau. Thermik gab es eher nicht. Trotzdem wurde gestartet und auch abgeflogen. Aufgefächert glitten wir vorsichtig auf Kurs, langsam tiefer und tiefer. Trotzdem rechnete ich fest mit einem Aufwind und lies das Wasser drin – eindeutig ein Fehler. Landen kann man in Brandenburg fast überall und somit praktisch fliegen, bis das Rad rollt. Den ersten Kreis machten wir in 240m über Grund. Hoch ging es aber nicht. Zumindest nicht für mich. „Negativer Nullschieber“ nennt man sowas wohl.
Zehn Minuten später, nach etlichen Schleifen und Kreiswechseln flog ich immer noch, auch das Wasser gluckerte immer noch in den Tragflächen. Wasser ablassen hätte den zarten Aufwind, auf dessen Aufblühen ich immer noch hoffte, endgültig abgewürgt. So meine Befürchtung. Dann lieber die zusätzlichen Kilos schleppen. Ich flog immer noch, aber mittlerweile nur noch in 60 m Höhe. Ich habe mir extra nochmal das alte igc-file angeschaut – und konnte es fast nicht glauben. Etliche Kreise sind dort in 60 m Höhe dokumentiert. Schließlich wurde mir die Entscheidung zur Landung durch einen Steuerfehler abgenommen. Ich wurde zu langsam und sackte durch! Knüppel nach vorne, Flieger wieder einfangen, Fahrwerk raus und schon saß ich auf dem Acker, keine 200 m vom Ort meines letzten Kreises entfernt.
Ich blieb erstmal ein paar Minuten im Cockpit sitzen, um mich zu sammeln. Was hatte ich da gerade für eine Sch…. gemacht! Was hatte ich für ein Glück gehabt, jetzt überhaupt hier zu sitzen und mir darüber Gedanken machen zu können.
Ich war offensichtlich überehrgeizig gewesen, überambitioniert, übermotiviert. Aber das war es nicht allein. Realitätsverweigerung trifft es besser. Es konnte nicht wahr sein, was nicht wahr sein durfte! Was hatte ich alles auf mich genommen, um an der DM teilzunehmen. Was hatte ich meiner jungen Familie alles zugemutet! Und alles, um am ersten Wertungstag nach 30 km auf dem erstbesten Acker auszurollen, ohne einen einzigen Aufwind gekurbelt zu haben? Ja! Manchmal spielt das Leben so. Das muss man dann anerkennen und nicht ignorieren. Sonst kann es ganz schnell noch viel schlimmer enden. Ich hatte Glück! Großes Glück! Glück, im richtigen Flugzeugtyp zu sitzen, der nur durchsackte und nicht ins Trudeln abkippte, Glück, dass ich nach all dem Mist, den ich vorher fabriziert hatte, wenigstens in dieser Extremsituation geistesgegenwärtig richtig gehandelt hatte: Knüppel nach vorne! Auch und gerade in nur 60 m Höhe. Glück, überlebt zu haben!
Gerade nochmal gut gegangen. Fall 3 habe ich oben bereits angedeutet. Geschehen ebenfalls auf einem Wettbewerb, der NRW-Meisterschaft 1999 in Aachen. Wir hatten schon einige Wertungstage hinter uns, Wetter und Stimmung waren gut, ich lag perfekt im Rennen, voll auf Kurs Deutsche Meisterschaft.
Nicht weit vom Aachener Flugplatz liegt das Kraftwerk Weisweiler, eine fest einzuplanende Thermikboje für Überlandflieger und auch für das Feld der Meisterschaftsteilnehmer. Nun ist das gemeinsame Fliegen in der Thermik ein bekannter Gefahrenpunkt. Potenziert wird diese Gefahr im Wettbewerb, wenn vor dem Abflug, aber oft genug auch auf Strecke nicht zwei, drei oder vier Flugzeuge, sondern gleich ganze Schwärme einen Aufwind bevölkern. Hier müssen alle aufeinander aufpassen. Augen auf und ständiges Scannen der Umgebung sind neben rücksichtsvollem Fliegen Pflicht.
Symbolbild „Kreisen im Pulk“.
Heute mindert Flarm als Kollisionswarnsystem die Gefahr von Zusammenstößen. Gab es 1999 aber noch nicht. „Aufeinander aufpassen“ setzt voraus, dass man freie Sicht aufeinander hat. Hier kommt das Thema „Kraftwerk“ ins Spiel. Die aus den Kühltürmen aufsteigende Luft ist feucht und kondensiert oft schon am Boden aus. Gekreist wird nicht in den Nebelschwaden, sondern daneben. Aber natürlich ist die Sicht auf möglicherweise andere im Kraftwerksbart kreisende Flugzeuge eingeschränkt. Und je mehr Flugzeuge es sind, desto größer ist das Risiko. Das Risiko, dass plötzlich hinter einer Nebelschwade ein anderer Flieger auf Kollisionskurs auftaucht. Mir blieb das Herz vor Schreck stehen! Sofortiger voller Querruderausschlag. Gut, aber zu spät, schon schrammt die entgegenkommende Fläche unter meinem Aussenflügel durch. Was für ein Schock!
Eine Berührung hat es auf jeden Fall gegeben, aber zum Glück keinen frontalen Zusammenstoß, vielmehr einen Streifschuss. Gerade nochmal gut gegangen.
Sofortiger Ausflug aus dem Kraftwerks-Bart. Alle Ruder funktionieren, das Flugzeug fliegt normal, keine ungewöhnlichen Geräusche oder sonstige Auffälligkeiten. Zwei andere Piloten setzten ihre Maschinen rechts und links neben meinen Flieger, inspizieren visuell. Alles sah normal aus.
Auch meinem «Unfallgegner» geht es gut, auch sein Flugzeug fliegt normal. Über Funk gibt er bekannt, dass er nach Aachen Merzbrück zurückfliegt und dort landet. Ich dagegen entschließe mich tatsächlich, weiter zu fliegen und lande erst Stunden später in Merzbrück. Eine absolute Fehlentscheidung, die ich kaum erklären kann. Natürlich hätte ich mich nicht mit dem „Inspektionsergebnis“ im Flug zufriedengeben dürfen. Sofortige Landung und Check der Schäden am Boden wären angesagt gewesen. Beulen gab es denn auch tatsächlich. Nicht strukturell gefährlich, aber eine Reparatur war fällig.
Und natürlich war auch ich selbst psychisch nicht in dem Zustand, in dem ein Weiterflug angesagt war. An die Aussenwirkung des Ganzen hatte ich in der Situation als letztes gedacht. Aber natürlich war dieselbe katastrophal: «kaltschnäuzig», «egozentrisch», «rücksichtslos». So muss der Typ wohl ticken, der nach so einem Zwischenfall einfach weiterfliegt. Ich fiel in ein ziemliches Loch und musste mich erst wieder sammeln…
Wettbewerbe bin ich die folgenden Jahre nicht mehr geflogen. Und auch nach fast 25 Jahren fällt es mir noch schwer, über den Vorfall zu schreiben oder zu sprechen. Keine einfache Geschichte für mich.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Übungsflüge lassen sich perfekt nutzen, um neue Routen auszuprobieren. Grundsätzlich sind die Abflugrouten vom Serres sehr vielfältig. Hier gibt es viel zu entdecken und zu erkunden. Zwei Varianten, die ich mir selbst erarbeitet habe und die auch für die Piloten der umliegenden Flugplätze Aspres, La Motte, Sisteron, Gap und St. Auban interessant sind, möchte ich hier kurz vorstellen. Die erste führt zur „Rennstrecke“, zum Parcours. Dieser ist bei gutem Wetter das Ziel auch der weniger erfahrenen Piloten. Wenn sich das Brisen-System etabliert hat, kann man dort über 50 km ohne Höhenverlust Geradeausfliegen. Aber wie hinkommen und wo einsteigen?
Mein favorisierter Weg führt über Crête de Selle und Malaup zum Grande Gautière östlich des Flugplatzes La Motte. Erreicht man hier 2’100 m Höhe, kann man das Tal der Sasse nach Südosten überqueren und über den Grat nach Süden in den Talkessel östlich des Pic de Morgon springen. Ziel erreicht! In diesen Kessel hat den ganzen Vormittag die Sonne eingestrahlt, hat senkrecht auf die Hänge gebrutzelt. Hier geht es mit großer Sicherheit hoch und zwar richtig! Hat man vorher mit schwachem Steigen um die Höhe zur Gratquerung gekämpft, so geht es nun im Fahrstuhl in den Orbit! Hoch genug, um problemlos nach Osten an die Rennstrecke zu queren. Dabei befindet man sich die ganze Zeit in sicherer Anflughöhe auf den Flugplatz Seyne. Sollte die Höhe nicht zur Querung in den Talkessel reichen, so hält man sich etwas nördlich und fliegt die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge ab, bis man -möglicherweise erst westlich vom Seyne und deutlich unter Hangkante – den alternativen Aufwind findet, der dann den Sprung an den Parcours erlaubt.
Wem das jetzt zu viele Orts- und Bergnamen waren… Nein, man muss nicht jeden Stein beim Namen kennen, bevor man in den Alpen fliegt, und ehrlich gesagt, gehöre ich selbst zu jenen, die sich geradezu peinlich schlecht Namen merken können – einschließlich Bergnamen. Ein paar wenige markante Landschaftsmerkmale sollte man sich aber doch einprägen und dann vor Ort dazulernen. Das erleichtert die Kommunikation ungemein: „Wo bist du?“ – Schweigen – „Wo bist du?“ – Schweigen. Dann: „55 km vom Flugplatz weg. Östlich.“ So funktioniert das nicht. Umgekehrt kenne ich auch Piloten, die jeden Hügel beim Vornamen kennen und auf die Frage nach der Position mit eben diesen Namen um sich schmeißen. Auch in diesem Fall weiß hinterher niemand, wo der Kollege ist oder war.
Das „Dach Europas“, der Mont Blanc
Die zweite Abflugvariante führt nach Norden mit dem Fernziel Mont Blanc und ist eine Alternative zum Standardweg über Piolit und Guillaume an den Prachaval, den Hausberg bei St. Crépin. Auf diesem Standardweg umfliegt man östlich die Écrins mit ihren Viertausendern und hohen Pässen. Man nimmt aber auch einen großen Umweg in Kauf. Dies schmerzt… und außerdem habe ich gleich doppelt schlechte Erinnerungen an diesem Weg. Streift der Piolit einen nach dem langen Anflug vom Pic de Bure ab, so hat man prinzipiell zwei Optionen: Ins flache Gelände Richtung Gap abdrehen und später einen neuen Versuch starten oder der Bergkette weiter nach Osten folgen Richtung Tête de Lucy, Guillaume und letztlich St Crépin Flugplatz, den man üblicherweise sicher erreicht. Auf dieser Strecke gibt es eigentlich vielfältige Möglichkeiten, Thermik zu finden – falls die typische Brise sich einstellt und die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge hinaufweht. Falls man aber nur denkt, dass sie sich eingestellt hat, während in Wahrheit ein westlicher Gradient-Wind parallel zu den Hängen weht, dann geht es auf dem Weiterflug nach Osten kontinuierlich bergab. Dies endete für mich einmal in der Platzrunde von St. Crépin, wo ich eine Stunde lang kämpfte, um letztlich doch wieder hochzukommen und weiter ins Briançonnais vorzufliegen.
Das zweite Mal endete mein Ausflug auf dem UL-Landeplatz am Lac de Serre Ponçon – wenigstens konnte ich dort baden, bevor die Rückholer mich einsammelten… Trotz des erfrischenden Bades im herrlichen Bergsee bevorzuge ich seit diesem Erlebnis alternative Routen in den Norden 😀. Fast schon selbst ein Standardweg ist der Flug über den Pas de la Cavale, mit knapp 2700 m der niedrigste Pass über die Écrins. Vom Pic de Bure geht es hierfür zunächst den Höhenzug am Col du Noyer entlang. Dort findet man meist einen Aufwind, so dass man problemlos auf der anderen Talseite am Cuchon in die Écrins
einsteigen kann. Von hier geht es weiter die Gräte entlang Richtung Pas de la Cavale. Die Sorge, diesen nicht überspringen zu können und den weiten Rückflug nach Gap antreten zu müssen, hält wohl viele Piloten davon ab, diesen Weg zu wählen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Überflug fast immer im ersten Anlauf gelingt. Und falls nicht, so muss man keinesfalls den Rückzug antreten, sondern eine weitere Schleife entlang der sonnenbeschienenen Hänge liefert die fehlende Höhe. Hat man den Pas de la Cavale überquert, so öffnet sich das Briançonnais mit all seinen Optionen. Ein direkter Weiterflug zum Tête d‘Amont südwestlich der Stadt Briançon oder zum Tête de Peyron auf der östlichen Talseite sind die naheliegendsten Varianten.
Was ich hier eigentlich bewerben möchte, ist der Flug durch die westlichen Écrins. Vom Cuchon geht es schnurstracks nach Norden und über Les Deux Alpes weiter in die Savoyer Alpen. Diese Route wird aus mir unerfindlichen Gründen äußerst selten geflogen. Dabei ist sie landschaftlich wunderschön und der absolut direkteste Weg zum Mont Blanc.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Die doppelte Alpentraverse war unbestritten mein persönliches Highlight einer insgesamt tollen ersten Saison mit der JS1. Im Vorfeld des Kaufs hatte ich formuliert, dass ich „fliegerisch nochmal einen richtigen Schritt machen“ wollte. 1’000 km, große Flüge quer durch die Alpen: genau diese Dinge hatte ich dabei im Hinterkopf. Aber dass es so schnell gelingen würde, all dies umzusetzen, hatte ich nicht zu träumen gewagt.
Lag es alles am neuen Flieger? Ja und Nein… 1’000 km wäre ich mit der LS6 sicher nicht geflogen, die Alpentraverse dagegen wäre auch mit einem 15-m-Flieger gelungen. Überhaupt sind Spaß und Freude – und sogar sportlicher Erfolg im Segelflug nicht davon abhängig, dass man sich ein Flugzeug wie die JS1 leisten kann. Mit der LS6 habe ich über zehn Jahre ganz wunderbare Flüge gemacht und einige der tollsten Erlebnisse, an die ich auch nach Jahrzehnten noch zurückdenke, verbinde ich mit Flugzeugen wie Ka8, Ka6, Astir und ASW15; alles Fluggeräte für kleines oder sogar sehr kleines Budget.
Entscheidend ist, dass der Kauf des neuen Flugzeugs für mich ein ungeheurer Motivations-Schub war, der ganz neue Energien freigesetzt hat. Segelfliegen war schon immer mein liebstes Hobby und wurde auch von anderen sportlichen Leidenschaften wie Skifahren und Golfen nie verdrängt. Aber nach dem Erwerb der JS1 habe ich angefangen, mich intensiver mit Streckenplanung und allen anderen Aspekten zu beschäftigen, die es für „Rekordflüge“ (und seien es nur persönliche Rekorde) zu berücksichtigen gilt: Wetter, Luftraum, Studium von Streckenalternativen, Analyse von Flügen anderer… Es braucht auch Disziplin. Man muss die Chance ergreifen WOLLEN, den entscheidenden Tag rechtzeitig in der Wettervorhersage erkennen, sich bemühen, diesen Tag freizuschaufeln (was gerade bei mir oft nicht geht), dann alles weitere organisieren, die eigentliche Flugplanung vorbereitet in der Schublade haben, pünktlich am Flugplatz sein… wer eine Stunde zu spät startet, hat die Chance auf einen 1000er schon verspielt… es sind viele Puzzleteile, die zusammengefügt werden müssen. Und dann braucht man vielleicht auch noch das richtige Flugzeug.
Ich habe mir die Mühe gemacht, bestmöglich „auszurechnen“, was am 31. Mai (als ich die 1’000 km flog) für mich in der LS6 drin gewesen wäre. Ich war mit der JS1 nie tief, so dass ich auch mit der LS6 nie das Problem gehabt hätte, Thermik-Anschluss zu finden. Aus den Gleitzahlen, die ich mit LS6 und JS1 statistisch fliege, habe ich mir ausgerechnet, wieviel zusätzliche Meter ich mit der LS6 über den Tag hätte erkurbeln müssen (ca. 6’000!); aus dem durchschnittlich an dem Tag gekurbelten mittleren Steigen ergibt sich dann die Zeit, die ich zusätzlich kurbelnd verbracht hätte (eine knappe Stunde).
Aus diesen Rechnungen ergibt sich, dass ich mit der LS6 mindestens 850, vielleicht auch 900 km geflogen wäre. Mit Abstand mehr als ich je vorher erreicht hatte!
Ein weiterer Treiber für den Wechsel auf die JS1 war der Wunsch, eine Heimkehrhilfe zu haben, verbunden mit der Erwartung, dann raumgreifender zu fliegen, auch bei zweifelhaften Wetterlagen und auch in den „Tagesrandzeiten“, früh morgens und spät abends. Gebraucht habe ich den Jet über das Jahr nur bei drei Flügen, inklusive des Stunts Anfang März, der auf einer Wiese im Sauerland endete, da die Turbine nicht zündete. Trotzdem ist die „Rechnung“ aus meiner Sicht voll aufgegangen. Gerade im Frühjahr hätte ich mindestens zwei weitere Flüge ohne die Rückversicherung des Jetantriebs so nicht gemacht. Einfach, weil mir die Wahrscheinlichkeit einer Außenlandung zu hoch gewesen wäre.
Bleibt noch ein Blick auf die JS1 an sich, „stand-alone“ und im Vergleich zu Alternativen am Markt. Fangen wir mal mit dem Preis bzw. den „Kosten-/Nutzen-“, „Kosten-/Spaß-“, „Kosten-/ Leistungs“-Verhältnissen an. Wie so oft im Leben ist hier alles relativ. Die JS1 ist etwa fünfmal so teuer wie eine LS6. Hat man damit fünfmal so viel Spaß? Natürlich und zum Glück nicht! Hat man damit mehr Spaß? Ich finde schon 😀. Aber wie oben schon erläutert, kann man auch mit viel günstigerem Gerät das Segelfliegen in all seiner Faszination voll genießen. Und das ist gut so!
Hat man sich einmal entschlossen (und die Möglichkeiten), „so viel Geld“ für ein Flugzeug auszugeben, hat man immer noch die Qual der Wahl. Neu oder gebraucht? Doppelsitzer oder Einsitzer? Eigenstartfähig oder nicht? Welche Spannweite? Und schließlich: welcher Typ genau?
Neuflugzeuge haben zwei entscheidende Nachteile: erstens ewig lange Lieferzeiten von aktuell bis zu vier Jahren und zweitens: Sie sind noch teurer!
Doppelsitzer oder Einsitzer: Geschmacksache
Eigenstartfähig oder nicht: Man ahnt es sicher schon: wenn man eigenständig in die Luft kommen möchte, wird es noch teurer – und zwar nicht nur in der Anschaffung, sondern ganz wesentlich auch im Unterhalt. Zumindest die Anschaffungskosten hält man in Grenzen, wenn man auf einen Flieger der aktuellen Generation verzichtet und damit geringfügige Leistungseinbußen in Kauf nimmt. Allerdings: während der Flieger selbst fast unendlich lange hält, gibt das für die Motoren leider nicht. Und außerdem haben die vielfach verwendeten Zweitakt-Motoren einen großen Nachteil: Vibrationen! Das mögen auch einige Instrumente und andere Teile nicht. Unter dem Strich muss man also genau hinsehen, bevor man die Unterschrift unter den Kaufvertrag eines gebrauchten Eigenstarters setzt.
Und es gibt noch einen weiteren Nachteil dieser Bauart: Insbesondere mit „nur“ 18 m Spannweite haben Eigenstarter eine deutlich erhöhte minimale Flächenbelastung und damit einhergehend schlechtere Leistungen bei schwachem Wetter. Dies interessiert vor allem Wettbewerbspiloten, denn Meisterschaften werden oft an schwachen Tagen entschieden.
Unter dem Strich sollte man einen Eigenstarter wählen, wenn man maximal autark sein will. Solange ich an meinem Heimatflugplatz auch unter der Woche problemlos in die Luft komme, brauche ich keinen. Und dann ist -zumindest für mich- ein Flieger mit Heimkehrhilfe die bessere Wahl.
Welche Spannweite? Jetzt wird es kompliziert 😀.
Ganz früher gab nur zwei Wettbewerbsklassen: 15 m und die Offene. In der offenen Klasse war konstruktiv alles erlaubt, die 15 m Klasse war, nomen est omen, auf 15 m Spannweite beschränkt. Folgerichtig gab es auch nur zwei deutsche Meister und zwei Weltmeister. Je einen in der „kleinen“ und einen in der „großen“ Klasse. Schön übersichtlich. Anfang der 1970er Jahre gab es einen Disput über weitere Einschränkungen in der kleinen Klasse. Man wollte die Kosten begrenzen und diskutierte lebhaft, ob Einziehfahrwerk und Wölbklappen und derlei Dinge zukünftig erlaubt sein sollten oder nicht. Im Ergebnis machte man aus einer Klasse zwei. Neben der Standardklasse mit festem Profil und anfangs verbotenem Wasserballast war die FAI-15-m-Rennklasse geboren. In ihr war alles erlaubt. Nur die Spannweite blieb begrenzt. Diese Entwicklung freute die Hersteller und auch einige Wettbewerbspiloten. Nun gab es eine Möglichkeit mehr, Lorbeerkränze und Medaillen zu gewinnen.
Noch ein paar Jahre und mehrere Entwicklungsschübe weiter fragte man sich, was man denn mit den vielen gut erhaltenen, aber schon nach wenigen Jahren nicht mehr konkurrenzfähigen Flugzeugen der Standardklasse machen sollte. Flugs wurde die Clubklasse kreiert, in der die Heerschar dieser Flieger weiter an Wettbewerben teilnehmen konnte. Man fliegt in dieser Klasse „mit Index“, das heißt, dass Piloten mit einem besseren Flugzeug Strafpunkte bekommen. Dies führt mitunter zur kuriosen Situation, dass man mit einem leistungsschwächeren Flugzeug besser bedient ist.
Die Einführung der Clubklasse erfreute eigentlich alle. Die Flugzeuge blieben wertstabil und jetzt gab es schon vier Deutsche Meister gleichzeitig.
Wer denkt, nun sei es aber langsam genug mit der Einführung neuer Klassen – weit gefehlt! Zwischenzeitlich fanden immer mehr Segelflieger Spaß am doppelsitzigen Fliegen und es wurden auch leistungsfähige Doppelsitzer entwickelt. Eine tolle Sache! Leider passten diese aber in keine Wettbewerbsklasse. Also… Da waren es fünf Deutsche Meister.
Dann beobachtete man mit Sorge, dass die neuen Flugzeuge immer teurer wurden. Man wollte „die Industrie“ animieren, kostengünstige Einfachflugzeuge zu entwickeln – und schuf eine entsprechende Wettbewerbsklasse, die „Weltklasse“. Leider übersah man dabei völlig, dass es längst ein reichhaltiges Angebot günstiger Flugzeuge gab – gebraucht zwar, aber top in Schuss und unverwüstlich. Und die Clubklasse, in der diese Flieger eingesetzt werden können, gab es auch längst.
Last but not least – ich komme zum Ende- zeichnete sich in den 90er Jahren unumkehrbar der Trend zu motorisierten Segelflugzeugen ab. Fünfzehn Meter Spannweite waren aber zu wenig, um das zusätzliche Gewicht sinnvoll zu tragen. Die Offene Klasse hatte zwischenzeitlich Superorchideen mit bis zu 30 m Spannweite hervorgebracht. Mit überragenden Gleitleistungen, aber auch horrend teuer und unhandlich, am Boden wie in der Luft.
Was lag also näher, als eine neue Klasse zu schaffen: die 18m Klasse! Diese wurde tatsächlich ein großer Erfolg, brachte sie doch Flugzeuge hervor, die deutlich bessere Leistungen hatten als die 15-m-Flieger und die gleichzeitig viel handlicher waren als die großen Boliden der Offenen Klasse.
Wer richtig mitgezählt hat, kommt jetzt auf sieben Klassen, also sieben Meister im Segelflug. Lediglich die Weltklasse ist als Totgeburt zwischenzeitlich eingeschlafen. Da waren es nur noch sechs. Sechs Weltmeister, sechs Europameister, sechs Deutsche Meister. Das ist nicht vermittelbar. Wer ist denn nun der beste Segelflieger? Man weiß es nicht… mittlerweile gibt es übrigens auch massive Probleme, Ausrichter für all diese Wettbewerbe zu finden. Und sogar Piloten werden knapp. Leider wächst die Schar der Segelflieger weltweit nämlich nicht.
Mein „radikaler“ Vorschlag: Einstellen der Standardklasse und Rennklasse, alle Flieger mit 15 m in den Topf der Clubklasse einsortieren und mit insgesamt „nur“ noch vier Klassen weiter machen: Club, 18 m, Offen und Doppelsitzer. Das sollte niemandem zu sehr weh tun, auch den Herstellern nicht, die eh keine neuen 15-m-Flugzeuge mehr entwickeln und verkaufen.
Eine Entwicklung, die ausnahmsweise nicht zu einer neuen Wettbewerbsklasse geführt hat, habe ich noch gar nicht beleuchtet: Der Trend zu kleineren Flugzeugen in der Offenen Klasse. Dieser Trend hat zwei Quellen und mehrere Gründe. Zum Verständnis muss ich nochmal etwas ausholen: Die erste Generation von 18-m-Motorseglern basierte auf 15-m-Konstruktionen. Durch Ansteckohren wurde die erhöhte Spannweite ermöglicht und die Struktur der Tragflächen wurde verstärkt, um die erhöhten Lasten aufzunehmen. Bei der zweiten Generation, die vom ersten Strich an auf 18 m optimiert wurde, gingen die Hersteller dann zwei unterschiedliche Wege. Entweder sie boten eine 15m Option mit an, um mit dem gleichen Flieger auch in der Rennklasse antreten zu können, oder sie boten die Option, die Spannweite weiter zu vergrößern. Letzteren Weg ging erstmals Schleicher mit dem Eigenstarter ASH31, der es wahlweise auf 18 oder 21m Spannweite bringt.
Es zeigte sich, dass die ASH31 zumindest bei guten Bedingungen mit den Langohren der offenen Klasse mithalten kann. Bei echtem Hammerwetter, wenn sehr schnell vorgeflogen wird, ist sie sogar überlegen. Diese Erkenntnis animierte die Konkurrenz, kleinere Offene-Klasse-Flugzeuge neu zu konstruieren. Quintus und Antares 23 sind die Ergebnisse. Beide haben sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt.
Anders die JS1 (voilà!), die zunächst mit 18 m und dann mit 21m Spannweite auf den Markt kam und die schnell DAS Flugzeug in der Offenen Klasse wurde und diese nach landläufiger Einschätzung „wiederbelebte“. Waren doch die Platzhirsche ASW22 und Nimbus4 in die Jahre gekommen und im Neugeschäft komplett von den handlichen und doch leistungsstarken 18m Fliegern verdrängt worden.
Heute gibt es wieder echte Konkurrenz in der Offenen Klasse und die Hersteller verfolgen interessanterweise unterschiedliche Philosophien: Während Binder mit der EB29 weiter auf maximale Spannweite setzt, ist man bei Jonker überzeugt, dass das Optimum für die Offene Klasse bei 24 m Spannweite liegt und legt die kommende JS5 entsprechend aus. Schleicher wiederum glaubt, mit nur 20 m Spannweite und extrem schlankem Flügel das Optimum zu treffen. Es wird spannend werden! Vorläufig dominieren aber EB29 und JS1, wobei die EB29 bei den meisten Bedingungen wohl leicht überlegen ist.
Mit diesem Exkurs habe ich die Frage nach der Spannweite noch nicht beantwortet. Aber als Leser hat man sich indirekt vielleicht doch eine eigene Meinung bilden können.
Wer auf einen Motor verzichten kann, findet auf dem Markt eine riesige Auswahl gebrauchter 15-m-Flieger. Wenn es ein Motor sein soll, dann ist man direkt bei 18 m. Und für diejenigen, die sich nicht vor dem täglichen Rüstaufwand und der Unhandlichkeit scheuen, bieten ältere Offene-Klasse-Flieger viel Leistung und Freude für relativ wenig Geld.
Und dann gibt es noch die JS1: für mich das beste Segelflugzeug der Welt 😀. Gegenüber der „direkten Konkurrenz“ im gleichen Preissegment bietet sie den Vorteil, sowohl mit 18 m als auch mit 21 m Spannweite geflogen werden zu können und damit sowohl in der 18-m-Klasse wie auch in der Offenen Klasse voll konkurrenzfähig zu sein. Interessanterweise ist die JS1 zusammen mit dem Ventus3 im „Grand-Prix-Format“, wenn mit vorgegebener Flächenbelastung geflogen wird, sogar das überlegene Flugzeug in der 18-m-Klasse; besser als AS33 und JS3.
Die 21 Meter sind für mich ein echter Joker. In dieser Konfiguration hat die JS1 ein deutlich spürbares und auch wirklich ausfliegbares Leistungsplus gegenüber allen Konkurrenten mit „nur“ 18 m. Sie steigt noch besser und im Vorflug hat man auch bei hohen Geschwindigkeiten ein deutlich geringeres Sinken und damit überlegene Gleitleistungen.
„Erkauft“ wird dieses Leistungsplus durch höhere Seitenruderkräfte und eine gewisse Trägheit um die Hochachse. Dies ist – wenn man es denn überhaupt als solchen empfindet – der einzige Nachteil der JS1 – und wenn es einen stört, kann man immer noch mit 18m fliegen. Ich selbst habe mich mittlerweile vollkommen an diese Abstimmung gewöhnt und empfinde sie nicht mehr als Nachteil. Um die Längsachse ist die JS1 im Übrigen auch in der 21-m-Konfiguration wunderbar leichtgängig, thermikfühlig und wendig.
Das Jettriebwerk ist aus meiner Sicht ein echter Fortschritt gegenüber klassischen „Turbos“. Ausgefahren verursacht der Jet praktisch keinen zusätzlichen Widerstand. Damit gibt es keinen zusätzlichen Höhenverlust bis zum Anspringen des Triebwerks. Das bedeutet, dass man sich effektiv später für das Zünden des Triebwerks entscheiden kann und im Falle des Nicht-Zündens zudem ein Sicherheitsplus hat, da die JS1 mit voller Gleitleistung als Segelflugzeug weiter ihre Bahnen zieht. Läuft der Jet, bleibt es im Cockpit leise und vibrationsfrei. Zudem ist das Vorfliegen mit 140 km/h mit bis zu 1,5 m/s Steigen sehr angenehm. Sparsam ist der Jet nicht gerade, aber das ist aus meiner Sicht weder praktisch (Reichweite und auch das „Systemgewicht“ passen, da der Jet so leicht ist) noch ökologisch ein Problem. Schließlich soll der das Triebwerk ja nicht oft laufen. Wir haben 2021 bei 115 Flugstunden 40 Liter Diesel verbraucht.
À-propos Ökologie: Elektro-Motorsegler sind schwer im Kommen und das Angebot wird immer vielfältiger. Gebraucht gibt es allerdings nur die Antares und einige wenige Flieger mit FES-Antrieb. Alle anderen Muster sind zu frisch am Markt. Elektro-Motorsegler sind toll, aber auch nicht ohne Nachteile. Zu nennen ist hier vor allem das hohe Gewicht – das macht beim Aufrüsten keinen Spaß und wird bei schwachem Wetter zum Problem. Verlegt man die Batterien aus den Tragflächen in den Rumpf, wie Jonker das bei der JS3 macht, handelt man sich echte Zuladungs- und Schwerpunkt-Probleme ein. Nicht einfach.
Größter Pluspunkt des Elektroantriebs ist aus meiner Sicht keinesfalls die Ökobilanz. Hier lässt sich trefflich streiten, ob diese bei einem letztlich selten genutzten Freizeitspielzeug über die Lebensdauer vorteilhaft ist. Unbestreitbare Vorteile sind dagegen einfache Bedienung (bietet der Jet auch), einfache Wartung (bietet der Jet auch), Vibrationsfreiheit (bietet der Jet auch), Eigenstartfähigkeit (bei den meisten Systemen, bietet der Jet nicht) und Lärmarmut (bietet der Jet nur im Cockpit). Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich Markt und Technik hier entwickeln!
Nochmal kurz zurück zum Vergleich der JS1 mit Alternativen: Auch die JS2 als Nachfolger mit gleichen Tragflächen und neuem Rumpf wird die JS1 nicht alt aussehen lassen. Vielmehr bleibt die JS1 für alle, die keinen Eigenstarter brauchen, das leicht bessere Flugzeug: 720 kg statt 690 kg maximales Abfluggewicht, 11 kg statt weit über 20 kg schwere Aussenflügel, Wassertanks in den Aussenflügeln. Das sind in Summe Vorteile, die die Wertstabilität der nur 26 EASA-zugelassenen JS1 für viele Jahre gewährleisten sollten. Es gibt einfach nichts Besseres 😀.
Fortsetzung folgt. Nächstes Mal stelle ich typische Abflug-Routen in die Alpen ab Serres vor.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach der Landung in Isny gab es anerkennende Glückwünsche der wenigen Eingeweihten und ein freundliches „Hallo“ aller anderen Vereinskameraden. Erst langsam sprach sich herum, woher ich kam, und die Reaktion reichte von Erstaunen bis Unglauben. Man kann sich sicher vorstellen, wie euphorisiert und begeistert ich nach einem traumhaften Flug in traumhaftem Wetter aus dem Cockpit stieg. Typischerweise tauscht man sich nach so einem Tag am Lagerfeuer mit anderen Piloten aus, die Ähnliches erlebt hatten, schnackt über die besten Aufwinde des Tages, die Knackpunkte der Flüge, Geschwindigkeitsrekorde und Beinahe-Außenlandungen. Genau das hatte ich auch an diesem Abend erwartet. In Isny war die Stimmung aber seltsam anders. Es gab niemanden, mit dem ich mich derart austauschen konnte, da niemand an diesem wunderbaren Tag weiter als 50 km vom Flugplatz Isny weggeflogen war. Und das, obwohl durchaus viele gute und ambitionierte Piloten mit der Aussicht auf schöne Streckenflüge in den Alpen mit ins Fliegerlager nach Isny gefahren waren. Diese Konstellation machte meinen Flug in den Augen vieler sicher noch unglaublicher, es war aber vor allem eine irgendwie bizarre, auch ein wenig traurige Situation. Wie konnte das sein? Was war passiert?
Zwischenstopp in Isny
Die Erklärung ist so einfach wie bitter: Isny liegt knapp 30 km nördlich des Alpenrands und 30 km östlich des Bodensees. Während in den Alpen (und auch auf der schwäbischen Alb 60 km nördlich Isny) die Thermik brüllte, rührte sich in Isny in der vom Bodensee eingesickerten Luftmasse kein Lüftchen, gab es dort kaum den Hauch von Thermik. Erst am Nachmittag konnten einige Piloten in schwachen Aufwinden genug Höhe gewinnen, um bis Sonthofen zu fliegen und wurden dort mit dem nächsten Problem konfrontiert: mit fortschreitender Tageszeit wird in den Alpen bodennah immer mehr Luft in Richtung Alpenhauptkamm gesaugt, wo ein lokales Hitzetief entsteht. Dies unterbindet zunehmend die Thermik am Alpenrand, während es in den Alpen selbst fantastische Aufwinde gibt.
Bittere Bilanz: niemand hatte es an diesem traumhaften Tag von Isny aus in die Alpen geschafft! Damit war auch klar, dass am nächsten Morgen für mich der Einstieg in die Alpen der größte Knackpunkt des geplanten Rückflugs nach Serres werden würde. „Das kannst Du vergessen, hier kommst Du nie weg“ schallte es mir von einigen entgegen. Schöne Aussichten. Das hatte ich so nicht erwartet und kurzzeitig zweifelte ich am Gelingen meiner Pläne. Dabei gab es eigentlich keine Alternative zum Rückflug nach Serres. Auto und Anhänger standen 500 km Luftlinie entfernt. 500 km quer durch die Alpen bzw. viel mehr Kilometer um die Alpen herum. Wenn ich jemanden fände, der mich nach Serres fahren würde, – ich hatte vorab niemanden gefragt – dann würde es zwei volle Tage dauern, bis ich mit Anhänger zurück in Isny wäre. Und eine vernünftige Bahnverbindung gab es erst recht nicht. Nein: Es musste einfach klappen – und zum Glück habe ich Optimismus und Selbstvertrauen auch schnell zurückgewonnen. Ich würde mich bis Sonthofen schleppen lassen und von dort würde am Vormittag, lange bevor der Alpenhauptkamm zu sehr absaugt, der Einstieg gelingen!
Nachdem ich mir das so zurechtgelegt hatte und auch der F-Schlepper für den nächsten Morgen organisiert war, konnte ich das Abendessen und ein Bier in geselliger Runde genießen.
Einen Schlafplatz musste ich noch finden. Das zweite Bett im Wohnmobil meines Schwiegervaters war unerwarteterweise noch von meiner Schwiegermutter besetzt, die länger als geplant im idyllischen Isny geblieben war. So zog ich mit Luftmatratze und Schlafsack (alles im Flugzeug mitgebracht) ins Vereinsheim – und von dort weiter in die blitzblank gefegte Flugzeugwerkstatt, da das Vereinsheim selbst zur Schlafenszeit plötzlich von der videospielenden Jugend belegt war. Kein Problem dachte ich. Die Werkstatt war sauber, kühl, leise, mückenfrei. Was willst Du mehr! Ok, den zunächst gewählten Schlafplatz musste ich nochmal wechseln, da er im Sensorfeld des Bewegungsmelders der Beleuchtung lag – unpraktisch. Als ich endlich eingeschlafen war, wurde ich schon bald wieder wach. Das Ventil der Luftmatratze hatte sich geöffnet und direkt auf dem Steinboden schläft es sich schlecht. Dieses Spiel wiederholte sich leider noch zweimal bevor ich auf die Idee kam, die Luftmatratze umzudrehen. Mit dem Ventil Richtung Boden hielt die Luft für den Rest der Nacht. Nun stellte sich allerdings heraus, dass es in dem Raum noch einen zweiten Bewegungsmelder gab. Warum der erst jetzt ansprach, wird auf immer ein Rätsel bleiben. Ich war zu erschöpft, um mir nochmal einen neuen Schlafplatz zu suchen und versuchte es mit „ruhig liegenbleiben und nicht bewegen“ – mäßig erfolgreich. Als ich endlich schlief dauerte es nicht lange, bis ich laute Stimmen aus dem Bad nebenan hörte. Es gab tatsächlich Frühaufsteher, die schon um 5 Uhr den Tag begrüßten!
Nach dieser Nacht war ich leicht gerädert. Aber eine ausgiebige Dusche, ein starker Kaffee und ein ebenso starker Wille bewirken Wunder!
Während des ausführlichen Frühstücks in der angenehm Wärme spendenden Augustsonne musste ich länger mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) telefonieren. Natürlich hatte die diensthabende Mitarbeiterin andere Vorstellungen von einem ordentlichen Flugplan als der Kollege am Vortag und folgerichtig hatte sie meinen ersten Entwurf in der Luft zerrissen. Es war zum Mäusemelken.
Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten: Für den Heckkuller der JS1 war im Cockpit leider kein Platz und so musste ich den Schwanz anheben, um den Flieger aus der Parkbucht auszurangieren und in die richtige Position für den anschließenden Schlepp zur Startstelle zu drehen. Bei dieser Aktion war leider nur ein Flächenende besetzt – Personalmangel allerorten heutzutage 😀. Plötzlich gab es ein unschönes Geräusch… das Winglet der rechten Fläche hatte die Bespannung am Falken aufgeschlitzt und dabei selbst ein paar Kratzer abbekommen. Der Tag fing richtig gut an!
Endlich am Start hieß es erstmal Warten; erst auf den F-Schlepppiloten, dann auf auf einen Freiflieger. Sorry Luca, dass ich dann schon vor deiner dritten Landung selbst gestartet bin! Ich wurde einfach langsam ungeduldig. Über Isny rührte sich zwar wie erwartet kein Lüftchen, aber in den Alpen zeigten sich schon seit mindestens einer Stunde wunderbare Thermikwolken. Langsam sollte ich in die Luft kommen, auch wenn es außer mir scheinbar niemanden aus Isny Richtung Berge zog.
Wie geplant ließ ich mich durch die tote Luft bis kurz hinter Sonthofen auf 2’200 m MSL schleppen, immerhin 1’500 m über Flugplatzniveau. Einen solchen Rockefeller-Schlepp hatte ich noch nie zuvor gemacht, aber ich denke, jeder Euro war gut investiert 😀.
Meine Idee war, auf der Ostseite des Nebelhorns Anschluss an die hochreichende Thermik zu finden. Die Basis der vereinzelten Culumus-Wolken lockte aus geschätzten 3’000 m Höhe.
Ich glitt also auf die Rückseite des Nebelhorns und kreiste direkt neben dem Gipfelkreuz ein, als perfektes Fotomotiv für die zahlreichen Bergwanderer 😀. Leider entwickelte sich der kurzzeitige Vario-Ausschlag nicht zum erhofft starken Aufwind, und anstatt den Blicken der Ausflügler zügig nach oben zu entschwinden, flog ich den ganzen Grat mehrfach ohne nennenswerten Höhengewinn ab, machte hier einen Kreis und flog dort eine Acht.
So schnell wollte ich meinen Plan nicht aufgeben, vor dem Einflug in das zerklüftete Relief der Allgäuer Alpen bis an die Basis zu steigen. Letztlich musste ich aber nach etlichen vergeblichen Suchschleifen einsehen, dass ich hier nur Zeit vergeudete und tauchte schließlich Richtung Südosten hinter einem Almsattel ab und verschwand auf diesem Weg ohne weiteren Höhengewinn aus dem Blickfeld der zahlreichen Beobachter.
Ganz so bequem wie gedacht funktionierte der Einstieg in die Alpen also schon mal nicht. Immerhin konnte ich beim Weiterflug entlang der sonnenbeschienenen Bergflanken die Höhe halten. Ich war überzeugt, auf diesem Weg früher oder später in einen kräftigen Aufwind zu stolpern und schließlich wurde meine Geduld am Ramstallkopf belohnt. Hier stieg ich zum ersten Mal aus dem Gelände heraus und erreichte wenig später an der Rotnase (so heißt der Berg tatsächlich 😀) endlich die Basis. Damit war der Einstieg, um den ich mir im Vorfeld so viele Gedanken gemacht hatte, endgültig geschafft.
Nun ging es zügig über Wetterspitze und das Stanzertal nach Kappl im Paznauntal. Hier kletterte ich auf über 3’400 m, und von diesem Sprungbrett konnte ich direkt ins Unterengadin springen. Nun war ich wieder voll im Flow und es begann zu rennen, ganz ähnlich wie am Vortag.
Anstatt bis St. Moritz im Engadin zu bleiben, bog ich bereits am Piz Vadret, kurz hinter Zernez nach Westen ab. Es sah auch in dieser Richtung gut aus! Allerdings war die Basis insgesamt deutlich niedriger als am Mittwoch und so wurde jeder Grat zunächst zu einer Barriere, die es zu überspringen galt. Alternative Flugwege und Schlüsselberge dieses Streckenabschnitts war ich im Vorfeld wieder und wieder durchgegangen und so fühlte ich mich gar nicht in unbekanntem Gelände, obwohl ich zum ersten Mal hier unterwegs war.
Ich befand mich jetzt auf der „Königsdorfer Route“ während -wie ich mittlerweile weiß – „die Ohlstädter“ typischerweise das Engadin ganz hinauf fliegen, sogar über den Malojapass nach Italien springen und dann durch das Tessin queren.
Es gibt also immer Alternativen. Dass sich diese „lokalen“ Favoriten herausgebildet haben, ist auf den ersten Blick erstaunlich, eigentlich aber natürlich. Einer macht es vor, es klappt. Er selbst probiert es bei nächster Gelegenheit genauso – hatte ja auch beim ersten Mal funktioniert. Nun ist es schon „der Weg“. Die anderen Flieger am Platz schauen es sich ab „and here we are“: alle Ohlstädter fliegen so und alle Königsdorfer eben anders.
Ich ließ das Lenzer Horn rechts liegen und flog direkt den Piz Mitgel an. Von hier ging es weiter ins Hinterrheintal. Obwohl meine ganze Aufmerksamkeit dem weiteren Flugweg und dem Finden des nächsten Aufwinds galt, genoss ich bewusst die herrliche Landschaft und schoss einige Fotos.
Blick nach Westen zum Rheinwaldhorn. Ein wenig höher hätte die Basis schon sein können.
Der westliche Talabschluss des Hinterrheins baute sich nun als unüberwindbare Wand vor mir auf. Mir musste es gelingen, an der nördlichen Bergkette bis an die Wolkenfetzen heranzusteigen. Nur dann könnte ich am Gipfel des Rheinwaldhorns vorbei schlüpfen und direkt auf Kurs weiterfliegen. Tatsächlich gelang es, in schwachem Steigen ausreichend Höhe zu gewinnen und knapp über den Grat zu springen. Ich hatte nun den Flugplatz Münster im oberen Rhônetal als Zwischenziel einprogrammiert und flog ab hier fast auf der gleichen Spur wie am Vortag: an Ambri vorbei, über den Gotthardpass hinweg. Langsam rückte der Furkapass in Reichweite, allerdings sah ich ihn – wie eben schon den Gotthardpass- eher von der Seite als von oben. Hätte die Basis nicht einfach wenige hundert Meter höher sein können? Das war mir leider nicht vergönnt, aber irgendwie fand sich ein Weg zwischen den Felsen hindurch und plötzlich lag das Rhônetal offen vor mir.
Seen am Grimselpass. Gefühlt schon fast heimatliche Gefilde
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war zwar noch 300 km von Serres entfernt und hatte damit sogar den größeren Teil der Strecke noch vor mir. Aber ab hier kannte ich mich aus, ich fühlte mich hier fast schon zu Hause. Zudem war es erst Viertel nach Zwei, unglaublich früh am Tag eigentlich. Was sollte jetzt noch schief gehen? Dachte ich… und entschied mich wieder für die nördliche Talseite. Jetzt stieg es immerhin auf 3’500 m. Nicht allzu üppig für die bald anstehende Querung ins Mattertal, aber reichen sollte es wohl.
Ich wollte unbedingt vermeiden, wie zwei Tage zuvor tief bei Zermatt um Anschluss kämpfen zu müssen und hatte mir entsprechend Gedanken um die optimale Querung des Rhônetals gemacht – und dann ging doch alles schief. Man glaubt es kaum, aber ich habe tatsächlich das Saastal mit dem Mattertal verwechselt und entsprechend die Weisshorngruppe mit dem Dom. So ein Mist! Als ich meinen Fehler bemerkte, hatte ich bereits eine schöne Wolke und den dazugehörigen Aufwind links liegen lassen, weil er vermeintlich am östlichen Eingang des Saastals und damit weit ab vom Kurs stand. Außerdem hatte ich mir eine völlig unnötige Querung des Mattertals eingefangen und fand mich genau da wieder, wo ich nie wieder hinwollte: tief am Fuß des Doms. Noch ein paar hundert Meter tiefer als 48 Stunden vorher.
Ich haderte wirklich mit mir, als ich auf Höhe der Europahütte ein paar Suchkreise flog und dann eine Scharte weiter zur Kinhütte wechselte. Zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte ich, im direkten Blickfeld zahlreicher Bergwanderer, auf Augenhöhe mit Ihnen und fast zum Anfassen nah, Höhe zu gewinnen.
Fühlte ich mich dabei am Nebelhorn noch wie ein Adler, der majestätisch seine Kreise zieht, so war meine Gefühlslage nun eine völlig andere. Fast glaubte ich die Gespräche der Alpinisten im Cockpit zu hören: „Was macht der denn da? Soll das so sein?“ – „Das sieht nicht gut aus! Er gewinnt gar keine Höhe.“ – „Hoffentlich touchiert er nicht gleich einen Felsen!“ -„Dann wäre hier aber was los!“
Es dauerte geschlagene zehn Minuten, bis ich mich aus der Umklammerung der Scharte lösen konnte und endlich Höhe gewann. Zehn endlose Minuten, die sich mindestens wie eine halbe Stunde anfühlten. Glücklicherweise entwickelte sich aus dem zähen Nullschieber letztlich doch noch ein brauchbarer Bart, in dem ich auf fast 4’000 m klettern konnte. Ein letzter Blick nach unten – hier hatte ich gerade noch Achten fliegend an den Felsen gekratzt – dann richtete ich den Flieger auf und nahm direkt Kurs auf den Theodulpass, den fast 3’300 m hohen Übergang nach Italien zwischen Breithorn und Matterhorn. Kurz vorher nochmals etwas Höhe gewinnen – und dann hatte ich es mit Überfahrt über den Grat geschafft.
Zurück im Mattertal
Nun hatte ich etwas Muße, um den Vorbeiflug am Matterhorn zu genießen – zum Vierten und letzten Mal in diesem Urlaub. Ciao und hoffentlich bis zum nächsten Jahr!
Das Sperrgebiet um Aosta umflog ich – den Ärger von Dienstag brauchte ich nicht nochmal. Flugplan hin oder her. Der weitere Heimflug über die bekannte Route durch Vanoise, Maurienne und Briançonais verlief maximal entspannt und unspektakulär. Beim Blick nach Westen und Osten dämmerte mir allerdings, was für ein Wetterglück ich hatte. Zwischen Grenoble und Lyon sowie an der Grenze zum Turiner Becken standen schwere Gewitter, aber die Schneise dazwischen war extra für mich offengelassen worden – wenn Engel reisen 😀.
Bereits um zwanzig vor sechs rolle ich in Serres aus und werde von Thomas Reuß freudig begrüßt samt Finisher-Foto im Cockpit. Ein unglaubliches Erlebnis liegt gerade hinter mir.
Ein glücklicher Heimkehrer
Ich war einfach glücklich und hatte doch noch gar nicht verarbeitet, was da eben passiert war. Ein halbes Jahr später beim Schreiben dieser Zeilen bin ich immer noch restlos begeistert! Noch weiß ich nicht, ob die doppelte Alpentraverse für mich ein einmaliges Abenteuer bleibt oder nur der Auftakt zu einer Reihe spektakulärer Wandersegelflüge sein wird. Appetit auf mehr hat es auf jeden Fall gemacht!
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht schaue ich mir den Segelflugzeug-Markt etwas genauer an.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach einer erholsamen Nacht sollte es am Mittwoch endlich losgehen Richtung Isny. Spätestens nach der Erfahrung des Vortages war klar, dass ich für dieses Vorhaben nun auf jeden Fall einen Flugplan aufgeben würde. Auf dem Weg ins Allgäu gab es nur recht wenige Flugplätze und das waren dann eher Flughäfen. Wenn man dort landen musste, sollte man formal besser «sauber» sein.
Selbsterklärend ist die Aufgabe eines solchen Flugplanes leider nicht, zumindest nicht, wenn man es zum ersten Mal macht. Danke nochmal, «Brezn», für die Hilfe und Geduld mit mir!
Wofür gibt es das Ganze überhaupt? Vordergründig aus Flugsicherheits-Gründen. Wenn ein Flieger überfällig und unauffindbar ist, wird die Sicherheitskette gestartet. Über den Flugplan und den darin enthaltenen Zeitplan weiß man ungefähr, wo man suchen muss.
Nun gibt es aber mittlerweile wesentlich bessere Trackingsysteme und außerdem ist ein grenzüberschreitender Flug genauso gefährlich oder ungefährlich wie ein Inlandsflug, für den es keinen Flugplan braucht. Es geht also offenkundig eher um die Themen Lufthoheit und Grenzkontrolle. Die Staaten möchten auch im vereinten Europa immer noch gerne wissen, wer denn da in den eigenen Luftraum vordringt und was Derjenige vorhat.
Obwohl die Flugplanpflicht für grenzüberschreitende Flüge also nach meiner Lesart nicht wirklich der Flugsicherheit dient, ist es ganz wichtig, dass man einen einmal aufgegebenen und im Flug scharfgeschalteten Flugplan nach der Landung auch wieder schließt. Ansonsten wird nämlich wirklich die Rettungskette gestartet.
Der aktualisierte Wetterbericht bestätigte zum Glück auch am Mittwochmorgen, was sich schon seit Tagen angedeutet hatte. Es sah gut aus! Und um es vorwegzunehmen: es sah nicht nur gut aus, es war gut! So gut, dass einige im folgenden Flugbericht möglicherweise die spektakulären Elemente vermissen werden. Zumindest auf dem Hinflug nach Isny am Mittwoch (11.8.21) gab es keinen einzigen Hänger, keinen einzigen Tiefpunkt, keinen Moment, an dem der Erfolg des Vorhabens auf der Kippe stand. Es lief einfach! Anfangs hatte ich sogar noch Gesellschaft auf dem Flug, was ich sehr genossen habe. Mit anderen zusammen, bestenfalls im Team zu fliegen, macht einfach noch mehr Spaß!
Wie am Vortag ging es zunächst über den Pic de Bure und den Pas de La Cavalle und von dort auf direktem Weg über das Susatal in die Maurienne und die Vanoise. Auf dem Weg zur Grivola musterte ich aus sicherer Höhe nochmals genau die Felsen und Steine, an denen ich keine 20 Stunden zuvor in Ameisenkniehöhe um das Nachhausekommen gekämpft hatte. Diesmal lief alles glatt und an der Grivola selbst konnten wir sogar aus einem kräftigen Bart in den starken Aufwind einer vorgelagerten Welle wechseln. Wie im Fahrstuhl ging es hier auf über 5’000 m. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Hier wollte es mir jemand wirklich ganz einfach machen und nicht den kleinsten Spielraum für einen Rückzieher lassen.
In der Welle an der Grivola.
Zusammen mit Thomas in der LS5 und Gerd Spiegelberg in seiner Antares ging es von hier über dem Konvektionsniveau bis in die Schweiz. Am Dom machten Gerd und ich ein paar Kreise und querten von dort aus direkt auf die Nordseite des Rhônetals, von wo eine perfekte Wolkenoptik lockte. Thomas war zwischenzeitlich etwas zurück geblieben, während Gerd und ich im gestreckten Galopp am Aletschgletscher vorbei das Rhônetal hinaufjagten. Punkt 15:00 Uhr war der Furkapass erreicht, deutlich vor dem Zeitplan.
Wie üblich fiel die Basis östlich des Rhônetals ab und lag etwa gleichauf mit den höchsten Gipfeln. Das reicht und war sogar deutlich besser als befürchtet. Für den folgenden Streckenabschnitt zwischen Rhônetal und Engadin gibt es verschiedene Routenvarianten, aber keinen Königsweg. Vielmehr gilt es, das kleinere Übel zu wählen und bestmöglich die 100 km zwischen Furka und Oberengadin zu überbrücken. Die nördlichste Route führt über die Nordseite des Andermatter Beckens und weiter die nördliche Bergkette des Vorderrheingrabens entlang. Beim Blick auf die Reliefkarte bietet sich diese Route dem unbedarften Betrachter an. Ein fast durchgängiger Höhenzug, nach Süden ausgerichtet und damit am frühen Nachmittag optimal sonnenbeschienen, dazu gute Außenlande-Möglichkeiten um Andermatt und am östlichen Vorderrhein. Dennoch raten die Experten von diesem Flugweg eher ab. Das Andermatter Becken gilt allgemein als thermisch wenig ergiebig und der Vorderrheingraben auch als enttäuschend. Mutmaßlich, weil hier typischerweise „schlechte“ Luft vom Bodensee einsickert.
Eine mittlere Route führt die Südseite des Andermatter Beckens und des Vorderrhein-Grabens entlang. Hier verlaufen die Bergrippen von Nord nach Süd, sind die Hänge also nach Osten und Westen ausgerichtet. Man muss somit auf dem Weg nach Osten immer wieder die Bergrücken queren, was bei der üblicherweise niedrigen Arbeitshöhe mühsam ist.
Last but not least gibt es noch eine südliche Route. Am Nordrand des Tessins, mit Blick auf den Lago Maggiore und später den Comersee geht es auf der Nordseite der Leventina über Gotthard- und Lukmanierpass nach Osten. Nachteil dieser Streckenwahl ist insbesondere im Sommer das mögliche Eindringen feuchtwarmer Luft aus Italien. Solange man hoch genug bleibt, hat man aber immer die Möglichkeit, nach Norden auf die mittlere Route zu springen und hat damit eine Vielzahl von Optionen.
Bereits im Vorfeld hatte ich die südliche Variante zu meinem Favoriten auserkoren. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass ich all das hier kurz referierte Wissen über die Routenalternativen zwischen Rhônetal und Engadin „aus dem Internet“ und nicht aus eigener Erfahrung gewonnen habe. Ich selbst flog gerade zum allerersten Mal hier!
Konkret habe ich mein Wissen aus den detaillierten Berichten von Bert Schmelzer, Benjamin Bachmaier und Mathias Schunk bei Late Night Soaring. Danke hierfür an Bert und alle Beteiligten!
Wir wählten also die südliche Route an Ambri vorbei zum Gotthardpass, wo ich den letzten Bart mit Gerd zusammen kurbelte. Für ihn wurde es nun doch Zeit zur Umkehr und leider ließ er sich nicht überzeugen, spontan mit nach Isny zu fliegen. Der Abschnitt, auf dem ich mich jetzt befand, gilt als der Knackpunkt des gesamten Vorhabens. War der Einflug ins Engadin einmal geschafft, so wären die letzten 180 km ein Kinderspiel – so meine Rechnung. Aber die 100 km zwischen Furka und Samedan hatten es in sich. Entsprechend hatte ich meinen Flugstil nun umgestellt. Gas raus und oben bleiben, bloß keine Option verlieren durch zu schnelles Vorfliegen oder Stehenlassen eines vermeintlich zu schwachen Aufwinds.
Dank dieses verhaltenen Flugstils ging es ohne Stressmomente und erstaunlicherweise trotzdem zügig voran. Über das eindrucksvolle Hochtal am Rheinwaldhorn führte mich die Wolkenoptik direkt zum Lukmanierpass und weiter über den Julierpass nach St. Moritz. Wow! Was für ein Panorama!
Blick ins Engadin
Wie erhofft und erwartet lag die Basis hier 500 m höher, und so hatte ich in einem schönen Aufwind kreisend erstmal genug Zeit, um die Szenerie zu genießen, Fotos zu schiessen und mir über das weitere Vorgehen klar zu werden. Ich war bis hierhin wesentlich schneller vorangekommen als ich zu hoffen gewagt hatte. Wenn ich jetzt direkt Kurs auf Isny nehmen würde, könnte ich dort noch Kaffee und Kuchen bekommen. Aber das war natürlich nicht mein Ziel 😀.
Stattdessen lockte im Osten das Ortler-Massiv und vom Ofenpass führte eine wunderbare Wolkenstraße direkt dorthin. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Praktisch ohne Kreis jagte ich bis zum östlichen Ende des Ortler-Massivs und wieder zurück zum Ofenpass. Viertel nach fünf war es nun. Immer noch früh am Tag, aber jetzt sollte es genug sein und ich nahm endlich Isny ins Visier. Vom Ofenpass waren es noch gut 110 km und ich war fast 3’000 m über Platz. Endanflughöhe! So ganz traute ich dem Braten aber nicht. Ging es doch noch mehr als 70 km durch das mir hier unbekannte Hochgebirge – und das hat so seine Tücken. Der Endanflugrechner berechnet nämlich zunächst einfach aus der Entfernung zum Ziel, der
Ortler im Vinschgau
Polare des Flugzeugs und der Gegen- oder Rückenwindkomponente die Ankunftshöhe. Schön und gut. Was ist aber, wenn zwischen eigener Position und Ziel ein Berg steht? Einen Tunnel, durch den man hindurchschlüpfen könnte, gibt es vielleicht bei James Bond oder die Kingsmen, aber auch nur dort.
Neuere Streckenflugrechner lösen dieses Problem und geben zusätzlich an, wie hoch man über den kritischen Pass kommt. Aber auch das ist nur die halbe Miete. Wenn man irgendwo versehentlich „falsch abbiegt“, kann man sich Immer noch in einer Sackgasse wiederfinden bzw. muss einen Umweg fliegen, den der Endanflugrechner nicht berücksichtigt hatte. Zu diesen Effekten kommt noch hinzu, dass es gerade im Gebirge auch große Abwindfelder geben kann, die die schönste Endanflugberechnung schnell zur Makulatur machen.
So legte ich den virtuellen Schalter wieder um und flog im Modus „hoch bleiben“ vorsichtig weiter. Über dem Fimbatal kurz vor Ischgl erkurbelte ich noch ein paar zusätzliche Meter und genoss den Ausblick, der sich von hier bot: zurück ins Engadin, zurück zum Ortler, aber auch weit nach Westen, ins Inntal nach Osten. Einfach grandios! Zwischendurch ging der Blick auch mal nach unten, statt in die Ferne. Das Skigebiet unter mir kenne ich wie meine Westentasche; toll und eindrucksvoll, es mal aus dieser neuen Perspektive zu studieren.
Nach diesem kurzen touristischen Zwischenstopp richtete ich die Nase auf mein heutiges Ziel aus. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: ich hatte es geschafft! Und konnte den weiteren Flug vorbei am Arlberg und quer durch die Allgäuer Alpen völlig entspannt genießen. Dies ist eine wunderbare Gegend und meine Augen schweiften durch die von der Abendsonne wunderbar in Szene gesetzte Berglandschaft.
Arlberg
Kurz nach 18:00 Uhr war Isny erreicht. Fast 700 km quer durch die Alpen lagen hinter mir. So viele Eindrücke, so tolle Landschaften. Es war ein wahr gewordener Traum und die Realisierung schien mir fast unwirklich einfach, problemlos, selbstverständlich.
Erst im Queranflug bemerkte ich, dass das Fahrwerk noch eingefahren war. Das wäre es jetzt noch gewesen! Zum Glück habe ich den Fauxpas gerade noch rechtzeitig erkannt und korrigiert. Und bis eben hat es keiner gewusst :-).
Fortsetzung folgt mit dem Weg zurück quer durch die Alpen nach Serres.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Oder war da sogar noch viel mehr drin als „nur“ zur Furka zu fliegen? Schon lange träumte ich vom Wandersegelflug in den Alpen. Anstatt abends wieder nach Serres zurückzukommen, wollte ich möglichst weit in die Ostalpen fliegen und am nächsten oder übernächsten Tag wieder zurück.
Das waren aber lange Zeit Hirngespinste. Wie sollte ich das schaffen? Wie sollte das funktionieren, wo ich doch selbst propagierte, dass man sich ein Terrain wie die Alpen Stück für Stück erarbeiten muss. Bislang kannte ich die Welt nur bis zum nördlichen Ausgang des Mattertals. Der größte Teil der Alpen war für mich damit immer noch «Terra incognita».
Doch Rettung nahte aus einer völlig unerwarteten Ecke. Wir alle haben während der Covidkrise gelernt, die Möglichkeiten der online-Vernetzung wesentlich intensiver als Kommunikations-Mittel zu nutzen. So kam im Spätherbst 2020 auch eine Truppe aus Königsdorf um Matthias Schunk und Benjamin Bachmaier auf die Idee, das winterliche Alpenflug-Briefing des Vereins als Zoom-Meeting durchzuführen und für alle Interessierten zu öffnen. Was für eine grandiose Idee! „Late Night Soaring“ war geboren und entwickelte sich rasant schnell. Im zweiwöchentlichen Rhythmus teilen die Cracks des Alpensegelflugs die Essenz ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, berichten von den optimalen Routen, lokalen Hotspots, Aussenlandemöglichkeiten und Gefahren, teilen alle Tipps und Tricks. Für mich war und ist dies eine unglaublich bereichernde Fundgrube. Was ich mir sonst in vielen Jahren selbst hätte erarbeiten müssen, konnte ich jetzt in Stunden aufsaugen und verinnerlichen. Jede Session ein Puzzlestück, das sich mit den anderen Elementen zusehends zu einem Gesamt-Kunstwerk formte.
Natürlich kann ein derartiges virtuelles Training niemals die eigene praktische Erfahrung ersetzen. Hier muss man sehr vorsichtig sein! Ganz so grün hinter den Ohren war ich mit meinen vielen hundert Stunden Flugerfahrung in den Westalpen aber auch nicht mehr. Und so reifte über den Winter der Plan für den – für mich und meine Maßstäbe – ganz großen Coup: Während meines nächsten Fliegerurlaubs in Serres im August 2021 wollte ich versuchen, aus der Haute Provence über Savoyen, Matterhorn und Furka, Gotthard, Engadin, Paznauntal und Arlberg vorbei an Nebelhorn und Oberstdorf nach Isny im Allgäu zu fliegen – und – die aufmerksamen Leser werden es ahnen – am nächsten Tag zurück!
Gut vorbereitet fühlte ich mich irgendwann und doch weihte ich kaum jemanden in meine Planungen ein. Viel zu unsicher schien mir die Realisierung. Schließlich hatte ich nur ein Zeitfenster von einer Woche und die Wetterlagen, die über mehrere Tage ausreichend homogene Bedingungen entlang des ganzen Alpenbogens gewährleisten, sind rar gesät. Kurz vor meiner Abreise nach Südfrankreich wurde ich dann aber deutlich optimistischer. Die Mittelfrist-Vorhersagen legten nahe, dass sich in der zweiten Hälfte meiner „Serres-Woche“ ein Fenster öffnen könnte… und so verfolgte ich die Wetterberichte noch aufmerksamer als sonst und bat im morgendlichen Briefing immer mal wieder, die Alpenkarte auf zu zoomen und auch die Prognosen für die Nord- und Ostalpen zu besprechen. Das war schon verdächtig und bald ließ sich nicht mehr verheimlichen, was ich da vorhatte.
Zunächst wollte ich mich aber wieder an das Fliegen in den Bergen gewöhnen. Ich brauche doch immer ein bis zwei Tage, bevor ich mich auch tief am Hang wieder pudelwohl fühle. Diesmal kam das immer noch neue Flugzeug als Faktor hinzu. Sicheres Fliegen im Gebirge setzt voraus, dass man das eigene Flugzeug intuitiv beherrscht, dass man mit ihm verwachsen ist, weiß, wie und mit welcher Verzögerung es auf Ruderausschläge reagiert. Viele hundert Stunden Gebirgsflugerfahrung auf einem anderen Muster zu haben, kann in bestimmten Situationen sogar problematisch sein. So ertappte ich mich gleich zweimal dabei, dass ich beim Achtern und Kreisen am Fels unterbewusst eben doch mit der überragenden Wendigkeit der LS6 „rechnete“ und dann den Steinen ungewollt nahe kam – immer noch sicher dank eingeplanter Reserven, aber doch ein Adrenalinstoß, auf den ich gerne verzichtet hätte.
Am Dienstag sollte das Wetter erstmals einen Flug bis zum Furkapass ermöglichen. Noch weiter im Osten drohten allerdings großräumig Gewitter – nicht gerade ideal für die Realisierung meines Plans. Mittwoch und Donnerstag versprachen dagegen, homogen fliegbar zu werden, mit nur vereinzelten Gewittern am Donnerstag-Nachmittag in den französischen Ecrins. Nicht schön, aber hier kannte ich mich aus und ein Umfliegen wäre im Zweifelsfall sicherlich möglich.
Mittwoch sollte es also losgehen… langsam wurde es ernst und ich wusste nicht, ob ich nervös oder einfach nur voll freudiger Erwartung war. So oder so wollte ich den Dienstag nutzen, um mich ins unbekannte Terrain jenseits des Mattertals vorzutasten und damit zumindest einen weiteren Teilabschnitt des Weges nach Isny zu erkunden. Nach dem Start um kurz vor 12:00 ging es zügig über Pic de Bure und den Pas de la Cavale, Briançon, Bardonnecchia und das Modanetal in die Vanoise, über das Aostatal, durch das Valpelline weiter zum Matterhorn, das noch vor 14:30 erreicht war. Es lief wie am Schnürchen.
Pic de Bure
Am Dom, mit über 4’500 m der höchste Berg im Mattertal, ging es auf über 4’000 m hinauf und mit dieser Höhe entlang des Alpenhauptkammes, der in dieser Gegend die Grenze zwischen der Schweiz und Italien markiert, nach Osten. Hier herrschte ein starker Westwind, die Wolken waren deutlich niedriger und rotorhaft zerfasert. Nach Norden öffnete sich der Blick zum Aletschgletscher auf der gegenüberliegenden Seite des Rhonetals, auf Jungfrau und Mönch dahinter – atemberaubend!
Auch die Aletsch-Arena, das Skigebiet um Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp lagen mit ihren nun saftig grünen Pisten in meinem Blickfeld. Hier war ich mit meiner Familie noch im April die Hänge hinuntergewedelt und hatte nebenbei und etwas verstohlen auch den Flugweg durchs Rhonetal ausgekundschaftet. Meine Aufmerksamkeit galt nun eher der Strecke voraus. Fordernd genug! Und doch hatte ich auch noch genug Muße für die Schönheit der Hochgebirgslandschaft – und technische Kuriositäten wie Windenergieanlagen in über 2500 m Höhe. Unfassbar!
Aber in dieser Höhe gibt es Stauseen, gibt es Turbinen zur Stromerzeugung, gibt es Hochspannungsleitungen als Verbindung zur Zivilisation. Wind über den Pass gibt es auch fast immer. Was liegt also näher, als hier ein paar Windenergieanlagen zu bauen? Dass der Wind meist von schräg unten statt von vorne weht, dass die Luftdichte gering, die Turbulenz dafür aber umso größer ist, dass Vereisung alltäglich und die Logistik wahnwitzig sind… alles Herausforderungen und keine Hindernisse… kopfschüttelnd und fasziniert zugleich saß ich im Cockpit und schoss ein paar Fotos, während ich in der turbulenten Thermik um zusätzliche Höhenmeter kämpfte.
Wer genau hinschaut erkennt die Windenergieanlagen – mitten im Hochgebirge
Keine 30 min nach dem Vorbeiflug am Matterhorn und nach mehr als 300 km Strecke durch atemberaubende Szenerie erreichte ich um 15:00 Uhr den Furkapass. Ich konnte mich gar nicht sattsehen an dieser Landschaft, an Gletschern, Pässen und Hochtälern. Und doch war es Zeit, zu wenden und sich wieder gen Heimat zu orientieren. Im Moment der Umkehr ging der Blick nochmal noch Osten Richtung Horizont, versuchte ich zwischen den tiefhängenden Wolken den weiteren Weg ins Engadin auszumachen. Hier wollte ich morgen wieder vorbeikommen, bis hierhin würde ich mich dann schon auskennen – etwas wenigstens. Und dann läge die gleiche Strecke noch einmal vor mir. Weitere 300 km, sicherlich schwieriger, alles unbekannte Landschaft, vorbereitet nur durch Karten, Videos, Google-Earth.
Ich fühlte mich ein wenig wie bei einer Mount-Everest-Expedition. Hier am Furkapass hatte ich gerade das Höhenlager aufgeschlagen. Nun sollte es zurück ins Basislager gehen, zurück nach Serres, von wo aus am Folgetag der Angriff auf den Gipfel starten würde; mit dem Höhenlager Furkapass als wichtigem Zwischenziel.
Der Rückflug vom Furkapass „ins Basislager“ Serres gestaltete sich trotz kräftigen Gegenwindes zunächst ähnlich problemlos wie der Hinflug. Zurück im Mattertal gab es allerdings die erste negative Überraschung. Ich flog die sonnenbeschienene Ostflanke des mächtigen Dom-Massivs ab und war mir sicher, hier irgendwo auf einen kräftigen Aufwind zu stoßen.
Niente, nichts oder zumindest nichts, was ein Einkreisen gelohnt hätte. Immer tiefer glitt ich das Bergmassiv mit seinen ausladenden Querrippen hinab. Sehr beeindruckend, wenn man fast 2’000 Meter Fels, Schnee und Eis über sich hat, aber andererseits auch noch mehr als 1’000 m über dem Talgrund fliegt.
Sehr beeindruckend, aber genießen konnte ich den Augenblick kaum. Zu sehr kreisten meine Gedanken um die Fragen „Wohin? Wo könnte es hoch gehen? Doch umdrehen?“
Schließlich wechselte ich auf die westliche Talseite. Hier sind auf Höhe von Zermatt die Bergrücken weniger schroff, nicht vergletschert. Hier hatte ich schon in der Vergangenheit gute Aufwinde gefunden. Und auch diesmal wurden meine Hoffnungen nicht enttäuscht, musste die letzte Option, kleinlaut umzudrehen und aus dem Mattertal wieder nach Norden auszufliegen, nicht gezogen werden. Stattdessen ging es nach einigen Suchkreisen zügig aus dem Keller zurück ins Obergeschoss. Meine Anspannung wich schlagartig und schon einen der ersten Kreise im Steigen nutzte ich für ein recht beeindruckendes Foto des Matterhorns: von so weit unten wollte ich es aus einem Segelflugzeug nie wieder sehen! Da ahnte ich noch nicht, dass ich mich nur zwei Tage später in ganz ähnlicher Lage wiederfinden würde. Als hätte ich doch Spaß daran, das Mattertal im Tiefflug zu erkunden.
Matterhorn von Norden
Nun ging es aber erstmal weiter, vorbei am Monte Rosa und dem kleinen Matterhorn über den Pass nach Italien und durch den Valpelline Richtung Aosta. Alles in komfortabler Höhe und so ahnte ich nicht, dass der zweite Tiefpunkt meines Fluges nicht weit war.
Um zu erklären, wie es zu diesem Absetzer kommen konnte, muss ich etwas weiter ausholen: Am Flughafen Aosta sind Fallschirmspringer beheimatet und so gibt es um den Flugplatz eine kleine Sperrzone, die bei Bedarf aktiviert wird, um die Springer zu schützen. Es ist tatsächlich schon passiert, dass ein Springer im freien Fall eine Tragfläche durchschlagen hat. So eine temporäre Sperrzone macht also Sinn.
Dummerweise führt der direkte Weg aus dem Valpelline in die Vanoise genau über den Flugplatz Aosta und somit durch diese Sperrzone. Einen Umweg wollte ich nicht fliegen und so fragte ich unschuldig auf der Flugplatzfrequenz, ob Fallschirmsprungbetrieb stattfände oder nicht. Statt der erwarteten kurzen Antwort folgte der längste und aufreibendste Funkverkehr meiner Karriere… Ich merkte sofort, dass ich den Lotsen regelrecht aufgeschreckt hatte. Er wollte nicht nur genau wissen, wo ich war, wie hoch ich war und wohin genau ich wollte, sondern auch wo ich herkam, wie ich heiße, und und und. Immerhin erkannte ich schnell, warum der Lotse so nervös war, kreuzte doch auf exakt meiner Höhe ein größerer Learjet meinen Flugweg mit Ziel Mont Blanc; offensichtlich ein Sightseeing-Flug.
Hatte ich etwas falsch gemacht? Eigentlich nicht, ausser… ich befand mich auf einem grenzüberschreitenden Flug. Aus Frankreich durch Italien in die Schweiz und wieder zurück. Für einen solchen Flug muss man einen Flugplan aufgeben, was ich nicht getan hatte. Kein Segelflieger dieser Welt gibt einen Flugplan auf, wenn er plant, wieder auf dem Startplatz zu landen. Und auch die Luftaufsichtsbehörden wollen nicht täglich hunderte Flugpläne von Segelfliegern bekommen und administrieren.
Bei der Nachbesprechung in Serres haben mich viele ungläubig angeschaut. Wie könne man nur so blauäugig sein und Aosta anfunken. Das kann nur Ärger geben… Diese Einstellung macht mich fast wütend, zumindest trotzig! Und tatsächlich kam nichts hinterher, kein Bußgeld wegen fehlendem Flugplan oder Ähnliches.
Den Einstieg in die Vanoise hatte mir die Aktion aber auf jeden Fall verdorben. Während ich in einem ruppigen Bart an der Grivola um genau diesen Einstieg kämpfte, schlug ich mich im Funk noch immer mit dem Lotsen von Aosta herum. Das lenkte nicht nur ab und nervte, vielmehr verspürte ich auch den starken Drang, möglichst schnell möglichst weit weg zu kommen und buchstäblich hinter den sieben Bergen zu verschwinden. Das tat ich dann auch und stieg hierfür flugs aus dem widerspenstigen Aufwind aus. Ab in den «Funkschatten».
Allerdings ist es nie und nirgendwo eine gute Idee, tief ins ansteigende Gelände zu fliegen. Der Talgrund kam immer näher, die Bergflanken links von mir wurden immer höher und der Pass voraus am südlichen Talabschluss schlicht unüberwindbar. So ein Mist!
Ich entschied mich, das Tal zu queren und in das Hochtal Richtung Col de Nivolet einzufliegen. Hier würde der Osthang durch den kräftigen Westwind frei angeblasen werden – es konnte dort nur hoch gehen. Frohgemut bog ich um die Ecke und landete in fünf Meter pro Sekunde Fallen! Hier stimmte etwas nicht! Offensichtlich lag ich mit meinem Windmodell massiv daneben! Also flugs umdrehen und zurück zu der Querrippe, an der ich zuletzt durch schwaches Steigen geflogen war. Hier war jetzt echte Bodenakrobatik angesagt.
In solchen Momenten muss man alle Gedanken an den weiteren Flugweg nach Hause weit von sich schieben. Genauso wenig darf man darüber grübeln, was einen in diese bescheidene Lage gebracht hat. Alle Konzentration gilt dem Hier und Jetzt, dem sauberen Achten fliegen am Hang, dem bestmöglichen Ausnutzen des mageren Aufwinds. Und tatsächlich: die Mühe wurde belohnt. Kaum 20 min später schaue ich wieder zu den Gipfeln hinab anstatt herauf, wird der Flugweg jenseits des eben noch unüberwindlichen Passes geplant. Von hier sind es noch knapp 150 km nach Hause, aber aus 4’000 m Höhe ist es fast schon ein gestreckter Endanflug und so lande ich schon eine gute Stunde später voller Eindrücke und auch ein wenig erschöpft in Serres. Erschöpft, aber glücklich.
Später erfuhr ich, dass ich es an diesem Tag als Einziger bis zur Furka geschafft hatte. Ein wenig stolz war ich schon.
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht fliege ich aus Südfrankreich ins Allgäu und anderntags zurück.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Was kann nach der Erfüllung des 1’000-km-Traums noch kommen? – Ganz viel 😀. An Plänen mangelt es mir nicht. Einige werden noch etwas auf die Umsetzung warten müssen, wie das Vorhaben, von Langenfeld über Eifel, Saarland, Vogesen und Jura in die Seealpen ans Ziel Serres zu fliegen – und am nächsten Tag wieder zurück. Zweimal 850 km quer durch Europa über vielfältige Landschaften, leider auch durch vielfältige Lufträume und verschiedene Wetterzonen. Anspruchsvoll, aber mit guter Vorbereitung und passendem Wetter machbar. Den Hinflug stelle ich mir vergleichsweise einfach vor. Bei einem Start gegen 10:00 Uhr bleiben mindestens zehn Stunden bis zum späten Thermikende in den Alpen. Solch eine lange Flugzeit ist auf dem Rückflug kaum realistisch, da die Thermik in Südfrankreich in der Regel später startet und im Rheinland früher endet.
Alles Zukunftsmusik, anders als die doppelte Alpentraverse – ein weiterer Traum, den ich 2021 realisieren konnte.
Doch der Reihe nach: Das Fliegen in den Alpen ist ungleich anspruchsvoller, vielfältiger und noch viel schöner als das Fliegen im Flachland. Wer hat nicht schon davon geträumt, auf einem Berg stehend die Arme auszubreiten – und über die Hänge gleitend zu Tal zu fliegen. Oder besser: von Tal zu Tal, von Gipfel zu Gipfel, über Schluchten, Gletscher und Pässe. – Es ist genauso schön, wie man es sich vorstellt! Schön, aber auch gefährlich.
Barre des Écrins: “Von Gipfel zu Gipfel über Schluchten, Gletscher und Pässe„
Ein Faktor, der das Fliegen im Gebirge so anspruchsvoll macht, ist die Tatsache, dass man durchgehend in Bodennähe fliegt – in den Alpen, nicht über den Alpen! Ikarus wurde gewarnt, nicht zu hoch und nicht zu schnell zu fliegen. Dabei ist nichts sicherer als hoch und (ausreichend) schnell zu fliegen. Tief und (zu) langsam ist gefährlich!
Faktor 2 Ist das Thema Turbulenz. Im Gebirge gibt es neben der Thermik auch Hangaufwind und Wellenaufwinde, insgesamt also drei Aufwindarten. Toll! Analog gibt es aber auch drei Abwindarten – und in der Konsequenz Turbulenz.
Mont Ventoux – nicht nur für Radfahrer ein Sehnsuchtsziel
Immer ein Modell für den lokalen Wind im Kopf zu haben, ist der Schlüssel für erfolgreiches, entspanntes und sicheres Fliegen im Gebirge. Hat man das verstanden und umgesetzt, dann wird Alpenfliegen intuitiv und das Finden des nächsten Aufwinds sogar viel einfacher als im Flachland.
An einem sonnenbeschienen Hang, auf dem der Wind steht, muss es einfach hochgehen! Liegt der gleiche sonnenbeschienene Hang dagegen im Lee, dann wird es dort turbulent und ein brauchbarer Aufwind ist eher nicht zu finden. Liegt der absteigende Ast einer Welle gar auf diesem Hang, dann wird es massiv runter statt hoch gehen – und als Pilot versteht man die Welt nicht mehr. Dann hilft nur schnelles Abdrehen. Offensichtlich war das eigene Windmodell falsch! Nicht lange hadern, nicht lange hoffen, dass es gleich doch noch hoch geht… abdrehen!
Faktor 3 ergibt sich aus den eingeschränkten Landemöglichkeiten. Es gibt einige Flugplätze und es gibt einige Aussenlandefelder, die man kennen muss! Jederzeit muss man wissen, wo man landen könnte, wenn weder Plan A, noch Plan B, noch Plan C funktionieren. Ohne Landeoption darf man nicht weiterfliegen! Dabei kann das anvisierte Landefeld durchaus 50 km entfernt sein. Aus 3’000 oder gar 4’000 m Höhe kann man weit gleiten. Aber man muss wissen, wo das Feld ist, wie man dort hinkommt, dass man dort ankommt, wie man dort landet.
Außenlandung am Lac de Serre Ponçon
Und ganz schnell kann es passieren, dass alle bisherigen Pläne völlig unbrauchbar sind, weil sich die eigene Situation überraschend und rasant schnell verändert hat. Ein unerwartetes Abwindfeld verhindert das Überfliegen des sicher erreichbar scheinenden Passes. Plötzlich ist man im Talkessel gefangen. Jetzt muss man wissen, wohin das enge Tal führt, das als einziger Ausweg bleibt. Was einen dort erwartet, wo man dort landen könnte.
In 25 Jahren Alpenfliegerei bin ich übrigens erst einmal aussengelandet. Die Optionen, neue Aufwinde zu finden sind im Gebirge vielfältig und wenn man die Systeme versteht, sind die Chancen, nach Hause zu kommen, sehr hoch. Dennoch: Wer unbedarft durch die Berge fliegt, ohne die oben genannten Regeln zu beachten, lebt gefährlich.
«Spinnennetz» meiner Flüge in den Alpen
Zwei Punkte kommen zu den genannten noch hinzu: Zum einen die schnellen Wetterwechsel. Jeder Berg-Wanderer weiß, wie schnell sich in den Alpen ein Gewitter entwickeln kann. Im besten Fall kann man dieses umfliegen oder parken, bis ein Weiterflug wieder möglich ist. Wenn es dagegen großräumig zuzieht, steht eine Sicherheitslandung an. Und dann greift wieder das oben Gesagte. Schliesslich ist noch zu nennen, dass das Risiko einer Kollision in den Bergen deutlich höher ist als im Flachland; einfach, weil die Flugwege im Gebirge vorgezeichnet sind. An den sonnenbeschienenen Hängen im Luv fliegt jeder entlang. Hier ist es zum Glück in den letzten Jahren durch die flächendeckende Einführung des Kollisionswarnsystems Flarm zu einer deutlichen Entspannung gekommen. Zusammenstöße gibt es seitdem kaum noch.
Das Fliegen im Gebirge ist also anspruchsvoll aber eben auch wunderschön und erfüllend. Nach einer Woche komme ich immer mit aufgeladenen Batterien und voller Endorphine zurück. Es gibt nichts Schöneres!
Aletschgletscher
Der Einstieg ins Gebirgsfliegen ist auf verschiedenen Wegen möglich. An einigen Flugplätzen gibt es Kurse (beispielsweise in Samedan), man kann zunächst mit erfahrenen Piloten im Doppelsitzer fliegen oder sich auf eigene Faust mit der entsprechenden Vorbereitung langsam vortasten. So habe ich es selbst getan und etliche Jahre den „Sandkasten“ der provençalischen Alpen zwischen Rhônetal, Mittelmeer, Italienischer Grenze und den Ecrins beackert. Diese herrliche Landschaft ist so vielfältig und wunderschön, fliegerisch unglaublich abwechslungsreich und fordernd. Da wird es auch nach Jahren nie langweilig.
Konfluenz an der italienisch-französischen Grenze
Das Wetter tut sein Übriges dazu. Die Haute Provence gilt als Schönwetterinsel. Fliegerisch nutzbare Bedingungen gibt es eigentlich immer und doch ist kein Tag wie der andere. Mal bläst der Mistral und regt die klassischen Wellen- und Hangflugsysteme an, mal baut sich unter Hochdruckeinfluss das thermische Brisensystem auf, mal ist doch eher lokales Fliegen unter schwierigen Bedingungen angesagt. Nicht selten treten Wellen und Thermik auch nebeneinander auf. Dann genießen die einen den Blick auf die Welt von ganz oben, während die anderen lieber im Untergeschoss Strecke machen.
Das Mont-Blanc-Massiv – einfach nur beeindruckend
So lernt man mit der Zeit alle Ecken des „Spielplatzes“ unter verschiedensten Bedingungen kennen. Langweilig wird es nie, aber es locken natürlich auch Ziele jenseits des bekannten Terrains. So habe ich 2013 erstmals den Mont Blanc umrundet und bin zum Matterhorn geflogen. Diese Flüge werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Schon im Vorjahr fühlte ich mich reif für diesen Sprung in unbekannte Gefilde, aber nördlich der Ecrins hing durchgängig schlechtes Wetter.
Matterhorn – der Berg der Berge
Umso erpichter war ich nun darauf, endlich zu den beiden Traumbergen vorzustoßen. Statt auf die perfekten Bedingungen zu warten, nutzte ich die erstbeste Gelegenheit. Basishöhen von lediglich 3’300 m erlaubten es so gerade eben, über die Pässe der Vanoise zu springen und das Matterhorn konnte ich aus Ehrfurcht-einflößender Perspektive bewundern – von ganz tief unten.
Nochmal das Matterhorn. Was für ein Anblick!
Mit den Jahren wurden auch diese Flüge zu einer gewissen Routine – passende Wetterbedingungen vorausgesetzt. Ich lernte, die Konvergenzlinien an der italienischen Grenze zu nutzen, anstatt wie anfangs diese seltsam ausgefransten mehrstufigen Wolken zu meiden, die so gar nicht meinem Idealbild von einer gute Aufwinde spendenden Cumulus-Wolke entsprachen. Außerdem erkundete ich neben den bekannten Standardrouten neue eigene Wege und langsam, aber sicher wurde die ganze Gegend zwischen Modanetal und Rhônetal, zwischen Mont Blanc und Matterhorn Teil der mir wohlbekannten Spielwiese, auf der ich mich schlafwandlerisch bewegen konnte.
Der nächste große Sprung sollte zum Furkapass führen. Dies ist der östliche Abschluss des Rhônetals, der Übergang ins Andermatter Becken. 300 km Luftlinie entfernt von Serres, jenseits aller 4’000er der Westalpen ist „der Furka“ das Traumziel aller südfranzösischen Urlaubsflieger. „Wie oft warst du schon am Furka?“ – Leider noch nie. Aber das sollte sich als nächstes ändern.
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht fliege ich das erste Mal zum Furkapass, der Quelle der Rhône.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Mitte September ist das Jahr zwar noch lange nicht vorbei – aber fliegerisch wird nichts Großes mehr passieren und so ist es Zeit für einen ersten Rückblick. Was für ein Jahr! Und ich spreche nicht von Corona und anderen Ereignissen, die offizielle Jahresrückblicke prägen werden. Ich spreche von meiner ersten Saison mit der JS1.
Begonnen hat es nach dem nervenaufreibenden Weg zur Deutschen Zulassung mit Pleiten, Pech und Pannen – um sich dann fliegerisch fantastisch zu entwickeln.
Doch der Reihe nach.
Nach einem langen Winter war die Vorfreude auf die ersten Flüge mit dem neuen Flieger unbändig und so organisierte ich für den 6.3. zusammen mit ein paar anderen Verrückten Flugbetrieb. Sonne, Kälte und die erste Thermik lockten, aber das Sauerland wurde bei niedriger Arbeitshöhe gefühlt zum Hochgebirge und es dauerte nicht lange, bis ich tatsächlich den Jet starten musste – was leider nicht gelang! Plumps, da lag ich auf einer schönen Wiese im schönen Lennetal… super!
Trotz Jet außengelandet. Und das beim allerersten Flug des Jahres
Ewig war ich nicht mehr aussengelandet und nun bei der allerersten Gelegenheit mit dem neuen Flieger – trotz Jetantrieb! Im Rückblick bin ich übrigens überzeugt, dass ich einfach zu ungeduldig war. Ich hätte dem Motor 10 sec mehr geben müssen, um bei Eiseskälte auf Drehzahl zu kommen. Stattdessen habe ich den Antrieb komplett ein- und wieder ausgefahren, um nach einem erneuten vergeblichen Versuch in mittlerweile nur noch 150 m über Talgrund aufzugeben und mich auf die Landung zu konzentrieren – Anfängerfehler.
Die ersten sechs Wochen der Saison waren durch Kaltluft geprägt. Skisocken und Thermohosen bis weit in den Mai, Schauer meist als Schnee – und gute Thermik. Aber leider nie homogen und damit nicht für die ganz großen Flüge geeignet. 400 bis 500 km waren dennoch immer drin.
Besonders in Erinnerung behalten werde ich einen Flug von Langenfeld durch Eifel, Saarland, Pfalz und Hunsrück. «Zwischen Schauern, durch Schauer und um Schauer herum» war das Motto. Das ging schon vor dem Start los. Von Norden drückte eine massive Schauerlinie rein, die thermisches Fliegen in Langenfeld für Stunden unterbinden würde. Linksrheinisch war es aber laut Niederschlagsradar offen und so ließ ich mich schnell auf 600 m Höhe Richtung Rhein mitten in den Schneeschauer schleppen, um dann Richtung Dormagen dem Licht entgegenzugleiten. Dort erblickte ich nach wenigen Minuten tatsächlich die Sonne und konnte thermisch Anschluss finden. Die Sonnenminuten waren im weiteren Tagesverlauf allerdings an einer Hand abzuzählen und das Handy gab wegen „eingefrorenem Akku“ auch schnell den Geist auf. Und doch ging es thermisch richtig gut, wenn auch zunächst bis an den Eifelrand nur auf 700 m. Auch nach Süden sah es von dort einfach schaurig aus, aber im Funk hörte ich, dass ein Durchkommen möglich war und dass es zwischen den Schauern auf über 2000 m stieg. In dem Moment schien mir das geradezu phantastisch, aber genau so kam es und ich konnte fast im reinen Geradeausflug bis ins Saarland fliegen. Von da aus erwies sich der Heimweg über Rammstein und westlich am Hunsrück vorbei als etwas schwieriger. Aber unter dem Strich war auch der Rückflug problemlos- einfach ein toller Flug!
Auch ein Flug über den Niederrhein ins Emsland und auf dem gleichen Weg wieder zurück war bemerkenswert. „Grauthermik“ war hier das Stichwort. Unter einer massiven Cirren-Abschirmung entwickelte sich dank labiler Kaltluft brauchbare Thermik, die zumindest mit der Absicherung durch den Motor Streckenflug ermöglichte. Ohne Jet hätte ich den Flug wohl nicht gemacht, da die Wahrscheinlich einer Außenlandung einfach zu groß war. So war es ein wunderbares Erlebnis, mit vielen für mich neuen landschaftlichen Eindrücken. Am Niederrhein gibt es sehr idyllische Schlösser und Parklandschaften. Muss man alles auch mal vom Boden aus erkunden.
Unglaublich erlebnisreich und eindrucksvoll war auch der Flug am 14. Mai. Wieder Kaltluft, wieder massive Schauer aber auch wieder zwischendrin gute Thermik. Mein Plan war, der aus dem Westen vorrückenden Schauerlinie entgegenzufliegen, um dann umzudrehen, weit nach Osten zu fliegen und „irgendwie“ nach Hause zu kommen. So weit, so gut. Leider liess ich mich von Nils trotz mickriger Basis in die Eifel locken, anstatt rechtzeitig umzudrehen. Die JS1 ist zwar ein Gleitwunder, aber ansteigendes Gelände, Gegenwind und Sinken sind eine Kombination, die auch durch 21 m Spannweite nicht zu kompensieren sind. So ging es bald mitten durch einen Windpark. Zum Fotografieren fehlte mir leider schon da die Abgebrühtheit.
In dem Augenblick hatte ich noch die Hoffnung, aus Ameisenkniehöhe Anschluss zu bekommen und fokussierte mich auf diese Herausforderung. Aber wenig später musste ich kurz vor der Abbruchkante zum Rurstausee doch den Jet ziehen. Letztlich lief er nur geschätzte 30 sec, bevor ich in einen Aufwind einfliegen konnte. Ärgerlich, aber was soll’s.
Ähnliches wiederholte sich eine knappe Stunde später über Düsseldorf Urdenbach. Langen-Info hatte leider den Einflug in den Düsseldorfer Luftraum, der nötig gewesen wäre, um einen Schauer zu umfliegen und sicher nach Langenfeld zurückzugleiten, verweigert. In 200 m über Grund zündete ich unter einer mächtigen Congestus-Wolke den Jet, um nur Sekunden später einen Vario-Ausschlag zu registrieren, der nicht allein mit dem Düsenschub erklärbar war. Ärgerlich, aber was soll’s 😀. Ich hatte den Motor kaum eingefahren, da sah ich Nils im Arcus mit laufendem Triebwerk unter mir einsteigen. Am Abend erfuhr ich, dass er in der Eifel sogar mehrfach den Motor genutzt hatte… Nun hatte ich bereits zweimal den Jet genutzt, der Tag war eigentlich „kaputt“, aber es war erst 14 Uhr und nach Osten sah es gut aus und so entschloss ich mich, einfach weiter zu fliegen. Vorbei an etlichen Schauern ging es ohne weiteren Motorzünder noch bis fast an die Rhön und wieder zurück nach Langenfeld; immerhin 400 km weit. Never give up!
Zum Thema Pleiten, Pech und Pannen gab es allerdings auch jede Woche etwas Neues zu berichten. So schafften es Stefan und ich beim Ersteinsatz der IMI-Aufrüsthilfe, den Flügel gleich an beiden Enden anzuschlagen – Slapstick pur und zum Glück nur Lackschäden, aber trotzdem ärgerlich und teuer.
Einmannaufbauhilfe. Sehr praktisch, aber auch nicht ohne Tücken.
Man soll Fehler ja teilen, um anderen zu ermöglichen, nicht in dieselbe Falle zu stolpern. In diesem Sinne hier eine etwas ausführlichere Schilderung: Bei der IMI-Aufbauhilfe handelt es sich im Prinzip um eine rollbare Flügeltasche. Der Flügel wird im Schwerpunkt Nase nach unten in die Tasche gelegt; man fasst den Flügel an einem Ende (üblicherweise an der Wurzel) und schiebt ihn „durch die Gegend“. Zur Montage an den Rumpf wird der Flügel samt Tasche in die Horizontale gekippt. Das erste Malheur passierte beim „durch die Gegend schieben“. Der Vorplatz unserer Halle ist gepflastert und steigt leicht an, während der Hallenboden selbstverständlich eben ist. Schiebt man die Tragfläche aus der Halle, so hat diese „am entfernten Ende“ eine deutlich kleinere Bodenfreiheit. In unserem Fall gab es plötzlich unschöne Geräusche… um den Schaden zu begutachten, kippten wir den Flügel in die Horizontale. Während wir mit betretenen Gesichtern Malheur Nummer 1 inspizierten, kippte der Flügel plötzlich wieder in die Senkrechte und schlug mit der Nase auf der Führungsschiene der Hallentore auf! Ihr könnt Euch vorstellen, wie uns zu Mute war…
Schaden Nummer 1. Teure Lernkurve mit der Aufbauhilfe.
Entscheidend für diesen zweiten Unfall war folgendes technische Detail: die Flügeltasche wird über eine Achse mit dem Rollwagen verbunden. Um diese Achse sind Flügeltasche und Tragfläche drehbar. So weit so gut. Die Achse kann an drei unterschiedlichen Positionen in die Tasche eingefädelt werden: Vorn, Mitte, hinten. Je weiter hinten die Achse steckt, desto mehr neigt der Flügel dazu, auf die Nase zu kippen. Je weiter vorne die Achse steckt, desto einfacher kippt er in die Horizontale. Ich hatte zunächst die mittlere Position gewählt. Damit war mein Flügel aber immer noch Kopf- bzw. nasenlastig…
Vor dem Einharzen der losen Buchse müssen die Flügel perfekt ausgerichtet werden.
Nachdem diese Schäden repariert waren, ging eines Morgens der Zweite Hauptbolzen partout nicht rein. Das Flugzeug war nicht montierbar. Nach einigem Rätseln mussten wir feststellen, dass sich eine Hauptbolzenbuchse gelöst hatte – ich konnte es fast nicht glauben. Zum Glück war Christian Ludloff als versierter Werkstattleiter und Prüfer vor Ort. Nach zwei Stunden war die Buchse wieder fachgerecht eingeklebt. Fliegen konnte die JS 1 an dem Tag natürlich nicht mehr – die frische Verklebung musste erst noch aushärten. In der Halle stand aber einsam und verlassen noch eine Vereins-LS8, die nur darauf wartete, von mir bewegt zu werden. So wurde es auch fliegerisch noch ein schöner Tag – natürlich wieder mit Schauern und viel Wind… es war ja immer noch April.
Die Buchse ist in den Holmstumpf eingedreht – interessantes Designdetail
Das waren nur die beiden Highlights der Pleitenserie. Zusätzlich schlug ich mir an einem im Gras verborgenen Kanaldeckel noch das Flächenrädchen ab und zwischenzeitlich klemmte die Pedalverstellung, was im Flug sehr unangenehm sein kann und sich im konkreten Fall auch am Boden zunächst nicht beheben ließ.
Auch das noch: abgerissenes Flächenrädchen
Gefühlt war einfach immer was los…
Ende Mai zeichnete sich dann endlich das lange herbeigesehnte Hammerwetter ab. Schon am Samstag (29.5.) sollte es lokal sehr gut werden und auch für die Folgetage versprach der Wetterbericht einiges. Fleißig wurden alle verfügbaren Informationen gesammelt, Vorhersagen verglichen, Streckenalternativen gewälzt, mit anderen „Experten“ ausgetauscht und schließlich zu einem Gesamtbild verdichtet: Vereinfacht lautete die Empfehlung zur Streckenmaximierung „lege ein Vieleck entlang der von allen Wetterberichten optimal vorhergesagten Linien durch Ardennen, Eifel und Pfalz.“
Klein-Martín wollte es natürlich besser wissen und von Langenfeld aus ein großflächiges 1000-km-Dreieck über Aachen, Bundenthal im Pfälzerwald und Zell-Haidberg bei Hof fliegen.
Erstmals tankte ich ordentlich Wasser (140 Liter) und startete recht früh Richtung Westen. Bis Aachen lief es trotz Industriethermik zäh bei wirklich tiefer Basis. Hier hilft es natürlich, das Gleitwunder JS1 unter dem Hintern zu haben. Da kommt auch bei 700 m Arbeitshöhe kein Stress auf. Ab dem Eifelrand rannte es dann und ab hier wurde es ein wunderbar entspannter Genussflug. Bundenthal und auch Zell-Haidberg wurden im Zeitplan mit einer Schnittgeschwindigkeit deutlich über 100 km/h umrundet. Alles lief bis hierhin wie am Schnürchen.
Der Rückweg führte von Zell über den Thüringer Wald ins Sauerland. Und leider mitten ins abbauende Wetter. Leidensgenossen hatte ich genug. Keiner ist an diesem Abend durch das Sauerland durchgekommen und nach langem Kampf musste auch ich um 19 Uhr in der Platzrunde von Attendorn nach exakt 903 km den Jet zünden.
Eigentlich hätte es ab hier ein entspannter Heimflug werden sollen, aber ich musste es unbedingt nochmal spannend machen… Querab Halver zeigte der Endanflugrechner 300 m Sicherheit auf Langenfeld. In der Erwartung eines sorglosen Gleitflugs nach Hause fuhr ich den Motor ein; ein Fehler! Aus 300 m wurden schnell 250 m mit fallender Tendenz und erst jetzt realisierte ich, was ich mir besser schon vorher überlegt hätte: mit Gleitverhältnis 1:60, 30 km/h Rückenwind und abfallendem Gelände bedeuten 200 m Sicherheit, dass man die letzten 30 km gegen die tiefstehende Sonne in 150-200m über Grund fliegt – praktisch ohne Aussenlandeoptionen. Das war alles andere als eine verlockende Aussicht und so versuchte ich schnell, den Motor wieder zu starten. Leider vergeblich. Vermutlich waren einfach die Batterien nach 10 h Flug schon zu leer.
Ein geschicktes Batteriemanagement hätte hier geholfen. Eine der beiden Motorbatterien muss einfach während des Fluges geschont werden. So blieb mir die Wahl zwischen einer Sicherheitslandung in Wipperfürt oder dem Tiefflug nach Langenfeld. Ich entschied mich für letzteres. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass es wenige km vor dem Flugplatz einen schönen Acker im Wuppertal gibt. Sicher war der Weiterflug somit schon, aber doch unnötig nerven-aufreibend, zumal man den Langenfelder Flugplatz aus dieser Perspektive erst sehr spät sieht und erst dann einschätzen kann, ob „es passt“ oder doch im Wuppertal gelandet werden muss. Man kann sich vorstellen, wie angespannt ich die ganze Zeit war und wie sich die Anspannung löste, als ich den Flugplatz schließlich sicher erreichbar vor mir sah.
Leider löste sich nicht nur die Anspannung, sondern auch die Konzentration. Endlich zu Hause! Was folgte, war eine klassische Fehlerkette, die zum Glück nur peinlich aber ohne Schäden endete.
Doch der Reihe nach:
Der erste Fehler in der Kette war eigentlich schon vor Stunden passiert. Die JS1 hat drei Batterien. Zwei sind hinter dem Sitz angeordnet, speisen sowohl Avionik als auch Jet und werden nach dem Flug mit wenigen Handgriffen zum Laden ausgebaut. Die dritte Batterie versorgt nur die Avionik und sitzt unter der Sitzschale. Sie kann über einen Anschluss im Instrumenten-Brett geladen werden. Das hört sich praktisch an, ist es aber nicht, da man immer ein Ladekabel zum Cockpit führen muss und der Flieger zudem in der Regel im Anhänger übernachtet. Daraus ergibt sich, dass man gerne versucht, ohne diese dritte Batterie durch den Tag zu kommen. Wenn man sie nicht benutzt, muss man sie auch nicht laden. Wenn dann aber am Ende des Tages die beiden anderen Batterien zu leer sind, um den Jet zu zünden, hat man wenig gewonnen…
Fehler Nummer zwei lag auch in der Vergangenheit. Ich hatte mich nämlich schon früh entschieden, im langen gestreckten Endanflug mit Rückenwind zu landen. Wenn man darum bangt, den Flugplatz überhaupt zu erreichen, kommt man eher nicht auf die Idee noch einen Kilometer weiter zu fliegen und eine zusätzliche 180 Grad Kurve zu machen. Genau das wäre aber die deutlich bessere Entscheidung gewesen. Im Rückblick hätte ich die Entscheidung über die Landerichtung einfach bis zu dem Moment, in dem ich den Flugplatz sehen konnte, aufschieben müssen. Bei allem Zittern und Bangen um das Ankommen hätte ich schlussendlich genug Höhe und Energie für eine abschließende Platzrunde gehabt.
Stattdessen begann ich, nachdem der Flugplatz in Sicht gekommen war den direkten Endanflug und überquerte wenig später die Platzgrenze – deutlich zu hoch und deutlich zu schnell mit deutlichem Rückenwind. Entsprechend lang wurde die Landung und als ich endlich aufgesetzt hatte und die Radbremse aktivieren wollte, zog ich statt am Bremsklappenhebel am Wölbklappen-Griff – mit dem Ergebnis, dass ich wieder abhob, den Daktari spielte und nochmal 100 m später zum Stehen kam. Bis zum Waldrand waren es noch 150 m, Angst hatte ich in keinem Moment, aber es war einfach eine grottenschlechte Landung, wie sie mir wohl noch nie passiert war.
So stieg ich mit gemischten Gefühlen aus. Auf der Habenseite ein wunderbarer Flug, mein bislang weitester, raumgreifend durch (fast) ganz Deutschland. Andererseits waren da der Stress der letzten halben Stunde, die verkorkste Landung und der Ärger über die falsche Streckenwahl. Das Sauerland funktionierte an diesem Tag einfach nicht und das war absehbar. Nils hatte es besser gemacht. Er flog zunächst eine ähnliche Strecke ins Saarland und von dort nach Osten, drehte aber „schon“ in Würzburg und flog genau den gleichen Weg wieder zurück. Fast eine Stunde nach mir landete er glücklich mit 1’000 km auf der Uhr.
Da schwebt sie ein. Schönes Bild!
Am Sonntag flog Stefan die JS1 und ich schlief erstmal aus. Das war mehr als nötig. Weniger wegen des zehnstündigen, anstrengenden Fluges, sondern vielmehr, weil ich in der Nacht davor praktisch nicht geschlafen hatte. Das ist leider ein mir seit vielen Jahren bekanntes Problem. Ich schlafe fast immer sehr gut und erholsam. Auch vor Prüfungen oder anderen Großereignissen. Aber wenn am nächsten Tag ein „Rekordflug“ ansteht, bekomme ich kein Auge zu. Im Geiste fliege ich bereits und schaffe es nicht, den Kopf abzuschalten.
Nach einem ausführlichen Frühstück mit der Familie und anderen nicht-fliegerischen Freizeitaktivitäten checkte ich erst am Nachmittag beim Kaffee auf dem Balkon die aktuellen Wetterinfos und war plötzlich elektrisiert: Für Montag sah es richtig gut aus! Vor allem schien Langenfeld ausnahmsweise der ideale Startort zu sein. Früher Thermikbeginn im Bergischen Land und abends sollte es westlich des Rheins besonders lange thermisch aktiv bleiben. Insgesamt bot sich ein schönes 1000-km-Dreieck nach Südosten mit einem abendlichen Schlenker nach Aachen an.
Schnell sah ich in den Kalender – nur interne Meetings, die ich absagen konnte. Ein Blick zu Claudia – ok auch von Ihrer Seite. Ein paar WhatsApp-Nachrichten später war klar, dass es auf jeden Fall Flugbetrieb in Langenfeld geben würde. Allerdings fand sich zunächst kein F-Schlepppilot: Arbeit, gebrochener Arm, frische Impfung, Krankheit… es war wie verhext. Als ich mich schon damit abgefunden hatte, aus der Winde zu starten, sagte Günter zu, in der Frühstückspause für eine halbe Stunde rauszukommen. Danke nochmal Günter!
Montagfrüh rollte ich voller Tatendrang um 08:00 Uhr auf den Flugplatz. Diesmal hatte ich besser geschlafen, vielleicht weil es der zweite große Flug innerhalb von drei Tagen werden sollte. Da ist die Aufregung nicht mehr so groß.
Startbereitschaft hatte ich zunächst für 09:30 Uhr angepeilt. Das schien mir dann aber doch etwas optimistisch und ich bestellte Günter auf 10:00 Uhr um, was ich wenig später wieder bereute, da die ersten Quellungen schon ab 09:45 den ansonsten makellos blauen Himmel zierten.
So war ich letztlich eine gute halbe Stunde zu spät in der Luft. Das Bergische Land war bereits voll entwickelt und bot einen fantastischen Anblick. Über Wermelskirchen erkurbelte ich dennoch erstmal 500 zusätzliche Meter. Selbst mit der JS1 ist es keine gute Idee, tief ins ansteigende Gelände Richtung Osten zu gleiten.
Nach diesem ersten, klassischen Aufwind ging es bis zur ersten Wende südlich Kassel-Calden praktisch im reinen Delfinflug. Aus der Erinnerung hätte ich gesagt „ohne jeden Kreis“. 16 waren es dann doch – ich habe nachgezählt. Ein einziger Rausch, geradeaus unter Wolkenstrassen, weiter, immer weiter, praktisch ohne Höhenverlust. So hätte es endlos weiter gehen können – und sollen! Der Thüringerwald lag erst noch vor mir. Ich freute mich bereits darauf, mit Highspeed in großer Höhe die Kammlinie entlang zu surfen.
Aus diesen Tagträumen wurde ich jedoch jäh herausgerissen. Die Wolken wurden rasch weniger und der Thüringerwald war – komplett blau! Ich brauchte ein paar Kreise in schwacher Thermik, um mich vom Schock zu erholen und mir über das weitere Vorgehen klar zu werden. Sicher würde der Thüringer auch im Blauen gehen. Ich würde aber tief dort ankommen und dies schien mir wenig verlockend. So steuerte ich auf direkten Südkurs und flog vorsichtig tastend ins Blaue.
In diesem Moment hatte ich meinen Traum vom ersten 1000er aufgegeben und wollte einfach nur noch schön fliegen, nicht Aussenlanden und möglichst nicht den Jet ziehen. Andererseits sah ich aber auch keinen Anlass, beizudrehen und nach Hause zu fliegen. Der Tag war noch jung!
Und tatsächlich: Auch im Blauen gibt es Thermik! Und nach etwa 100 km südöstlich der Rhön kamen die Wolken wieder 😀! Mit jedem km wurde es besser und im Fränkischen stellte sich wieder echte Hammerwetter-Optik ein. Jetzt lief es wieder! Gerne wäre ich noch weitergeflogen, aber die Entscheidung zur Umkehr wurde mir vom Luftraum vorgegeben. Durch das Auslassen des Thüringer Waldes war ich insgesamt wesentlich weiter westlich geflogen als geplant und so machte sich vor mir der Truppen-Übungsplatz Grafenwöhr mit seinem Sperrgebiet breit. Hier ging es ohne größeren Umweg nicht weiter, was mir aber trotz der verlockenden Optik Richtung Südost nicht ganz ungelegen kann. Es war mittlerweile 14:50 Uhr und vor mir lagen 365 km zurück nach Langenfeld. Sicher würde es auf dem Weg wieder blau werden und der Weg führte durchs Sauerland, das ich vom Samstag noch negativ in Erinnerung hatte.
Nach der Wende genoss ich bewusst die idealen Bedingungen vorbei an Burg Feuerstein, Bamberg und Hassfurt – und erwartete gespannt das Wetter auf dem weiteren Heimweg. Wie befürchtet, wurde es wieder blauer mit riesigen Abständen zwischen den wenigen Wolken. Die hohe Basis und das Gleitvermögen der JS1 waren aber die richtigen Zutaten für einen insgesamt entspannten und schnellen Flug vorbei an Rhön, Vogelsberg, Gießen und Siegen zurück in heimische Gefilde. Um exakt 18:00 Uhr, viel früher als gedacht, flog ich am Langenfelder Flugplatz vorbei, 800 km auf der Uhr und den Einstieg in die Dormagener Industriethermik fest im Blick. Westlich des Rheins standen noch aktive Quellungen und ich sah durchaus die Chance, noch 200 km zu fliegen. Jetzt oder nie!
„Der Dormagen“ war ein echter Hammer. Nach einem recht tiefen Einstieg ging es mit über 3m/s bis an den Luftraumdeckel. Wunderbar!
Der weitere Weg nach Westen lief problemlos. Die Luftmasse war immer noch sehr aktiv und so ging es über Aachen und die belgische Grenze bis nördlich Spa. Wie ich später erfuhr, verfolgten unter anderem meine Eltern online meinen Flug, bangten um die Rückkehr aus Franken und staunten dann nicht schlecht, als ich immer weiter nach Westen flog, anstatt zu landen oder wenigstens in Aachen umzudrehen. Ähnlich ging es August, der mir bei Jülich entgegenkam, froh, endlich die Endanflughöhe nach Langenfeld zu haben. Auch er wunderte sich, als er beobachtete, wie ich unter ihm durch weiter nach Westen flog. Aber die Gelegenheit war einfach zu günstig und ich musste es versuchen, die 1’000 km voll zu bekommen.
Nach der Wende am Ardennenrand waren es „nur“ noch 100 km zurück nach Langenfeld. Aber es ging gegen den Wind, mittlerweile war es nach 19:00 Uhr und so oder so brauchte ich noch mindestens einen richtigen Aufwind. Hierfür bot sich das Kraftwerk Weisweiler an. Meine Enttäuschung war groß, als sich dort nichts Verwertbares fand. Weitersuchen und dabei Zeit und Höhe verlieren oder das 30 km entfernte Kraftwerk Fortuna ins Visier nehmen?
Braunkohlekraftwerk: Immer wieder eindrucksvoll
Ich entschied mich für letzteres. Über der Südostflanke des Tagebaus Hambach stand sogar noch eine schöne Wolke. An dieser Stelle brennt die tiefstehende Abendsonne im idealen Winkel auf die künstlichen Hänge der mehrere 100 m tiefen Tagebaugrube und induziert so auch zu später Stunde noch Thermikablösungen fast wie an einem Westhang im Gebirge.
Fast wäre ich der Versuchung erlegen, diesen Punkt anzusteuern, aber der Umweg wäre doch so groß gewesen, dass ich die Ankunft im Kraftwerksbart riskiert hätte, wenn sich der erwartete Aufwind am Grubenhang nicht eingestellt hätte.
Anflug auf das Kraftwerk Niederaußem Fortuna
So ging es im direkten Anflug mit optimaler Geschwindigkeit Richtung Fortuna. Ankommen werde ich über Kühlturmhöhe, aber wird es um 20:00 Uhr dort auch noch hoch gehen? Oder wird hier mein Flug 30 km vor dem Ziel und kurz vor Überschreiten der magischen 1000 km Grenze enden? Die Anspannung war enorm, und als ich endlich am Kraftwerk ankam, tat sich zunächst – nichts! Ein wenig Turbulenz, hier etwas hoch, dort dafür wieder runter. Unter dem Strich machte ich keinen Meter Höhe. Wäre ich mal doch an den Grubenrand geflogen…
So war Kämpfen angesagt! Höhe halten und auf die letzte Thermikablösung des Tages hoffen und Warten. – Nach endlos scheinenden Minuten fing ich tatsächlich an zu steigen. Nicht schnell, aber kontinuierlich, zuverlässig, unaufhaltsam! Meine Anspannung begann sich zu lösen, pure Freude machte sich breit. Ich hatte es geschafft!
Zu Hause nach 1004 km
20min später schwebte ich über dem Langenfelder Flugplatz aus. 10 Stunden 20 Minuten und exakt 1004 Kilometer nach dem Start. Im Ausrollen riss noch ein versteckter Betonschacht mein Flächenrad ab. Ein weiteres Kapitel der «Pleiten-Pech und Pannen-Saga». Aber das konnte meine Stimmung an diesem Abend nicht trüben. Kein bisschen!
>> Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht geht es das „Vorspiel zur Alpentraverse“.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach dem Energieschub durch das berauschende Flugerlebnis war ich bereit, mich den profaneren Dingen zu widmen. Die Entscheidung, die JS1 umzuflaggen, hatte ich schon vor dem Kauf getroffen. Theoretisch hätte ich die tschechische Registrierung behalten können, so wie ich es vor zehn Jahren mit der österreichisch-zugelassenen LS6 gemacht hatte. Jeder deutsche Prüfer kann ein in einem anderen EASA-Land zugelassenes Flugzeug prüfen. Der Schriftverkehr mit den Behörden erfolgt jedoch in Landessprache und so gut ist mein Tschechisch dann doch nicht 😀.
Anders sieht es mit den südafrikanisch zugelassenen Fliegern aus. Um diese prüfen zu dürfen, braucht man als Prüfer eine Zertifizierung durch die südafrikanische Luftfahrtbehörde. Die haben nur wenige in Europa, bspw. bei M&D oder in Terlet. Außerdem muss das Flugzeug teilweise einem Südafrikaner oder einer südafrikanischen Firma gehören, damit es dort zugelassen werden kann. Aus diesem Grund gehört ein winziger Anteil jeder ZS-zugelassenen JS1 Jonker Sailplanes. Im Alltag macht das alles keine Umstände und einmal im Jahr für die Nachprüfung zu M&D zu fahren, ist auch zumutbar. Aber es sind in der Summe doch Hürden und Konstrukte, die den Mehrpreis für eine EASA-zugelassene JS1 rechtfertigen. Und natürlich hat die EASA-Musterzulassung auch Geld gekostet, umgelegt auf das einzelne Flugzeug wohl 10.000 €. Das Argument, die nicht EASA zertifizierten Flieger seien technisch nicht auf vergleichbarem Stand, halte ich eher nicht für stichhaltig. Zwar war die EASA-Zertifizierung mit technischen Nachforderungen z.B. bezüglich Cockpit-Crash-Sicherheit verknüpft, diese halten sich aber insgesamt in engen Grenzen. Der Umstand, dass ältere Exemplare nicht unter die Musterzulassung fallen, hat weniger mit den technischen Unterschieden zu tun als mit der Tatsache, dass die Musterzulassung für den Hersteller M&D und nicht für Jonker Sailplanes gilt.
Der erste formale Schritt zur Verkehrszulassung in Deutschland ist die Reservierung einer Kennung beim LBA (Luftfahrtbundesamt). In meinem Fall war die Auswahl einfach, schließlich war der Flieger 2016 als D-KTVX mit deutscher VVZ zur Welt gekommen und erst nach der Musterzulassung zur OK 1551 umgetauft worden. Das alte Kennzeichen war tatsächlich noch frei und wird eilig reserviert.
Nun musste es noch ein-lackiert werden. Das sollte es schon sein. Die Folien-Alternative kam für mich eher nicht in Frage. Segelflieger sind hier etwas eigen. Eine Folienkante im Mikrometerbereich könnte empfindlich die Leistung stören und überhaupt – Nein. Um ein Angebot gebeten habe ich zunächst M&D, den Hersteller der JS1. Zum Glück saß ich beim Lesen der Offerte. Die Kosten hatten es doch in sich und außerdem gab es erst im Januar einen Termin. Dabei wollte ich die Sache doch schnellstmöglich hinter mich bringen. Optional wurde auch das Rundum-Sorglospaket angeboten:
Instandhaltungsprogramm, Programmierung von Transponder und ELT, deutsches ARC, Übernahme sämtlicher Zulassungsformalitäten. Alles zusammen für einen stolzen Preis – den es wert gewesen wäre. Aber da packte mich doch der Geiz – und der Ehrgeiz. Das würde ich doch wohl alles auch allein schaffen. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich sogar Lust drauf, mich in den Papierkrieg zu stürzen, mich darin zu beweisen, zu wachsen und zu lernen. Ich wusste natürlich nicht, worauf ich mich da einliess.
Zunächst habe ich mich auf der LBA-Homepage umgeschaut. Dort finden sich nicht nur Formulare und Vorlagen, sondern auch „Hinweise zum Antrag auf Ausstellung eines Lufttüchtigkeits-Zeugnisses und Eintragung in die Luftfahrzeugrolle“. Trotz des komplizierten Titels ein durchaus hilfreiches Dokument, das ich als Leitfaden für die weiteren Schritte nutzte. Nichtkenntnis oder Nichtbeachtung der „Hinweise zum Antrag auf Ausstellung eines Lufttüchtigkeits-Zeugnisses und Eintragung in die Luftfahrzeugrolle“ einschließlich aller zitierten weiteren Dokumente und Vorlagen wird umgehend bestraft. Wer zum Beispiel denkt, nach der Kennzeichen-Reservierung könne er munter mit der Lackierung beginnen, liegt grob falsch. Vielmehr muss die „Verordnung (EU) Nr. 748/2012 Abschnitt Q Absatz 21 A.801“ eingehalten werden. Diese schreibt nicht nur vor, wo auf dem Flugzeug die Kennzeichnung aufzubringen ist, welche Schriftarten und Farben erlaubt sind. Sie schreibt auch vor, wie groß diese Kennzeichen sein müssen. Einfach gesagt: Die Kennzeichen müssen größer sein als das Flugzeug! Da dies schwierig umzusetzen ist, kann (sorry: MUSS) man beim LBA eine Ausnahmegenehmigung beantragen, und zwar, bevor man lackiert. Weiterhin müssen Transponder-Code und ELT-Registrierung beantragt und die Geräte programmiert werden; Versicherungsnachweis, Eigentumsnachweis, die Löschungs-Bescheinigung aus dem Herkunftsland, ein gültiges ARC und einige Dinge mehr sind vorzulegen. So weit, so gut. Alles kein Hexenwerk. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Völlig unklar war für mich zum Beispiel, wie man das ELT programmiert. Für diejenigen, die davon noch weniger Ahnung haben als ich: beim ELT handelt es sich um einen Notfallsender. Im Falle eines Crashs wird ein Notsignal gesendet und so die Rettungskette aktiviert. Mitgesendet wird die Gerätekennung und in den entsprechenden Datenbanken sind dann weitere Informationen zum Flugzeughalter und zu Kontaktpersonen hinterlegt. Nicht nur praktisch, sondern im Zweifel auch lebensrettend. In den Alpen ist es schon mehrfach vorgekommen, dass vermisste Flugzeuge monatelang nicht gefunden wurden und eine Obduktion des oft in Schnee und Eis gut konservierten Piloten später ergab, dass dieser sicher überlebt hätte, wenn er nur schnell gefunden worden wäre.
Aber wie programmiert man das Ding? Ich habe erstmal beim Verkäufer angerufen und nach drei Versuchen den Mitarbeiter an der Leitung gehabt, der sich „damit auskennt“. Die Sache sei ganz einfach: ich müsse zunächst das Formular mit allen Daten ausfüllen (klar), dann eine Kaution in Höhe von mehreren hundert Euro überweisen (Aha), dann würde man den Dongle (die Älteren werden sich erinnern, was das ist) programmieren und damit könne ich dann zum Flugzeug-Elektroniker meines Vertrauens gehen, damit dieser das ELT programmiert. Danach könne ich den Dongle wieder zurückschicken und bekäme die Kaution wieder. Das klinkt nicht nur kompliziert, das ist auch kompliziert und teuer! Zum ersten Mal beschlich mich das Gefühl, dass ich vielleicht doch besser das Rundumsorglospaket bei M&D gebucht hätte…
Aber Aufgeben gilt nicht. Auf der Suche nach einem passenden Flugzeug-Elektronik-Prüfer kontaktierte ich Aeroconcept in Aachen und wurde an Stephan Wahl von Airmarin in Essen weiterverwiesen. Der bot mir an, alles in einem Schwung für einen Bruchteil der Kosten zu machen. Geht doch!
Für das aktualisierte ARC ging es zu DG-Flugzeugbau
Parallel kümmerte ich mich um Alternativen für die Kennzeichenlackierung. Gliderservice Novak in Slowenien hatte vor bald 20 Jahren meine LS6 lackiert. Eine Topadresse, aber über 1’000 km weit weg, Aeroconcept in Aachen kann man auch blind vertrauen, aber dort verdient man die Brötchen längst im Wesentlichen mit Rotorblatt-Reparaturen. Das Flugzeuggeschäft läuft nur noch als Hobby nebenbei. Man brauchte etwas länger für ein Angebot, aber als es schließlich kam, schien dieses Problem schonmal gelöst: Preis fair, Slot Ende November. Gebongt und bestellt.
Zwischenzeitlich hatte ich den Anhänger zugelassen und ein Instandhaltungs-Programm (IHP) geschrieben. Für Letzteres bitte nicht irgendein Beispiel aus dem Internet anpassen, sondern die aktuellen Vorlagen von der LBA-Homepage verwenden. So ein IHP ist eigentlich relativ schnell geschrieben und auf dem Weg lernt man einiges über sein Flugzeug. Überhaupt stecke ich plötzlich voller Energie und beschäftige mich intensiv mit Dingen, die mich früher eher weniger interessiert haben. Luftraumfragen zum Beispiel. Bislang war für mich bei Flügen von Langenfeld aus der Einflug nach Holland, Belgien oder Frankreich kein Thema. In den Niederlanden herrscht generell Transponderpflicht, der belgische Luftraum schreckt schon auf den ersten Blick nachhaltig ab und in Frankreich sieht es grenznah nicht viel besser aus. Bei näherer Betrachtung geht da allerdings viel mehr, als man denkt. Also auf in die Ardennen und nach Lothringen! Überhaupt Streckenplanung. Reliefkarten der Alpen zierten schon immer meine Büros, jetzt kamen mehrere neue dazu, einschließlich einer entsprechenden Deutschlandkarte. 1’000-km-Dreiecke in alle Himmelsrichtungen wurden detailliert geplant und optimiert. Man wird ja noch träumen dürfen! Und ohne entsprechende Planung wird das nie was.
Der onlinecontest (OLC) hat in den letzten 15 Jahren den Streckenflug revolutioniert und vieles positiv verändert. Es gibt aber auch ein paar negative Entwicklungen. Es werden nicht nur kaum noch Aufgaben angemeldet (das habe ich auch schon lange nicht mehr gemacht), die ganze Planung bleibt bei vielen auf der Strecke. Zumindest in meinem eigenen Verein beobachte ich, dass einfach losgeflogen wird, dem vermeintlich besten Wetter entgegen. Wenn es dann voraus blau wird oder auch nur die Basis sinkt, wird flugs der Kurs geändert oder umgedreht, immer Richtung bestem Wolkenbild. So optimiert man vielleicht seine Schnittgeschwindigkeit über die drei besten Stunden des Tages, ein wirklich herausragender Flug gelingt so aber sicher nicht. Dafür braucht man einen klaren Plan im Kopf einschließlich Zeitplanung.
Diese wird von hinten aufgezäumt. Wann muss ich wo spätestens den letzten Aufwind kurbeln? Wann muss ich spätestens an der letzten Wende sein, um eine Chance zu haben, diesen letzten Bart an der richtigen Stelle vor dem Thermikende zu erwischen. Wann muss ich spätestens an der zweiten Wende sein, um später rechtzeitig an der letzten Wende sein zu können? Wenn ich da schon zu spät bin, dann wird abgekürzt, also vorzeitig gewendet. Auch hier weiß ich genau, wann ich spätestens wo sein muss, um die verkürzte Strecke zu schaffen. In diesem Stil gibt es am besten auch noch Plan C. So kann man aus dem geplanten 1’000er einfach ein 900er, 800er, 700er machen. Wenn man zu spät in die Luft kommt auch schon vor dem Start. Klingt vielleicht komplex, ist es aber nicht, sondern vielmehr sehr praktisch und hilfreich.
Streckenvorbereitung
So habe ich schon immer meine bislang maximal 750 km langen Strecken geplant. Andere Dinge waren dagegen lange von mir vernachlässigt worden; nun stürzte ich mich umso mehr darauf. So bietet der OLC vormals ungeahnte Möglichkeiten, aus den Flügen anderer zu lernen. Das hatte ich nur nie genutzt. Jetzt fing ich an, die Position der Wellenaufwinde in den Westalpen für verschiedene Wetterlagen auszuwerten, Kurbelanteile, Vorflug-Gleitzahlen und Geschwindigkeiten zu vergleichen. Mit durchaus interessanten Ergebnissen. So fliege ich vergleichsweise langsam vor, schaffe es dafür aber, sehr hohe effektive Gleitzahlen zu erzielen, finde und nutze also gut tragende Linien. Das ist unter dem Strich ganz erfolgreich und einfach mein Stil.
Ich scheue mich nicht, tief runter zu fliegen, wenn es sein muss, aber „gewollt“ gehe ich nur auf halbe Konvektionshöhe runter. Das lässt einem immer Optionen. Wenn Plan A nicht funktioniert, ist immer noch genug Luft unter den Flächen, um auch noch die nächste Wolke zu erreichen. Trotzdem werde ich wohl an meinem Flugstil arbeiten müssen. Mit der JS1 muss man einfach schneller vorfliegen und mehr Wasser tanken. Dass ich das bislang eher selten in den Flächen hatte, lag allerdings eher daran, dass ich schlecht aus dem Bett komme. Lieber eine halbe Stunde eher ohne Wasser starten als mit vollen Tanks in der Schlange stehen. Auch das muss sich ändern 😀.
Meine JS1 mit neuem, altem Kennzeichen
Das Finale Während ich mich weiter intensiv mit allen Aspekten des Segelflugs beschäftigte und die sehr emp-fehlenswerten Blogs von Horst Rupp und Tijl Schmelzer verschlang, wurde mein Flieger bei Aeroconcept fertig und ich hatte tatsächlich alle Unterlagen zusammen, die ich für die Zulassung benötigte. Ein letztes Mal ging ich die Checkliste durch, kontrollierte alle Dokumente und schickte schließlich einen dickeren Umschlag Richtung Braunschweig.
Nun hieß es warten. Am 27. Dezember (tatsächlich!) kam eine eMail vom LBA, deren Inhalt mich doch auf dem falschen Fuß erwischte. Es gab eine ganze Reihe von Nachforderungen. Die schwerwiegendste betraf das tschechische ARC. Dieses wird nur 60 Tage nach Abmeldung des Flugzeuges in Tschechien anerkannt. Ich hatte den Antrag acht Tage zu spät eingereicht. Glückwunsch! Außerdem war der Prüferin aufgefallen, dass in den verschiedenen Dokumenten unterschiedliche Schreibweisen der Seriennummer verwendet werden. Das reichte von “108” über „1C-108“, „1C.MD108“ bis „1C.MD0108“, bunt durcheinander und auch zwischen den Dokumenten von M&D selbst nicht konsistent.
Das berüchtigte Kennschild
Die Auflage bestand darin, alle relevanten Dokumente anzugleichen, und zwar an die einzig wahre Werk-Nummer, die auf dem Kennschild. Dies ist die „1C.MD0108“ und sie steht exklusiv nur dort, auf keinem einzigen anderen Dokument! So ein… einiges an Arbeit bedeutete es auf jeden Fall. Ein neues Luftfunkzeugnis brauchte ich außerdem. Das aktuelle war zwar auf die D-KTVX ausgestellt aber nicht auf mich als Halter.
Nach dem ersten Schock machte ich mich an die Arbeit. Bei der Bundesnetzagentur war zwischen den Feiertagen tatsächlich eine sehr freundliche Mitarbeiterin im Dienst und so war das neue Luftfunkzeugnis als erstes im Kasten.
Das deutsche ARC, genauer die “gültige Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (EASA Form 15a, Form 15b oder Form 15c) mit dem Abzeichnungsvermerk des zuständigen Mitarbeiters des Luftfahrt-Bundesamtes” gestaltete sich etwas aufwändiger. Zwar kann jeder Prüfer für die JS1 ein ARC ausstellen. Die Fußnote dazu lautet jedoch „jeder Prüfer, der eine Zertifizierung für jetgetriebene Motorsegler besitzt“. Das ist aktuell noch längst nicht jeder. So fuhr ich an einem sehr frühen Januarmorgen durch Regen, Schnee und Sturm nach Bruchsal zu DG zu Sebastian Tschorn. Danke nochmal für die Unterstützung «Tschorni»!
Nach der erfolgreichen Nachprüfung und der Ausstellung aller Dokumente war die Sache allerdings noch nicht durch. Es fehlte noch der Abzeichnungsvermerk des zuständigen Mitarbeiters des LBA. Den gab es nach drei Iterations-Schleifen. Und dabei dachte ich, mein Instandhaltungsprogramm sei perfekt. War es aber nicht. Und natürlich war auch in dem neuen ARC die Werknummer wieder falsch…
Wie konnte es zu dem Wirrwarr der Werknummern kommen? Es gibt von der JS1 verschiedene Varianten. Neben der Urversion, die 2006 zum ersten Mal flog, die JS1B und die JS1C. Nach der Erteilung der EASA-Musterzulassung wurde aus der JS1C die JS-MD 1C. Die Werknummern sind durchlaufend, d.h. die „108“ ist die 108. jemals gebaute JS1. Aus mir nicht bekannten Gründen hat man bei Jonker aber entschieden, die Variantenbezeichnung mit in die Werknummer aufzunehmen. Es heißt also richtig „1C-108“. So ist meine JS1 am 12.7.2016 (an meinem 44. Geburtstag 😀) zur Welt gekommen. Zugelassen mit Deutscher VVZ als D-KTVX. Nach der Musterzulassung feierte das Flugzeug dann im Dezember 2017 einen zweiten Geburtstag. Auf Musterstand gebracht und durch Austausch von Verschleißteilen in Neuzustand versetzt, erfolgte die Wiedergeburt (Stückprüfung) als JS-MD 1C mit Baujahr 2017, neuem Kennschild und neuer Werknummer 1C.MD0108.
Das an sich dürfte schon recht einmalig sein und kann eigentlich nur zu Missverständnissen und Verwirrung führen. Zu allem Überfluss hat man offensichtlich bei M&D selbst vergessen, dass man auf dem Kennschild „0108“ eingestanzt hat. In allen Werksdokumenten heißt es „108“ und nicht „0108“.
Mitte Januar hatte ich schließlich in Rekordtempo alle revidierten und nachgebesserten Unterlagen zusammen. Das abgezeichnete ARC war auf dem Weg von der LBA-Außenstelle in die Zentrale und mein zweiter dicker Umschlag per Einschreiben nach Braunschweig aufgegeben. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen und doch blieb ich angespannt, bis ich tatsächlich Eintragungsschein und Lufttüchtigkeitszeugnis in den Händen hielt, exakt vier Monate nach dem „Jungfernflug“.
Ich fühlte mich mit den langersehnten Papieren in der Hand ein wenig wie Uys Jonker selbst nach dem Erhalt der Musterzulassung: so ein einfaches, profanes Stück Papier – völlig unangemessen für die Arbeit und den Aufwand dahinter. Und sogar eine gewisse Leere machte sich in mir breit wie bei einem Jungrentner nach dem wohlverdienten Eintritt in den Ruhestand. Was sollte ich jetzt tun mit der plötzlich gewonnenen Freizeit? – Aber keine Sorge: das war eher ein Scherz. Es gibt genug Projekte wie das Aufschreiben dieser Geschichte 😀und schließlich wird auch das Frühjahr kommen – mit Hammerwetter. Ich werde es genießen!
Das lang ersehnte Lufttüchtigkeitszeugnis
P.S.: Ich danke allen, die mich auf dem Weg zur JS1 und deren Zulassung unterstützt haben! Meiner Frau, die alles mit Langmut ertrug, allen Anbietern, die Zeit und Mühe in die Kommunikation mit mir steckten, Inhabern und Mitarbeitern von M&D, Aeroconcept, Airmarin, DG-Flugzeugbau und auch den Sacharbeitern beim LBA und der Bundesnetz-Agentur. Diese haben mir keinesfalls Steine in den Weg gelegt, sondern zügig und freundlich ihren Job gemacht. Es ist halt alles nicht trivial und es lauern ein paar Fallen. Zum Glück war Winter. Ich bin die Sache als sportliche Herausforderung angegangen und habe nie meine positive Einstellung verloren. obwohl ich mir anfangs alles einfacher vorgestellt hatte. Es hat mir sogar Spaß gemacht, mich in die Dinge zu vertiefen und zu lernen. Das wäre natürlich ganz anders gewesen, wenn ich das Flugzeug im März gekauft hätte und April, Mai, Juni, Juli an mir vorbeigezogen wären, ohne in die Luft zu kommen.
>> Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht geht es um den Start in die erste Saison.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Autor Martin Knops
Seit gut zehn Jahren sieht meine fliegerische Jahresroutine eine Woche in Serres bei Klaus Ohlmann vor, außerdem ein, zwei oder drei Überlandflüge zu Hause und eine Reihe von Fluglehrerdiensten. Mehr ist nicht drin, es reicht aber. Man soll schließlich nicht gierig werden und es gibt auch noch andere schöne Dinge im Leben.
Korrekt müsste es heißen: „Meine Odyssee zur JS-MD 1C – 1C.MD0108 D-KTVX“. Doch dazu später. Ich fliege seit vielen Jahren begeistert. Mit 14 habe ich angefangen, bin immer am Ball geblieben, wurde Fluglehrer, passionierter Gebirgsflieger, zwischenzeitlich ambitionierter Wettbewerbsflieger, seit 2010 glücklicher Besitzer einer LS6.
Meine geliebte LS6
Ein anderes Flugzeug war für mich eigentlich nie ein Thema. Die LS6 hat ein traumhaftes Handling, gute Flugleistungen, Wettbewerbe fliege ich aktuell nicht und wenn, dann hätte ich gerne gezeigt, was man mit so einem alten Schätzchen noch reißen kann. Auch einen Motor habe ich nie vermisst. Ich sah mich gerne als puristischen Segelflieger, der auch ohne Heimkehrhilfe große Strecken fliegt, meist nach Hause kommt und für den der Nervenkitzel des Außenlanderisikos irgendwie dazugehört. Aber wie sagte schon Adenauer: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“
Langsam stieg in mir doch der Wunsch auf, fliegerisch mit einem neuen Flugzeug nochmal einen richtigen Schritt zu machen. Dabei setzte sich in meinem Kopf fest, was mich an der LS6 alles stört: manuelle Ruderanschlüsse, kein Transponder und -ja, tatsächlich- kein Motor.
Auch ohne Motor fliege ich weiter als die meisten, denke nach vorne und nicht schon mittags an das Nachhausekommen, habe keine Angst, ins Blaue zu fliegen und bin insgesamt forsch unterwegs. Und doch ist in vielen Situationen die Handbremse leicht angezogen. Wer will schon der Depp sein, der bei schwachem Wetter draußen liegt, weil er dachte, dass es doch auch woanders gehen muss, wenn es am Platz geht. Wer will schon abends um acht neben dem Kraftwerk auf dem Acker liegen, weil er meinte, dass auch nach Thermikende die Kraftwerke noch zuverlässig ziehen? Die Versicherung im Rumpfrücken hilft doch ungemein, die Grenzen auszureizen und den inneren Schweinehund zu überwinden. Dass dies nicht zu Lasten der Sicherheit gehen darf, dass man trotz Motor immer eine Außenlandeoption haben muss, ist dabei selbstverständlich.
Faszination Gebirgssegelflug
Es sollte also ein Flieger mit Heimkehrhilfe, automatischen Ruderanschlüssen und Transponder werden. Aber wenn schon denn schon -so der nächste Gedanke. Ich wollte nicht insgeheim der LS6 nachweinen, wie ich das von einigen DG800 Piloten gehört habe und ja: ein richtiger Leistungssprung, das wär’s.
Die Entwicklung und Erfolge der Jonker-Brüder und ihrer Flugzeuge hatte ich schon immer am Rande verfolgt. Jetzt fing ich an alles zu verschlingen, was ich darüber an Lesestoff und Videomaterial finden konnte. Es ist ein modernes Märchen. Zwei Brüder aus dem hintersten Afrika arbeiten lange Jahre hart, akribisch, mit unglaublicher Zielstrebigkeit und Fachwissen an der Verwirklichung ihres Traums. Anfangs belächelt begeistern sie die Segelflieger rund um den Globus, heimsen einen Erfolg nach dem anderen ein und drehen die Welt der etablierten Hersteller auf Links.
Jahrzehntelang gab es keinen echten Leistungssprung mehr bei Segelflugzeugen. Der Leistungszenit wurde bereits vor 25 Jahren mit Flugzeugen wie ASW27 und Ventus 2 erreicht. Mit einer LS8, die eigentlich auf die LS6 von 1984 zurückgeht, kann man heute noch Weltmeister werden. Positiv gesprochen sind die heutigen Konstruktionen sehr ausgereift.
Man stelle sich vor, man wäre 1975 mit einem Flugzeug von 1950 angetreten, 1990 mit einem von 1965, 2000 mit einem von 1975 – alles unvorstellbar. Heute ist ein 25 Jahre altes Flugzeug absolut auf der Höhe der Zeit. Seit Mitte der 90er sorgte lediglich Spannweiten-Vergrößerung für mehr Leistung ohne echten technischen Fortschritt. Befeuert durch den Trend zur Motorisierung etablierte sich die 18m Klasse. 18m statt 15m Spannweite, 600 kg maximale Abflugmasse statt 525kg bedingen in Kombination einen Leistungssprung. Aber echter aerodynamischer Fortschritt – Fehlanzeige.
Und dann kamen die Jonkers mit einer kompletten Neuentwicklung (ok, der Rumpf erinnert stark an Schleicher, das ist eine andere Geschichte), selbst entwickelten aerodynamischen Profilen, einem auch qualitativ überzeugenden Gesamtpaket und haben für mehr als frischen Wind gesorgt.
Die JS-1C Revelation ist tatsächlich eine Offenbarung, besonders in der 21m Version. Gleitzahl 63 mit „nur“ 21m Spannweite, tolles, einfaches Handling auch bei hoher Flächenbelastung, lediglich 1,4 m/s Eigensinken bei 200 km/h. Und dazu der Jet-Antrieb: praktisch kein erhöhtes Eigensinken bei ausgefahrenem Triebwerk, Gutes Steigen bei hoher Geschwindigkeit, einfache Wartung. Ein Traum! Absolut und auch im Vergleich zur Konkurrenz. Nicht nur die „alten“ Spannweitenriesen, auch die parallel zur JS1 entwickelten Wettbewerber ASH31 und Quintus haben «keine Schnitte» gegen den neuen Flieger aus der afrikanischen Savanne.
Das Ziel meiner Träume: Die JS1
Der erste Schock für meine Frau war, dass ich mir überhaupt ein neues Flugzeug kaufen wollte. „Warum? Das Alte ist doch toll und Du warst immer zufrieden.“
Trotzdem fragte sie, welches es denn sein sollte. In meiner Begeisterung antwortete ich „Eine JS1, das beste Segelflugzeug der Welt“. Das war taktisch eindeutig die falsche Antwort. Ich sei größenwahnsinnig, bekam ich zu hören. Das Thema war erstmal erledigt.
Geholfen hat dann mein Schwiegervater. Der fand die Aussicht, demnächst selbst eine JS1 fliegen zu können, nicht sooooo schlecht. Und schließlich sei ein Segelflugzeug eine ganz gute Geldanlage, zumindest kein zum Fenster rausgeworfenes Geld.
Schon bevor das endgültige OK meiner Frau stand, fing ich an, mich umzuschauen und schlau zu machen. Neu gebaut wird die JS1 nicht mehr. Seit 2019 werden nur JS3 gefertigt, der neue 15m/18m Flieger von Jonker. Auch ein großartiges Flugzeug, aber deutlich teurer als eine gebrauchte JS1, die dank der 21m immerhin 7 Gleitzahlpunkte mehr hat. Ab 2022 kommt dann die JS2 als Nachfolger der JS1. Gleicher Flügel, neuer Rumpf, der dann auch einen Eigenstartermotor beherbergen kann.
Also kämmte ich den Gebrauchtflugzeugmarkt nach Kaufoptionen durch. Aus unerfindlichen Gründen scheinen diese immer im Schwarm zu kommen. Lange gibt es genau gar nichts, dann plötzlich mehrere Alternativen. Dabei gibt es bei der JS1 einiges zu bedenken. Die wurde bekanntlich in Südafrika entwickelt und zunächst nur dort muster-zugelassen. Die meisten der insgesamt 126 JS1 fliegen daher mit südafrikanischer ZS-Zulassung. Erst die letzten 26 ab 2016 gebauten JS1 fallen unter die EASA-Musterzulassung und können mit D-Kennung fliegen. Eine südafrikanische Zulassung schreckte mich nicht. Meine LS6 fliegt mit österreichischer Kennung, mein Auto fährt mit belgischem Kennzeichen. Das fand ich immer charmant, leicht exotisch, international: passt.
Der erste Kandidat war dann eine polnische JS1. Werknummer 106, Bombenpreis, EASA-zertifiziert. Dachte ich. Schnell stellte sich heraus, dass das Flugzeug nicht polnisch, sondern serbisch zugelassen war. Serbien ist nicht in der EASA. Hintergrund des Ganzen: Als der Flieger im Frühjahr 2016 fertig beim Jonker-Partner M&D in Friedeburg stand, gab es noch keine EASA-Zulassung. Die Flugzeuge flogen mit vorläufiger Verkehrszulassung und die maximale Anzahl an VVZ war bereits ausgeschöpft. Pech für den polnischen Kunden. Er sollte bis zur Musterzulassung warten oder… da kam die Sache mit der serbischen Zulassung ins Spiel. Die Serben hatten kein Problem mit der Anerkennung der südafrikanischen Musterzulassung. Super dachte nicht nur der Käufer. Super dachte 4 Jahre später auch ich. Mit serbischem Flieger wollte ich nicht fliegen, aber eine Ummeldung sollte ja wohl kein Problem sein. Denkste!
Der Verkäufer gab zu verstehen, dass er das auch schon versucht hätte, die Sache sei aber kompliziert. Nach einem Gespräch mit Keno Markwald von M&D verstand ich langsam, warum. Die südafrikanische Musterzulassung erfolgte für den Hersteller Jonker-Sailplanes, die EASA-Zulassung für den Hersteller M&D. Auf speziellen Wunsch des Kunden (Gründe siehe oben) war der offizielle Hersteller nicht wie 2016 üblich M&D, sondern Jonker. und um das Flugzeug unter den Mantel der EASA-Zulassung zu bringen, musste nachträglich der Hersteller geändert werden. Das könne man versuchen, aber das sei echt viel Aufwand und ob die Behörde das anerkenne, fraglich… Der Bombenpreis relativierte sich auch, verstand er sich doch exklusive 20 % MWST. Der polnische Verkäufer hatte das Flugzeug nicht privat, sondern über seine Firma erworben. Auf Flugzeug und Anhänger gab es Werbung für die Firma des Verkäufers. Das reichte dem Finanzamt wohl.
Trotz alledem blieb ich monatelang am Ball, mailte und telefonierte fleißig mit Verkäufer und Hersteller, überlegte, ob ich selbst eine Firma gründe, in die ich den Segler einbringen könnte, korrespondierte mit Steuerberatern und lotete aus, ob wenigstens die deutsche statt der polnischen MWST zur Anwendung kommen konnte, widerstand der Versuchung, „offiziell“ zu einem niedrigeren Preis zu kaufen, um Steuern zu sparen – und suchte parallel nach alternativen Angeboten.
Weitere Offerten fanden sich denn auch. Zunächst eine aus England. Der sehr sympathische Anbieter entpuppte sich als ehemaliger Drachenflug-Weltmeister, der im fortgeschrittenen Alter auf Segelflug umgesattelt hatte. Er hatte eine ASG29 an seinem Heimatplatz stehen und die JS1 im eigenen Hangar in Lasham, DEM britischen Segelflugzentrum. Seit Neuanschaffung war der Flieger erst 35 Stunden in der Luft gewesen, im Coronajahr 2020 kein einziges Mal. Daher der Verkauf. Der Preis schien ok, „Nein, Mehrwertsteuer werde nicht zusätzlich fällig“. Ein Blick in die Papiere zeigte dann aber, dass nicht der Verkäufer als Privatperson, sondern eine nach ihm benannte Firma Eigentümer war. „Hm“, da müsse er mal seine Assistentin fragen. Am nächsten Tag kam dann die Rückmeldung. Leider doch netto. Der Preis wurde daraufhin gesenkt, aber aus meiner Sicht nicht weit genug. Als wir uns nach einigem hin und her eigentlich handelseinig waren und ich bereits den Trip über den Kanal geplant hatte, kam eines Morgens ein ernüchternder Anruf. Leider habe er sich dazu entschieden, vorläufig gar nicht zu verkaufen. Er sei gesundheitlich angeschlagen und alles einfach zu viel im Moment. Vielleicht nächsten Sommer wieder. Ich war ganzschön baff und enttäuscht, aber ok, da macht man nichts. Für alle, die auch eine JS1 suchen, haltet die Augen auf…
Mittlerweile hatte ich ein gutes Gefühl für die aktuellen Marktpreise entwickelt. Eine EASA-Zulassung erhöht den Wert des Fliegers deutlich. Flugzeuge, die sich hierfür nicht qualifizieren, werden mit deutlichem Abschlag gehandelt oder – wenn der Eigentümer das anders sieht – wie «sauer Bier» vergeblich angeboten. Ich hielt die Augen offen und harrte der Dinge. Eine Schweizer JS1, letzte gebaute Werknummer, poppte auf und war nach 2 Tagen verkauft, wohl an einen anderen Schweizer, der dann auch keinen Zoll zahlen musste. Dann gab es da noch ein Angebot aus Frankreich. Deutlich überteuert, aber vielleicht war da über die Zeit was zu machen. Zwischen meiner Schmerzgrenze und der des Verkäufers, der es sich leisten konnte, im Zweifel eben nicht zu verkaufen, gähnte aber auch nach Wochen noch ein tiefer Graben.
Mitte September wurde eine weitere JS1 aus Tschechien bei Segelflug.de inseriert. Alles schien zu passen, aber die Annonce war schon drei Tage alt, als ich sie sah. So ein Mist, normalerweise schaute ich täglich nach Updates. Und tatsächlich: auf meine eMail bekam ich eine freundliche, aber enttäuschende Antwort: Ich sei Nummer 3 auf der Liste. Wenn Nummer 1 und 2 innerhalb von zehn Tagen nicht kaufen, käme man wieder auf mich zu. Ich machte mir nicht allzu viel Hoffnung, aber nach Ablauf der Frist kam tatsächlich die überraschende Nachricht, dass ich auf Nummer 1 vorgerückt sei.
Jetzt ging alles ganz schnell. Preisverhandlung, Austausch von Vertrags-Entwürfen und Personalausweis-Kopien, schließlich Abstimmung eines Besichtigungs- und Übergabetermins. Ein grenzüberschreitendes Treffen in Coronazeiten. Tschechien war gerade zum Hochrisikogebiet erklärt worden, aber acht Stunden Transit durch das Land ohne anschließende Quarantäne möglich. Also Treffen auf einem Flugplatz im Böhmerwald, gefühlt am Ende der Welt, weit ab der Zivilisation – fast unheimlich allein im strömenden Regen auf immer enger werdenden Sträßchen durch den immer dichter werdenden Wald. Schließlich öffnen sich die Wipfel zur freien Hochebene und darauf ein Flugplatz – Vereinsheim, Tower, Campingplatz, Anhänger, Hallen – und der Verkäufer samt Tochter und Flugzeug schon da. Beide sehr sympathisch, also Vater und Tochter. Der Flieger wie erwartet in einwandfreiem Zustand. 2017 auf der WM in Benalla, Australien mitgeflogen, danach zunächst fast nicht mehr bewegt. Es gibt halt noch eine EB29 und einen ARCUS im Familienfuhrpark, seit 2019 mit Sohn und mittlerweile 16jähriger Tochter, aber immerhin auch drei Piloten. Letztere hat die JS1 in 2020 dann auch aus dem Dornröschenschlaf geweckt und immerhin 180 Stunden bewegt. Schule war eh coronabedingt zu, also viel Zeit zum Fliegen. Entsprechend groß war der Trennungsschmerz, wobei die im Frühjahr 2021 zur Auslieferung anstehende AS33 den Liebeskummer sicher lindern wird.
Vater und Tochter
Nach gut zwei Stunden rollte ich mit neuem Anhänger und wertvollem Inhalt vom Hof. Konten geleert und doch glücklich. Wer hofft, hier sei die Story endlich zu Ende, den muss ich enttäuschen. Ich hatte die JS1 OK 1551 erworben. Meine Odyssee zur JS-MD 1C – 1C.MD0108 D-KTVX begann jetzt erst.
Auf der Rückfahrt aus Tschechien regnete es weiter aus Kübeln, aber für den nächsten Tag war trockenes Wetter angesagt. Die erste und letzte Gelegenheit die JS1 in der ablaufenden Saison zu fliegen, bevor sie in Tschechien abgemeldet und sicher erst Wochen später (wie naiv ich doch war) in Deutschland neu zugelassen werden würde. Meine Frau reagierte erstaunlich gelassen auf die Nachricht, dass ich nach der 1’700-km-Gewalttour am Sonntag unbedingt auf den Flugplatz musste. Also Wecker auf 7 Uhr gestellt und mit dem Gespann pünktlich los.
Gekauft und bereit zur Rückfahrt
Der Jungfernflug war auch für die OK 1551 eine Premiere. Noch nie vorher wurde sie an der Winde gestartet. Entsprechend groß war die Spannung und auch Anspannung auf meiner Seite. Unnötigerweise. Die JS1 fliegt in allen Situationen ganz einfach und angenehm, ist extrem thermikfühlig, wendig und setzt den kleinsten Lupfer in Steigen um. Deutlich Seitenruder muss man dabei zumindest mit den langen Ohren schon geben, aber da gewöhnt man sich schnell dran.
Die schwachen Bedingungen an diesem Tag mit Steigwerten im Zentimeterbereich und maximal 700 m Arbeitshöhe waren sogar ideal, um das Potential des Flugzeuges eindrucksvoll zu zeigen. Mehrfach habe ich das sichere Gefühl, der Einzige zu sein, der in den Nullschiebern steigt, statt langsam zu sinken.
Die Gleitleistungen sind bei alledem schlichtweg atemberaubend. Mit einer Ausklink-Höhe von 350 m hat man 12 km Aktionsradius für die Thermiksuche, aus 30 km Entfernung reichen 700 m Höhe ganz locker, um nach Hause zu gleiten und in der Platzrunde erneut Thermikanschluss zu finden. Und als ich zwischendurch mal 12 km vom Flugplatz entfernt in 250 m Höhe im Nullschieber bastele, steigt der Puls kein bisschen. Erstens macht das die JS1 schon, zweitens brauche ich nur 100 m steigen, um entspannt nach Hause zu kommen und drittens gibt es da ja noch den Jet im Rumpfrücken. Den teste ich denn auch bei jedem meiner drei Starts an dem Tag. Kinderleicht zu bedienen, wirkungsvoll und zuverlässig. Wobei -als ich beim zweiten Flug an der Position den Jet zünden will, geht er zweimal hintereinander einfach wieder aus. Grrr – was habe ich denn da gekauft!?
Jungfernflug in Langenfeld
Beruhigend immerhin, dass die JS1 einfach weiter ihre Bahnen zieht, ohne merkbar erhöhtes Sinken, mit gefühlter Gleitzahl unendlich. Schließlich entschließe ich mich, das Triebwerk einzufahren und zu landen. Noch im Endanflug geht mir ein Licht auf. Mit geschlossenem Brandhahn springt das beste Triebwerk nicht an. Das Problem lag mal wieder zwischen den Ohren.
Begonnen hatte die Saison ganz wunderbar am 3. April mit einem Ziel-Rückkehr-Flug von Langenfeld nach Reims in Frankreich. 630 km quer durch die Ardennen in Eiseskälte. Von Langenfeld aus überfliegt man auf dem Weg nach Westen zunächst das Rheinische Braunkohlerevier mit seinen Kraftwerken und Tagebauten. Ich bin den Anblick seit 35 Jahren gewohnt. Jan Böhmermann und viele andere haben offensichtlich erst vor kurzem realisiert, was hier passiert. 100 Quadratkilometer große, bis zu 400m tiefe Löcher, um die herum das Grundwasser noch in 30 km Entfernung abgepumpt wird. Wahnsinn! Gestört hat all das lange niemanden. Die lokale Bevölkerung arbeitete großteils bei RWE und hat im Falle der Umsiedlung gerne die alte Bude gegen ein schickes Haus im neu erbauten “Ersatzdorf” eingetauscht. Und die breitere deutsche Öffentlichkeit interessierte sich für ganz andere Dinge. Im Zweifel war man gegen Atomkraft und sorgte sich in Zeiten des Zechensterbens um die Kumpel im Ruhrgebiet. Gut, dass es immerhin “in der Braunkohle” noch sichere Jobs gab.
Wir Segelflieger waren ohnehin RWE-Fans, sorgen die Kraftwerke doch für zuverlässige Aufwinde inmitten der ansonsten wenig thermikträchtigen Jülicher Börde. Als Mitte der 80er Jahre die Rauchgasentschwefelung eingeführt wurde, diskutierte man ernsthaft, ob sich dies wohl negativ auf die Kraftwerksbärte auswirken würde. Tat es zum Glück nicht und dass es über den Kraftwerken nicht mehr gar so stank und die Flügel-Vorderkanten sich nicht mehr gar so schwarz- gelb färbten, wussten auch die Segelflieger zu schätzen.
Wie sich die Welt doch geändert hat. Heute kennt jeder “Hambi” und “Lützi” und die Verfeuerung von Braunkohle gilt zurecht als Anachronismus. Und doch fürchten die Segelflieger zwischen Aachen und Sauerland den endgültigen Kohleausstieg 2030 – das wird eine harte Zeit. Auf dem Weg dahin werden wir allerdings schon langsam von der Droge entwöhnt. Bevor durch Ukrainekrieg und Gasknappheit die Braunkohle-Kraftwerke eine kleine Renaissance erlebten, liefen sie insbesondere dann, wenn die Sonne schien und/oder der Wind wehte -also dann, wenn Segelflieger in die Luft gehen- nur noch im Leerlauf. Damit sind sie zu unsteten Gesellen geworden und liefern längst nicht mehr so zuverlässig starke Aufwinde wie in der guten alten Zeit.
Es ging also zunächst über die Jülicher Börde. Die Basis war niedrig und wir nahmen die Hilfe der Kraftwerke Fortuna und Weisweiler dankend an. Von letzterem führte der weitere Weg vorsichtig entlang der Kante, die die schneefreie Tiefebene von der verschneiten Eifel trennte. Ein direkter Einflug in die Eifel empfahl sich nicht.
Lehrbuchhaft war zu sehen, dass sich über schneebedeckten Flächen eher schlecht Thermik ausbildet. Weiter im Westen bei Verviers waren die Ardennen zum Glück schneefrei und hier gelang der Einstieg ins Bergige mit ausreichend Bodenfreiheit und zuverlässigem Steigen.
Vervier? Ardennen? Liegt dass nicht in Belgien? Viele deutsche Segelflieger halten Belgien für eine ähnliche No-go Area wie ehedem die DDR. Zu abschreckend ist der Blick auf die ICAO-Karte. Ein gesperrter Luftraum reiht sich an den nächsten. Kein Durchkommen! Erstaunlicherweise gibt es allerdings auch in Belgien Segelflieger und mittlerweile sieht man immer mal wieder Flüge deutscher Piloten nach und durch Belgien. Irgendwie muss es also funktionieren.
Versucht man selbst das Dickicht zu durchdringen und die Luftraumstruktur zu verstehen, so beginnt man allerdings schnell diejenigen zu verstehen, die nach dem Motto “Fliegen kann man auch woanders” lieber Abstand zur Belgischen Grenze halten. Es ist schon kompliziert und zu allem Überfluss findet man die notwendigen Informationen kaum irgendwo zentral und übersichtlich zusammengestellt. Ich wage hier mal einen ganz kurzen Abriß: Belgien versucht sehr konsequent kontrollierten und unkontrollierten Verkehr zu trennen. Unterhalb 4500 ft Höhe ist der Luftraum unkontrolliert. Dies ist das Reservat für Hobbypiloten und Segelflieger. Der Luftraum darüber ist für kontrollierten Verkehr reserviert und für uns Segelflieger gesperrt. Immerhin hat man erkannt, dass 4500 ft über den Ardennen nicht reichen und auch im Flachland unseren Sport massiv einschränken. Daher wird am Wochenende auf Antrag der lokalen Segelflieger die Grenze großflächig angehoben auf FL55, 65 oder sogar 75. Veröffentlicht wird dies auf der Homepage des Flämischen Segelfliegerverbands.
Hier muss man nachschauen. Zusätzlich gibt es über den Ardennen Segelflugsektoren, die unter der Woche geöffnet werden können. Die meisten der in der Karte eingetragenen Lufträume sind zudem entweder nicht relevant (zum Beispiel, weil sie eine sehr niedrige Obergrenze haben) oder regelmäßig inaktiv. Eine tagesaktuelle Übersicht findet man hier.
Für mich war es der erste Flug durch die Ardennen und auch das machte diesen Saisoneinstieg zu einem ganz besonderen. Rein zum Genießen wurde der Flug ab der Belgisch-Französischen Grenze. Im Übergang zum Flachland (!) gab es einen Basissprung um 200-300m auf 1800m und wunderbare Wolkenstrassen auf Kurs. Auf dem Rückflug von Reims reichte dieses Hammerwetter dann bis St. Hubert. Dort verdunkelte sich aber der Himmel: 7 bis 8/8, eingelagerte Schneeschauer, kaum Sonne. In der polaren Kaltluft entwickelten sich dennoch immer wieder Aufwinde und auch die Kraftwerke gingen im Schneeschauer ohne jede Sonneneinstrahlung zuverlässig. Insgesamt ein wunderbarer Flug, an den ich noch länger denken werde!