Donnerstag, 24.August 2006 Das Wetter verschlechterte sich weiter. Es ist wirklich kein Flugtag. Um neun mache ich mich auf den Weg zurück mit Auto und Anhänger. Es sind 200 km und 3,5 Stunden Fahrt – einfach. Hinfahrt, Abbauen, Zurückfahren, zwei Landeäcker begutachten und Einkaufen hat den ganzen Tag gedauert.
Hygiene ist übrigens kein Problem. Zahnbürste, Zahnpasta, eine Reisetube Waschmittel und am besten noch Rasierzeug als permanente Flugzeugausstattung reichen aus. Die Wäsche wurde täglich komplett im Waschbecken der Hotels gewaschen. Morgens habe ich die Sachen dann leicht feucht angezogen und ich mich zum Zwecke der Endtrocknung noch eine halbe Stunde ins Bett gelegt.
Es gab viele neue Eindrücke und das Ganze war ein tolles Abenteuer.
Mittwoch, 23.August 2006 Diesmal sagen sie Labilisierung voraus. Prima, endlich keine Inversionen mehr. Der Plan ist schnell geschmiedet: Gegen 11:30 starten, Schlepp bis zum Taleingang, bis 15:30 versuchen über den Pass zu kommen, nach 15:30 zurückfliegen und Mega-Schlepp nach Briançon doch noch Realität werden lassen. Die Basis startet bei 1400 m ü.M., aber das änderte sich schnell. Schon sind es 1500 m am Teileingang. Da bleibt sie auch. Mühsam im Tiefflug zum Rocciamelone vorgekämpft mit einer Landemöglichkeit in Sicht (25 km westlich von Torina-Aeritalia gibt es einen UL-Platz, Valsusa Microlight Site, 350 m lang, aber nur 25 m breit), versuche ich wirklich alles, aber nichts geht. Die Inversion ist nicht wie geweissagt weg, die Labilisierung dagegen ist trotzdem da. Über 2000 m ist einfach nicht zu kommen und jetzt wird es auch noch regnerisch.
„Nichts wie weg hier und schleppen lassen“ geht mir westlich von Susa in 1900 m durch den Kopf. Leider zu spät, das Wetter kippt bereits. Geschlossener Stratus macht sich breit, im Gegenzug die Thermik dünn. Tja, ich muss den Tatsachen ins Auge schauen und mich zu einer Landung auf dem UL-Platz entschließen. Ganz schön schmal, das Ding und Hochspannungsleitungen im Anflug talauswärts… nicht schön, aber es klappt. Die Einheimischen landen mit dem Wind taleinwärts; ich weiß jetzt warum.
„Selbst ist der Mann“ geht mir durch den Kopf. Nein, nach so einem Abenteuer auf dem Heimatflugplatz anrufen und um Hilfe bitten: das geht ja gar nicht.
Um Klaus Ohlmann up-to-date zu halten, hatte ich abends immer angerufen, ihm das Wichtigste zu erzählen. Wie ich bald erfuhr, nahmen Klaus‘ Fluggäste rege Anteil, weil er es sich nicht nehmen ließ, die Fortsetzung der Geschichte jeden Morgen im Briefing zu erzählen.
Ich schiebe Lucy also die Bahn entlang in eine kleine Bucht und machte mich auf den Weg nach Frankreich. Inzwischen ist es halb Vier und ich bin durstig und hungrig, aber guter Laune. An der Landstraße angekommen trampte ich in Ermangelung besserer Ideen. Bald hält ein etwa 85jähriger Italiener an, der mein Anliegen, zu einem Bahnhof zu gelangen, zu seiner Sache erklärt. Erstaunlich treffsicher gelingt es ihm, immer etwas Straße zur Rechten und Linken des Autos zu halten. Mit dem Zug gelangt man bis an den Fuß des Col de Montgénèvre. Der Ort heißt Oulx. Hier muss man umsteigen in den Bus. Er fährt das letzte Mal um 19:30 Uhr nach Briançon.
„Das ist noch lange“ denke ich mir und beschließe, es mit trampen zu versuchen. Im Ort kann ich mich endlich mit Nahrungsmitteln eindecken. Frisches Schinkenbrötchen und ein Bier gibt es, mäßig warm ist es auch, denn hier hinten im Tal kommt sogar die Sonne durch, die sich gegen den Wind behauptet. So stehe ich 1,5 Stunden an der Trampstelle, das Bier psychologisch geschickt hinter einer Reklametafel versteckt, aber trotzdem erfolglos. Um 19:00 zurück am Busbahnhof ruft meine Freundin von Deutschland aus an und hat inzwischen recherchiert, dass um 20:25 der letzte Zug von Briançon Richtung Serres fährt. Leider muss mir der Busfahrer mitteilen, dass er diesen Zug in der Regel um ca. zehn Minuten verpasst. Innereuropäische Absprachen finden wohl nur in Brüssel statt. Aber wer wird da aufgeben? Schließlich gibt es ja Taxis. Für 50 Euro pauschal werde ich souverän im Tiefflug über den Pass befördert. Der Anschluss ist sicher – so bin ich um 23:00 in Veynes und wenig später auf dem Flugplatz.
Schön, mal wieder daheim zu sein, allerdings mit schlechtem Gewissen, da Lucy ja noch unbeaufsichtigt im Susa-Tal auf dem UL-Platz steht.
Beim Frühstück an der Bar der Rezeption des einfachen, aber ordentlichen Hotels erzählte ich dem Hotelchef meine Geschichte. Zum Glück spricht er gut Englisch. Er ist bereit, den Flugplatz im Süden der Stadt Torino Aeritalia anzurufen und zu klären, ob es jemanden mit Hänger und Auto gäbe, der mich holen könnte. Leider klappt das nicht, alle Privatpiloten sind in Fayence, um Urlaub zu machen. Aber sie wurden ihrerseits aktiv, riefen in Caselle an und bekamen eine Clearance zur Landung auf dem Flughafen, um einen F-Schlepp durchzuführen.
„Das ist doch was!“
Schnell noch die wichtigsten Behördengänge, für die mir eine Person des Flughafens zur Seite gestellt wird. Als Flugplatztaxi bekommen wir einen großen Airliner Gelenkshuttle-Bus. An diesem Tag, so wie an dem Tag davor, muss ich dauernd mein großes Schweizer Taschenmesser abgeben, um durch diverse Kontrollen zu gelangen. Es mutet wie ein Wunder an, dass ich es am Schluss immer noch mein Eigen nennen darf.
Der Plan, das Segelflugzeug wieder flott zu bekommen, war so:
Die Schleppmaschine landet doppelt besetzt vormittags auf dem Flughafen. Auf dem Vorfeld wird der Schleppzug fertig gemacht, der Copilot der Schleppmaschine hält meinen Flügel, bis wir auf der Startbahn sind, nach dem Eindrehen in die Bahn wird der Flügel abgelegt, der Co rennt in die Schleppmaschine und ab geht’s mit hängender Fläche den Alpen entgegen.
Aber zuerst muss ich noch in die VIP-Lounge, um zu bezahlen. Die Landungen kosten nichts, nur die Starts. Insgesamt mit allen Drum und Dran sind es 100 Euro, die ich auf dem Flughafen lasse. Die sympathische Frau Ramp-Officer fragt mich beim Erstellen der Rechnung, was denn mit meinem Motor los sei, da ich ja auf Hilfe eines anderen Flugzeuges angewiesen sei, das mich abschleppen muss, wie ein altes Auto. Ich erkläre ihr ganz höflich, dass mein Flugzeug keinen habe. Sie schaut sich in der Runde um, es sind selten weniger als fünf Leute um mich herum, sie fängt an zu lachen und schaut die anderen ungläubig an. Bis dahin schien ich ihr, glaube ich, ganz normal.
Endlich sind die Formalitäten erledigt – ich habe dazugelernt und diesmal nicht einen internationalen Flug deklariert – der Schleppzug kann nun installiert werden. Ich sitze bereits im Flugzeug, schließlich bewegen sich auf internationalen Flughäfen Flugzeuge nicht ohne Pilot auf die Startbahn. So geht es im Gänsemarsch und Standgas der Schleppmaschine den Rollweg entlang zur Startbahn. Natürlich nicht ohne Follow Me, der gelb schwarz und mit Warnleuchte vor uns herfährt. Wieder muss die Bahn für anderen Flugbetrieb gesperrt bleiben, dank perfekter Planung und Umsetzung allerdings nur kurz.
Am Eingang des Susa-Tales geklinkt und endlich wieder frei, versuche ich, über den Rocciamelone genug Höhe für den Weiterflug nach Westen zu bekommen. Aber gestern ging das Wetter bereits kaputt. Es ist eine Inversion im Tal, die einfach nicht zu überwinden ist. Schade, letztes Jahr hatte das prima geklappt: Im Schlepp an den Eingang des Susa-Tales, Rocciamelone polieren am Gipfel eine Welle finden und über den Monte Rosa wieder zurück nach Serres.
Heute jedenfalls ist nichts zu holen. Ich entschließe mich, umzudrehen und von Torino-Aeritalia einen Mega-Schlepp zum Col de Montgénèvre einzuleiten. Leider wird die Schleppmaschine aber gebraucht, so dass ich mit dem Rückflug die Einleitung der nächsten Übernachtung in Italien vollzog.
Die Menschen auf diesem Flugplatz sind hilfsbereit und sehr nett und das Flugplatzrestaurant ist prima. Eine kleine, aber feine Holzhütte dient mir zur Übernachtung. So wird der Abend mit netter Unterhaltung eine runde Sache.
Am nächsten Tag wird mir klasse geholfen, so kann ich gegen 11:00 starten. Tief geklinkt und lang den Hang poliert macht sich das Wetter so gegen 12:00 ganz ordentlich. Super, das ist Heimflugwetter. Besser eigentlich noch. Da kann man doch erst mal ein Stück in die andere Richtung schauen. Ich verabschiede mich über Funk mit dem Versprechen, Marseille Info zu kontaktieren, wenn ich wieder nach Frankreich einfliege.
Das Ziel ist schnell festgelegt: Samedan, wenn’s schnell genug geht. Es läuft gut. An Locarno vorbei – mit Transponder und Freigaben – bin ich schnell am Comer-See. Im Tal Richtung Samedan, dem Val Bregaglia – wird es etwas schwieriger und so entschließe ich mich, ca. 25 km vor Samedan – am Maloja – in 2’500 m zu wenden, schließlich will ich ja noch nach Serres, was ja auch noch ca. 400 km sind!
Mit Mühe geht es hier wieder weg, aber das war zu erwarten. Um abzukürzen und Boden gut zu machen, will ich diesmal südlich von Locarno bleiben. Das läuft nicht gut. In 1’500 m ü. M. muss ich 20 Minuten parken und bekomme dafür 1000 Höhenmeter dazu. Südlich von Domodossola wird das Wetter schlechter, der Weg direkt am Monte Rosa vorbei nach Aosta ist unmöglich.
Ein neuer Plan muss her: Erst nach Südwesten, dann entscheiden, ob in Richtung Aosta abgebogen wird oder ob die Querrippen südlich des Gran Paradiso zum Susa-Tal angeflogen werden. Irgendwas davon muss ja gehen. Am Rand der Po-Ebene entlang gleitend mit blauen wolkenlosen Himmel und Höhe verlierend – in die stabile Ebene mag man wirklich nicht schauen – erkenne ich schnell, dass es wohl nur noch nach Aosta reichen kann. Das Wetter in den Alpen ist einfach zu schlecht geworden. Mit allen Tricks versuche ich den Einstieg ins Aosta Tal. Tief rein, tiefer raus. Dann halt nochmal: Höher rein noch tiefer raus. OK: Woanders rein, fast gar nicht mehr raus. Das kostet Nerven und Zeit.
Nach einigen Versuchen entscheide ich mich notgedrungen, am Taleingang am Rande der Po-Ebene auf dem Flugplatz Ivrea zu landen. Aber eins ist noch zu tun: Aosta anfunken und bitten, Marseille zu informieren, dass ich in Italien bleibe, schließlich will ich nicht den SAR aktivieren. Leider erreiche ich sie nicht, aber 1300 m sollte doch wenigstens für Funkkontakt mit Turin reichen.
«Nearest Airport-Funktion» im Logger aktiviert, so habe ich schnell die Frequenz von Turin. In Englisch – wie der gesamte Funkverkehr – gebe ich bekannt, dass ich vom Typ Segelflugzeug bin und trage mein Anliegen vor. Sofort sind sie bereit, mir zu helfen und Marseille zu informieren.
Kurze Zeit später werde ich von Turin gerufen mit der Auskunft, den Flugplatz Ivrea gäbe es nicht (mehr). „Verflixt, das gibt es doch gar nicht“, denke ich mir. Mit der Höhe ist ein schneller Entschluss fällig, inzwischen ist es auch schon wieder halb Acht. „Ok, dann sollte ich wohl versuchen, nach Turin zu kommen, allerdings bin ich 100 m unter Gleitpfad und 40 km entfernt!“
Kurz entschlossen drehe ich ab, ohne Ivrea zu suchen. Versuchen kann man es ja… wo ich einen Acker nehme, ist schließlich egal.
„D-99, wo sind Sie nun?“
„30 km vorm Flugplatz unter Gleitpfad!“
„Schalten Sie auf den Transponder Code xy“
„Mach‘ ich, Transponder steht auf… sorry, leider ist die Stromversorgung zu schwach“
Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich bei Locarno sparsamer gewesen. Es war ja schon der zweite Flugtag ohne Lademöglichkeit! Es muss also ohne gehen. Um den Gleitpfad penibel zu beobachten, entschließe ich mich Höhe/Entfernung, nicht von Meter/Km auf Fuß/Meilen zu schalten.
„D-99, wo sind Sie?“
„18 km vor dem Flugplatz und ich weiß noch nicht, ob ich es schaffen kann!“ Ein Flug mitten in der Po-Ebene von Norden her Turin anfliegend, absolut ruhige Luft inzwischen nach Acht und etwas diesig, absolutes Neuland und erstaunlich wenig Landbares…das macht nervös, jetzt
bloß nicht an die Rückholtour denken. Es ist drückend und warm im Cockpit, und um keinen Meter Höhe zu verschenken, schalte ich die Lüftung ab und atme flach, um Erschütterungen zu vermeiden 🙁 Der Mann am Funk erzählt mir noch irgendwas, was ich aber schon wegblende, ich glaube es geht um einen Helikopter am Flugplatz. Vor mir in der Ferne startet ein Airliner gegen meine Flugrichtung, der bald nach links abdreht; ein nettes Bild, das beruhigt und man fühlt sich nicht mehr so einsam in der Luft.
„D-99, now you are number one!“
OK, denke ich mir, aber etwas ungewöhnlich ist die Info für einen Flugplatz schon.
„Sie haben Landerichtung 18“
Na, da bin ich aber froh, wäre allerdings sowieso ohne Platzrunde direkt gelandet. Inzwischen ziemlich tief, aber laut Rechner 130 m im Plus – das ruckelfreie Atmen hat sich ausgezahlt – fährt es mir plötzlich ins Herz:
Landung 18 ???
Moment mal, auf der Karte haben die doch 27 und 09, so finde ich die Bahn ja nie. Schnell die Karte rausgeholt und nachgeschaut – Schock, Schwerenot – der falsche Platz, ich spreche die ganze Zeit mit dem Kontroller vom internationalen Flughafen von Torino Caselle!
Nearest Airport für Turin hatte ich ja nur wegen der Frequenz gebraucht; wieso habe ich die vielen Airliner-Piloten auf der Frequenz nicht gehört?
Jetzt sehe ich auch die Landebahn, Mensch, ist die groß!
„Turin, jetzt sehe ich die Bahn, ich bin jetzt safe. Ich könnte auch auf dem Taxiway landen, wenn Sie möchten“ (schließlich will ich ja nicht die Airliner vom Starten abhalten).
„D-99, landen Sie auf der Bahn!“
„Wo hätten Sie es denn gern, am Anfang, in der Mitte oder ganz im Süden?“
„Das ist Ihre Entscheidung, die Bahn gehört Ihnen!“
OK, meine Entscheidung, die Bahn ist Mein, aber ich will sie eigentlich nicht mal geschenkt haben. Kurz landen, den ersten Taxiway rechts raus und so tun, als wäre ich gar nicht da, ja so mach ich’s. Direkt nach dem Aufsetzen drehe ich ab auf den ersten Zubringer, der ja heute eigentlich der letzte Abrollweg für die Gegenrichtung ist, und schon bin weg von der Landebahn. Na, immerhin, das hat geklappt.
Nach dem Öffnen der Haube endlich wieder frische Luft und Ruhe. Aber nicht lange. Neben mir schwebt nun ein wirklich dicker und lauter Hubschrauber. Aus ihm springen vier Menschen in Montur, rennen zu mir und… wollen mich nicht verhaften, sondern Lucy zur Seite schieben. Ich suchte Kameras und James Bond, aber das war alles echt!
„Das wird nicht billig“, denke ich mir. Aber was soll ich machen, nun ist es, wie es ist. Es stellte sich heraus, dass der Kontroller einen Helikopter aktivierte, um die Einschlagstelle sofort lokalisieren zu können, falls ich es nicht bis zum Flughafen schaffen sollte. Tatsächlich sind die Landemöglichkeiten im Bereich davor nicht gerade üppig verteilt. Die Bahn wurde für mich etwa eine Viertelstunde lang freigehalten.
Der Rest des Abends beinhaltet eine nette Führung durch sämtliche Räume des Flughafens. Zum ersten Mal brauche ich wirklich alle Papiere, die man so an Bord hat. Ich komme mir vor, wie jemand, der das Prozedere an internationalen Flughäfen im „Film-rückwärts-Modus“ durchläuft.
Nach mehreren Stunden sind die Formalitäten erledigt und Lucy wird zu Fuß mit drei weiteren Leuten vom Flughafen in Begleitung eines Follow Me auf der Wiese unter dem Tower abgestellt. Sie steht dort wie ein Museumsstück aus Zeiten, in denen man dort noch Segelflug betrieb.
Gegen elf Uhr nachts bin ich dann endlich mit einem Taxi zu einem Hotel gelangt. Da ich selten meinen Auto-Führerschein beim Fliegen dabeihabe, war das Mieten eines Autos leider unmöglich. Im Stadtteil des Hotels findet sich sogar noch ein Toast und ein Bier, während dicht über der Stadt wieder Airliner an- und abfliegen.
Sonntag, 20. August 2006Schon seit einigen Tagen haben wir Mistral-Lage, Nordwind über einem mehr oder weniger breiten Teil der Westalpen. Mal wieder zeigt sich der August mit vielen Möglichkeiten, die Alpen vom Talgrund bis zur Sonne, von Westen bis Osten und vom Süden bis in den Norden im Flug ohne Motor zu erkunden.“Heute Nachmittag frischt der Nordwind auf…“ so hören wir es von Klaus Ohlmann. „Nördlich vom Susa-Tal kann mit Wellen gerechnet werden und ansonsten brauchbare Thermik“, so etwa ist der Bericht für heute.
Das klingt doch nicht schlecht. Also ab in die Luft, den Tag genießen. Zuerst in den Süden, der Gewohnheit wegen, dann die Gegend um Briançon inspizieren und nachsehen, wo es wellt.
Südlich von St. Andrė – östlich des Parcours – wird es blau und nur Piloten, die es auch sind, ignorieren das. Also in den Norden. Horst Rupp, Gerd Spiegelberg und Gerd Heidebrecht sind schon auf Nordkurs und ich habe auch gerade meine LS8-15m (oder kurz: Lucy) auf Nord eingedreht. Das obere Verdon-Tal lässt sich mit etwas Mühe nehmen. Bei Barçelonnette angekommen, zeigt sich: Die Basis steigt nach Norden an. Am Col de Vars steigt sie weiter… sehr geschickt macht sie das, so lockt sie uns immer weiter in den Norden, die anderen drei immer ein paar Kilometer vor mir. Wie Brotkrumen im Wald geht es den Wolken hinterher bis in den obersten Teil des Modane-Tals hinter den Ort Bonneval an den Col du Carro. Hier parken schon eine Weile Horst Rupp und Gerd Spiegelberg. Im Moment als ich ankomme, verschwinden sie nach oben in einer Welle.
Gerd Heidebrecht, schon auf der Aosta-Seite, meldet wenig später den Einstieg in die Welle ein Tal weiter westlich. Ich, entzückt von so vielen Wellen und guten Cumuli im Bereich von Aosta, nehme mir vor, etwas Zeit gut zu machen (die anderen sind schließlich schon in 5000 m und weiter auf Nordkurs), thermisch zum Matterhorn zu fliegen, dann thermisch zurück an den Einstiegspunkt von Gerd und dort in die wohlgepflegte Welle einzusteigen, die mich vielleicht am Abend noch nach Aubenasson am Rande des Rhône-Tals trägt.
Es klappt alles prima. Am Grand Nomenon (Grivola) trägt mich schwache Welle auf die Nordseite – die Basis ist hier auf 3500 m – und schnell bin ich 15 km südlich des Matterhorns. Der Rest der Strecke sieht mir zu zeitraubend aus.
Der Rückflug klappt auch ganz gut, allerdings haben sich die Wolken irgendwie verändert. Was soll’s – dann halt mit einem kleinen Umweg zum Einstiegspunkt wieder auf die Südseite des Aosta-Tales und Welle suchen.
Konzept gemacht und umgesetzt, komme ich bald am Welleneinstiegspunkt im Val de Rhêmes an. Etwas suchen und ab in die Welle… na gut, ein wenig mehr suchen und dann halt noch ein wenig mehr…
Bin ich im falschen Quertal? Könnte sein. Nichts wie raus hier und eines weiter nach Osten ins Val Savarenche. Der Hang geht 🙂 Höhe machen, vorfliegen und ab dafür nach ganz oben. Beim Vorfliegen habe ich wohl danebengegriffen. Naja, dann halt nochmal an den Hang und vorfliegen. Und… und… und…
Ich muss es einsehen: Die Welle ist weg. 3500 m Basis, der Weg über Val d‘ Isère ist wettertechnisch nicht machbar. Das sieht nicht gut aus. Da hilft nur, das Notprogramm einzuleiten, schließlich ist nun schon halb sieben durch. Nach einiger Sucherei Richtung Mont Blanc dann – mitten im Kessel – 2m/s Steigen im Schnitt – Strike, geschafft, das kann noch klappen. Schnell bin ich auf 3500 m, aber da ist dann auch Schluss. Nun ist es schon wieder eine Stunde später, der Wellenzug ist abgefahren.
Um noch Leute anzutreffen, lande ich gegen Acht in Aosta. Das Hotel am Flugplatz kenne ich schon. Inzwischen kann man dort auch essen und Flugbetrieb ist für den nächsten Tag sichergestellt. Na immerhin, so kann man doch auch mal eine Nacht verbringen.
Lange habe ich mich auf diesen Wettbewerb gefreut, habe mir im Vorfeld um das Wetter und meinen Trainingsstand, die Technik und die Helfercrew und nochmal ums Wetter Sorgen gemacht.
Noch Anfang Mai schien zumindest der südliche Teil Deutschlands im Rekordtempo die Niederschlagsdefizite des Vorjahres kompensieren zu wollen. Hahnweide-Wettbewerb und verschiedene andere Veranstaltungen waren komplett ins Wasser gefallen oder im Schlamm stecken geblieben (wie eine EB29 beim Startversuch auf der bereits erwähnten Hahn-weide). Doch rechtzeitig für die Deutschen Meister-schaften in Bayreuth drehte das Wetter und es baute sich die berühmte Omega-Wetterlage mit einer stabilen Hochdruck-Brücke von Großbritannien bis ins Baltikum auf. Wenn Engel reisen…
Nun liegen begeisternde, aber auch anstrengende zwei Wochen hinter mir. Zwölf Tage Fliegen (10 Wertungstage und 2 Trainingstage), 57 Flugstunden, über 5000 Strecken-Kilometer. Weit ausladend ging es bis an die polnische Grenze, quer durch Tschechien, an die österreichische Grenze, rund um Nürnberg und natürlich entlang des Thüringer Waldes sowie des Erzgebirges. So viele Eindrücke, so viele Erlebnisse, Euphorie, aber auch Anspannung und Enttäuschung!
Unser Sport hat schon einiges zu bieten, wenn alles so perfekt zusammenkommt: Wetter, Organisation, Kameradschaft, sportlicher Wettbewerb und im besten Fall die eigene Leistung.
Dabei musste am 2. Wertungstag zunächst ein Schockmoment überstanden werden. Bayreuth ist als Flugplatz ideal geeignet, um ein Feld von 90 Maschinen aufzunehmen und sowohl in der Start- als auch in der Landephase sicher zu meistern. 1000m Länge, neben der Asphaltbahn noch 4 weitere parallele Start- und Landestreifen; da können ruhig auch mal 40 Flugzeuge innerhalb von 8 Minuten landen, eins alle 12 Sekunden. Das schaffen sie weder in Frankfurt noch in Schiphol 🙂 .
Aber ohne Tücken ist der Platz mit seiner „Flugzeugträgerlage“ auf dem Bindlacher Berg oberhalb der Festspielstadt Bayreuth dann doch nicht. Bei Ostwind, der uns beständig durch die zwei Wochen begleitete, bildet sich im Anflug ein starkes Lee aus, das über die Jahrzehnte schon so mancher Pilot massiv unterschätzt hat.
Intensiv wird hiervor bei jeder Gelegenheit gewarnt: hoch und schnell anfliegen, im Zweifel rechtzeitig ins Tal abdrehen, dort sicher landen oder den Motor ziehen… und doch hat es einen von uns erwischt mit einer „Landung“ in der Steilböschung kurz vor der Schwelle. Der Schock saß und leider gab es wirklich Momente des Bangens. Erst das Gerücht, dass „einer fehlt“, es nicht in den Flugplatz geschafft hat. Keiner hat es richtig gesehen. Dann die Bestätigung, die ersten Feuerwehrfahrzeuge, die auf den Platz rollen. Dann ein Name: ein guter Freund von mir! Zum Glück ist alles recht glimpflich ausgegangen: Pilot nur leicht verletzt und sogar der Flieger mehr oder weniger am Stück.
Wie lief es sportlich für mich und Conrad, unser „JS1-Team“? Wie gesagt: Euphorie, Anspannung, Enttäuschung. Es gab von allem reichlich. Dabei war es unglaublich lehrreich und einfach toll, mit und gegen vier Weltmeister (mit zusammen neun Titeln), einen Europameister und weitere Spitzenpiloten zu fliegen. Wer sich die Wertung der Offenen Klasse anschaut, der kommt leicht zu dem Schluss, dass die EB29R einfach unschlagbar und weit überlegen ist. Sechs dieser Wundermaschinen waren am Start und sie flogen untereinander ihre eigene Meisterschaft aus, belegten ungefährdet die ersten sechs Plätze. Dahinter bis zum letzten Wertungstag Conrad und ich auf den Plätzen 7 und 8, „best of the rest“, bevor wir am allerletzten Tag Letzte wurden und in der Gesamtwertung noch um 2 Plätze abrutschten auf 9 (Martin) und 10 (Conrad) – das war so ein Moment bitterer Enttäuschung.
Es wäre aber viel zu einfach, alles nur auf das Material zu schieben. Ja: die EB29R ist eindeutig das weltbeste Segelflugzeug. Aber genauso klar ist auch, dass „die Weltmeister“, dass insbesondere Michael Sommer, Felipe Levin und Holger Karow (aber auch Markus Frank) als Piloten eine Klasse besser fliegen. Wow! Ich bin noch dabei, sauber zu analysieren und möglichst viel daraus zu lernen… aber klar ist, dass die Jungs konsequenter fliegen, nur die stärksten Aufwinde annehmen, keinen unnötigen Kreis drehen, dabei natürlich die Wetterentwicklung perfekt im Blick haben und ganz allgemein ein (noch) viel besseres Lagebild haben als unsereins.
Ein schönes Beispiel hierfür zeigte sich am vierten Wertungstag. Die Sportleitung schickte uns weit nach Tschechien, bis an die Grenze des Prager Luftraums und von dort wieder zurück an den Nordrand des Bayrischen Waldes – immer entlang des besten Wetters mit optimaler Cumulus-Bewölkung – so das vollmundige morgendliche Versprechen unseres (ansonsten sehr guten :-)) Wetterfrosches. Stattdessen gab es in der tschechischen Ebene Blauthermik mit mäßigen Arbeitshöhen und dichte Cirren-Feldern, welche die Sonneneinstrahlung zeit- und abschnittsweise fast völlig unterbanden. Heiko sprach als Sportleiter am nächsten Morgen von einem schönen „Ochser“ – man wollte es uns ja nicht zu einfach machen und ein wenig selektieren. „Mission accomplished“!
Nach einem letzten Bart auf etwa 1800m NN entschieden sich Conrad & ich (und ein paar andere) die Bergkette des Oberpfälzer Waldes weit nördlich anzufliegen. Fast querab zum Kurs ging es „in die Sonne“. Leider glitten wir bis zum Grenzgebirge trotz Sonneneinstrahlung durch tote Luft und erst am Höhenzug selbst gelang aus niedriger Höhe mühsam der erneute Anschluss an die Thermik.
Andere glitten (mit etwas weniger Ausgangshöhe) stur auf Kurs in das abgeschattete Gebiet – und zogen wenig später den Motor. Im Vergleich zu diesen Kollegen waren wir die Helden des Tages, hatten genau die richtige Entscheidung getroffen und einen entscheidenden Vorsprung herausgeflogen. Super!
Leider gab es da aber auch noch „die Weltmeister“. Diese erkannten aus exakt unserer Ausgangslage, dass sie mit der im letzten gemeinsamen Aufwind gewonnenen Höhe auf Kurs durch das abgeschattete Gebiet hindurchgleiten und dahinter in 500m über Grund wieder die sonnenbeschienenen Höhenzüge erreichen würden. Kein Umweg und im Endeffekt noch nicht einmal ein erhöhtes sportliches Risiko. Auch wir hatten -trotz Sonne- in der Ebene kein Steigen mehr gefunden und waren über dem Höhenzug in 400 m über Grund wieder eingestiegen – leider weit ab vom Kurs. Hiermit nahmen Michael Sommer, Felipe Levin und Bruno Gantenbrink uns mal eben 20 min ab. Chapeau!
Michael Sommer & Felipe Levin sind ohnehin ein eigenes Kapitel wert. Diese beiden zelebrieren zusätzlich zu ihrer individuellen Klasse perfekten Teamflug und sind damit praktisch unschlagbar. Wie schwer Teamflug auf höchstem Niveau ist, konnten wir an verschiedenen Beispielen und nicht zuletzt an uns selbst beobachten. Bei den meisten funktioniert es genau so lange, bis es schwierig wird – und dann platzt das Team! Der eine fliegt rechts, der andere links, der eine zündet den Motor, der andere schafft es nach Hause. Super! Unterm Strich bildeten Conrad und ich (neben Nathalie und Peter) das zweitbeste Team in der offenen Klasse – Welten schlechter als Sommer & Levin und doch um Längen besser als alle anderen, die letztlich vergeblich versuchten, zusammen zu fliegen.
Ohne hier (schon) ins Detail zu gehen: Es gibt mehrere Knackpunkte, die den Teamflug im Wettbewerb so erschweren. Grundsätzlich ist Kommunikation das Ah und Oh – und das Potential für Missverständnisse unendlich groß. Akustische und sprachliche Verständigungsprobleme, zu spätes Drücken des Funkknopfes, aber auch weniger Banales: „ich dachte das sei klar“, „wir hatten das doch am Boden so besprochen“, „aber die Lage war dann doch ganz anders“, „ich dachte…“.
Darüber hinaus haben wir beide unterschätzt, wie viele Entscheidungen Bauchentscheidungen sind, die man nicht komplett rational erklären kann. Wenn hier nicht beide das gleiche Bauchgefühl haben, dann setzt sich entweder einer durch – und wenn es schief geht, ist der Ärger vorprogrammiert. Oder das Team wird gleich ganz gesprengt. Dazu ist es bei uns nie gekommen, aber wir haben es bei anderen beobachtet… der eine fliegt rechts, der andere fliegt links…
Auch unterschätzt haben wir wie oft und wie schnell sich zwischen den Teampartnern Höhenunterschiede von mehreren 100m ausbilden. Ein Kilometer lateraler Abstand, der Vorfliegende „zieht“ 3m/s, steigt damit 100 m, bevor Nummer Zwei überhaupt im Aufwind ankommt. Und natürlich trifft der Nachzügler den Aufwind nicht genauso gut, ruck zuck liegen 300 Höhenmeter zwischen beiden Flugzeugen. Während Nummer 1 immer noch satt steigt, ist Nummer 2 zusehends verzweifelt. „Diesen Aufwind müssen wir sofort verlassen“, das Steigen ist zu schwach (nur für Nummer 2!), der Abstand wird immer größer. Wie die Lücke wieder schließen? Oben warten macht keinen Sinn. Der Bart ist für „Nummer 2“ ja schwächer, zu schwach! Nummer 1 kann nun schneller vorfliegen, schneller Höhe abbauen. Er kommt damit aber auch eher im nächsten Aufwind an. Ist dieser gut, so vergrößert sich der Abstand der Teampartner gar! In dieser Situation ist die Versuchung für den tieferen Teampartner groß, etwas „Eigenes“ zu probieren, nicht den gleichen Flugweg zu wählen, sondern „die andere“ Wolke anzufliegen oder gar hinter dem Partner einzukreisen. Nur so scheint ein Aufholen möglich – dieses Verhalten birgt aber auch ein großes Risiko, das Team weiter auseinander driften zu lassen.
Noch schwieriger wird die Sache, wenn es nicht darum geht, dass einer mit 3 m/s steigt und der andere nur mit 2 m/s, sondern wenn es vielmehr in niedriger Höhe ums „Überleben“ geht, wenn der Eine steigt und der Andere nicht. Dies sind die Knackpunkte fürs Team. Conrad und ich haben in verschiedenen Situationen tatsächlich aufeinander gewartet. Aber es gibt auch Momente, in denen dies nicht sinnvoll ist, in denen man sich trennen muss. Und es gibt Situationen, in denen beide dies unterschiedlich einschätzen. Dann wird es richtig schwierig.
Wie schaffen es Sommer & Levin praktisch immer zusammen zu bleiben, meist auf die Sekunde genau gleich schnell zu fliegen? Ein Stück weit bleibt es für mich ein Rätsel, aber sie fliegen wirklich mit sehr geringen Abständen, um die oben erläuternden Situationen bestmöglich zu vermeiden und sie sind einfach perfekt eingespielt – bewundernswert!
Die Saison 2022 wird in die Annalen der Segelfliegerwelt eingehen. So gutes Wetter an so vielen Tagen hat es in Mitteleuropa wohl noch nie gegeben. Und doch war es mir nicht vergönnt, einen wirklich großen Flug zu machen. Eigentlich hätte es für drei Tausender reichen müssen. Aber irgendwie hatte ich dieses Jahr kein Händchen für den richtigen Einsatz meiner raren Jonkers. Stattdessen übte ich mich mehrfach im Fliegen bei minimalen Bedingungen. Wenn im Sauerland die Wolkenbasis nur 500m über Talgrund liegt, wenn man sich von Aussenlandefeld zu Aussenlandefeld hangelt, wenn das Steuergerät des Jets nicht mehr ausgeschaltet wird, weil man den Motor jeden Moment brauchen könnte – dann hört für viele der Spaß auf. Für mich nicht 😃. Als ich eines Abends am Flugplatz begeistert von einem solchen Flug erzählte, unterbrach mich August mit diesem Satz: „Martin: sowas macht auch nur Dir Spaß.“
Vielleicht kommt bei derartigen Flügen tatsächlich meine bislang unentdeckte masochistische Ader durch 😃. Das ist es aber nicht allein. Vielmehr besteht für mich ein besonderer Reiz darin, aus jedem Wetter das Beste rauszuholen. Wenn es an einem solchen Tag dann gelingt, ohne Motoreinsatz 200, 300, 400 oder gar 500 km zu fliegen, wenn man es schafft, nach Stunden im Tiefparterre doch noch ins Hammerwetter einzufliegen, wenn man mehrfach kurz vor der Aussenlandung noch den rettenden Bart findet, dem „Schicksal“ der Landung (oder des Motorzündens) knapp von der Schippe springt, dann setzen diese Erlebnisse (noch) mehr Endorphine frei als ein schneller Flug bei idealen Bedingungen.
Und natürlich schult das Fliegen unter diesen Bedingungen ungemein. Jetzt kommt es darauf an, beim Kreisen das Flugzeug handwerklich perfekt zu beherrschen. Jetzt zählt jede einzelne taktische Entscheidung und Fehler werden sofort mit dem vorzeitigen Ende des Fluges bestraft.
Hinzu kommt, dass auch Wettbewerbe oft an Schlechtwettertagen entschieden werden. Wer zu Hause nur bei bester Thermik ins Cockpit steigt, wer an schwierigen Tagen jammert, anstatt mit positiver Einstellung den Widrigkeiten zu trotzen, der hat von vornherein keine Chance.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich ist es in Ordnung, bei zweifelhaften Wetterlagen nicht weit weg zu fliegen. Insbesondere ohne Motor. Die Wahrscheinlichkeit einer Außenlandung steigt unweigerlich, und so sehr ich dafür werbe, eine Aussenlandung als etwas Normales anzusehen: provozieren sollte man diese nicht.
Ich erinnere mich immer noch lebhaft a den zweiten Wertungstag in Oerlinghausen 1996 (ja, so alt bin ich schon!). Das Wetter erlaubte es gerade, das Feld der Teilnehmer in die Luft zu bekommen und in der Luft zu halten. Auf dem Zettel stand eine Minimalaufgabe mit 150 km Länge. Im ersten „Aufwind“ auf Strecke entschieden etliche Piloten, umzudrehen und nach Hause zu fliegen! Sie waren fest davon überzeugt, dass es an diesem Tag eh keine Wertung gäbe, weil es niemandem gelingen würde, ausreichend weit zu fliegen. Auch verspürten sie wenig Lust auf den sie erwartenden schlammigen Acker einschließlich mühsamer Bergung und aufwändiger Säuberung des Flugzeuges. Ich dagegen flog weiter und kämpfe mich Schritt für Schritt, Aufwindchen für Aufwindchen weiter bis zur letzten Wende Höxter-Flugplatz.
Dieser liegt auf einem Bergrücken westlich der Weser. Der Himmel war fast komplett zugezogen, aber in das Wesertal strahlte seit Minuten die Sonne ein. Ich flog einige Kilometer über die Wende hinaus, verlängerte also „unnötig“ die Strecke, tauchte in das Wesertal ein und fand am sonnenbeschienenen Hang zuverlässiges Steigen. Langsam, aber beständig ging es nach oben bis an die Wolkenuntergrenze. Von Westen zog mittlerweile die angekündigte Warmfront auf. Vermutlich würde ich die frisch erkurbelte Höhe nur noch Abgleiten und beizeiten auf einem Acker ausrollen. Doch da entdecke ich etwa 10 km vor mir eine Wolkenlücke. Durch diese hindurch beleuchten die letzten Sonnenstrahlen des Tages ein goldgelbes Weizenfeld. Als ich näherkomme, erkenne ich Bussarde, die über dem Feld kreisen. Ich erreiche sie in ca. 150 m über Grund.
Mittlerweile hat sich die Wolkenlücke wieder geschlossen, der Lichtschalter wurde wieder ausgeknipst, aber das Variometer schlägt aus: 1 m/s Steigen. Ich kann mein Glück kaum fassen. Eine halbe Stunde später lande ich im frontalen Nieselregen in Oerlinghausen. Alle anderen sind in dem Moment entweder auf Rückholtour oder sitzen, so sie den Tag frühzeitig aufgegeben haben, bei Kaffee und Kuchen – und reiben sich verwundert die Augen: Wo kommt der denn her? Das gibt es doch gar nicht!
Dies soll keine Heldengeschichte sein, sondern ein Beispiel dafür, wie wichtig eine positive Einstellung im Wettbewerb ist. Alles Kopfsache. Und es soll ein Beispiel dafür sein, dass nicht immer die größten Flüge diejenigen sind, an die man sich noch nach Jahrzehnten erinnert. Es sind vielmehr die besonderen Flüge. Das kann dann auch mal ein 150 km Dreieck sein.
Zurück ins Jahr 2022 und zu dem Flug, von dem ich August vorschwärmte.
Als ich am Morgen des 11. Juni meinen Flieger lüfte, ernte ich fragende Blicke: Was hast Du denn heute vor? Der Himmel ist zu dieser Zeit mit 7/8 Strato-Cumulus bedeckt, der Wetterbericht für Rheinland, Eifel, Sauerland – sprich für alle Landstriche um uns herum – mies. Das gute Wetter wartete weit im Süden und sollte NRW erst am Folgetag beglücken. Aber ich hatte nur heute Zeit, jammern hilft nicht.
Mental hatte ich mich genau auf das eingestellt, was nun folgte: Mit 800 m Basis ins Bergische vortasten, weiter mit 1000 m Basis durchs Sauerland, die ganze Zeit also maximal 600 m über Grund. Erste Aufgabe: oben bleiben. Suche nach dem nächsten Anschluss, dabei einigermaßen Kurs Richtung Osten halten.
Zum ersten Mal richtig tief bin ich am Biggesee, immerhin in Reichweite des Flugplatzes Attendorn. Geduldig versuche ich, den halben Meter Steigen zu optimieren, fliege nach 5 min mit 150 zusätzlichen Metern weiter, nur, um mich wenig später erneut in 200 m über Grund wiederzufinden. Jetzt geht es aber endlich eine ganze Etage höher, auf über 700, im nächsten Bart sogar auf 900 m AGL, gefühlt geradewegs in den Orbit! Die neu gewonnene Höhe nutzte ich zum Vorflug bis Allendorf / Eder. Bis hierhin war es anstrengend, aber auch schön. Ich war gut geflogen und stolz, es bis soweit geschafft zu haben. Ab jetzt sollte auf dem nun anstehenden Weg nach Südwesten alles besser werden. Das Wetter baute deutlich auf und ich erwartete einen Spaziergang ohne weitere Tiefpunkte. So der Plan…
Über dem Westerwald wurde es inhomogen mit Ausbreitungen und Abschattungen und mir gelang es nicht wie gewünscht, „richtig Gas zu geben“. Ich flog nicht mehr gut. Während ich nördlich Montabaur in mäßigem Steigen kreiste, sinnierte ich unschlüssig über den weiteren Flugweg. Sollte es nach Süden zwischen Frankfurt und Hahn hindurch gehen? Dort lockten in großer Entfernung richtig schöne Wolken. Oder entlang der Mosel? In dieser Richtung war es breitgelaufen, aber etwas Steigen würde sich auf dem Weg finden, ohne wieder ins Tiefparterre abtauchen zu müssen – dachte ich. Oder doch auf kürzestem Weg westlich um Köln rum?
Eigentlich ist Entscheidungsfreude eine meiner Stärken, aber in dieser Situation habe ich komplett versagt. Meine Wahl fiel zunächst – wenig überraschend – auf die „schönen Wolken“ jenseits des blauen Lochs im Süden. Erst wollte ich aber an die Basis steigen, was nicht gelang. Mein Bart fing an zu schwächeln und so stieg ich aus, hatte aber nicht den Mumm, das blaue Loch zu überspringen und flog stattdessen nach Westen Richtung Rhein, wo unter den breitgelaufenen absterbenden Cumulanten nichts ging. Auf der verzweifelten Suche nach Thermik baute ich noch einen großen, letztlich sinnlosen Schlenker ein, verlor weitere Höhe und musste schließlich in den Rheingraben abtauchen.
Das war richtig schlecht! Immerhin fand ich auf der westlichen Talseite aus Ameisenkniehöhe und schon fast im Hangflug wieder Anschluss. Den Koblenzer Fernsehturm sieht man auch nicht alle Tage Auge in Auge, aber auf die entsprechenden Fotos hätte ich gerne verzichtet!
Nach diesem unnötigen Absitzer ging es immerhin im Fahrstuhl auf schwindelerregende 1800 m und wenig später weiter Richtung Süden dem Hammerwetter entgegen. Trotz guter Optik rannte es aber selbst hier nicht für mich. Ich traf einfach die Aufwinde nicht und probierte viel zu lange rum, anstatt weiter vorzufliegen. Einfach schlecht!
Vor zwei Stunden noch machte es mir nichts aus, in 200 m Höhe rumzukrebsen und jetzt hatte ich nicht die Traute, aus immerhin noch 700 m AGL die nächste Wolke ins Visier zu nehmen. Wie kann das sein? – Ein Stück weit ist das sogar rational zu erklären: Mit der Basishöhe steigt auch der Abstand der Bärte. Wenn es hoch geht, sollte man daher eher nicht richtig tief herunterfliegen. Verfehlt man den angepeilten Aufwind, dann erreicht man den nächsten möglicherweise nicht mehr. Es fehlt der berühmte Plan B. Meine Faustregel: „freiwillig“ nur bis zur halben Konvektionshöhe runterfliegen.
Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. Und so eine Ausnahme wäre in diesem Moment eindeutig angesagt gewesen: Wenn man aus 700 m AGL sieben lange Minuten in schwachem Steigen rummacht, erst dann entnervt aufgibt, weiterfliegt und auf dem Weg zum erlösenden 2,5 m/s Bart nur 150 Höhenmeter verliert, dann ist das fast schon peinlich, dann hat man 7 Minuten verschenkt! Im Wettbewerb darf das nicht passieren!
Es lief also nicht wirklich. Wie sollte das erst auf dem Rückflug im wieder schlechteren Wetter werden? – Einfacher auf keinen Fall!
Ehe ich mich versah, steckte ich über dem Westerwald erneut in Schwierigkeiten. Diesmal allerdings unverschuldet. Diffuse Wolkenoptik, schlechte Sicht, kaum Sonneneinstrahlung. Welcome back!
Jetzt war aber auch mein alter Kampfgeist wieder geweckt, und nachdem der Anschluss an die Wolkenbasis einmal geschafft war, wurde es ein fast schon entspannter Heimflug ohne weitere Probleme.
Immerhin 540 km standen am Ende auf der Uhr. 540 km mit Höhen und Tiefen und rekordverdächtigen 72 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Langsam wie nie, wetterbedingt, aber auch wegen eigener Fehler. Lehrreich war‘s, spannend war‘s, schön war‘s!
Wie gut, dass ich am Morgen den Flieger aufgebaut hatte – trotz oder gerade wegen des miesen Wetterberichts! Flugdetails.
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Noch ein wunderbarer Alpenflug
Von den Eindrücken eines einzigen Fluges kann ich wochenlang, monatelang zehren. Wenn nötig sogar über den ganzen Winter, wenn Skifahren und andere Aktivitäten die Lücke mehr schlecht als recht füllen.
Ein einziger Flug füllt den Akku für lange Zeit. Aber mehr ist nie Zuviel und gerade in den Alpen geht es meist Schlag auf Schlag. So war ich nach dem atemberaubenden Ritt durch Massif Central und Hochalpen gerade aus dem Cockpit gestiegen, hatte das Flugzeug vertäut, ein wenig gegessen und eine Mütze Schlaf genommen, da saß ich schon wieder in der JS1 und wurde in den Himmel über Serres gezogen; zusätzlich motiviert durch die Aussicht, dass dies wohl der letzte Flug des Urlaubs, vielleicht der ganzen Saison werden würde.
Am Nachmittag sollten von Westen dichte Cirren aufziehen, Vorboten des schlechten Wetters der nächsten Tage. Doch vorher versprach es nochmals ein schöner Thermiktag zu werden. Wenn auch mit Überentwicklung und eingelagerten Schauern über den Ecrins und der Vanoise.
Mein Plan war, über den Vercors und die westlichen Ausläufer der Ecrins zum Mont Blanc zu fliegen und von dort das Rhonetal hinauf zum Furkapass vorzustoßen. Das musste dieses Jahr einfach nochmal sein, auch wenn klar war, dass der Rückweg zwischen Schauern im Osten und aufziehender Abschirmung im Westen schwierig werden würde.
Mit weiteren Details des Rückfluges wollte ich mich zunächst nicht beschäftigen. Kommt Zeit, kommt Rat und zur Not… gibt es da ja noch den Jet.
In über 20 Jahren Alpensegelflug bin ich nur einmal aussengelandet und habe nie einen Motor vermisst. Aber ja: Dieses Jahr hätten 2 von 3 Flügen ohne Motor anders ausgesehen. Ich wäre nicht ins Zentralmassiv geflogen und ich hätte am 3. Tag nicht dem Furka „Hallo“ gesagt – der Jet eröffnet neue Horizonte, hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden!
So ging es nach dem Ausklinken und einigen Kreisen frohen Mutes Richtung Norden. Statt das mäßige Steigen bis zur Wolkenuntergrenze auszuschöpfen, blieb ich zunächst bewusst unter Hangkante und surfte die sonnenbeschienenen Ostflanken entlang. Dies macht wirklich Spaß und ist zudem recht eindrucksvoll: in den Bergen, nicht über den Bergen.
Erst am Mont Aiguille, einem wunderschönen, der Ostkante des dem Parc National du Vercors vorgelagerten Monolithen, schraubte ich mich auf 2700 m und gewann so genug Höhe für die Talquerung Richtung Ecrins. Diesen Weg hatte ich bislang selten gewählt, weil er sich meteorologisch nicht oft anbietet. Leider, denn die Landschaft, die man hier durchfliegt, ist fantastisch, einfach wunderschön und abwechslungsreich. Ich sog die zahlreichen Eindrücke im Vorbeiflug bewusst auf und griff auch wiederholt zur Handykamera. Ich hoffe, die Fotos vermitteln näherungsweise die Anmut dieser Landschaft!
Je weiter ich mich von meinem Startort Serres entfernte, desto vertrauter wurde mir die Gegend kurioserweise. Mont Blanc, Matterhorn, Rhônetal, Furka: diesen Teil der Alpen hatte ich mir in den letzten Jahren Stück für Stück erflogen und mittlerweile fühle ich mich hier so wohl wie im heimischen Sauerland.
Ich genoss jede Minute dieses zunächst völlig entspannten Fluges zwischen den höchsten Bergen Europas. Das Wetter wurde zunehmend besser und so ging es zügig am Mattertal vorbei auf die Nordseite des Rhonetals und auf dem Hauptgrad Richtung Furka. Alles lief wie am Schnürchen und das änderte sich zunächst auch nicht auf dem Rückweg.
Querab des Mont Blanc wurde allerdings klar, dass es schwierig werden würde, nach Serres zurückzukommen. Über der weitläufigen Vanoise ließ sich kein einziger Sonnenstrahl mehr ausmachen. Hier ging es schon mal nicht durch. Im Westen zog bereits deutlich die angekündigte Abschirmung auf. Die Einstrahlung war bereits massiv eingeschränkt. Dennoch lag hier die einzig sinnvolle Option: Gas rausnehmen, Nase Richtung Südwest, die leidlich angeströmten Westhänge entlang fliegen und auf die eine oder andere Thermikablösung setzen.
Das klappte zunächst auch ganz gut, aber ein richtiger Aufwind ließ sich nicht mehr finden. Aufgeben gilt aber nicht! Landeoptionen gab es genug, zunächst Chambery, dann Grenoble. Ein einziger vernünftiger Bart fehlte noch für den sicheren Gleitflug nach Serres. Aber der wollte sich entlang der Bergkette nordöstlich von Grenoble einfach nicht finden lassen. Jetzt musste eine Entscheidung her: Talquerung nach Westen in die Chartreuse, wo eine eher sterbend aussehende Cumulus-Wolke „lockte“ oder „geradeaus“ unter die einzige, eigentlich noch gut aussehende Wolke weit südlich Grenoble. Letztere Wolke würde ich knapp erreichen. Würde sie nicht „ziehen“, gäbe es keinen weiteren Weg nach vorne, stattdessen nur den zurück zum Flugplatz Grenoble. Die Chartreuse bot dagegen mehrere Optionen, sollte es „die eine“ Wolke nicht tun, gäbe es noch eine 2. und letztlich den Einflug in den Vercors.
Nicht einfach, wie alle „echten“ Entscheidungen. Und doch: hätte es nicht noch einen weiteren Gedanken im Hinterkopf gegeben, hätte ich alle meine Karten auf die (noch) gut aussehende Wolke gesetzt – und wäre nach Hause gekommen, wie ich im Nachhinein im Internet sehen konnte 😖 (ein anderer Flieger hat fast zu gleicher Zeit diesen Weg gewählt).
Vom rechten Pfad abgebracht hat mich, dass ich noch nie zuvor in der Chartreuse war und noch nie zuvor aus dieser Lage den Rückweg westlich des Vercors gewählt hatte. Auch dieser weiße Fleck auf der Landkarte wollte erobert werden: also hinein ins Verderben – Grrr.
Um die Kirche im Dorf zu lassen: Das Verderben bestand letztlich im Zünden des Motors in sicherer Anflughöhe auf Grenoble. Nach zehn Minuten und knapp 1000 zusätzlichen Metern befand ich mich im Endanflug auf Serres und dank einer Wolkenstrasse, die sich trotz der Abschirmung noch gebildet hatte, konnte ich den Flug sogar noch etwas ausdehnen. Genau für solche Situationen habe ich den Motor schließlich. Und doch: ich gräme mich selbst nach Monaten noch. Es wäre möglich gewesen, ohne Jet nach Hause zu kommen und ich habe es nicht geschafft. Diese Gedanken mag mancher Leser kleinkariert finden. Ich bin aber froh, dass ich immer noch so ticke. Nur mit dieser Einstellung wird man besser. Und genossen habe ich den Flug trotzdem. Sehr sogar 😀.
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Im Tiefflug über das Massif Central
Das Fluggebiet, das sich von Serres aus erschließt, ist atemberaubend und auch nach vielen Jahren, über hundert Flügen und achthundert Stunden noch abwechslungsreich. Mehr noch: es bietet auch nach all den Jahren noch neue Varianten, neue fantastische Eindrücke und es gibt sogar noch weiße Flecke auf der Landkarte, die es zu erschließen gilt. In solche weißen Flecken bin ich dieses Jahr an jedem der drei Flugtage vorgestoßen. Die Gletscherwelt zwischen Mt. Blanc und Matterhorn mit 30 Viertausendern hatte ich bislang genauso wenig durchflogen wie die Chartreuse nordwestlich von Grenoble. Und vor allem hatte ich mich noch nie über das breite Rhonetal in das Massif Central gewagt.
Ein solcher Ausflug aus dem Alpenraum bietet sich natürlich nicht bei jeder Wetterlage an. Aber es hatte mich in den vergangenen Jahren schon mehrfach in den Fingern gejuckt… allein, getraut habe ich mich nie. Zu groß schien mir das Risiko, nach der Talquerung keinen Thermikanschluss zu finden und den Tag frühzeitig auf dem Acker zu beenden. Zugegeben: gegen derartige Bedenken hilft ein Jet im Rücken ungemein. Also nahm ich das Abenteuer nach einem regenbedingten Pausentag frohen Mutes in Angriff.
Eigentlich wollte ich zunächst in den Norden und später in das Zentralmassiv fliegen. Aber der Tag begann durch den Regen des Vortages zäh und als ich kurz nach 12 Uhr in die Luft kam, sah es Richtung Ecrins noch gar nicht einladend aus. Also spontan umgeplant und Richtung Aubenasson, zum Sprungbrett über das Rhônetal. Basishöhen waren im Zentralmassiv mit 2000 m angesagt. Das schien mir ausreichend. Hätte ich mich besser vorbereitet, wäre ich allerdings zu einem anderen Schluss gekommen. Schließlich handelt es sich beim Massif Central um eine Hochebene, 1300 bis 1500 m über dem Meeresspiegel. Für die, die nicht mitgerechnet haben: 500 bis 700m über Grund sind selbst in landbarem Terrain nicht gerade üppig…
Für den Sprung über das Rhônetal wollte ich natürlich so viel Höhe wie möglich tanken, aber wie üblich fiel die Basis hier deutlich ab und letztlich mussten 1600 m für den Absprung reichen (Flugdetails).
Auch die bewaldeten Hügel mitten im Rhônetal brachten nicht das erhoffte Steigen und so baute sich unerwartet vor mir das Sperrgebiet um das AKW Cruas zum unüberwindbaren Hindernis auf. Eben noch war mein Plan, die erste Wolke hinter dem Atomkraftwerk anzufliegen und dafür das Sperrgebiet zu überfliegen. Nun musste ich nördlich um das AKW herum und mir war klar, dass es richtig knapp werden würde, den dringend nötigen Thermikanschluss zu finden. Voraus lockten herrliche Wolken – unerreichbar. Nördlich und noch eine ganze Ecke entfernt stand über den ersten Hügeln eine zerfaserte Wolke. Die musste es bringen. Warum nur hatte ich die kurzen Ohren montiert? Die Extra-Gleitpunkte der 21 m hätte ich jetzt gut gebrauchen können…
In 200 m über Grund lupfte es – das Landefeld im Tal fest im Blick. Spannend blieb es aber noch unendlich gedehnte Minuten. Meterchen für Meterchen ging es nach oben. Oder besser gesagt: 3 Meter hoch und 2 wieder runter. Schließlich entwickelte sich doch noch ein vernünftiger Aufwind und wenig später konnte ich aufrichten und Kurs nach Westen nehmen. Der Einstieg ins Zentralmassiv war geschafft. Dachte ich und fand mich kurz darauf wieder in 200 m über dem rapide ansteigenden Gelände. Immerhin ging es jetzt mit gutem Steigen Richtung Wolkenuntergrenze. Aber spätestens hier wurde mir bewusst, auf was ich mich heute eingelassen hatte. Das Wolkenbild lud zum schnellen Vorfliegen ein – eine fast teuflische Versuchung. Ein verpasster Aufwind, ein Moment der Unkonzentriertheit und die Orientierung musste sofort statt nach vorne nach unten gehen – oder besser in die Ferne, querab vom Kurs Richtung potentiell landbaren Geländes.
Glücklicherweise blieb mir ein weiterer Tiefpunkt erspart und es gelang mir, die herrliche Landschaft aufzusaugen und zu genießen. Hier war ich sicher nicht zum letzten Mal – so toll!
Der Wiedereinstieg in die Bergwelt der Haute Provence gestaltete sich leider fast so spannend wie Stunden zuvor der Sprung ins Zentralmassiv. Wieder tief über der ersten Rippe, wieder kämpfend im schwachen Steigen. Aber auch das war irgendwann geschafft. Nun kannte ich mich wieder aus, nun war ich zurück in vertrautem Terrain und obwohl immer noch tief steigerte ich mich schnell in einen regelrechten Flow.
Unter Hangkante am Vercors entlang, rüber zum Pic de Bure, erst dort die ersten wenigen Kreise. Weiter in die Ecrins, rauf auf den Parcours Royal, diesen komplett nach Norden durchgeflogen und raus aus der Umzingelung der Beinahe-Viertausender ins „freie Gelände“. Alles im Geradeausflug – es lief! Die nächste Wolke katapultierte mich regelrecht über 4000 m und weiter geradeaus durch die Vanoise zur Konvergenz an der italienischen Grenze, knapp südlich des Gran Paradiso.
Von dort aus ging es ohne einen einzigen Kreis zurück in die Ecrins, den Parcours Royal und den Parcours herunter bis an die Gorge du Verdon am östlichen Ende des Lac de St. Croix. Wahnsinn! Nun den Parcours nochmal herauf bis an den Morgon und zurück nach Serres. Ein Flug für die persönlichen Annalen. Wow!
Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.
Was für eine Saison! Ganz persönlich, aber auch allgemein. In den 35 Jahren meines bisherigen Fliegerlebens gab es wohl noch kein Jahr, in dem in Deutschland an so vielen Tagen 1000er geflogen worden sind.
Und ich war an keinem dieser Tage zur Stelle – falscher Ort, keine Zeit (meist), verpennt oder gerade auf einem Wettbewerb – dazu später mehr. Auch in meinem Urlaub in den französischen Alpen habe ich es so schlecht wie noch nie erwischt: nur drei von sieben Tagen waren fliegbar.
Grund sich zu grämen? Mitnichten! Auch ich habe fantastische Flüge gemacht – spektakuläre sogar! Und nebenbei bin ich nach 14 Jahren Abstinenz erfolgreich wieder ins Wettbewerbsgeschehen eingestiegen. „Erfolgreich“ ist sogar leicht untertrieben: Mit einem zweiten Platz im Jenacup gegen und vor Koryphäen wie Bruno Gantenbrink und Alexander Müller hätte ich im Leben nicht gerechnet – einfach wunderbar!
Zäumen wir das Pferd ausnahmsweise mal von hinten auf und beginnen mit den drei tollen Tagen in Serres. Eigentlich sollte es wie üblich eine volle Flugwoche werden. Aber der Wettergott hatte diesmal etwas dagegen.
Angekommen am Freitag, 12.August 2022, begann es am Samstag vielversprechend: homogene Bedingungen bis weit in den Norden (in Deutschland wurden an dem Tag mal wieder 1000 km geflogen), aber weitgehend blau, im Südosten dafür Gefahr von Schauern und niedrige Basis.
Nicht alle teilten meine Euphorie, hatten sie doch 14 Tage grandiosen Wetters in den Knochen, ein Tag besser als der andere. Und jetzt Blauthermik… die verbrachte man doch besser am Pool als in der Luft.
Mich dagegen schreckt Blauthermik im Gebirge überhaupt nicht. Leicht übertreibend behaupte ich sogar, dass Wolken im Gebirge nur stören – als Störfaktor im ansonsten perfekten Zusammenspiel von Wind, Sonne und Orographie.
Dabei schätze natürlich auch ich eine möglichst detaillierte und verlässliche Prognose von Arbeitshöhen und Thermikgüte. Damit lässt sich das Risiko unangenehmer Überraschungen beim Flug ins Blaue effektiv reduzieren. Herausgekommen ist an diesem Samstag ein wunderbarer Flug über mehr als 700 km zunächst nach Norden durch die Ecrins, westlich vorbei am Mont Blanc und zurück durch die Gletscherwelt des Wallis. Dort nur mit der Hilfe von Sonne und Wind hindurch zu fliegen, ist immer wieder so beeindruckend, die Landschaft so imposant und majestätisch!
Selbst in über 3000m Höhe fühlt man sich hier ganz klein, muss man den Kopf in den Nacken legen, um im Vorbeiflug einen Blick auf den fast 2000m höheren Gipfel zu erhaschen. Hier gibt es tatsächlich noch das sprichwörtliche ewige Eis, hier schweifen die Blicke über die wohl ausgedehnteste Gletscher-, Eis- und Felslandschaft, die die Alpen zu bieten haben.
Am weitläufigen Mont Blanc Massif bewundere und bestaune ich immer wieder die tollkühn konstruierten Seilbahnen, die die unwirtlichsten Ecken erschließen. Unglaublich, welch winzige Vorsprünge und Felsnadeln hier als Untergrund für Pfeiler, Stützen und Stationen dienen. Mit welchem Einsatz, sicher auch Einsatz von Menschenleben sind diese Bauwerke wohl einst errichtet worden. Kein Vergleich mit den eher profanen Seilbahnen, die ich aus den von mir typischerweise besuchten Skigebieten kenne.
Die Bergwelt zwischen Mt Blanc im Westen, Aostatal im Süden, Mattertal im Osten und Rhônetal im Norden glänzt dagegen durch ihre Unberührtheit. Nur vereinzelte Stauseen zeugen hier von menschlicher Zivilisation. Ansonsten schweift der Blick über viele viele Kilometer von Gipfel zu Gipfel, von Gletscher zu Gletscher, von Schneefeld zu Schneefeld. Kein Dorf, kein Skigebiet, keine Seilbahn. Dafür ein Viertausender neben dem nächsten – Wow!
Ich sauge das alles in mich auf und genieße! Ein wunderbarer erster Flugtag!
Irgendwann wird die Flugzeugnase doch gen Süden gedreht und ich entschwinde dem Wallis Richtung Vannoise. Unter bewusster Umgehung des Vogelschutzgebiets am Gran Paradiso geht es jetzt zügig auf fast schon ausgetretenen Pfaden zurück in heimatliche Gefilde. Modanetal, Bardonecchia, Brianconnais; hier kann ich mich schon fast schlafwandlerisch bewegen. Und doch macht es immer noch und immer wieder ungeheuren Spaß hier zu fliegen – und das Wetter sorgt immer wieder für Überraschungseffekte und lehrt einen Neues.
Heute läuft es und ich werde fast übermütig. Dreihundert Kilometer mit nur 5 Kreisen, einfach fantastisch! (Hier der Link zum Flugweg 😀).
Geradeaus, immer weiter geradeaus geht es nach Süden bis zum Lac de Castellane und von dort wieder nach Norden bis an die Nordspitze der Écrins, immer noch ohne Kreis zurück nach Serres.
Das hat echtes Suchtpotenzial: atemberaubend, berauschend. „Klein Martin, der König der Berge“ – ein wenig fing ich an mich so zu fühlen – und erschrak! Hier droht es, gefährlich zu werden. Niemals darf man den Respekt vor den Bergen verlieren, niemals darf man überheblich, gar leichtsinnig werden, immer muss man das Bewusstsein für die Gefahren wach halten!
Diese Gedanken vermochten es natürlich nicht, meine Freude über diesen wunderbaren ersten Flugtag zu trüben. So toll! Ich war einfach glücklich, schlicht und einfach – glücklich! Allein für diesen einen Flug hatte sich die weite Anreise schon gelohnt!
Viel ist bereits geschrieben worden über die Gefahren des Fliegens, und wer sich durch all meine Artikel gearbeitet hat (ich hoffe, das war mehr Vergnügen als Arbeit), der hat hier und da auch bei mir schon einiges zum Thema „Sicheres Fliegen“ gefunden.
Sicheres Fliegen erreicht man nicht durch Verharmlosen – wer hat nicht schon gehört, dass die Fahrt zum Flugplatz das Gefährlichste am Fliegen sei – sondern durch bewusste Auseinandersetzung mit den Gefahren. Dazu gehört vor allem und zuvorderst das Teilen von Erfahrungen. Dies klingt selbstverständlich, und doch erlebe ich immer wieder eine gewisse Zurückhaltung beim Teilen kritischer Situationen oder Unfälle. Diese Zurückhaltung hat vielfältige Ursachen. Das fängt damit an, dass nur derjenige sinnvoll Erfahrungen teilen kann, der sich selbst intensiv mit eigenen Fehlern beschäftigt. „Gerade nochmal gut gegangen; schnell verdrängen und bald vergessen“ sind dagegen weit verbreitete Mechanismen. Und selbst Unfälle werden oft durch Verdrängen statt durch intensive Aufarbeitung verarbeitet.
Hinzu kommt die Sorge, sich angreifbar zu machen, wenn man über eigene Fehler spricht. Es braucht schon ein gewisses Standing und ein dickes Fell, um dagegen immun zu sein oder eben ein Umfeld, das das Teilen von Fehlern fordert und fördert. Ein solches Umfeld gilt es zu schaffen; das ist absolut essentiell für eine funktionierende Sicherheitskultur.
Es gibt noch eine weitere Sorge, die ich insbesondere gegenüber Nichtfliegern und Interessenten oder Neumitgliedern schon oft wahrgenommen habe: Allzu plastische Schilderungen von Gefahren, kritischen Situationen und Unfällen könnten abschreckend wirken, nicht etwa die Sinne schärfen, sondern die Menschen ganz vom Segelflugsport wegtreiben. Da ist leider ein Funke Wahrheit dran. Ich war auch nicht begeistert, als mein Sohn mir eröffnete, dass er den Motorradführerschein machen wird. Eben weil ich dieses Hobby für gefährlich halte.
Fast alle Segelflugunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Menschliches Versagen des Piloten. Technisches Versagen ist extrem selten. Beim „normalen“ Fliegen sind unsere Flugzeuge praktisch „unkaputtbar“ (Achtung: beim Kunstflug sieht das ganz anders aus). Gegen „menschliches Versagen“ halten sich die meisten Piloten für immun und das eigene Fliegen folglich für sicher. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus: „Diese haarsträubenden Fehler würden mir so nie passieren.“ Leider doch.
Ich habe im Laufe von 35 Jahren Segelflug mehrere Freunde und Bekannte durch tödliche Segelflugunfälle verloren. Alle erfahrene Piloten und keine Draufgänger. Hinzu kommen einige sehr bekannte Segelflieger von Helmut Reichmann bis Klaus Holighaus. Durch Autounfälle habe ich in dem Zeitraum niemanden verloren. Solche Schicksale kenne ich nur aus zweiter und dritter Hand und wie jeder aus der Statistik. Kommen wir endlich zum Kern dieses Artikels, zum Teilen persönlicher Erfahrungen. Aus 35 Jahren gibt es da leider einiges zu berichten und wer weiß, vielleicht wird hieraus ja eine kleine Serie. Heute möchte ich mich auf die drei wirklich gefährlichen Situationen fokussieren, in die ich in meinem Fliegerleben geraten bin und in denen ich wirklich Glück hatte. Glück, dass es nicht zu Unfällen kam bzw. in einem Fall Glück, dass es bei kleineren Schäden geblieben ist.
Zwei dieser Situationen hatten eine entscheidende Gemeinsamkeit: Tunnelblick. Man hat einen Plan und lässt alle Informationen, die nicht zu diesem Plan passen, abprallen, ignoriert sie, schiebt sie von sich, konzentriert sich vollständig auf das eine Ziel, den einen Plan, den es umzusetzen gilt. Das Ausblenden unerwünschter Informationen kann sehr weit gehen: „Es kann nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf.“
Es musste reichen, musste, musste, musste… Fall 1 trug sich in den 90er Jahren in der Provence zu. Es herrschte Mistral und von Sisteron aus ging es zunächst im F-Schlepp an den Gache. Dort im Hangaufwind auf maximale Höhe und weiter zum Lure. Von hier stürzt man sich wahlweise nach Norden ins Jabrontal auf der Suche nach dem Rotor des vorgelagerten Höhenzuges, des „Ubac“ oder man wagt es, nach Süden über den Grat des Lure abzutauchen und steigt über dessen sanft abfallender Südflanke in den Rotor und weiter in die Welle ein. Gelingt dies nicht wie geplant, so kann man sich den Einstieg in die Welle und den Aufstieg an die Tropopausen-Grenze allerdings erstmal abschminken. Stattdessen müssen ganz kleine Brötchen an den sogenannten Hinkelsteinen gebacken oder gar in St. Auban gelandet werden.
Für mich hiess es also «Nase gegen den Wind aufrichten und ab ins Jabron-Tal». Nach längerem Kampf in der Rotorturbulenz gelang tatsächlich der Einflug in das laminare Steigen. Dies ist immer wieder extrem beeindruckend. Den ganzen Tag lang hat man gegen die Widrigkeiten des Mistrals gekämpft. Das fängt schon beim morgendlichen Aufbauen an. Bei 70 -80 km/h Wind den Flieger zusammenzustecken macht keinen Spaß. Zu Hause käme man bei derartigem Wetter nicht im Traum auf die Idee zu fliegen.
Weiter geht es mit einem ruppigen und fordernden F-Schlepp an den Hang. Hier geht es wunderbar nach oben bis einige 100m über Hangkante, aber beim Vorflug zum nächsten Hang müssen bereits wieder die Gurte festgezurrt sein. Lose Gegenstände im Cockpit sind unbedingt zu vermeiden. Wer das missachtet, merkt schnell, warum dies mehr als ein gut gemeinter Ratschlag ist. Auch empfiehlt sich eine Schaumstoffeinlage im obligatorischen Hütchen, um die Schläge auf die Schädeldecke zu dämpfen. Trotz festgezurrter Gurte sind unsanfte Kontakte mit der Haube praktisch unvermeidbar.
Was es jetzt auch braucht, ist unerschütterliches Vertrauen in die Konstrukteure und Erbauer des Fluggeräts. Hier wird es wirklich beansprucht und gnadenlos durchgeschüttelt. Hat man dies alles überstanden (im Doppelsitzer sind Mitflieger mit empfindlichem Magen ein echtes Risiko :-), so erwartet einen als nächstes der oben schon mehrfach zitierte Rotor. Dieser steht im Lee eines angeströmten Bergrückens. Man kann ihn sich wie eine überdimensionale Waschmaschinentrommel vorstellen. Die Achse liegt etwa auf Kammhöhe des Bergrückens in dessen Längsrichtung und in der drehenden Trommel geht es auf der einen Seite rauf und auf der anderen runter. Typischerweise gelingt es nicht, einen vollen Kreis in der aufsteigenden Trommelhälfte zu platzieren. Stattdessen geht es vom starken Steigen übergangslos in starkes Fallen und wieder zurück. Unterm Strich bleibt dann hoffentlich ein positives Saldo und man arbeitet sich langsam (oder auch zügig) zum oberen Scheitelpunkt der Wäschetrommel hinauf. Dort lockt dann der Lohn für all die Mühen: plötzlich wird alles ruhig, keine Spur mehr von Turbulenz. Die Flugzeugnase wird gegen den Wind ausgerichtet, die Geschwindigkeit auf die des Windes eingestellt (üblicherweise 80-120 km/h). Jetzt geht es ortsfest wie im Fahrstuhl nach oben mit 2, 3, 4, 5 oder mehr m/s. Wow!
Wie hoch es in der Welle des Ubac für mich ging, erinnere ich nicht mehr. In jedem Fall so hoch, dass das weite Durance-Tal tief unter mir lag und ich von weit oben auf den bewaldeten Rücken des nördlich gelegenen Chabre schaute. Die Strecke dorthin schien wie ein Katzensprung. Auf dem Weg würde ich wahlweise in den nächsten Wellenaufwind fallen oder alternativ in den kräftigen Hangaufwind auf der Nordseite des Chabre einsteigen.
Ich erhöhte die Geschwindigkeit und flog nach Norden gegen den Wind, den Höhenzug des Chabre fest im Blick. Nun ging es in den absteigenden Ast der Welle. Eigentlich musste es eine andere Welle sein, aber für derartige Gedanken hatte ich keine Kapazitäten. Ich fiel nun wie ein Stein, nicht mit fünf, eher mit Zehn Metern pro Sekunde. Ich fiel ins Bodenlose und gegen den starken Wind ging es kaum voran. Noch sah ich mein Ziel, den Kamm des Chabre, von weit oben. Aber der Winkel änderte sich dramatisch schnell. Schon erkannte ich wie flach der südliche Waldrücken über etliche Kilometer wirklich abfällt. Noch war Zeit nach Osten ins breite Durancetal abzudrehen, den Chabre zu umfliegen, sich ihm von Norden mit Rückenwind wieder zu nähern und ganz nebenbei wohl auch dem Gebiet starken Fallens zu entfliehen. Aber ich blieb fixiert auf den Weg voraus. Da vorne lag der Grat des Chabre. Da wollte ich hin. Mittlerweile musste ich den fallenden Ast der Welle längst nach unten verlassen haben. Jetzt befand ich mich im direkten Lee des Chabre, was zunächst keinen Unterschied machte. Es ging immer noch mit Macht nach unten. Aber nun wurde es wieder turbulent. Ich erkannte unter mir bereits, wie die Wipfel der Bäume sich im Wind bogen und durchgeschüttelt wurden. Jetzt war es bereits zu spät fürs Abdrehen. Ich war zu tief, das Waldgebiet zu ausgedehnt, zu flach abfallend, um ihm im starken Fallen zu entkommen. Jetzt gab es tatsächlich nur noch den Weg nach vorne. Ich fasste den Steuerknüppel noch fester mit beiden Händen, fixierte die Passhöhe voraus, den niedrigsten erreichbaren Übergang. Immer noch klebte die Variometer-Nadel am unteren Anschlag, immer noch wurde der Winkel zum Pass mit jeder Sekunde flacher. Aber nun war es maximal noch ein Kilometer. Fahrt halten, hoffen, beten!? Es musste reichen, musste, musste, musste…
Mit maximal 50 m Höhe überquerte ich den Pass und wurde sofort vom starken Hangaufwind in die Höhe gerissen. Nur langsam löste ich mich aus meiner Schockstarre. Und wenn ich das hier so schreibe, 25 Jahre später, packt es mich immer noch, läuft mir immer noch ein Schauer über den Rücken. Das war knapp, richtig knapp…
Ich hatte mich in eine Situation manövriert, aus der es nur noch einen Ausweg gab. Und dieser wurde zunehmend zu einem sich zügig schließenden Nadelöhr. All das hatte ich viel zu spät erkannt, als es schon zu spät war für naheliegende Alternativen, die mir zuvor weit offenstanden. Ich war fixiert auf meinen Plan A, erkannte nicht bzw. viel zu spät, dass dieser überhaupt gefährlich werden könnte, gefährlich wurde, dass es irgendwann keine Alternativen zur Passquerung mehr gab. Tunnelblick!
Realitätsverweigerung Fall 2 trug sich am ersten Wertungstag der Deutschen Meisterschaften in Lüsse 2005 zu. 1995 war ich bereits die DM der Junioren mitgeflogen, aber für die „großen“ Meisterschaften hatte ich mich nun zum ersten Mal qualifiziert. Sechs Jahre zuvor war die Qualifikation an „Fall Nummer 3“ gescheitert. Mehr dazu weiter unten im Text. Danach hatte ich für einige Jahre keine Quali-Wettbewerbe mehr geflogen.
Meine Vorbereitung war alles andere als optimal. Wenige Monate zuvor hatte ich einen neuen Job angetreten samt Umzug, anstrengender Einarbeitungsphase und Vereinswechsel. Geflogen war ich die ganze Saison so gut wie nicht. Zwei Wochen vor dem Wettbewerb wurde zudem meine Tochter geboren. „Kein Problem“ meinte die Hebamme; Schwiegereltern und Eltern waren zur Unterstützung dabei – und trotzdem: Unter dem Strich hätte ich die Teilnahme an der DM absagen sollen. Dass ich es nicht getan habe, wirft mir meine Frau heute noch vor – mit Recht.
Am ersten Wertungstag gab es Blauthermik – genauer: es war blau. Thermik gab es eher nicht. Trotzdem wurde gestartet und auch abgeflogen. Aufgefächert glitten wir vorsichtig auf Kurs, langsam tiefer und tiefer. Trotzdem rechnete ich fest mit einem Aufwind und lies das Wasser drin – eindeutig ein Fehler. Landen kann man in Brandenburg fast überall und somit praktisch fliegen, bis das Rad rollt. Den ersten Kreis machten wir in 240m über Grund. Hoch ging es aber nicht. Zumindest nicht für mich. „Negativer Nullschieber“ nennt man sowas wohl.
Zehn Minuten später, nach etlichen Schleifen und Kreiswechseln flog ich immer noch, auch das Wasser gluckerte immer noch in den Tragflächen. Wasser ablassen hätte den zarten Aufwind, auf dessen Aufblühen ich immer noch hoffte, endgültig abgewürgt. So meine Befürchtung. Dann lieber die zusätzlichen Kilos schleppen. Ich flog immer noch, aber mittlerweile nur noch in 60 m Höhe. Ich habe mir extra nochmal das alte igc-file angeschaut – und konnte es fast nicht glauben. Etliche Kreise sind dort in 60 m Höhe dokumentiert. Schließlich wurde mir die Entscheidung zur Landung durch einen Steuerfehler abgenommen. Ich wurde zu langsam und sackte durch! Knüppel nach vorne, Flieger wieder einfangen, Fahrwerk raus und schon saß ich auf dem Acker, keine 200 m vom Ort meines letzten Kreises entfernt.
Ich blieb erstmal ein paar Minuten im Cockpit sitzen, um mich zu sammeln. Was hatte ich da gerade für eine Sch…. gemacht! Was hatte ich für ein Glück gehabt, jetzt überhaupt hier zu sitzen und mir darüber Gedanken machen zu können.
Ich war offensichtlich überehrgeizig gewesen, überambitioniert, übermotiviert. Aber das war es nicht allein. Realitätsverweigerung trifft es besser. Es konnte nicht wahr sein, was nicht wahr sein durfte! Was hatte ich alles auf mich genommen, um an der DM teilzunehmen. Was hatte ich meiner jungen Familie alles zugemutet! Und alles, um am ersten Wertungstag nach 30 km auf dem erstbesten Acker auszurollen, ohne einen einzigen Aufwind gekurbelt zu haben? Ja! Manchmal spielt das Leben so. Das muss man dann anerkennen und nicht ignorieren. Sonst kann es ganz schnell noch viel schlimmer enden. Ich hatte Glück! Großes Glück! Glück, im richtigen Flugzeugtyp zu sitzen, der nur durchsackte und nicht ins Trudeln abkippte, Glück, dass ich nach all dem Mist, den ich vorher fabriziert hatte, wenigstens in dieser Extremsituation geistesgegenwärtig richtig gehandelt hatte: Knüppel nach vorne! Auch und gerade in nur 60 m Höhe. Glück, überlebt zu haben!
Gerade nochmal gut gegangen. Fall 3 habe ich oben bereits angedeutet. Geschehen ebenfalls auf einem Wettbewerb, der NRW-Meisterschaft 1999 in Aachen. Wir hatten schon einige Wertungstage hinter uns, Wetter und Stimmung waren gut, ich lag perfekt im Rennen, voll auf Kurs Deutsche Meisterschaft.
Nicht weit vom Aachener Flugplatz liegt das Kraftwerk Weisweiler, eine fest einzuplanende Thermikboje für Überlandflieger und auch für das Feld der Meisterschaftsteilnehmer. Nun ist das gemeinsame Fliegen in der Thermik ein bekannter Gefahrenpunkt. Potenziert wird diese Gefahr im Wettbewerb, wenn vor dem Abflug, aber oft genug auch auf Strecke nicht zwei, drei oder vier Flugzeuge, sondern gleich ganze Schwärme einen Aufwind bevölkern. Hier müssen alle aufeinander aufpassen. Augen auf und ständiges Scannen der Umgebung sind neben rücksichtsvollem Fliegen Pflicht.
Heute mindert Flarm als Kollisionswarnsystem die Gefahr von Zusammenstößen. Gab es 1999 aber noch nicht. „Aufeinander aufpassen“ setzt voraus, dass man freie Sicht aufeinander hat. Hier kommt das Thema „Kraftwerk“ ins Spiel. Die aus den Kühltürmen aufsteigende Luft ist feucht und kondensiert oft schon am Boden aus. Gekreist wird nicht in den Nebelschwaden, sondern daneben. Aber natürlich ist die Sicht auf möglicherweise andere im Kraftwerksbart kreisende Flugzeuge eingeschränkt. Und je mehr Flugzeuge es sind, desto größer ist das Risiko. Das Risiko, dass plötzlich hinter einer Nebelschwade ein anderer Flieger auf Kollisionskurs auftaucht. Mir blieb das Herz vor Schreck stehen! Sofortiger voller Querruderausschlag. Gut, aber zu spät, schon schrammt die entgegenkommende Fläche unter meinem Aussenflügel durch. Was für ein Schock!
Eine Berührung hat es auf jeden Fall gegeben, aber zum Glück keinen frontalen Zusammenstoß, vielmehr einen Streifschuss. Gerade nochmal gut gegangen.
Sofortiger Ausflug aus dem Kraftwerks-Bart. Alle Ruder funktionieren, das Flugzeug fliegt normal, keine ungewöhnlichen Geräusche oder sonstige Auffälligkeiten. Zwei andere Piloten setzten ihre Maschinen rechts und links neben meinen Flieger, inspizieren visuell. Alles sah normal aus.
Auch meinem «Unfallgegner» geht es gut, auch sein Flugzeug fliegt normal. Über Funk gibt er bekannt, dass er nach Aachen Merzbrück zurückfliegt und dort landet. Ich dagegen entschließe mich tatsächlich, weiter zu fliegen und lande erst Stunden später in Merzbrück. Eine absolute Fehlentscheidung, die ich kaum erklären kann. Natürlich hätte ich mich nicht mit dem „Inspektionsergebnis“ im Flug zufriedengeben dürfen. Sofortige Landung und Check der Schäden am Boden wären angesagt gewesen. Beulen gab es denn auch tatsächlich. Nicht strukturell gefährlich, aber eine Reparatur war fällig.
Und natürlich war auch ich selbst psychisch nicht in dem Zustand, in dem ein Weiterflug angesagt war. An die Aussenwirkung des Ganzen hatte ich in der Situation als letztes gedacht. Aber natürlich war dieselbe katastrophal: «kaltschnäuzig», «egozentrisch», «rücksichtslos». So muss der Typ wohl ticken, der nach so einem Zwischenfall einfach weiterfliegt. Ich fiel in ein ziemliches Loch und musste mich erst wieder sammeln…
Wettbewerbe bin ich die folgenden Jahre nicht mehr geflogen. Und auch nach fast 25 Jahren fällt es mir noch schwer, über den Vorfall zu schreiben oder zu sprechen. Keine einfache Geschichte für mich.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Übungsflüge lassen sich perfekt nutzen, um neue Routen auszuprobieren. Grundsätzlich sind die Abflugrouten vom Serres sehr vielfältig. Hier gibt es viel zu entdecken und zu erkunden. Zwei Varianten, die ich mir selbst erarbeitet habe und die auch für die Piloten der umliegenden Flugplätze Aspres, La Motte, Sisteron, Gap und St. Auban interessant sind, möchte ich hier kurz vorstellen. Die erste führt zur „Rennstrecke“, zum Parcours. Dieser ist bei gutem Wetter das Ziel auch der weniger erfahrenen Piloten. Wenn sich das Brisen-System etabliert hat, kann man dort über 50 km ohne Höhenverlust Geradeausfliegen. Aber wie hinkommen und wo einsteigen?
Mein favorisierter Weg führt über Crête de Selle und Malaup zum Grande Gautière östlich des Flugplatzes La Motte. Erreicht man hier 2’100 m Höhe, kann man das Tal der Sasse nach Südosten überqueren und über den Grat nach Süden in den Talkessel östlich des Pic de Morgon springen. Ziel erreicht! In diesen Kessel hat den ganzen Vormittag die Sonne eingestrahlt, hat senkrecht auf die Hänge gebrutzelt. Hier geht es mit großer Sicherheit hoch und zwar richtig! Hat man vorher mit schwachem Steigen um die Höhe zur Gratquerung gekämpft, so geht es nun im Fahrstuhl in den Orbit! Hoch genug, um problemlos nach Osten an die Rennstrecke zu queren. Dabei befindet man sich die ganze Zeit in sicherer Anflughöhe auf den Flugplatz Seyne. Sollte die Höhe nicht zur Querung in den Talkessel reichen, so hält man sich etwas nördlich und fliegt die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge ab, bis man -möglicherweise erst westlich vom Seyne und deutlich unter Hangkante – den alternativen Aufwind findet, der dann den Sprung an den Parcours erlaubt.
Wem das jetzt zu viele Orts- und Bergnamen waren… Nein, man muss nicht jeden Stein beim Namen kennen, bevor man in den Alpen fliegt, und ehrlich gesagt, gehöre ich selbst zu jenen, die sich geradezu peinlich schlecht Namen merken können – einschließlich Bergnamen. Ein paar wenige markante Landschaftsmerkmale sollte man sich aber doch einprägen und dann vor Ort dazulernen. Das erleichtert die Kommunikation ungemein: „Wo bist du?“ – Schweigen – „Wo bist du?“ – Schweigen. Dann: „55 km vom Flugplatz weg. Östlich.“ So funktioniert das nicht. Umgekehrt kenne ich auch Piloten, die jeden Hügel beim Vornamen kennen und auf die Frage nach der Position mit eben diesen Namen um sich schmeißen. Auch in diesem Fall weiß hinterher niemand, wo der Kollege ist oder war.
Die zweite Abflugvariante führt nach Norden mit dem Fernziel Mont Blanc und ist eine Alternative zum Standardweg über Piolit und Guillaume an den Prachaval, den Hausberg bei St. Crépin. Auf diesem Standardweg umfliegt man östlich die Écrins mit ihren Viertausendern und hohen Pässen. Man nimmt aber auch einen großen Umweg in Kauf. Dies schmerzt… und außerdem habe ich gleich doppelt schlechte Erinnerungen an diesem Weg. Streift der Piolit einen nach dem langen Anflug vom Pic de Bure ab, so hat man prinzipiell zwei Optionen: Ins flache Gelände Richtung Gap abdrehen und später einen neuen Versuch starten oder der Bergkette weiter nach Osten folgen Richtung Tête de Lucy, Guillaume und letztlich St Crépin Flugplatz, den man üblicherweise sicher erreicht. Auf dieser Strecke gibt es eigentlich vielfältige Möglichkeiten, Thermik zu finden – falls die typische Brise sich einstellt und die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge hinaufweht. Falls man aber nur denkt, dass sie sich eingestellt hat, während in Wahrheit ein westlicher Gradient-Wind parallel zu den Hängen weht, dann geht es auf dem Weiterflug nach Osten kontinuierlich bergab. Dies endete für mich einmal in der Platzrunde von St. Crépin, wo ich eine Stunde lang kämpfte, um letztlich doch wieder hochzukommen und weiter ins Briançonnais vorzufliegen.
Das zweite Mal endete mein Ausflug auf dem UL-Landeplatz am Lac de Serre Ponçon – wenigstens konnte ich dort baden, bevor die Rückholer mich einsammelten… Trotz des erfrischenden Bades im herrlichen Bergsee bevorzuge ich seit diesem Erlebnis alternative Routen in den Norden 😀. Fast schon selbst ein Standardweg ist der Flug über den Pas de la Cavale, mit knapp 2700 m der niedrigste Pass über die Écrins. Vom Pic de Bure geht es hierfür zunächst den Höhenzug am Col du Noyer entlang. Dort findet man meist einen Aufwind, so dass man problemlos auf der anderen Talseite am Cuchon in die Écrins
einsteigen kann. Von hier geht es weiter die Gräte entlang Richtung Pas de la Cavale. Die Sorge, diesen nicht überspringen zu können und den weiten Rückflug nach Gap antreten zu müssen, hält wohl viele Piloten davon ab, diesen Weg zu wählen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Überflug fast immer im ersten Anlauf gelingt. Und falls nicht, so muss man keinesfalls den Rückzug antreten, sondern eine weitere Schleife entlang der sonnenbeschienenen Hänge liefert die fehlende Höhe. Hat man den Pas de la Cavale überquert, so öffnet sich das Briançonnais mit all seinen Optionen. Ein direkter Weiterflug zum Tête d‘Amont südwestlich der Stadt Briançon oder zum Tête de Peyron auf der östlichen Talseite sind die naheliegendsten Varianten.
Was ich hier eigentlich bewerben möchte, ist der Flug durch die westlichen Écrins. Vom Cuchon geht es schnurstracks nach Norden und über Les Deux Alpes weiter in die Savoyer Alpen. Diese Route wird aus mir unerfindlichen Gründen äußerst selten geflogen. Dabei ist sie landschaftlich wunderschön und der absolut direkteste Weg zum Mont Blanc.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Die doppelte Alpentraverse war unbestritten mein persönliches Highlight einer insgesamt tollen ersten Saison mit der JS1. Im Vorfeld des Kaufs hatte ich formuliert, dass ich „fliegerisch nochmal einen richtigen Schritt machen“ wollte. 1’000 km, große Flüge quer durch die Alpen: genau diese Dinge hatte ich dabei im Hinterkopf. Aber dass es so schnell gelingen würde, all dies umzusetzen, hatte ich nicht zu träumen gewagt.
Lag es alles am neuen Flieger? Ja und Nein… 1’000 km wäre ich mit der LS6 sicher nicht geflogen, die Alpentraverse dagegen wäre auch mit einem 15-m-Flieger gelungen. Überhaupt sind Spaß und Freude – und sogar sportlicher Erfolg im Segelflug nicht davon abhängig, dass man sich ein Flugzeug wie die JS1 leisten kann. Mit der LS6 habe ich über zehn Jahre ganz wunderbare Flüge gemacht und einige der tollsten Erlebnisse, an die ich auch nach Jahrzehnten noch zurückdenke, verbinde ich mit Flugzeugen wie Ka8, Ka6, Astir und ASW15; alles Fluggeräte für kleines oder sogar sehr kleines Budget.
Entscheidend ist, dass der Kauf des neuen Flugzeugs für mich ein ungeheurer Motivations-Schub war, der ganz neue Energien freigesetzt hat. Segelfliegen war schon immer mein liebstes Hobby und wurde auch von anderen sportlichen Leidenschaften wie Skifahren und Golfen nie verdrängt. Aber nach dem Erwerb der JS1 habe ich angefangen, mich intensiver mit Streckenplanung und allen anderen Aspekten zu beschäftigen, die es für „Rekordflüge“ (und seien es nur persönliche Rekorde) zu berücksichtigen gilt: Wetter, Luftraum, Studium von Streckenalternativen, Analyse von Flügen anderer… Es braucht auch Disziplin. Man muss die Chance ergreifen WOLLEN, den entscheidenden Tag rechtzeitig in der Wettervorhersage erkennen, sich bemühen, diesen Tag freizuschaufeln (was gerade bei mir oft nicht geht), dann alles weitere organisieren, die eigentliche Flugplanung vorbereitet in der Schublade haben, pünktlich am Flugplatz sein… wer eine Stunde zu spät startet, hat die Chance auf einen 1000er schon verspielt… es sind viele Puzzleteile, die zusammengefügt werden müssen. Und dann braucht man vielleicht auch noch das richtige Flugzeug.
Ich habe mir die Mühe gemacht, bestmöglich „auszurechnen“, was am 31. Mai (als ich die 1’000 km flog) für mich in der LS6 drin gewesen wäre. Ich war mit der JS1 nie tief, so dass ich auch mit der LS6 nie das Problem gehabt hätte, Thermik-Anschluss zu finden. Aus den Gleitzahlen, die ich mit LS6 und JS1 statistisch fliege, habe ich mir ausgerechnet, wieviel zusätzliche Meter ich mit der LS6 über den Tag hätte erkurbeln müssen (ca. 6’000!); aus dem durchschnittlich an dem Tag gekurbelten mittleren Steigen ergibt sich dann die Zeit, die ich zusätzlich kurbelnd verbracht hätte (eine knappe Stunde).
Aus diesen Rechnungen ergibt sich, dass ich mit der LS6 mindestens 850, vielleicht auch 900 km geflogen wäre. Mit Abstand mehr als ich je vorher erreicht hatte!
Ein weiterer Treiber für den Wechsel auf die JS1 war der Wunsch, eine Heimkehrhilfe zu haben, verbunden mit der Erwartung, dann raumgreifender zu fliegen, auch bei zweifelhaften Wetterlagen und auch in den „Tagesrandzeiten“, früh morgens und spät abends. Gebraucht habe ich den Jet über das Jahr nur bei drei Flügen, inklusive des Stunts Anfang März, der auf einer Wiese im Sauerland endete, da die Turbine nicht zündete. Trotzdem ist die „Rechnung“ aus meiner Sicht voll aufgegangen. Gerade im Frühjahr hätte ich mindestens zwei weitere Flüge ohne die Rückversicherung des Jetantriebs so nicht gemacht. Einfach, weil mir die Wahrscheinlichkeit einer Außenlandung zu hoch gewesen wäre.
Bleibt noch ein Blick auf die JS1 an sich, „stand-alone“ und im Vergleich zu Alternativen am Markt. Fangen wir mal mit dem Preis bzw. den „Kosten-/Nutzen-“, „Kosten-/Spaß-“, „Kosten-/ Leistungs“-Verhältnissen an. Wie so oft im Leben ist hier alles relativ. Die JS1 ist etwa fünfmal so teuer wie eine LS6. Hat man damit fünfmal so viel Spaß? Natürlich und zum Glück nicht! Hat man damit mehr Spaß? Ich finde schon 😀. Aber wie oben schon erläutert, kann man auch mit viel günstigerem Gerät das Segelfliegen in all seiner Faszination voll genießen. Und das ist gut so!
Hat man sich einmal entschlossen (und die Möglichkeiten), „so viel Geld“ für ein Flugzeug auszugeben, hat man immer noch die Qual der Wahl. Neu oder gebraucht? Doppelsitzer oder Einsitzer? Eigenstartfähig oder nicht? Welche Spannweite? Und schließlich: welcher Typ genau?
Neuflugzeuge haben zwei entscheidende Nachteile: erstens ewig lange Lieferzeiten von aktuell bis zu vier Jahren und zweitens: Sie sind noch teurer!
Doppelsitzer oder Einsitzer: Geschmacksache
Eigenstartfähig oder nicht: Man ahnt es sicher schon: wenn man eigenständig in die Luft kommen möchte, wird es noch teurer – und zwar nicht nur in der Anschaffung, sondern ganz wesentlich auch im Unterhalt. Zumindest die Anschaffungskosten hält man in Grenzen, wenn man auf einen Flieger der aktuellen Generation verzichtet und damit geringfügige Leistungseinbußen in Kauf nimmt. Allerdings: während der Flieger selbst fast unendlich lange hält, gibt das für die Motoren leider nicht. Und außerdem haben die vielfach verwendeten Zweitakt-Motoren einen großen Nachteil: Vibrationen! Das mögen auch einige Instrumente und andere Teile nicht. Unter dem Strich muss man also genau hinsehen, bevor man die Unterschrift unter den Kaufvertrag eines gebrauchten Eigenstarters setzt.
Und es gibt noch einen weiteren Nachteil dieser Bauart: Insbesondere mit „nur“ 18 m Spannweite haben Eigenstarter eine deutlich erhöhte minimale Flächenbelastung und damit einhergehend schlechtere Leistungen bei schwachem Wetter. Dies interessiert vor allem Wettbewerbspiloten, denn Meisterschaften werden oft an schwachen Tagen entschieden.
Unter dem Strich sollte man einen Eigenstarter wählen, wenn man maximal autark sein will. Solange ich an meinem Heimatflugplatz auch unter der Woche problemlos in die Luft komme, brauche ich keinen. Und dann ist -zumindest für mich- ein Flieger mit Heimkehrhilfe die bessere Wahl.
Welche Spannweite? Jetzt wird es kompliziert 😀.
Ganz früher gab nur zwei Wettbewerbsklassen: 15 m und die Offene. In der offenen Klasse war konstruktiv alles erlaubt, die 15 m Klasse war, nomen est omen, auf 15 m Spannweite beschränkt. Folgerichtig gab es auch nur zwei deutsche Meister und zwei Weltmeister. Je einen in der „kleinen“ und einen in der „großen“ Klasse. Schön übersichtlich. Anfang der 1970er Jahre gab es einen Disput über weitere Einschränkungen in der kleinen Klasse. Man wollte die Kosten begrenzen und diskutierte lebhaft, ob Einziehfahrwerk und Wölbklappen und derlei Dinge zukünftig erlaubt sein sollten oder nicht. Im Ergebnis machte man aus einer Klasse zwei. Neben der Standardklasse mit festem Profil und anfangs verbotenem Wasserballast war die FAI-15-m-Rennklasse geboren. In ihr war alles erlaubt. Nur die Spannweite blieb begrenzt. Diese Entwicklung freute die Hersteller und auch einige Wettbewerbspiloten. Nun gab es eine Möglichkeit mehr, Lorbeerkränze und Medaillen zu gewinnen.
Noch ein paar Jahre und mehrere Entwicklungsschübe weiter fragte man sich, was man denn mit den vielen gut erhaltenen, aber schon nach wenigen Jahren nicht mehr konkurrenzfähigen Flugzeugen der Standardklasse machen sollte. Flugs wurde die Clubklasse kreiert, in der die Heerschar dieser Flieger weiter an Wettbewerben teilnehmen konnte. Man fliegt in dieser Klasse „mit Index“, das heißt, dass Piloten mit einem besseren Flugzeug Strafpunkte bekommen. Dies führt mitunter zur kuriosen Situation, dass man mit einem leistungsschwächeren Flugzeug besser bedient ist.
Die Einführung der Clubklasse erfreute eigentlich alle. Die Flugzeuge blieben wertstabil und jetzt gab es schon vier Deutsche Meister gleichzeitig.
Wer denkt, nun sei es aber langsam genug mit der Einführung neuer Klassen – weit gefehlt! Zwischenzeitlich fanden immer mehr Segelflieger Spaß am doppelsitzigen Fliegen und es wurden auch leistungsfähige Doppelsitzer entwickelt. Eine tolle Sache! Leider passten diese aber in keine Wettbewerbsklasse. Also… Da waren es fünf Deutsche Meister.
Dann beobachtete man mit Sorge, dass die neuen Flugzeuge immer teurer wurden. Man wollte „die Industrie“ animieren, kostengünstige Einfachflugzeuge zu entwickeln – und schuf eine entsprechende Wettbewerbsklasse, die „Weltklasse“. Leider übersah man dabei völlig, dass es längst ein reichhaltiges Angebot günstiger Flugzeuge gab – gebraucht zwar, aber top in Schuss und unverwüstlich. Und die Clubklasse, in der diese Flieger eingesetzt werden können, gab es auch längst.
Last but not least – ich komme zum Ende- zeichnete sich in den 90er Jahren unumkehrbar der Trend zu motorisierten Segelflugzeugen ab. Fünfzehn Meter Spannweite waren aber zu wenig, um das zusätzliche Gewicht sinnvoll zu tragen. Die Offene Klasse hatte zwischenzeitlich Superorchideen mit bis zu 30 m Spannweite hervorgebracht. Mit überragenden Gleitleistungen, aber auch horrend teuer und unhandlich, am Boden wie in der Luft.
Was lag also näher, als eine neue Klasse zu schaffen: die 18m Klasse! Diese wurde tatsächlich ein großer Erfolg, brachte sie doch Flugzeuge hervor, die deutlich bessere Leistungen hatten als die 15-m-Flieger und die gleichzeitig viel handlicher waren als die großen Boliden der Offenen Klasse.
Wer richtig mitgezählt hat, kommt jetzt auf sieben Klassen, also sieben Meister im Segelflug. Lediglich die Weltklasse ist als Totgeburt zwischenzeitlich eingeschlafen. Da waren es nur noch sechs. Sechs Weltmeister, sechs Europameister, sechs Deutsche Meister. Das ist nicht vermittelbar. Wer ist denn nun der beste Segelflieger? Man weiß es nicht… mittlerweile gibt es übrigens auch massive Probleme, Ausrichter für all diese Wettbewerbe zu finden. Und sogar Piloten werden knapp. Leider wächst die Schar der Segelflieger weltweit nämlich nicht.
Mein „radikaler“ Vorschlag: Einstellen der Standardklasse und Rennklasse, alle Flieger mit 15 m in den Topf der Clubklasse einsortieren und mit insgesamt „nur“ noch vier Klassen weiter machen: Club, 18 m, Offen und Doppelsitzer. Das sollte niemandem zu sehr weh tun, auch den Herstellern nicht, die eh keine neuen 15-m-Flugzeuge mehr entwickeln und verkaufen.
Eine Entwicklung, die ausnahmsweise nicht zu einer neuen Wettbewerbsklasse geführt hat, habe ich noch gar nicht beleuchtet: Der Trend zu kleineren Flugzeugen in der Offenen Klasse. Dieser Trend hat zwei Quellen und mehrere Gründe. Zum Verständnis muss ich nochmal etwas ausholen: Die erste Generation von 18-m-Motorseglern basierte auf 15-m-Konstruktionen. Durch Ansteckohren wurde die erhöhte Spannweite ermöglicht und die Struktur der Tragflächen wurde verstärkt, um die erhöhten Lasten aufzunehmen. Bei der zweiten Generation, die vom ersten Strich an auf 18 m optimiert wurde, gingen die Hersteller dann zwei unterschiedliche Wege. Entweder sie boten eine 15m Option mit an, um mit dem gleichen Flieger auch in der Rennklasse antreten zu können, oder sie boten die Option, die Spannweite weiter zu vergrößern. Letzteren Weg ging erstmals Schleicher mit dem Eigenstarter ASH31, der es wahlweise auf 18 oder 21m Spannweite bringt.
Es zeigte sich, dass die ASH31 zumindest bei guten Bedingungen mit den Langohren der offenen Klasse mithalten kann. Bei echtem Hammerwetter, wenn sehr schnell vorgeflogen wird, ist sie sogar überlegen. Diese Erkenntnis animierte die Konkurrenz, kleinere Offene-Klasse-Flugzeuge neu zu konstruieren. Quintus und Antares 23 sind die Ergebnisse. Beide haben sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt.
Anders die JS1 (voilà!), die zunächst mit 18 m und dann mit 21m Spannweite auf den Markt kam und die schnell DAS Flugzeug in der Offenen Klasse wurde und diese nach landläufiger Einschätzung „wiederbelebte“. Waren doch die Platzhirsche ASW22 und Nimbus4 in die Jahre gekommen und im Neugeschäft komplett von den handlichen und doch leistungsstarken 18m Fliegern verdrängt worden.
Heute gibt es wieder echte Konkurrenz in der Offenen Klasse und die Hersteller verfolgen interessanterweise unterschiedliche Philosophien: Während Binder mit der EB29 weiter auf maximale Spannweite setzt, ist man bei Jonker überzeugt, dass das Optimum für die Offene Klasse bei 24 m Spannweite liegt und legt die kommende JS5 entsprechend aus. Schleicher wiederum glaubt, mit nur 20 m Spannweite und extrem schlankem Flügel das Optimum zu treffen. Es wird spannend werden! Vorläufig dominieren aber EB29 und JS1, wobei die EB29 bei den meisten Bedingungen wohl leicht überlegen ist.
Mit diesem Exkurs habe ich die Frage nach der Spannweite noch nicht beantwortet. Aber als Leser hat man sich indirekt vielleicht doch eine eigene Meinung bilden können.
Wer auf einen Motor verzichten kann, findet auf dem Markt eine riesige Auswahl gebrauchter 15-m-Flieger. Wenn es ein Motor sein soll, dann ist man direkt bei 18 m. Und für diejenigen, die sich nicht vor dem täglichen Rüstaufwand und der Unhandlichkeit scheuen, bieten ältere Offene-Klasse-Flieger viel Leistung und Freude für relativ wenig Geld.
Und dann gibt es noch die JS1: für mich das beste Segelflugzeug der Welt 😀. Gegenüber der „direkten Konkurrenz“ im gleichen Preissegment bietet sie den Vorteil, sowohl mit 18 m als auch mit 21 m Spannweite geflogen werden zu können und damit sowohl in der 18-m-Klasse wie auch in der Offenen Klasse voll konkurrenzfähig zu sein. Interessanterweise ist die JS1 zusammen mit dem Ventus3 im „Grand-Prix-Format“, wenn mit vorgegebener Flächenbelastung geflogen wird, sogar das überlegene Flugzeug in der 18-m-Klasse; besser als AS33 und JS3.
Die 21 Meter sind für mich ein echter Joker. In dieser Konfiguration hat die JS1 ein deutlich spürbares und auch wirklich ausfliegbares Leistungsplus gegenüber allen Konkurrenten mit „nur“ 18 m. Sie steigt noch besser und im Vorflug hat man auch bei hohen Geschwindigkeiten ein deutlich geringeres Sinken und damit überlegene Gleitleistungen.
„Erkauft“ wird dieses Leistungsplus durch höhere Seitenruderkräfte und eine gewisse Trägheit um die Hochachse. Dies ist – wenn man es denn überhaupt als solchen empfindet – der einzige Nachteil der JS1 – und wenn es einen stört, kann man immer noch mit 18m fliegen. Ich selbst habe mich mittlerweile vollkommen an diese Abstimmung gewöhnt und empfinde sie nicht mehr als Nachteil. Um die Längsachse ist die JS1 im Übrigen auch in der 21-m-Konfiguration wunderbar leichtgängig, thermikfühlig und wendig.
Das Jettriebwerk ist aus meiner Sicht ein echter Fortschritt gegenüber klassischen „Turbos“. Ausgefahren verursacht der Jet praktisch keinen zusätzlichen Widerstand. Damit gibt es keinen zusätzlichen Höhenverlust bis zum Anspringen des Triebwerks. Das bedeutet, dass man sich effektiv später für das Zünden des Triebwerks entscheiden kann und im Falle des Nicht-Zündens zudem ein Sicherheitsplus hat, da die JS1 mit voller Gleitleistung als Segelflugzeug weiter ihre Bahnen zieht. Läuft der Jet, bleibt es im Cockpit leise und vibrationsfrei. Zudem ist das Vorfliegen mit 140 km/h mit bis zu 1,5 m/s Steigen sehr angenehm. Sparsam ist der Jet nicht gerade, aber das ist aus meiner Sicht weder praktisch (Reichweite und auch das „Systemgewicht“ passen, da der Jet so leicht ist) noch ökologisch ein Problem. Schließlich soll der das Triebwerk ja nicht oft laufen. Wir haben 2021 bei 115 Flugstunden 40 Liter Diesel verbraucht.
À-propos Ökologie: Elektro-Motorsegler sind schwer im Kommen und das Angebot wird immer vielfältiger. Gebraucht gibt es allerdings nur die Antares und einige wenige Flieger mit FES-Antrieb. Alle anderen Muster sind zu frisch am Markt. Elektro-Motorsegler sind toll, aber auch nicht ohne Nachteile. Zu nennen ist hier vor allem das hohe Gewicht – das macht beim Aufrüsten keinen Spaß und wird bei schwachem Wetter zum Problem. Verlegt man die Batterien aus den Tragflächen in den Rumpf, wie Jonker das bei der JS3 macht, handelt man sich echte Zuladungs- und Schwerpunkt-Probleme ein. Nicht einfach.
Größter Pluspunkt des Elektroantriebs ist aus meiner Sicht keinesfalls die Ökobilanz. Hier lässt sich trefflich streiten, ob diese bei einem letztlich selten genutzten Freizeitspielzeug über die Lebensdauer vorteilhaft ist. Unbestreitbare Vorteile sind dagegen einfache Bedienung (bietet der Jet auch), einfache Wartung (bietet der Jet auch), Vibrationsfreiheit (bietet der Jet auch), Eigenstartfähigkeit (bei den meisten Systemen, bietet der Jet nicht) und Lärmarmut (bietet der Jet nur im Cockpit). Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich Markt und Technik hier entwickeln!
Nochmal kurz zurück zum Vergleich der JS1 mit Alternativen: Auch die JS2 als Nachfolger mit gleichen Tragflächen und neuem Rumpf wird die JS1 nicht alt aussehen lassen. Vielmehr bleibt die JS1 für alle, die keinen Eigenstarter brauchen, das leicht bessere Flugzeug: 720 kg statt 690 kg maximales Abfluggewicht, 11 kg statt weit über 20 kg schwere Aussenflügel, Wassertanks in den Aussenflügeln. Das sind in Summe Vorteile, die die Wertstabilität der nur 26 EASA-zugelassenen JS1 für viele Jahre gewährleisten sollten. Es gibt einfach nichts Besseres 😀.
Fortsetzung folgt. Nächstes Mal stelle ich typische Abflug-Routen in die Alpen ab Serres vor.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach der Landung in Isny gab es anerkennende Glückwünsche der wenigen Eingeweihten und ein freundliches „Hallo“ aller anderen Vereinskameraden. Erst langsam sprach sich herum, woher ich kam, und die Reaktion reichte von Erstaunen bis Unglauben. Man kann sich sicher vorstellen, wie euphorisiert und begeistert ich nach einem traumhaften Flug in traumhaftem Wetter aus dem Cockpit stieg. Typischerweise tauscht man sich nach so einem Tag am Lagerfeuer mit anderen Piloten aus, die Ähnliches erlebt hatten, schnackt über die besten Aufwinde des Tages, die Knackpunkte der Flüge, Geschwindigkeitsrekorde und Beinahe-Außenlandungen. Genau das hatte ich auch an diesem Abend erwartet. In Isny war die Stimmung aber seltsam anders. Es gab niemanden, mit dem ich mich derart austauschen konnte, da niemand an diesem wunderbaren Tag weiter als 50 km vom Flugplatz Isny weggeflogen war. Und das, obwohl durchaus viele gute und ambitionierte Piloten mit der Aussicht auf schöne Streckenflüge in den Alpen mit ins Fliegerlager nach Isny gefahren waren. Diese Konstellation machte meinen Flug in den Augen vieler sicher noch unglaublicher, es war aber vor allem eine irgendwie bizarre, auch ein wenig traurige Situation. Wie konnte das sein? Was war passiert?
Die Erklärung ist so einfach wie bitter: Isny liegt knapp 30 km nördlich des Alpenrands und 30 km östlich des Bodensees. Während in den Alpen (und auch auf der schwäbischen Alb 60 km nördlich Isny) die Thermik brüllte, rührte sich in Isny in der vom Bodensee eingesickerten Luftmasse kein Lüftchen, gab es dort kaum den Hauch von Thermik. Erst am Nachmittag konnten einige Piloten in schwachen Aufwinden genug Höhe gewinnen, um bis Sonthofen zu fliegen und wurden dort mit dem nächsten Problem konfrontiert: mit fortschreitender Tageszeit wird in den Alpen bodennah immer mehr Luft in Richtung Alpenhauptkamm gesaugt, wo ein lokales Hitzetief entsteht. Dies unterbindet zunehmend die Thermik am Alpenrand, während es in den Alpen selbst fantastische Aufwinde gibt.
Bittere Bilanz: niemand hatte es an diesem traumhaften Tag von Isny aus in die Alpen geschafft! Damit war auch klar, dass am nächsten Morgen für mich der Einstieg in die Alpen der größte Knackpunkt des geplanten Rückflugs nach Serres werden würde. „Das kannst Du vergessen, hier kommst Du nie weg“ schallte es mir von einigen entgegen. Schöne Aussichten. Das hatte ich so nicht erwartet und kurzzeitig zweifelte ich am Gelingen meiner Pläne. Dabei gab es eigentlich keine Alternative zum Rückflug nach Serres. Auto und Anhänger standen 500 km Luftlinie entfernt. 500 km quer durch die Alpen bzw. viel mehr Kilometer um die Alpen herum. Wenn ich jemanden fände, der mich nach Serres fahren würde, – ich hatte vorab niemanden gefragt – dann würde es zwei volle Tage dauern, bis ich mit Anhänger zurück in Isny wäre. Und eine vernünftige Bahnverbindung gab es erst recht nicht. Nein: Es musste einfach klappen – und zum Glück habe ich Optimismus und Selbstvertrauen auch schnell zurückgewonnen. Ich würde mich bis Sonthofen schleppen lassen und von dort würde am Vormittag, lange bevor der Alpenhauptkamm zu sehr absaugt, der Einstieg gelingen!
Nachdem ich mir das so zurechtgelegt hatte und auch der F-Schlepper für den nächsten Morgen organisiert war, konnte ich das Abendessen und ein Bier in geselliger Runde genießen.
Einen Schlafplatz musste ich noch finden. Das zweite Bett im Wohnmobil meines Schwiegervaters war unerwarteterweise noch von meiner Schwiegermutter besetzt, die länger als geplant im idyllischen Isny geblieben war. So zog ich mit Luftmatratze und Schlafsack (alles im Flugzeug mitgebracht) ins Vereinsheim – und von dort weiter in die blitzblank gefegte Flugzeugwerkstatt, da das Vereinsheim selbst zur Schlafenszeit plötzlich von der videospielenden Jugend belegt war. Kein Problem dachte ich. Die Werkstatt war sauber, kühl, leise, mückenfrei. Was willst Du mehr! Ok, den zunächst gewählten Schlafplatz musste ich nochmal wechseln, da er im Sensorfeld des Bewegungsmelders der Beleuchtung lag – unpraktisch. Als ich endlich eingeschlafen war, wurde ich schon bald wieder wach. Das Ventil der Luftmatratze hatte sich geöffnet und direkt auf dem Steinboden schläft es sich schlecht. Dieses Spiel wiederholte sich leider noch zweimal bevor ich auf die Idee kam, die Luftmatratze umzudrehen. Mit dem Ventil Richtung Boden hielt die Luft für den Rest der Nacht. Nun stellte sich allerdings heraus, dass es in dem Raum noch einen zweiten Bewegungsmelder gab. Warum der erst jetzt ansprach, wird auf immer ein Rätsel bleiben. Ich war zu erschöpft, um mir nochmal einen neuen Schlafplatz zu suchen und versuchte es mit „ruhig liegenbleiben und nicht bewegen“ – mäßig erfolgreich. Als ich endlich schlief dauerte es nicht lange, bis ich laute Stimmen aus dem Bad nebenan hörte. Es gab tatsächlich Frühaufsteher, die schon um 5 Uhr den Tag begrüßten!
Nach dieser Nacht war ich leicht gerädert. Aber eine ausgiebige Dusche, ein starker Kaffee und ein ebenso starker Wille bewirken Wunder!
Während des ausführlichen Frühstücks in der angenehm Wärme spendenden Augustsonne musste ich länger mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) telefonieren. Natürlich hatte die diensthabende Mitarbeiterin andere Vorstellungen von einem ordentlichen Flugplan als der Kollege am Vortag und folgerichtig hatte sie meinen ersten Entwurf in der Luft zerrissen. Es war zum Mäusemelken.
Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten: Für den Heckkuller der JS1 war im Cockpit leider kein Platz und so musste ich den Schwanz anheben, um den Flieger aus der Parkbucht auszurangieren und in die richtige Position für den anschließenden Schlepp zur Startstelle zu drehen. Bei dieser Aktion war leider nur ein Flächenende besetzt – Personalmangel allerorten heutzutage 😀. Plötzlich gab es ein unschönes Geräusch… das Winglet der rechten Fläche hatte die Bespannung am Falken aufgeschlitzt und dabei selbst ein paar Kratzer abbekommen. Der Tag fing richtig gut an!
Endlich am Start hieß es erstmal Warten; erst auf den F-Schlepppiloten, dann auf auf einen Freiflieger. Sorry Luca, dass ich dann schon vor deiner dritten Landung selbst gestartet bin! Ich wurde einfach langsam ungeduldig. Über Isny rührte sich zwar wie erwartet kein Lüftchen, aber in den Alpen zeigten sich schon seit mindestens einer Stunde wunderbare Thermikwolken. Langsam sollte ich in die Luft kommen, auch wenn es außer mir scheinbar niemanden aus Isny Richtung Berge zog.
Wie geplant ließ ich mich durch die tote Luft bis kurz hinter Sonthofen auf 2’200 m MSL schleppen, immerhin 1’500 m über Flugplatzniveau. Einen solchen Rockefeller-Schlepp hatte ich noch nie zuvor gemacht, aber ich denke, jeder Euro war gut investiert 😀.
Meine Idee war, auf der Ostseite des Nebelhorns Anschluss an die hochreichende Thermik zu finden. Die Basis der vereinzelten Culumus-Wolken lockte aus geschätzten 3’000 m Höhe.
Ich glitt also auf die Rückseite des Nebelhorns und kreiste direkt neben dem Gipfelkreuz ein, als perfektes Fotomotiv für die zahlreichen Bergwanderer 😀. Leider entwickelte sich der kurzzeitige Vario-Ausschlag nicht zum erhofft starken Aufwind, und anstatt den Blicken der Ausflügler zügig nach oben zu entschwinden, flog ich den ganzen Grat mehrfach ohne nennenswerten Höhengewinn ab, machte hier einen Kreis und flog dort eine Acht.
So schnell wollte ich meinen Plan nicht aufgeben, vor dem Einflug in das zerklüftete Relief der Allgäuer Alpen bis an die Basis zu steigen. Letztlich musste ich aber nach etlichen vergeblichen Suchschleifen einsehen, dass ich hier nur Zeit vergeudete und tauchte schließlich Richtung Südosten hinter einem Almsattel ab und verschwand auf diesem Weg ohne weiteren Höhengewinn aus dem Blickfeld der zahlreichen Beobachter.
Ganz so bequem wie gedacht funktionierte der Einstieg in die Alpen also schon mal nicht. Immerhin konnte ich beim Weiterflug entlang der sonnenbeschienenen Bergflanken die Höhe halten. Ich war überzeugt, auf diesem Weg früher oder später in einen kräftigen Aufwind zu stolpern und schließlich wurde meine Geduld am Ramstallkopf belohnt. Hier stieg ich zum ersten Mal aus dem Gelände heraus und erreichte wenig später an der Rotnase (so heißt der Berg tatsächlich 😀) endlich die Basis. Damit war der Einstieg, um den ich mir im Vorfeld so viele Gedanken gemacht hatte, endgültig geschafft.
Nun ging es zügig über Wetterspitze und das Stanzertal nach Kappl im Paznauntal. Hier kletterte ich auf über 3’400 m, und von diesem Sprungbrett konnte ich direkt ins Unterengadin springen. Nun war ich wieder voll im Flow und es begann zu rennen, ganz ähnlich wie am Vortag.
Anstatt bis St. Moritz im Engadin zu bleiben, bog ich bereits am Piz Vadret, kurz hinter Zernez nach Westen ab. Es sah auch in dieser Richtung gut aus! Allerdings war die Basis insgesamt deutlich niedriger als am Mittwoch und so wurde jeder Grat zunächst zu einer Barriere, die es zu überspringen galt. Alternative Flugwege und Schlüsselberge dieses Streckenabschnitts war ich im Vorfeld wieder und wieder durchgegangen und so fühlte ich mich gar nicht in unbekanntem Gelände, obwohl ich zum ersten Mal hier unterwegs war.
Ich befand mich jetzt auf der „Königsdorfer Route“ während -wie ich mittlerweile weiß – „die Ohlstädter“ typischerweise das Engadin ganz hinauf fliegen, sogar über den Malojapass nach Italien springen und dann durch das Tessin queren.
Es gibt also immer Alternativen. Dass sich diese „lokalen“ Favoriten herausgebildet haben, ist auf den ersten Blick erstaunlich, eigentlich aber natürlich. Einer macht es vor, es klappt. Er selbst probiert es bei nächster Gelegenheit genauso – hatte ja auch beim ersten Mal funktioniert. Nun ist es schon „der Weg“. Die anderen Flieger am Platz schauen es sich ab „and here we are“: alle Ohlstädter fliegen so und alle Königsdorfer eben anders.
Ich ließ das Lenzer Horn rechts liegen und flog direkt den Piz Mitgel an. Von hier ging es weiter ins Hinterrheintal. Obwohl meine ganze Aufmerksamkeit dem weiteren Flugweg und dem Finden des nächsten Aufwinds galt, genoss ich bewusst die herrliche Landschaft und schoss einige Fotos.
Der westliche Talabschluss des Hinterrheins baute sich nun als unüberwindbare Wand vor mir auf. Mir musste es gelingen, an der nördlichen Bergkette bis an die Wolkenfetzen heranzusteigen. Nur dann könnte ich am Gipfel des Rheinwaldhorns vorbei schlüpfen und direkt auf Kurs weiterfliegen. Tatsächlich gelang es, in schwachem Steigen ausreichend Höhe zu gewinnen und knapp über den Grat zu springen. Ich hatte nun den Flugplatz Münster im oberen Rhônetal als Zwischenziel einprogrammiert und flog ab hier fast auf der gleichen Spur wie am Vortag: an Ambri vorbei, über den Gotthardpass hinweg. Langsam rückte der Furkapass in Reichweite, allerdings sah ich ihn – wie eben schon den Gotthardpass- eher von der Seite als von oben. Hätte die Basis nicht einfach wenige hundert Meter höher sein können? Das war mir leider nicht vergönnt, aber irgendwie fand sich ein Weg zwischen den Felsen hindurch und plötzlich lag das Rhônetal offen vor mir.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war zwar noch 300 km von Serres entfernt und hatte damit sogar den größeren Teil der Strecke noch vor mir. Aber ab hier kannte ich mich aus, ich fühlte mich hier fast schon zu Hause. Zudem war es erst Viertel nach Zwei, unglaublich früh am Tag eigentlich. Was sollte jetzt noch schief gehen? Dachte ich… und entschied mich wieder für die nördliche Talseite. Jetzt stieg es immerhin auf 3’500 m. Nicht allzu üppig für die bald anstehende Querung ins Mattertal, aber reichen sollte es wohl.
Ich wollte unbedingt vermeiden, wie zwei Tage zuvor tief bei Zermatt um Anschluss kämpfen zu müssen und hatte mir entsprechend Gedanken um die optimale Querung des Rhônetals gemacht – und dann ging doch alles schief. Man glaubt es kaum, aber ich habe tatsächlich das Saastal mit dem Mattertal verwechselt und entsprechend die Weisshorngruppe mit dem Dom. So ein Mist! Als ich meinen Fehler bemerkte, hatte ich bereits eine schöne Wolke und den dazugehörigen Aufwind links liegen lassen, weil er vermeintlich am östlichen Eingang des Saastals und damit weit ab vom Kurs stand. Außerdem hatte ich mir eine völlig unnötige Querung des Mattertals eingefangen und fand mich genau da wieder, wo ich nie wieder hinwollte: tief am Fuß des Doms. Noch ein paar hundert Meter tiefer als 48 Stunden vorher.
Ich haderte wirklich mit mir, als ich auf Höhe der Europahütte ein paar Suchkreise flog und dann eine Scharte weiter zur Kinhütte wechselte. Zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte ich, im direkten Blickfeld zahlreicher Bergwanderer, auf Augenhöhe mit Ihnen und fast zum Anfassen nah, Höhe zu gewinnen.
Fühlte ich mich dabei am Nebelhorn noch wie ein Adler, der majestätisch seine Kreise zieht, so war meine Gefühlslage nun eine völlig andere. Fast glaubte ich die Gespräche der Alpinisten im Cockpit zu hören: „Was macht der denn da? Soll das so sein?“ – „Das sieht nicht gut aus! Er gewinnt gar keine Höhe.“ – „Hoffentlich touchiert er nicht gleich einen Felsen!“ -„Dann wäre hier aber was los!“
Es dauerte geschlagene zehn Minuten, bis ich mich aus der Umklammerung der Scharte lösen konnte und endlich Höhe gewann. Zehn endlose Minuten, die sich mindestens wie eine halbe Stunde anfühlten. Glücklicherweise entwickelte sich aus dem zähen Nullschieber letztlich doch noch ein brauchbarer Bart, in dem ich auf fast 4’000 m klettern konnte. Ein letzter Blick nach unten – hier hatte ich gerade noch Achten fliegend an den Felsen gekratzt – dann richtete ich den Flieger auf und nahm direkt Kurs auf den Theodulpass, den fast 3’300 m hohen Übergang nach Italien zwischen Breithorn und Matterhorn. Kurz vorher nochmals etwas Höhe gewinnen – und dann hatte ich es mit Überfahrt über den Grat geschafft.
Nun hatte ich etwas Muße, um den Vorbeiflug am Matterhorn zu genießen – zum Vierten und letzten Mal in diesem Urlaub. Ciao und hoffentlich bis zum nächsten Jahr!
Das Sperrgebiet um Aosta umflog ich – den Ärger von Dienstag brauchte ich nicht nochmal. Flugplan hin oder her. Der weitere Heimflug über die bekannte Route durch Vanoise, Maurienne und Briançonais verlief maximal entspannt und unspektakulär. Beim Blick nach Westen und Osten dämmerte mir allerdings, was für ein Wetterglück ich hatte. Zwischen Grenoble und Lyon sowie an der Grenze zum Turiner Becken standen schwere Gewitter, aber die Schneise dazwischen war extra für mich offengelassen worden – wenn Engel reisen 😀.
Bereits um zwanzig vor sechs rolle ich in Serres aus und werde von Thomas Reuß freudig begrüßt samt Finisher-Foto im Cockpit. Ein unglaubliches Erlebnis liegt gerade hinter mir.
Ich war einfach glücklich und hatte doch noch gar nicht verarbeitet, was da eben passiert war. Ein halbes Jahr später beim Schreiben dieser Zeilen bin ich immer noch restlos begeistert! Noch weiß ich nicht, ob die doppelte Alpentraverse für mich ein einmaliges Abenteuer bleibt oder nur der Auftakt zu einer Reihe spektakulärer Wandersegelflüge sein wird. Appetit auf mehr hat es auf jeden Fall gemacht!
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht schaue ich mir den Segelflugzeug-Markt etwas genauer an.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach einer erholsamen Nacht sollte es am Mittwoch endlich losgehen Richtung Isny. Spätestens nach der Erfahrung des Vortages war klar, dass ich für dieses Vorhaben nun auf jeden Fall einen Flugplan aufgeben würde. Auf dem Weg ins Allgäu gab es nur recht wenige Flugplätze und das waren dann eher Flughäfen. Wenn man dort landen musste, sollte man formal besser «sauber» sein.
Selbsterklärend ist die Aufgabe eines solchen Flugplanes leider nicht, zumindest nicht, wenn man es zum ersten Mal macht. Danke nochmal, «Brezn», für die Hilfe und Geduld mit mir!
Wofür gibt es das Ganze überhaupt? Vordergründig aus Flugsicherheits-Gründen. Wenn ein Flieger überfällig und unauffindbar ist, wird die Sicherheitskette gestartet. Über den Flugplan und den darin enthaltenen Zeitplan weiß man ungefähr, wo man suchen muss.
Nun gibt es aber mittlerweile wesentlich bessere Trackingsysteme und außerdem ist ein grenzüberschreitender Flug genauso gefährlich oder ungefährlich wie ein Inlandsflug, für den es keinen Flugplan braucht. Es geht also offenkundig eher um die Themen Lufthoheit und Grenzkontrolle. Die Staaten möchten auch im vereinten Europa immer noch gerne wissen, wer denn da in den eigenen Luftraum vordringt und was Derjenige vorhat.
Obwohl die Flugplanpflicht für grenzüberschreitende Flüge also nach meiner Lesart nicht wirklich der Flugsicherheit dient, ist es ganz wichtig, dass man einen einmal aufgegebenen und im Flug scharfgeschalteten Flugplan nach der Landung auch wieder schließt. Ansonsten wird nämlich wirklich die Rettungskette gestartet.
Der aktualisierte Wetterbericht bestätigte zum Glück auch am Mittwochmorgen, was sich schon seit Tagen angedeutet hatte. Es sah gut aus! Und um es vorwegzunehmen: es sah nicht nur gut aus, es war gut! So gut, dass einige im folgenden Flugbericht möglicherweise die spektakulären Elemente vermissen werden. Zumindest auf dem Hinflug nach Isny am Mittwoch (11.8.21) gab es keinen einzigen Hänger, keinen einzigen Tiefpunkt, keinen Moment, an dem der Erfolg des Vorhabens auf der Kippe stand. Es lief einfach! Anfangs hatte ich sogar noch Gesellschaft auf dem Flug, was ich sehr genossen habe. Mit anderen zusammen, bestenfalls im Team zu fliegen, macht einfach noch mehr Spaß!
Wie am Vortag ging es zunächst über den Pic de Bure und den Pas de La Cavalle und von dort auf direktem Weg über das Susatal in die Maurienne und die Vanoise. Auf dem Weg zur Grivola musterte ich aus sicherer Höhe nochmals genau die Felsen und Steine, an denen ich keine 20 Stunden zuvor in Ameisenkniehöhe um das Nachhausekommen gekämpft hatte. Diesmal lief alles glatt und an der Grivola selbst konnten wir sogar aus einem kräftigen Bart in den starken Aufwind einer vorgelagerten Welle wechseln. Wie im Fahrstuhl ging es hier auf über 5’000 m. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Hier wollte es mir jemand wirklich ganz einfach machen und nicht den kleinsten Spielraum für einen Rückzieher lassen.
Zusammen mit Thomas in der LS5 und Gerd Spiegelberg in seiner Antares ging es von hier über dem Konvektionsniveau bis in die Schweiz. Am Dom machten Gerd und ich ein paar Kreise und querten von dort aus direkt auf die Nordseite des Rhônetals, von wo eine perfekte Wolkenoptik lockte. Thomas war zwischenzeitlich etwas zurück geblieben, während Gerd und ich im gestreckten Galopp am Aletschgletscher vorbei das Rhônetal hinaufjagten. Punkt 15:00 Uhr war der Furkapass erreicht, deutlich vor dem Zeitplan.
Wie üblich fiel die Basis östlich des Rhônetals ab und lag etwa gleichauf mit den höchsten Gipfeln. Das reicht und war sogar deutlich besser als befürchtet. Für den folgenden Streckenabschnitt zwischen Rhônetal und Engadin gibt es verschiedene Routenvarianten, aber keinen Königsweg. Vielmehr gilt es, das kleinere Übel zu wählen und bestmöglich die 100 km zwischen Furka und Oberengadin zu überbrücken. Die nördlichste Route führt über die Nordseite des Andermatter Beckens und weiter die nördliche Bergkette des Vorderrheingrabens entlang. Beim Blick auf die Reliefkarte bietet sich diese Route dem unbedarften Betrachter an. Ein fast durchgängiger Höhenzug, nach Süden ausgerichtet und damit am frühen Nachmittag optimal sonnenbeschienen, dazu gute Außenlande-Möglichkeiten um Andermatt und am östlichen Vorderrhein. Dennoch raten die Experten von diesem Flugweg eher ab. Das Andermatter Becken gilt allgemein als thermisch wenig ergiebig und der Vorderrheingraben auch als enttäuschend. Mutmaßlich, weil hier typischerweise „schlechte“ Luft vom Bodensee einsickert.
Eine mittlere Route führt die Südseite des Andermatter Beckens und des Vorderrhein-Grabens entlang. Hier verlaufen die Bergrippen von Nord nach Süd, sind die Hänge also nach Osten und Westen ausgerichtet. Man muss somit auf dem Weg nach Osten immer wieder die Bergrücken queren, was bei der üblicherweise niedrigen Arbeitshöhe mühsam ist.
Last but not least gibt es noch eine südliche Route. Am Nordrand des Tessins, mit Blick auf den Lago Maggiore und später den Comersee geht es auf der Nordseite der Leventina über Gotthard- und Lukmanierpass nach Osten. Nachteil dieser Streckenwahl ist insbesondere im Sommer das mögliche Eindringen feuchtwarmer Luft aus Italien. Solange man hoch genug bleibt, hat man aber immer die Möglichkeit, nach Norden auf die mittlere Route zu springen und hat damit eine Vielzahl von Optionen.
Bereits im Vorfeld hatte ich die südliche Variante zu meinem Favoriten auserkoren. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass ich all das hier kurz referierte Wissen über die Routenalternativen zwischen Rhônetal und Engadin „aus dem Internet“ und nicht aus eigener Erfahrung gewonnen habe. Ich selbst flog gerade zum allerersten Mal hier!
Konkret habe ich mein Wissen aus den detaillierten Berichten von Bert Schmelzer, Benjamin Bachmaier und Mathias Schunk bei Late Night Soaring. Danke hierfür an Bert und alle Beteiligten!
Wir wählten also die südliche Route an Ambri vorbei zum Gotthardpass, wo ich den letzten Bart mit Gerd zusammen kurbelte. Für ihn wurde es nun doch Zeit zur Umkehr und leider ließ er sich nicht überzeugen, spontan mit nach Isny zu fliegen. Der Abschnitt, auf dem ich mich jetzt befand, gilt als der Knackpunkt des gesamten Vorhabens. War der Einflug ins Engadin einmal geschafft, so wären die letzten 180 km ein Kinderspiel – so meine Rechnung. Aber die 100 km zwischen Furka und Samedan hatten es in sich. Entsprechend hatte ich meinen Flugstil nun umgestellt. Gas raus und oben bleiben, bloß keine Option verlieren durch zu schnelles Vorfliegen oder Stehenlassen eines vermeintlich zu schwachen Aufwinds.
Dank dieses verhaltenen Flugstils ging es ohne Stressmomente und erstaunlicherweise trotzdem zügig voran. Über das eindrucksvolle Hochtal am Rheinwaldhorn führte mich die Wolkenoptik direkt zum Lukmanierpass und weiter über den Julierpass nach St. Moritz. Wow! Was für ein Panorama!
Wie erhofft und erwartet lag die Basis hier 500 m höher, und so hatte ich in einem schönen Aufwind kreisend erstmal genug Zeit, um die Szenerie zu genießen, Fotos zu schiessen und mir über das weitere Vorgehen klar zu werden. Ich war bis hierhin wesentlich schneller vorangekommen als ich zu hoffen gewagt hatte. Wenn ich jetzt direkt Kurs auf Isny nehmen würde, könnte ich dort noch Kaffee und Kuchen bekommen. Aber das war natürlich nicht mein Ziel 😀.
Stattdessen lockte im Osten das Ortler-Massiv und vom Ofenpass führte eine wunderbare Wolkenstraße direkt dorthin. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Praktisch ohne Kreis jagte ich bis zum östlichen Ende des Ortler-Massivs und wieder zurück zum Ofenpass. Viertel nach fünf war es nun. Immer noch früh am Tag, aber jetzt sollte es genug sein und ich nahm endlich Isny ins Visier. Vom Ofenpass waren es noch gut 110 km und ich war fast 3’000 m über Platz. Endanflughöhe! So ganz traute ich dem Braten aber nicht. Ging es doch noch mehr als 70 km durch das mir hier unbekannte Hochgebirge – und das hat so seine Tücken. Der Endanflugrechner berechnet nämlich zunächst einfach aus der Entfernung zum Ziel, der
Polare des Flugzeugs und der Gegen- oder Rückenwindkomponente die Ankunftshöhe. Schön und gut. Was ist aber, wenn zwischen eigener Position und Ziel ein Berg steht? Einen Tunnel, durch den man hindurchschlüpfen könnte, gibt es vielleicht bei James Bond oder die Kingsmen, aber auch nur dort.
Neuere Streckenflugrechner lösen dieses Problem und geben zusätzlich an, wie hoch man über den kritischen Pass kommt. Aber auch das ist nur die halbe Miete. Wenn man irgendwo versehentlich „falsch abbiegt“, kann man sich Immer noch in einer Sackgasse wiederfinden bzw. muss einen Umweg fliegen, den der Endanflugrechner nicht berücksichtigt hatte. Zu diesen Effekten kommt noch hinzu, dass es gerade im Gebirge auch große Abwindfelder geben kann, die die schönste Endanflugberechnung schnell zur Makulatur machen.
So legte ich den virtuellen Schalter wieder um und flog im Modus „hoch bleiben“ vorsichtig weiter. Über dem Fimbatal kurz vor Ischgl erkurbelte ich noch ein paar zusätzliche Meter und genoss den Ausblick, der sich von hier bot: zurück ins Engadin, zurück zum Ortler, aber auch weit nach Westen, ins Inntal nach Osten. Einfach grandios! Zwischendurch ging der Blick auch mal nach unten, statt in die Ferne. Das Skigebiet unter mir kenne ich wie meine Westentasche; toll und eindrucksvoll, es mal aus dieser neuen Perspektive zu studieren.
Nach diesem kurzen touristischen Zwischenstopp richtete ich die Nase auf mein heutiges Ziel aus. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: ich hatte es geschafft! Und konnte den weiteren Flug vorbei am Arlberg und quer durch die Allgäuer Alpen völlig entspannt genießen. Dies ist eine wunderbare Gegend und meine Augen schweiften durch die von der Abendsonne wunderbar in Szene gesetzte Berglandschaft.
Kurz nach 18:00 Uhr war Isny erreicht. Fast 700 km quer durch die Alpen lagen hinter mir. So viele Eindrücke, so tolle Landschaften. Es war ein wahr gewordener Traum und die Realisierung schien mir fast unwirklich einfach, problemlos, selbstverständlich.
Erst im Queranflug bemerkte ich, dass das Fahrwerk noch eingefahren war. Das wäre es jetzt noch gewesen! Zum Glück habe ich den Fauxpas gerade noch rechtzeitig erkannt und korrigiert. Und bis eben hat es keiner gewusst :-).
Fortsetzung folgt mit dem Weg zurück quer durch die Alpen nach Serres.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Oder war da sogar noch viel mehr drin als „nur“ zur Furka zu fliegen? Schon lange träumte ich vom Wandersegelflug in den Alpen. Anstatt abends wieder nach Serres zurückzukommen, wollte ich möglichst weit in die Ostalpen fliegen und am nächsten oder übernächsten Tag wieder zurück.
Das waren aber lange Zeit Hirngespinste. Wie sollte ich das schaffen? Wie sollte das funktionieren, wo ich doch selbst propagierte, dass man sich ein Terrain wie die Alpen Stück für Stück erarbeiten muss. Bislang kannte ich die Welt nur bis zum nördlichen Ausgang des Mattertals. Der größte Teil der Alpen war für mich damit immer noch «Terra incognita».
Doch Rettung nahte aus einer völlig unerwarteten Ecke. Wir alle haben während der Covidkrise gelernt, die Möglichkeiten der online-Vernetzung wesentlich intensiver als Kommunikations-Mittel zu nutzen. So kam im Spätherbst 2020 auch eine Truppe aus Königsdorf um Matthias Schunk und Benjamin Bachmaier auf die Idee, das winterliche Alpenflug-Briefing des Vereins als Zoom-Meeting durchzuführen und für alle Interessierten zu öffnen. Was für eine grandiose Idee! „Late Night Soaring“ war geboren und entwickelte sich rasant schnell. Im zweiwöchentlichen Rhythmus teilen die Cracks des Alpensegelflugs die Essenz ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, berichten von den optimalen Routen, lokalen Hotspots, Aussenlandemöglichkeiten und Gefahren, teilen alle Tipps und Tricks. Für mich war und ist dies eine unglaublich bereichernde Fundgrube. Was ich mir sonst in vielen Jahren selbst hätte erarbeiten müssen, konnte ich jetzt in Stunden aufsaugen und verinnerlichen. Jede Session ein Puzzlestück, das sich mit den anderen Elementen zusehends zu einem Gesamt-Kunstwerk formte.
Natürlich kann ein derartiges virtuelles Training niemals die eigene praktische Erfahrung ersetzen. Hier muss man sehr vorsichtig sein! Ganz so grün hinter den Ohren war ich mit meinen vielen hundert Stunden Flugerfahrung in den Westalpen aber auch nicht mehr. Und so reifte über den Winter der Plan für den – für mich und meine Maßstäbe – ganz großen Coup: Während meines nächsten Fliegerurlaubs in Serres im August 2021 wollte ich versuchen, aus der Haute Provence über Savoyen, Matterhorn und Furka, Gotthard, Engadin, Paznauntal und Arlberg vorbei an Nebelhorn und Oberstdorf nach Isny im Allgäu zu fliegen – und – die aufmerksamen Leser werden es ahnen – am nächsten Tag zurück!
Gut vorbereitet fühlte ich mich irgendwann und doch weihte ich kaum jemanden in meine Planungen ein. Viel zu unsicher schien mir die Realisierung. Schließlich hatte ich nur ein Zeitfenster von einer Woche und die Wetterlagen, die über mehrere Tage ausreichend homogene Bedingungen entlang des ganzen Alpenbogens gewährleisten, sind rar gesät. Kurz vor meiner Abreise nach Südfrankreich wurde ich dann aber deutlich optimistischer. Die Mittelfrist-Vorhersagen legten nahe, dass sich in der zweiten Hälfte meiner „Serres-Woche“ ein Fenster öffnen könnte… und so verfolgte ich die Wetterberichte noch aufmerksamer als sonst und bat im morgendlichen Briefing immer mal wieder, die Alpenkarte auf zu zoomen und auch die Prognosen für die Nord- und Ostalpen zu besprechen. Das war schon verdächtig und bald ließ sich nicht mehr verheimlichen, was ich da vorhatte.
Zunächst wollte ich mich aber wieder an das Fliegen in den Bergen gewöhnen. Ich brauche doch immer ein bis zwei Tage, bevor ich mich auch tief am Hang wieder pudelwohl fühle. Diesmal kam das immer noch neue Flugzeug als Faktor hinzu. Sicheres Fliegen im Gebirge setzt voraus, dass man das eigene Flugzeug intuitiv beherrscht, dass man mit ihm verwachsen ist, weiß, wie und mit welcher Verzögerung es auf Ruderausschläge reagiert. Viele hundert Stunden Gebirgsflugerfahrung auf einem anderen Muster zu haben, kann in bestimmten Situationen sogar problematisch sein. So ertappte ich mich gleich zweimal dabei, dass ich beim Achtern und Kreisen am Fels unterbewusst eben doch mit der überragenden Wendigkeit der LS6 „rechnete“ und dann den Steinen ungewollt nahe kam – immer noch sicher dank eingeplanter Reserven, aber doch ein Adrenalinstoß, auf den ich gerne verzichtet hätte.
Am Dienstag sollte das Wetter erstmals einen Flug bis zum Furkapass ermöglichen. Noch weiter im Osten drohten allerdings großräumig Gewitter – nicht gerade ideal für die Realisierung meines Plans. Mittwoch und Donnerstag versprachen dagegen, homogen fliegbar zu werden, mit nur vereinzelten Gewittern am Donnerstag-Nachmittag in den französischen Ecrins. Nicht schön, aber hier kannte ich mich aus und ein Umfliegen wäre im Zweifelsfall sicherlich möglich.
Mittwoch sollte es also losgehen… langsam wurde es ernst und ich wusste nicht, ob ich nervös oder einfach nur voll freudiger Erwartung war. So oder so wollte ich den Dienstag nutzen, um mich ins unbekannte Terrain jenseits des Mattertals vorzutasten und damit zumindest einen weiteren Teilabschnitt des Weges nach Isny zu erkunden. Nach dem Start um kurz vor 12:00 ging es zügig über Pic de Bure und den Pas de la Cavale, Briançon, Bardonnecchia und das Modanetal in die Vanoise, über das Aostatal, durch das Valpelline weiter zum Matterhorn, das noch vor 14:30 erreicht war. Es lief wie am Schnürchen.
Am Dom, mit über 4’500 m der höchste Berg im Mattertal, ging es auf über 4’000 m hinauf und mit dieser Höhe entlang des Alpenhauptkammes, der in dieser Gegend die Grenze zwischen der Schweiz und Italien markiert, nach Osten. Hier herrschte ein starker Westwind, die Wolken waren deutlich niedriger und rotorhaft zerfasert. Nach Norden öffnete sich der Blick zum Aletschgletscher auf der gegenüberliegenden Seite des Rhonetals, auf Jungfrau und Mönch dahinter – atemberaubend!
Auch die Aletsch-Arena, das Skigebiet um Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp lagen mit ihren nun saftig grünen Pisten in meinem Blickfeld. Hier war ich mit meiner Familie noch im April die Hänge hinuntergewedelt und hatte nebenbei und etwas verstohlen auch den Flugweg durchs Rhonetal ausgekundschaftet. Meine Aufmerksamkeit galt nun eher der Strecke voraus. Fordernd genug! Und doch hatte ich auch noch genug Muße für die Schönheit der Hochgebirgslandschaft – und technische Kuriositäten wie Windenergieanlagen in über 2500 m Höhe. Unfassbar!
Aber in dieser Höhe gibt es Stauseen, gibt es Turbinen zur Stromerzeugung, gibt es Hochspannungsleitungen als Verbindung zur Zivilisation. Wind über den Pass gibt es auch fast immer. Was liegt also näher, als hier ein paar Windenergieanlagen zu bauen? Dass der Wind meist von schräg unten statt von vorne weht, dass die Luftdichte gering, die Turbulenz dafür aber umso größer ist, dass Vereisung alltäglich und die Logistik wahnwitzig sind… alles Herausforderungen und keine Hindernisse… kopfschüttelnd und fasziniert zugleich saß ich im Cockpit und schoss ein paar Fotos, während ich in der turbulenten Thermik um zusätzliche Höhenmeter kämpfte.
Keine 30 min nach dem Vorbeiflug am Matterhorn und nach mehr als 300 km Strecke durch atemberaubende Szenerie erreichte ich um 15:00 Uhr den Furkapass. Ich konnte mich gar nicht sattsehen an dieser Landschaft, an Gletschern, Pässen und Hochtälern. Und doch war es Zeit, zu wenden und sich wieder gen Heimat zu orientieren. Im Moment der Umkehr ging der Blick nochmal noch Osten Richtung Horizont, versuchte ich zwischen den tiefhängenden Wolken den weiteren Weg ins Engadin auszumachen. Hier wollte ich morgen wieder vorbeikommen, bis hierhin würde ich mich dann schon auskennen – etwas wenigstens. Und dann läge die gleiche Strecke noch einmal vor mir. Weitere 300 km, sicherlich schwieriger, alles unbekannte Landschaft, vorbereitet nur durch Karten, Videos, Google-Earth.
Ich fühlte mich ein wenig wie bei einer Mount-Everest-Expedition. Hier am Furkapass hatte ich gerade das Höhenlager aufgeschlagen. Nun sollte es zurück ins Basislager gehen, zurück nach Serres, von wo aus am Folgetag der Angriff auf den Gipfel starten würde; mit dem Höhenlager Furkapass als wichtigem Zwischenziel.
Der Rückflug vom Furkapass „ins Basislager“ Serres gestaltete sich trotz kräftigen Gegenwindes zunächst ähnlich problemlos wie der Hinflug. Zurück im Mattertal gab es allerdings die erste negative Überraschung. Ich flog die sonnenbeschienene Ostflanke des mächtigen Dom-Massivs ab und war mir sicher, hier irgendwo auf einen kräftigen Aufwind zu stoßen.
Niente, nichts oder zumindest nichts, was ein Einkreisen gelohnt hätte. Immer tiefer glitt ich das Bergmassiv mit seinen ausladenden Querrippen hinab. Sehr beeindruckend, wenn man fast 2’000 Meter Fels, Schnee und Eis über sich hat, aber andererseits auch noch mehr als 1’000 m über dem Talgrund fliegt.
Sehr beeindruckend, aber genießen konnte ich den Augenblick kaum. Zu sehr kreisten meine Gedanken um die Fragen „Wohin? Wo könnte es hoch gehen? Doch umdrehen?“
Schließlich wechselte ich auf die westliche Talseite. Hier sind auf Höhe von Zermatt die Bergrücken weniger schroff, nicht vergletschert. Hier hatte ich schon in der Vergangenheit gute Aufwinde gefunden. Und auch diesmal wurden meine Hoffnungen nicht enttäuscht, musste die letzte Option, kleinlaut umzudrehen und aus dem Mattertal wieder nach Norden auszufliegen, nicht gezogen werden. Stattdessen ging es nach einigen Suchkreisen zügig aus dem Keller zurück ins Obergeschoss. Meine Anspannung wich schlagartig und schon einen der ersten Kreise im Steigen nutzte ich für ein recht beeindruckendes Foto des Matterhorns: von so weit unten wollte ich es aus einem Segelflugzeug nie wieder sehen! Da ahnte ich noch nicht, dass ich mich nur zwei Tage später in ganz ähnlicher Lage wiederfinden würde. Als hätte ich doch Spaß daran, das Mattertal im Tiefflug zu erkunden.
Nun ging es aber erstmal weiter, vorbei am Monte Rosa und dem kleinen Matterhorn über den Pass nach Italien und durch den Valpelline Richtung Aosta. Alles in komfortabler Höhe und so ahnte ich nicht, dass der zweite Tiefpunkt meines Fluges nicht weit war.
Um zu erklären, wie es zu diesem Absetzer kommen konnte, muss ich etwas weiter ausholen: Am Flughafen Aosta sind Fallschirmspringer beheimatet und so gibt es um den Flugplatz eine kleine Sperrzone, die bei Bedarf aktiviert wird, um die Springer zu schützen. Es ist tatsächlich schon passiert, dass ein Springer im freien Fall eine Tragfläche durchschlagen hat. So eine temporäre Sperrzone macht also Sinn.
Dummerweise führt der direkte Weg aus dem Valpelline in die Vanoise genau über den Flugplatz Aosta und somit durch diese Sperrzone. Einen Umweg wollte ich nicht fliegen und so fragte ich unschuldig auf der Flugplatzfrequenz, ob Fallschirmsprungbetrieb stattfände oder nicht. Statt der erwarteten kurzen Antwort folgte der längste und aufreibendste Funkverkehr meiner Karriere… Ich merkte sofort, dass ich den Lotsen regelrecht aufgeschreckt hatte. Er wollte nicht nur genau wissen, wo ich war, wie hoch ich war und wohin genau ich wollte, sondern auch wo ich herkam, wie ich heiße, und und und. Immerhin erkannte ich schnell, warum der Lotse so nervös war, kreuzte doch auf exakt meiner Höhe ein größerer Learjet meinen Flugweg mit Ziel Mont Blanc; offensichtlich ein Sightseeing-Flug.
Hatte ich etwas falsch gemacht? Eigentlich nicht, ausser… ich befand mich auf einem grenzüberschreitenden Flug. Aus Frankreich durch Italien in die Schweiz und wieder zurück. Für einen solchen Flug muss man einen Flugplan aufgeben, was ich nicht getan hatte. Kein Segelflieger dieser Welt gibt einen Flugplan auf, wenn er plant, wieder auf dem Startplatz zu landen. Und auch die Luftaufsichtsbehörden wollen nicht täglich hunderte Flugpläne von Segelfliegern bekommen und administrieren.
Bei der Nachbesprechung in Serres haben mich viele ungläubig angeschaut. Wie könne man nur so blauäugig sein und Aosta anfunken. Das kann nur Ärger geben… Diese Einstellung macht mich fast wütend, zumindest trotzig! Und tatsächlich kam nichts hinterher, kein Bußgeld wegen fehlendem Flugplan oder Ähnliches.
Den Einstieg in die Vanoise hatte mir die Aktion aber auf jeden Fall verdorben. Während ich in einem ruppigen Bart an der Grivola um genau diesen Einstieg kämpfte, schlug ich mich im Funk noch immer mit dem Lotsen von Aosta herum. Das lenkte nicht nur ab und nervte, vielmehr verspürte ich auch den starken Drang, möglichst schnell möglichst weit weg zu kommen und buchstäblich hinter den sieben Bergen zu verschwinden. Das tat ich dann auch und stieg hierfür flugs aus dem widerspenstigen Aufwind aus. Ab in den «Funkschatten».
Allerdings ist es nie und nirgendwo eine gute Idee, tief ins ansteigende Gelände zu fliegen. Der Talgrund kam immer näher, die Bergflanken links von mir wurden immer höher und der Pass voraus am südlichen Talabschluss schlicht unüberwindbar. So ein Mist!
Ich entschied mich, das Tal zu queren und in das Hochtal Richtung Col de Nivolet einzufliegen. Hier würde der Osthang durch den kräftigen Westwind frei angeblasen werden – es konnte dort nur hoch gehen. Frohgemut bog ich um die Ecke und landete in fünf Meter pro Sekunde Fallen! Hier stimmte etwas nicht! Offensichtlich lag ich mit meinem Windmodell massiv daneben! Also flugs umdrehen und zurück zu der Querrippe, an der ich zuletzt durch schwaches Steigen geflogen war. Hier war jetzt echte Bodenakrobatik angesagt.
In solchen Momenten muss man alle Gedanken an den weiteren Flugweg nach Hause weit von sich schieben. Genauso wenig darf man darüber grübeln, was einen in diese bescheidene Lage gebracht hat. Alle Konzentration gilt dem Hier und Jetzt, dem sauberen Achten fliegen am Hang, dem bestmöglichen Ausnutzen des mageren Aufwinds. Und tatsächlich: die Mühe wurde belohnt. Kaum 20 min später schaue ich wieder zu den Gipfeln hinab anstatt herauf, wird der Flugweg jenseits des eben noch unüberwindlichen Passes geplant. Von hier sind es noch knapp 150 km nach Hause, aber aus 4’000 m Höhe ist es fast schon ein gestreckter Endanflug und so lande ich schon eine gute Stunde später voller Eindrücke und auch ein wenig erschöpft in Serres. Erschöpft, aber glücklich.
Später erfuhr ich, dass ich es an diesem Tag als Einziger bis zur Furka geschafft hatte. Ein wenig stolz war ich schon.
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht fliege ich aus Südfrankreich ins Allgäu und anderntags zurück.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Was kann nach der Erfüllung des 1’000-km-Traums noch kommen? – Ganz viel 😀. An Plänen mangelt es mir nicht. Einige werden noch etwas auf die Umsetzung warten müssen, wie das Vorhaben, von Langenfeld über Eifel, Saarland, Vogesen und Jura in die Seealpen ans Ziel Serres zu fliegen – und am nächsten Tag wieder zurück. Zweimal 850 km quer durch Europa über vielfältige Landschaften, leider auch durch vielfältige Lufträume und verschiedene Wetterzonen. Anspruchsvoll, aber mit guter Vorbereitung und passendem Wetter machbar. Den Hinflug stelle ich mir vergleichsweise einfach vor. Bei einem Start gegen 10:00 Uhr bleiben mindestens zehn Stunden bis zum späten Thermikende in den Alpen. Solch eine lange Flugzeit ist auf dem Rückflug kaum realistisch, da die Thermik in Südfrankreich in der Regel später startet und im Rheinland früher endet.
Alles Zukunftsmusik, anders als die doppelte Alpentraverse – ein weiterer Traum, den ich 2021 realisieren konnte.
Doch der Reihe nach: Das Fliegen in den Alpen ist ungleich anspruchsvoller, vielfältiger und noch viel schöner als das Fliegen im Flachland. Wer hat nicht schon davon geträumt, auf einem Berg stehend die Arme auszubreiten – und über die Hänge gleitend zu Tal zu fliegen. Oder besser: von Tal zu Tal, von Gipfel zu Gipfel, über Schluchten, Gletscher und Pässe. – Es ist genauso schön, wie man es sich vorstellt! Schön, aber auch gefährlich.
Ein Faktor, der das Fliegen im Gebirge so anspruchsvoll macht, ist die Tatsache, dass man durchgehend in Bodennähe fliegt – in den Alpen, nicht über den Alpen! Ikarus wurde gewarnt, nicht zu hoch und nicht zu schnell zu fliegen. Dabei ist nichts sicherer als hoch und (ausreichend) schnell zu fliegen. Tief und (zu) langsam ist gefährlich!
Faktor 2 Ist das Thema Turbulenz. Im Gebirge gibt es neben der Thermik auch Hangaufwind und Wellenaufwinde, insgesamt also drei Aufwindarten. Toll! Analog gibt es aber auch drei Abwindarten – und in der Konsequenz Turbulenz.
Immer ein Modell für den lokalen Wind im Kopf zu haben, ist der Schlüssel für erfolgreiches, entspanntes und sicheres Fliegen im Gebirge. Hat man das verstanden und umgesetzt, dann wird Alpenfliegen intuitiv und das Finden des nächsten Aufwinds sogar viel einfacher als im Flachland.
An einem sonnenbeschienen Hang, auf dem der Wind steht, muss es einfach hochgehen! Liegt der gleiche sonnenbeschienene Hang dagegen im Lee, dann wird es dort turbulent und ein brauchbarer Aufwind ist eher nicht zu finden. Liegt der absteigende Ast einer Welle gar auf diesem Hang, dann wird es massiv runter statt hoch gehen – und als Pilot versteht man die Welt nicht mehr. Dann hilft nur schnelles Abdrehen. Offensichtlich war das eigene Windmodell falsch! Nicht lange hadern, nicht lange hoffen, dass es gleich doch noch hoch geht… abdrehen!
Faktor 3 ergibt sich aus den eingeschränkten Landemöglichkeiten. Es gibt einige Flugplätze und es gibt einige Aussenlandefelder, die man kennen muss! Jederzeit muss man wissen, wo man landen könnte, wenn weder Plan A, noch Plan B, noch Plan C funktionieren. Ohne Landeoption darf man nicht weiterfliegen! Dabei kann das anvisierte Landefeld durchaus 50 km entfernt sein. Aus 3’000 oder gar 4’000 m Höhe kann man weit gleiten. Aber man muss wissen, wo das Feld ist, wie man dort hinkommt, dass man dort ankommt, wie man dort landet.
Und ganz schnell kann es passieren, dass alle bisherigen Pläne völlig unbrauchbar sind, weil sich die eigene Situation überraschend und rasant schnell verändert hat. Ein unerwartetes Abwindfeld verhindert das Überfliegen des sicher erreichbar scheinenden Passes. Plötzlich ist man im Talkessel gefangen. Jetzt muss man wissen, wohin das enge Tal führt, das als einziger Ausweg bleibt. Was einen dort erwartet, wo man dort landen könnte.
In 25 Jahren Alpenfliegerei bin ich übrigens erst einmal aussengelandet. Die Optionen, neue Aufwinde zu finden sind im Gebirge vielfältig und wenn man die Systeme versteht, sind die Chancen, nach Hause zu kommen, sehr hoch. Dennoch: Wer unbedarft durch die Berge fliegt, ohne die oben genannten Regeln zu beachten, lebt gefährlich.
Zwei Punkte kommen zu den genannten noch hinzu: Zum einen die schnellen Wetterwechsel. Jeder Berg-Wanderer weiß, wie schnell sich in den Alpen ein Gewitter entwickeln kann. Im besten Fall kann man dieses umfliegen oder parken, bis ein Weiterflug wieder möglich ist. Wenn es dagegen großräumig zuzieht, steht eine Sicherheitslandung an. Und dann greift wieder das oben Gesagte. Schliesslich ist noch zu nennen, dass das Risiko einer Kollision in den Bergen deutlich höher ist als im Flachland; einfach, weil die Flugwege im Gebirge vorgezeichnet sind. An den sonnenbeschienenen Hängen im Luv fliegt jeder entlang. Hier ist es zum Glück in den letzten Jahren durch die flächendeckende Einführung des Kollisionswarnsystems Flarm zu einer deutlichen Entspannung gekommen. Zusammenstöße gibt es seitdem kaum noch.
Das Fliegen im Gebirge ist also anspruchsvoll aber eben auch wunderschön und erfüllend. Nach einer Woche komme ich immer mit aufgeladenen Batterien und voller Endorphine zurück. Es gibt nichts Schöneres!
Der Einstieg ins Gebirgsfliegen ist auf verschiedenen Wegen möglich. An einigen Flugplätzen gibt es Kurse (beispielsweise in Samedan), man kann zunächst mit erfahrenen Piloten im Doppelsitzer fliegen oder sich auf eigene Faust mit der entsprechenden Vorbereitung langsam vortasten. So habe ich es selbst getan und etliche Jahre den „Sandkasten“ der provençalischen Alpen zwischen Rhônetal, Mittelmeer, Italienischer Grenze und den Ecrins beackert. Diese herrliche Landschaft ist so vielfältig und wunderschön, fliegerisch unglaublich abwechslungsreich und fordernd. Da wird es auch nach Jahren nie langweilig.
Das Wetter tut sein Übriges dazu. Die Haute Provence gilt als Schönwetterinsel. Fliegerisch nutzbare Bedingungen gibt es eigentlich immer und doch ist kein Tag wie der andere. Mal bläst der Mistral und regt die klassischen Wellen- und Hangflugsysteme an, mal baut sich unter Hochdruckeinfluss das thermische Brisensystem auf, mal ist doch eher lokales Fliegen unter schwierigen Bedingungen angesagt. Nicht selten treten Wellen und Thermik auch nebeneinander auf. Dann genießen die einen den Blick auf die Welt von ganz oben, während die anderen lieber im Untergeschoss Strecke machen.
So lernt man mit der Zeit alle Ecken des „Spielplatzes“ unter verschiedensten Bedingungen kennen. Langweilig wird es nie, aber es locken natürlich auch Ziele jenseits des bekannten Terrains. So habe ich 2013 erstmals den Mont Blanc umrundet und bin zum Matterhorn geflogen. Diese Flüge werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Schon im Vorjahr fühlte ich mich reif für diesen Sprung in unbekannte Gefilde, aber nördlich der Ecrins hing durchgängig schlechtes Wetter.
Umso erpichter war ich nun darauf, endlich zu den beiden Traumbergen vorzustoßen. Statt auf die perfekten Bedingungen zu warten, nutzte ich die erstbeste Gelegenheit. Basishöhen von lediglich 3’300 m erlaubten es so gerade eben, über die Pässe der Vanoise zu springen und das Matterhorn konnte ich aus Ehrfurcht-einflößender Perspektive bewundern – von ganz tief unten.
Mit den Jahren wurden auch diese Flüge zu einer gewissen Routine – passende Wetterbedingungen vorausgesetzt. Ich lernte, die Konvergenzlinien an der italienischen Grenze zu nutzen, anstatt wie anfangs diese seltsam ausgefransten mehrstufigen Wolken zu meiden, die so gar nicht meinem Idealbild von einer gute Aufwinde spendenden Cumulus-Wolke entsprachen. Außerdem erkundete ich neben den bekannten Standardrouten neue eigene Wege und langsam, aber sicher wurde die ganze Gegend zwischen Modanetal und Rhônetal, zwischen Mont Blanc und Matterhorn Teil der mir wohlbekannten Spielwiese, auf der ich mich schlafwandlerisch bewegen konnte.
Der nächste große Sprung sollte zum Furkapass führen. Dies ist der östliche Abschluss des Rhônetals, der Übergang ins Andermatter Becken. 300 km Luftlinie entfernt von Serres, jenseits aller 4’000er der Westalpen ist „der Furka“ das Traumziel aller südfranzösischen Urlaubsflieger. „Wie oft warst du schon am Furka?“ – Leider noch nie. Aber das sollte sich als nächstes ändern.
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht fliege ich das erste Mal zum Furkapass, der Quelle der Rhône.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Mitte September ist das Jahr zwar noch lange nicht vorbei – aber fliegerisch wird nichts Großes mehr passieren und so ist es Zeit für einen ersten Rückblick. Was für ein Jahr! Und ich spreche nicht von Corona und anderen Ereignissen, die offizielle Jahresrückblicke prägen werden. Ich spreche von meiner ersten Saison mit der JS1.
Begonnen hat es nach dem nervenaufreibenden Weg zur Deutschen Zulassung mit Pleiten, Pech und Pannen – um sich dann fliegerisch fantastisch zu entwickeln.
Doch der Reihe nach.
Nach einem langen Winter war die Vorfreude auf die ersten Flüge mit dem neuen Flieger unbändig und so organisierte ich für den 6.3. zusammen mit ein paar anderen Verrückten Flugbetrieb. Sonne, Kälte und die erste Thermik lockten, aber das Sauerland wurde bei niedriger Arbeitshöhe gefühlt zum Hochgebirge und es dauerte nicht lange, bis ich tatsächlich den Jet starten musste – was leider nicht gelang! Plumps, da lag ich auf einer schönen Wiese im schönen Lennetal… super!
Ewig war ich nicht mehr aussengelandet und nun bei der allerersten Gelegenheit mit dem neuen Flieger – trotz Jetantrieb! Im Rückblick bin ich übrigens überzeugt, dass ich einfach zu ungeduldig war. Ich hätte dem Motor 10 sec mehr geben müssen, um bei Eiseskälte auf Drehzahl zu kommen. Stattdessen habe ich den Antrieb komplett ein- und wieder ausgefahren, um nach einem erneuten vergeblichen Versuch in mittlerweile nur noch 150 m über Talgrund aufzugeben und mich auf die Landung zu konzentrieren – Anfängerfehler.
Die ersten sechs Wochen der Saison waren durch Kaltluft geprägt. Skisocken und Thermohosen bis weit in den Mai, Schauer meist als Schnee – und gute Thermik. Aber leider nie homogen und damit nicht für die ganz großen Flüge geeignet. 400 bis 500 km waren dennoch immer drin.
Besonders in Erinnerung behalten werde ich einen Flug von Langenfeld durch Eifel, Saarland, Pfalz und Hunsrück. «Zwischen Schauern, durch Schauer und um Schauer herum» war das Motto. Das ging schon vor dem Start los. Von Norden drückte eine massive Schauerlinie rein, die thermisches Fliegen in Langenfeld für Stunden unterbinden würde. Linksrheinisch war es aber laut Niederschlagsradar offen und so ließ ich mich schnell auf 600 m Höhe Richtung Rhein mitten in den Schneeschauer schleppen, um dann Richtung Dormagen dem Licht entgegenzugleiten. Dort erblickte ich nach wenigen Minuten tatsächlich die Sonne und konnte thermisch Anschluss finden. Die Sonnenminuten waren im weiteren Tagesverlauf allerdings an einer Hand abzuzählen und das Handy gab wegen „eingefrorenem Akku“ auch schnell den Geist auf. Und doch ging es thermisch richtig gut, wenn auch zunächst bis an den Eifelrand nur auf 700 m. Auch nach Süden sah es von dort einfach schaurig aus, aber im Funk hörte ich, dass ein Durchkommen möglich war und dass es zwischen den Schauern auf über 2000 m stieg. In dem Moment schien mir das geradezu phantastisch, aber genau so kam es und ich konnte fast im reinen Geradeausflug bis ins Saarland fliegen. Von da aus erwies sich der Heimweg über Rammstein und westlich am Hunsrück vorbei als etwas schwieriger. Aber unter dem Strich war auch der Rückflug problemlos- einfach ein toller Flug!
Auch ein Flug über den Niederrhein ins Emsland und auf dem gleichen Weg wieder zurück war bemerkenswert. „Grauthermik“ war hier das Stichwort. Unter einer massiven Cirren-Abschirmung entwickelte sich dank labiler Kaltluft brauchbare Thermik, die zumindest mit der Absicherung durch den Motor Streckenflug ermöglichte. Ohne Jet hätte ich den Flug wohl nicht gemacht, da die Wahrscheinlich einer Außenlandung einfach zu groß war. So war es ein wunderbares Erlebnis, mit vielen für mich neuen landschaftlichen Eindrücken. Am Niederrhein gibt es sehr idyllische Schlösser und Parklandschaften. Muss man alles auch mal vom Boden aus erkunden.
Unglaublich erlebnisreich und eindrucksvoll war auch der Flug am 14. Mai. Wieder Kaltluft, wieder massive Schauer aber auch wieder zwischendrin gute Thermik. Mein Plan war, der aus dem Westen vorrückenden Schauerlinie entgegenzufliegen, um dann umzudrehen, weit nach Osten zu fliegen und „irgendwie“ nach Hause zu kommen. So weit, so gut. Leider liess ich mich von Nils trotz mickriger Basis in die Eifel locken, anstatt rechtzeitig umzudrehen. Die JS1 ist zwar ein Gleitwunder, aber ansteigendes Gelände, Gegenwind und Sinken sind eine Kombination, die auch durch 21 m Spannweite nicht zu kompensieren sind. So ging es bald mitten durch einen Windpark. Zum Fotografieren fehlte mir leider schon da die Abgebrühtheit.
In dem Augenblick hatte ich noch die Hoffnung, aus Ameisenkniehöhe Anschluss zu bekommen und fokussierte mich auf diese Herausforderung. Aber wenig später musste ich kurz vor der Abbruchkante zum Rurstausee doch den Jet ziehen. Letztlich lief er nur geschätzte 30 sec, bevor ich in einen Aufwind einfliegen konnte. Ärgerlich, aber was soll’s.
Ähnliches wiederholte sich eine knappe Stunde später über Düsseldorf Urdenbach. Langen-Info hatte leider den Einflug in den Düsseldorfer Luftraum, der nötig gewesen wäre, um einen Schauer zu umfliegen und sicher nach Langenfeld zurückzugleiten, verweigert. In 200 m über Grund zündete ich unter einer mächtigen Congestus-Wolke den Jet, um nur Sekunden später einen Vario-Ausschlag zu registrieren, der nicht allein mit dem Düsenschub erklärbar war. Ärgerlich, aber was soll’s 😀. Ich hatte den Motor kaum eingefahren, da sah ich Nils im Arcus mit laufendem Triebwerk unter mir einsteigen. Am Abend erfuhr ich, dass er in der Eifel sogar mehrfach den Motor genutzt hatte… Nun hatte ich bereits zweimal den Jet genutzt, der Tag war eigentlich „kaputt“, aber es war erst 14 Uhr und nach Osten sah es gut aus und so entschloss ich mich, einfach weiter zu fliegen. Vorbei an etlichen Schauern ging es ohne weiteren Motorzünder noch bis fast an die Rhön und wieder zurück nach Langenfeld; immerhin 400 km weit. Never give up!
Zum Thema Pleiten, Pech und Pannen gab es allerdings auch jede Woche etwas Neues zu berichten. So schafften es Stefan und ich beim Ersteinsatz der IMI-Aufrüsthilfe, den Flügel gleich an beiden Enden anzuschlagen – Slapstick pur und zum Glück nur Lackschäden, aber trotzdem ärgerlich und teuer.
Man soll Fehler ja teilen, um anderen zu ermöglichen, nicht in dieselbe Falle zu stolpern. In diesem Sinne hier eine etwas ausführlichere Schilderung: Bei der IMI-Aufbauhilfe handelt es sich im Prinzip um eine rollbare Flügeltasche. Der Flügel wird im Schwerpunkt Nase nach unten in die Tasche gelegt; man fasst den Flügel an einem Ende (üblicherweise an der Wurzel) und schiebt ihn „durch die Gegend“. Zur Montage an den Rumpf wird der Flügel samt Tasche in die Horizontale gekippt. Das erste Malheur passierte beim „durch die Gegend schieben“. Der Vorplatz unserer Halle ist gepflastert und steigt leicht an, während der Hallenboden selbstverständlich eben ist. Schiebt man die Tragfläche aus der Halle, so hat diese „am entfernten Ende“ eine deutlich kleinere Bodenfreiheit. In unserem Fall gab es plötzlich unschöne Geräusche… um den Schaden zu begutachten, kippten wir den Flügel in die Horizontale. Während wir mit betretenen Gesichtern Malheur Nummer 1 inspizierten, kippte der Flügel plötzlich wieder in die Senkrechte und schlug mit der Nase auf der Führungsschiene der Hallentore auf! Ihr könnt Euch vorstellen, wie uns zu Mute war…
Entscheidend für diesen zweiten Unfall war folgendes technische Detail: die Flügeltasche wird über eine Achse mit dem Rollwagen verbunden. Um diese Achse sind Flügeltasche und Tragfläche drehbar. So weit so gut. Die Achse kann an drei unterschiedlichen Positionen in die Tasche eingefädelt werden: Vorn, Mitte, hinten. Je weiter hinten die Achse steckt, desto mehr neigt der Flügel dazu, auf die Nase zu kippen. Je weiter vorne die Achse steckt, desto einfacher kippt er in die Horizontale. Ich hatte zunächst die mittlere Position gewählt. Damit war mein Flügel aber immer noch Kopf- bzw. nasenlastig…
Nachdem diese Schäden repariert waren, ging eines Morgens der Zweite Hauptbolzen partout nicht rein. Das Flugzeug war nicht montierbar. Nach einigem Rätseln mussten wir feststellen, dass sich eine Hauptbolzenbuchse gelöst hatte – ich konnte es fast nicht glauben. Zum Glück war Christian Ludloff als versierter Werkstattleiter und Prüfer vor Ort. Nach zwei Stunden war die Buchse wieder fachgerecht eingeklebt. Fliegen konnte die JS 1 an dem Tag natürlich nicht mehr – die frische Verklebung musste erst noch aushärten. In der Halle stand aber einsam und verlassen noch eine Vereins-LS8, die nur darauf wartete, von mir bewegt zu werden. So wurde es auch fliegerisch noch ein schöner Tag – natürlich wieder mit Schauern und viel Wind… es war ja immer noch April.
Das waren nur die beiden Highlights der Pleitenserie. Zusätzlich schlug ich mir an einem im Gras verborgenen Kanaldeckel noch das Flächenrädchen ab und zwischenzeitlich klemmte die Pedalverstellung, was im Flug sehr unangenehm sein kann und sich im konkreten Fall auch am Boden zunächst nicht beheben ließ.
Gefühlt war einfach immer was los…
Ende Mai zeichnete sich dann endlich das lange herbeigesehnte Hammerwetter ab. Schon am Samstag (29.5.) sollte es lokal sehr gut werden und auch für die Folgetage versprach der Wetterbericht einiges. Fleißig wurden alle verfügbaren Informationen gesammelt, Vorhersagen verglichen, Streckenalternativen gewälzt, mit anderen „Experten“ ausgetauscht und schließlich zu einem Gesamtbild verdichtet: Vereinfacht lautete die Empfehlung zur Streckenmaximierung „lege ein Vieleck entlang der von allen Wetterberichten optimal vorhergesagten Linien durch Ardennen, Eifel und Pfalz.“
Klein-Martín wollte es natürlich besser wissen und von Langenfeld aus ein großflächiges 1000-km-Dreieck über Aachen, Bundenthal im Pfälzerwald und Zell-Haidberg bei Hof fliegen.
Erstmals tankte ich ordentlich Wasser (140 Liter) und startete recht früh Richtung Westen. Bis Aachen lief es trotz Industriethermik zäh bei wirklich tiefer Basis. Hier hilft es natürlich, das Gleitwunder JS1 unter dem Hintern zu haben. Da kommt auch bei 700 m Arbeitshöhe kein Stress auf. Ab dem Eifelrand rannte es dann und ab hier wurde es ein wunderbar entspannter Genussflug. Bundenthal und auch Zell-Haidberg wurden im Zeitplan mit einer Schnittgeschwindigkeit deutlich über 100 km/h umrundet. Alles lief bis hierhin wie am Schnürchen.
Der Rückweg führte von Zell über den Thüringer Wald ins Sauerland. Und leider mitten ins abbauende Wetter. Leidensgenossen hatte ich genug. Keiner ist an diesem Abend durch das Sauerland durchgekommen und nach langem Kampf musste auch ich um 19 Uhr in der Platzrunde von Attendorn nach exakt 903 km den Jet zünden.
Eigentlich hätte es ab hier ein entspannter Heimflug werden sollen, aber ich musste es unbedingt nochmal spannend machen… Querab Halver zeigte der Endanflugrechner 300 m Sicherheit auf Langenfeld. In der Erwartung eines sorglosen Gleitflugs nach Hause fuhr ich den Motor ein; ein Fehler! Aus 300 m wurden schnell 250 m mit fallender Tendenz und erst jetzt realisierte ich, was ich mir besser schon vorher überlegt hätte: mit Gleitverhältnis 1:60, 30 km/h Rückenwind und abfallendem Gelände bedeuten 200 m Sicherheit, dass man die letzten 30 km gegen die tiefstehende Sonne in 150-200m über Grund fliegt – praktisch ohne Aussenlandeoptionen. Das war alles andere als eine verlockende Aussicht und so versuchte ich schnell, den Motor wieder zu starten. Leider vergeblich. Vermutlich waren einfach die Batterien nach 10 h Flug schon zu leer.
Ein geschicktes Batteriemanagement hätte hier geholfen. Eine der beiden Motorbatterien muss einfach während des Fluges geschont werden. So blieb mir die Wahl zwischen einer Sicherheitslandung in Wipperfürt oder dem Tiefflug nach Langenfeld. Ich entschied mich für letzteres. Zu meiner Ehrenrettung sei gesagt, dass es wenige km vor dem Flugplatz einen schönen Acker im Wuppertal gibt. Sicher war der Weiterflug somit schon, aber doch unnötig nerven-aufreibend, zumal man den Langenfelder Flugplatz aus dieser Perspektive erst sehr spät sieht und erst dann einschätzen kann, ob „es passt“ oder doch im Wuppertal gelandet werden muss. Man kann sich vorstellen, wie angespannt ich die ganze Zeit war und wie sich die Anspannung löste, als ich den Flugplatz schließlich sicher erreichbar vor mir sah.
Leider löste sich nicht nur die Anspannung, sondern auch die Konzentration. Endlich zu Hause! Was folgte, war eine klassische Fehlerkette, die zum Glück nur peinlich aber ohne Schäden endete.
Doch der Reihe nach:
Der erste Fehler in der Kette war eigentlich schon vor Stunden passiert. Die JS1 hat drei Batterien. Zwei sind hinter dem Sitz angeordnet, speisen sowohl Avionik als auch Jet und werden nach dem Flug mit wenigen Handgriffen zum Laden ausgebaut. Die dritte Batterie versorgt nur die Avionik und sitzt unter der Sitzschale. Sie kann über einen Anschluss im Instrumenten-Brett geladen werden. Das hört sich praktisch an, ist es aber nicht, da man immer ein Ladekabel zum Cockpit führen muss und der Flieger zudem in der Regel im Anhänger übernachtet. Daraus ergibt sich, dass man gerne versucht, ohne diese dritte Batterie durch den Tag zu kommen. Wenn man sie nicht benutzt, muss man sie auch nicht laden. Wenn dann aber am Ende des Tages die beiden anderen Batterien zu leer sind, um den Jet zu zünden, hat man wenig gewonnen…
Fehler Nummer zwei lag auch in der Vergangenheit. Ich hatte mich nämlich schon früh entschieden, im langen gestreckten Endanflug mit Rückenwind zu landen. Wenn man darum bangt, den Flugplatz überhaupt zu erreichen, kommt man eher nicht auf die Idee noch einen Kilometer weiter zu fliegen und eine zusätzliche 180 Grad Kurve zu machen. Genau das wäre aber die deutlich bessere Entscheidung gewesen. Im Rückblick hätte ich die Entscheidung über die Landerichtung einfach bis zu dem Moment, in dem ich den Flugplatz sehen konnte, aufschieben müssen. Bei allem Zittern und Bangen um das Ankommen hätte ich schlussendlich genug Höhe und Energie für eine abschließende Platzrunde gehabt.
Stattdessen begann ich, nachdem der Flugplatz in Sicht gekommen war den direkten Endanflug und überquerte wenig später die Platzgrenze – deutlich zu hoch und deutlich zu schnell mit deutlichem Rückenwind. Entsprechend lang wurde die Landung und als ich endlich aufgesetzt hatte und die Radbremse aktivieren wollte, zog ich statt am Bremsklappenhebel am Wölbklappen-Griff – mit dem Ergebnis, dass ich wieder abhob, den Daktari spielte und nochmal 100 m später zum Stehen kam. Bis zum Waldrand waren es noch 150 m, Angst hatte ich in keinem Moment, aber es war einfach eine grottenschlechte Landung, wie sie mir wohl noch nie passiert war.
So stieg ich mit gemischten Gefühlen aus. Auf der Habenseite ein wunderbarer Flug, mein bislang weitester, raumgreifend durch (fast) ganz Deutschland. Andererseits waren da der Stress der letzten halben Stunde, die verkorkste Landung und der Ärger über die falsche Streckenwahl. Das Sauerland funktionierte an diesem Tag einfach nicht und das war absehbar. Nils hatte es besser gemacht. Er flog zunächst eine ähnliche Strecke ins Saarland und von dort nach Osten, drehte aber „schon“ in Würzburg und flog genau den gleichen Weg wieder zurück. Fast eine Stunde nach mir landete er glücklich mit 1’000 km auf der Uhr.
Am Sonntag flog Stefan die JS1 und ich schlief erstmal aus. Das war mehr als nötig. Weniger wegen des zehnstündigen, anstrengenden Fluges, sondern vielmehr, weil ich in der Nacht davor praktisch nicht geschlafen hatte. Das ist leider ein mir seit vielen Jahren bekanntes Problem. Ich schlafe fast immer sehr gut und erholsam. Auch vor Prüfungen oder anderen Großereignissen. Aber wenn am nächsten Tag ein „Rekordflug“ ansteht, bekomme ich kein Auge zu. Im Geiste fliege ich bereits und schaffe es nicht, den Kopf abzuschalten.
Nach einem ausführlichen Frühstück mit der Familie und anderen nicht-fliegerischen Freizeitaktivitäten checkte ich erst am Nachmittag beim Kaffee auf dem Balkon die aktuellen Wetterinfos und war plötzlich elektrisiert: Für Montag sah es richtig gut aus! Vor allem schien Langenfeld ausnahmsweise der ideale Startort zu sein. Früher Thermikbeginn im Bergischen Land und abends sollte es westlich des Rheins besonders lange thermisch aktiv bleiben. Insgesamt bot sich ein schönes 1000-km-Dreieck nach Südosten mit einem abendlichen Schlenker nach Aachen an.
Schnell sah ich in den Kalender – nur interne Meetings, die ich absagen konnte. Ein Blick zu Claudia – ok auch von Ihrer Seite. Ein paar WhatsApp-Nachrichten später war klar, dass es auf jeden Fall Flugbetrieb in Langenfeld geben würde. Allerdings fand sich zunächst kein F-Schlepppilot: Arbeit, gebrochener Arm, frische Impfung, Krankheit… es war wie verhext. Als ich mich schon damit abgefunden hatte, aus der Winde zu starten, sagte Günter zu, in der Frühstückspause für eine halbe Stunde rauszukommen. Danke nochmal Günter!
Montagfrüh rollte ich voller Tatendrang um 08:00 Uhr auf den Flugplatz. Diesmal hatte ich besser geschlafen, vielleicht weil es der zweite große Flug innerhalb von drei Tagen werden sollte. Da ist die Aufregung nicht mehr so groß.
Startbereitschaft hatte ich zunächst für 09:30 Uhr angepeilt. Das schien mir dann aber doch etwas optimistisch und ich bestellte Günter auf 10:00 Uhr um, was ich wenig später wieder bereute, da die ersten Quellungen schon ab 09:45 den ansonsten makellos blauen Himmel zierten.
So war ich letztlich eine gute halbe Stunde zu spät in der Luft. Das Bergische Land war bereits voll entwickelt und bot einen fantastischen Anblick. Über Wermelskirchen erkurbelte ich dennoch erstmal 500 zusätzliche Meter. Selbst mit der JS1 ist es keine gute Idee, tief ins ansteigende Gelände Richtung Osten zu gleiten.
Nach diesem ersten, klassischen Aufwind ging es bis zur ersten Wende südlich Kassel-Calden praktisch im reinen Delfinflug. Aus der Erinnerung hätte ich gesagt „ohne jeden Kreis“. 16 waren es dann doch – ich habe nachgezählt. Ein einziger Rausch, geradeaus unter Wolkenstrassen, weiter, immer weiter, praktisch ohne Höhenverlust. So hätte es endlos weiter gehen können – und sollen! Der Thüringerwald lag erst noch vor mir. Ich freute mich bereits darauf, mit Highspeed in großer Höhe die Kammlinie entlang zu surfen.
Aus diesen Tagträumen wurde ich jedoch jäh herausgerissen. Die Wolken wurden rasch weniger und der Thüringerwald war – komplett blau! Ich brauchte ein paar Kreise in schwacher Thermik, um mich vom Schock zu erholen und mir über das weitere Vorgehen klar zu werden. Sicher würde der Thüringer auch im Blauen gehen. Ich würde aber tief dort ankommen und dies schien mir wenig verlockend. So steuerte ich auf direkten Südkurs und flog vorsichtig tastend ins Blaue.
In diesem Moment hatte ich meinen Traum vom ersten 1000er aufgegeben und wollte einfach nur noch schön fliegen, nicht Aussenlanden und möglichst nicht den Jet ziehen. Andererseits sah ich aber auch keinen Anlass, beizudrehen und nach Hause zu fliegen. Der Tag war noch jung!
Und tatsächlich: Auch im Blauen gibt es Thermik! Und nach etwa 100 km südöstlich der Rhön kamen die Wolken wieder 😀! Mit jedem km wurde es besser und im Fränkischen stellte sich wieder echte Hammerwetter-Optik ein. Jetzt lief es wieder! Gerne wäre ich noch weitergeflogen, aber die Entscheidung zur Umkehr wurde mir vom Luftraum vorgegeben. Durch das Auslassen des Thüringer Waldes war ich insgesamt wesentlich weiter westlich geflogen als geplant und so machte sich vor mir der Truppen-Übungsplatz Grafenwöhr mit seinem Sperrgebiet breit. Hier ging es ohne größeren Umweg nicht weiter, was mir aber trotz der verlockenden Optik Richtung Südost nicht ganz ungelegen kann. Es war mittlerweile 14:50 Uhr und vor mir lagen 365 km zurück nach Langenfeld. Sicher würde es auf dem Weg wieder blau werden und der Weg führte durchs Sauerland, das ich vom Samstag noch negativ in Erinnerung hatte.
Nach der Wende genoss ich bewusst die idealen Bedingungen vorbei an Burg Feuerstein, Bamberg und Hassfurt – und erwartete gespannt das Wetter auf dem weiteren Heimweg. Wie befürchtet, wurde es wieder blauer mit riesigen Abständen zwischen den wenigen Wolken. Die hohe Basis und das Gleitvermögen der JS1 waren aber die richtigen Zutaten für einen insgesamt entspannten und schnellen Flug vorbei an Rhön, Vogelsberg, Gießen und Siegen zurück in heimische Gefilde. Um exakt 18:00 Uhr, viel früher als gedacht, flog ich am Langenfelder Flugplatz vorbei, 800 km auf der Uhr und den Einstieg in die Dormagener Industriethermik fest im Blick. Westlich des Rheins standen noch aktive Quellungen und ich sah durchaus die Chance, noch 200 km zu fliegen. Jetzt oder nie!
„Der Dormagen“ war ein echter Hammer. Nach einem recht tiefen Einstieg ging es mit über 3m/s bis an den Luftraumdeckel. Wunderbar!
Der weitere Weg nach Westen lief problemlos. Die Luftmasse war immer noch sehr aktiv und so ging es über Aachen und die belgische Grenze bis nördlich Spa. Wie ich später erfuhr, verfolgten unter anderem meine Eltern online meinen Flug, bangten um die Rückkehr aus Franken und staunten dann nicht schlecht, als ich immer weiter nach Westen flog, anstatt zu landen oder wenigstens in Aachen umzudrehen. Ähnlich ging es August, der mir bei Jülich entgegenkam, froh, endlich die Endanflughöhe nach Langenfeld zu haben. Auch er wunderte sich, als er beobachtete, wie ich unter ihm durch weiter nach Westen flog. Aber die Gelegenheit war einfach zu günstig und ich musste es versuchen, die 1’000 km voll zu bekommen.
Nach der Wende am Ardennenrand waren es „nur“ noch 100 km zurück nach Langenfeld. Aber es ging gegen den Wind, mittlerweile war es nach 19:00 Uhr und so oder so brauchte ich noch mindestens einen richtigen Aufwind. Hierfür bot sich das Kraftwerk Weisweiler an. Meine Enttäuschung war groß, als sich dort nichts Verwertbares fand. Weitersuchen und dabei Zeit und Höhe verlieren oder das 30 km entfernte Kraftwerk Fortuna ins Visier nehmen?
Ich entschied mich für letzteres. Über der Südostflanke des Tagebaus Hambach stand sogar noch eine schöne Wolke. An dieser Stelle brennt die tiefstehende Abendsonne im idealen Winkel auf die künstlichen Hänge der mehrere 100 m tiefen Tagebaugrube und induziert so auch zu später Stunde noch Thermikablösungen fast wie an einem Westhang im Gebirge.
Fast wäre ich der Versuchung erlegen, diesen Punkt anzusteuern, aber der Umweg wäre doch so groß gewesen, dass ich die Ankunft im Kraftwerksbart riskiert hätte, wenn sich der erwartete Aufwind am Grubenhang nicht eingestellt hätte.
So ging es im direkten Anflug mit optimaler Geschwindigkeit Richtung Fortuna. Ankommen werde ich über Kühlturmhöhe, aber wird es um 20:00 Uhr dort auch noch hoch gehen? Oder wird hier mein Flug 30 km vor dem Ziel und kurz vor Überschreiten der magischen 1000 km Grenze enden? Die Anspannung war enorm, und als ich endlich am Kraftwerk ankam, tat sich zunächst – nichts! Ein wenig Turbulenz, hier etwas hoch, dort dafür wieder runter. Unter dem Strich machte ich keinen Meter Höhe. Wäre ich mal doch an den Grubenrand geflogen…
So war Kämpfen angesagt! Höhe halten und auf die letzte Thermikablösung des Tages hoffen und Warten. – Nach endlos scheinenden Minuten fing ich tatsächlich an zu steigen. Nicht schnell, aber kontinuierlich, zuverlässig, unaufhaltsam! Meine Anspannung begann sich zu lösen, pure Freude machte sich breit. Ich hatte es geschafft!
20min später schwebte ich über dem Langenfelder Flugplatz aus. 10 Stunden 20 Minuten und exakt 1004 Kilometer nach dem Start. Im Ausrollen riss noch ein versteckter Betonschacht mein Flächenrad ab. Ein weiteres Kapitel der «Pleiten-Pech und Pannen-Saga». Aber das konnte meine Stimmung an diesem Abend nicht trüben. Kein bisschen!
>> Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht geht es das „Vorspiel zur Alpentraverse“.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach dem Energieschub durch das berauschende Flugerlebnis war ich bereit, mich den profaneren Dingen zu widmen. Die Entscheidung, die JS1 umzuflaggen, hatte ich schon vor dem Kauf getroffen. Theoretisch hätte ich die tschechische Registrierung behalten können, so wie ich es vor zehn Jahren mit der österreichisch-zugelassenen LS6 gemacht hatte. Jeder deutsche Prüfer kann ein in einem anderen EASA-Land zugelassenes Flugzeug prüfen. Der Schriftverkehr mit den Behörden erfolgt jedoch in Landessprache und so gut ist mein Tschechisch dann doch nicht 😀.
Anders sieht es mit den südafrikanisch zugelassenen Fliegern aus. Um diese prüfen zu dürfen, braucht man als Prüfer eine Zertifizierung durch die südafrikanische Luftfahrtbehörde. Die haben nur wenige in Europa, bspw. bei M&D oder in Terlet. Außerdem muss das Flugzeug teilweise einem Südafrikaner oder einer südafrikanischen Firma gehören, damit es dort zugelassen werden kann. Aus diesem Grund gehört ein winziger Anteil jeder ZS-zugelassenen JS1 Jonker Sailplanes. Im Alltag macht das alles keine Umstände und einmal im Jahr für die Nachprüfung zu M&D zu fahren, ist auch zumutbar. Aber es sind in der Summe doch Hürden und Konstrukte, die den Mehrpreis für eine EASA-zugelassene JS1 rechtfertigen. Und natürlich hat die EASA-Musterzulassung auch Geld gekostet, umgelegt auf das einzelne Flugzeug wohl 10.000 €. Das Argument, die nicht EASA zertifizierten Flieger seien technisch nicht auf vergleichbarem Stand, halte ich eher nicht für stichhaltig. Zwar war die EASA-Zertifizierung mit technischen Nachforderungen z.B. bezüglich Cockpit-Crash-Sicherheit verknüpft, diese halten sich aber insgesamt in engen Grenzen. Der Umstand, dass ältere Exemplare nicht unter die Musterzulassung fallen, hat weniger mit den technischen Unterschieden zu tun als mit der Tatsache, dass die Musterzulassung für den Hersteller M&D und nicht für Jonker Sailplanes gilt.
Der erste formale Schritt zur Verkehrszulassung in Deutschland ist die Reservierung einer Kennung beim LBA (Luftfahrtbundesamt). In meinem Fall war die Auswahl einfach, schließlich war der Flieger 2016 als D-KTVX mit deutscher VVZ zur Welt gekommen und erst nach der Musterzulassung zur OK 1551 umgetauft worden. Das alte Kennzeichen war tatsächlich noch frei und wird eilig reserviert.
Nun musste es noch ein-lackiert werden. Das sollte es schon sein. Die Folien-Alternative kam für mich eher nicht in Frage. Segelflieger sind hier etwas eigen. Eine Folienkante im Mikrometerbereich könnte empfindlich die Leistung stören und überhaupt – Nein. Um ein Angebot gebeten habe ich zunächst M&D, den Hersteller der JS1. Zum Glück saß ich beim Lesen der Offerte. Die Kosten hatten es doch in sich und außerdem gab es erst im Januar einen Termin. Dabei wollte ich die Sache doch schnellstmöglich hinter mich bringen. Optional wurde auch das Rundum-Sorglospaket angeboten:
Instandhaltungsprogramm, Programmierung von Transponder und ELT, deutsches ARC, Übernahme sämtlicher Zulassungsformalitäten. Alles zusammen für einen stolzen Preis – den es wert gewesen wäre. Aber da packte mich doch der Geiz – und der Ehrgeiz. Das würde ich doch wohl alles auch allein schaffen. Aus unerfindlichen Gründen hatte ich sogar Lust drauf, mich in den Papierkrieg zu stürzen, mich darin zu beweisen, zu wachsen und zu lernen. Ich wusste natürlich nicht, worauf ich mich da einliess.
Zunächst habe ich mich auf der LBA-Homepage umgeschaut. Dort finden sich nicht nur Formulare und Vorlagen, sondern auch „Hinweise zum Antrag auf Ausstellung eines Lufttüchtigkeits-Zeugnisses und Eintragung in die Luftfahrzeugrolle“. Trotz des komplizierten Titels ein durchaus hilfreiches Dokument, das ich als Leitfaden für die weiteren Schritte nutzte. Nichtkenntnis oder Nichtbeachtung der „Hinweise zum Antrag auf Ausstellung eines Lufttüchtigkeits-Zeugnisses und Eintragung in die Luftfahrzeugrolle“ einschließlich aller zitierten weiteren Dokumente und Vorlagen wird umgehend bestraft. Wer zum Beispiel denkt, nach der Kennzeichen-Reservierung könne er munter mit der Lackierung beginnen, liegt grob falsch. Vielmehr muss die „Verordnung (EU) Nr. 748/2012 Abschnitt Q Absatz 21 A.801“ eingehalten werden. Diese schreibt nicht nur vor, wo auf dem Flugzeug die Kennzeichnung aufzubringen ist, welche Schriftarten und Farben erlaubt sind. Sie schreibt auch vor, wie groß diese Kennzeichen sein müssen. Einfach gesagt: Die Kennzeichen müssen größer sein als das Flugzeug! Da dies schwierig umzusetzen ist, kann (sorry: MUSS) man beim LBA eine Ausnahmegenehmigung beantragen, und zwar, bevor man lackiert. Weiterhin müssen Transponder-Code und ELT-Registrierung beantragt und die Geräte programmiert werden; Versicherungsnachweis, Eigentumsnachweis, die Löschungs-Bescheinigung aus dem Herkunftsland, ein gültiges ARC und einige Dinge mehr sind vorzulegen. So weit, so gut. Alles kein Hexenwerk. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Völlig unklar war für mich zum Beispiel, wie man das ELT programmiert. Für diejenigen, die davon noch weniger Ahnung haben als ich: beim ELT handelt es sich um einen Notfallsender. Im Falle eines Crashs wird ein Notsignal gesendet und so die Rettungskette aktiviert. Mitgesendet wird die Gerätekennung und in den entsprechenden Datenbanken sind dann weitere Informationen zum Flugzeughalter und zu Kontaktpersonen hinterlegt. Nicht nur praktisch, sondern im Zweifel auch lebensrettend. In den Alpen ist es schon mehrfach vorgekommen, dass vermisste Flugzeuge monatelang nicht gefunden wurden und eine Obduktion des oft in Schnee und Eis gut konservierten Piloten später ergab, dass dieser sicher überlebt hätte, wenn er nur schnell gefunden worden wäre.
Aber wie programmiert man das Ding? Ich habe erstmal beim Verkäufer angerufen und nach drei Versuchen den Mitarbeiter an der Leitung gehabt, der sich „damit auskennt“. Die Sache sei ganz einfach: ich müsse zunächst das Formular mit allen Daten ausfüllen (klar), dann eine Kaution in Höhe von mehreren hundert Euro überweisen (Aha), dann würde man den Dongle (die Älteren werden sich erinnern, was das ist) programmieren und damit könne ich dann zum Flugzeug-Elektroniker meines Vertrauens gehen, damit dieser das ELT programmiert. Danach könne ich den Dongle wieder zurückschicken und bekäme die Kaution wieder. Das klinkt nicht nur kompliziert, das ist auch kompliziert und teuer! Zum ersten Mal beschlich mich das Gefühl, dass ich vielleicht doch besser das Rundumsorglospaket bei M&D gebucht hätte…
Aber Aufgeben gilt nicht. Auf der Suche nach einem passenden Flugzeug-Elektronik-Prüfer kontaktierte ich Aeroconcept in Aachen und wurde an Stephan Wahl von Airmarin in Essen weiterverwiesen. Der bot mir an, alles in einem Schwung für einen Bruchteil der Kosten zu machen. Geht doch!
Parallel kümmerte ich mich um Alternativen für die Kennzeichenlackierung. Gliderservice Novak in Slowenien hatte vor bald 20 Jahren meine LS6 lackiert. Eine Topadresse, aber über 1’000 km weit weg, Aeroconcept in Aachen kann man auch blind vertrauen, aber dort verdient man die Brötchen längst im Wesentlichen mit Rotorblatt-Reparaturen. Das Flugzeuggeschäft läuft nur noch als Hobby nebenbei. Man brauchte etwas länger für ein Angebot, aber als es schließlich kam, schien dieses Problem schonmal gelöst: Preis fair, Slot Ende November. Gebongt und bestellt.
Zwischenzeitlich hatte ich den Anhänger zugelassen und ein Instandhaltungs-Programm (IHP) geschrieben. Für Letzteres bitte nicht irgendein Beispiel aus dem Internet anpassen, sondern die aktuellen Vorlagen von der LBA-Homepage verwenden. So ein IHP ist eigentlich relativ schnell geschrieben und auf dem Weg lernt man einiges über sein Flugzeug. Überhaupt stecke ich plötzlich voller Energie und beschäftige mich intensiv mit Dingen, die mich früher eher weniger interessiert haben. Luftraumfragen zum Beispiel. Bislang war für mich bei Flügen von Langenfeld aus der Einflug nach Holland, Belgien oder Frankreich kein Thema. In den Niederlanden herrscht generell Transponderpflicht, der belgische Luftraum schreckt schon auf den ersten Blick nachhaltig ab und in Frankreich sieht es grenznah nicht viel besser aus. Bei näherer Betrachtung geht da allerdings viel mehr, als man denkt. Also auf in die Ardennen und nach Lothringen! Überhaupt Streckenplanung. Reliefkarten der Alpen zierten schon immer meine Büros, jetzt kamen mehrere neue dazu, einschließlich einer entsprechenden Deutschlandkarte. 1’000-km-Dreiecke in alle Himmelsrichtungen wurden detailliert geplant und optimiert. Man wird ja noch träumen dürfen! Und ohne entsprechende Planung wird das nie was.
Der onlinecontest (OLC) hat in den letzten 15 Jahren den Streckenflug revolutioniert und vieles positiv verändert. Es gibt aber auch ein paar negative Entwicklungen. Es werden nicht nur kaum noch Aufgaben angemeldet (das habe ich auch schon lange nicht mehr gemacht), die ganze Planung bleibt bei vielen auf der Strecke. Zumindest in meinem eigenen Verein beobachte ich, dass einfach losgeflogen wird, dem vermeintlich besten Wetter entgegen. Wenn es dann voraus blau wird oder auch nur die Basis sinkt, wird flugs der Kurs geändert oder umgedreht, immer Richtung bestem Wolkenbild. So optimiert man vielleicht seine Schnittgeschwindigkeit über die drei besten Stunden des Tages, ein wirklich herausragender Flug gelingt so aber sicher nicht. Dafür braucht man einen klaren Plan im Kopf einschließlich Zeitplanung.
Diese wird von hinten aufgezäumt. Wann muss ich wo spätestens den letzten Aufwind kurbeln? Wann muss ich spätestens an der letzten Wende sein, um eine Chance zu haben, diesen letzten Bart an der richtigen Stelle vor dem Thermikende zu erwischen. Wann muss ich spätestens an der zweiten Wende sein, um später rechtzeitig an der letzten Wende sein zu können? Wenn ich da schon zu spät bin, dann wird abgekürzt, also vorzeitig gewendet. Auch hier weiß ich genau, wann ich spätestens wo sein muss, um die verkürzte Strecke zu schaffen. In diesem Stil gibt es am besten auch noch Plan C. So kann man aus dem geplanten 1’000er einfach ein 900er, 800er, 700er machen. Wenn man zu spät in die Luft kommt auch schon vor dem Start. Klingt vielleicht komplex, ist es aber nicht, sondern vielmehr sehr praktisch und hilfreich.
So habe ich schon immer meine bislang maximal 750 km langen Strecken geplant. Andere Dinge waren dagegen lange von mir vernachlässigt worden; nun stürzte ich mich umso mehr darauf. So bietet der OLC vormals ungeahnte Möglichkeiten, aus den Flügen anderer zu lernen. Das hatte ich nur nie genutzt. Jetzt fing ich an, die Position der Wellenaufwinde in den Westalpen für verschiedene Wetterlagen auszuwerten, Kurbelanteile, Vorflug-Gleitzahlen und Geschwindigkeiten zu vergleichen. Mit durchaus interessanten Ergebnissen. So fliege ich vergleichsweise langsam vor, schaffe es dafür aber, sehr hohe effektive Gleitzahlen zu erzielen, finde und nutze also gut tragende Linien. Das ist unter dem Strich ganz erfolgreich und einfach mein Stil.
Ich scheue mich nicht, tief runter zu fliegen, wenn es sein muss, aber „gewollt“ gehe ich nur auf halbe Konvektionshöhe runter. Das lässt einem immer Optionen. Wenn Plan A nicht funktioniert, ist immer noch genug Luft unter den Flächen, um auch noch die nächste Wolke zu erreichen. Trotzdem werde ich wohl an meinem Flugstil arbeiten müssen. Mit der JS1 muss man einfach schneller vorfliegen und mehr Wasser tanken. Dass ich das bislang eher selten in den Flächen hatte, lag allerdings eher daran, dass ich schlecht aus dem Bett komme. Lieber eine halbe Stunde eher ohne Wasser starten als mit vollen Tanks in der Schlange stehen. Auch das muss sich ändern 😀.
Das Finale Während ich mich weiter intensiv mit allen Aspekten des Segelflugs beschäftigte und die sehr emp-fehlenswerten Blogs von Horst Rupp und Tijl Schmelzer verschlang, wurde mein Flieger bei Aeroconcept fertig und ich hatte tatsächlich alle Unterlagen zusammen, die ich für die Zulassung benötigte. Ein letztes Mal ging ich die Checkliste durch, kontrollierte alle Dokumente und schickte schließlich einen dickeren Umschlag Richtung Braunschweig.
Nun hieß es warten. Am 27. Dezember (tatsächlich!) kam eine eMail vom LBA, deren Inhalt mich doch auf dem falschen Fuß erwischte. Es gab eine ganze Reihe von Nachforderungen. Die schwerwiegendste betraf das tschechische ARC. Dieses wird nur 60 Tage nach Abmeldung des Flugzeuges in Tschechien anerkannt. Ich hatte den Antrag acht Tage zu spät eingereicht. Glückwunsch! Außerdem war der Prüferin aufgefallen, dass in den verschiedenen Dokumenten unterschiedliche Schreibweisen der Seriennummer verwendet werden. Das reichte von “108” über „1C-108“, „1C.MD108“ bis „1C.MD0108“, bunt durcheinander und auch zwischen den Dokumenten von M&D selbst nicht konsistent.
Die Auflage bestand darin, alle relevanten Dokumente anzugleichen, und zwar an die einzig wahre Werk-Nummer, die auf dem Kennschild. Dies ist die „1C.MD0108“ und sie steht exklusiv nur dort, auf keinem einzigen anderen Dokument! So ein… einiges an Arbeit bedeutete es auf jeden Fall. Ein neues Luftfunkzeugnis brauchte ich außerdem. Das aktuelle war zwar auf die D-KTVX ausgestellt aber nicht auf mich als Halter.
Nach dem ersten Schock machte ich mich an die Arbeit. Bei der Bundesnetzagentur war zwischen den Feiertagen tatsächlich eine sehr freundliche Mitarbeiterin im Dienst und so war das neue Luftfunkzeugnis als erstes im Kasten.
Das deutsche ARC, genauer die “gültige Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (EASA Form 15a, Form 15b oder Form 15c) mit dem Abzeichnungsvermerk des zuständigen Mitarbeiters des Luftfahrt-Bundesamtes” gestaltete sich etwas aufwändiger. Zwar kann jeder Prüfer für die JS1 ein ARC ausstellen. Die Fußnote dazu lautet jedoch „jeder Prüfer, der eine Zertifizierung für jetgetriebene Motorsegler besitzt“. Das ist aktuell noch längst nicht jeder. So fuhr ich an einem sehr frühen Januarmorgen durch Regen, Schnee und Sturm nach Bruchsal zu DG zu Sebastian Tschorn. Danke nochmal für die Unterstützung «Tschorni»!
Nach der erfolgreichen Nachprüfung und der Ausstellung aller Dokumente war die Sache allerdings noch nicht durch. Es fehlte noch der Abzeichnungsvermerk des zuständigen Mitarbeiters des LBA. Den gab es nach drei Iterations-Schleifen. Und dabei dachte ich, mein Instandhaltungsprogramm sei perfekt. War es aber nicht. Und natürlich war auch in dem neuen ARC die Werknummer wieder falsch…
Wie konnte es zu dem Wirrwarr der Werknummern kommen? Es gibt von der JS1 verschiedene Varianten. Neben der Urversion, die 2006 zum ersten Mal flog, die JS1B und die JS1C. Nach der Erteilung der EASA-Musterzulassung wurde aus der JS1C die JS-MD 1C. Die Werknummern sind durchlaufend, d.h. die „108“ ist die 108. jemals gebaute JS1. Aus mir nicht bekannten Gründen hat man bei Jonker aber entschieden, die Variantenbezeichnung mit in die Werknummer aufzunehmen. Es heißt also richtig „1C-108“. So ist meine JS1 am 12.7.2016 (an meinem 44. Geburtstag 😀) zur Welt gekommen. Zugelassen mit Deutscher VVZ als D-KTVX. Nach der Musterzulassung feierte das Flugzeug dann im Dezember 2017 einen zweiten Geburtstag. Auf Musterstand gebracht und durch Austausch von Verschleißteilen in Neuzustand versetzt, erfolgte die Wiedergeburt (Stückprüfung) als JS-MD 1C mit Baujahr 2017, neuem Kennschild und neuer Werknummer 1C.MD0108.
Das an sich dürfte schon recht einmalig sein und kann eigentlich nur zu Missverständnissen und Verwirrung führen. Zu allem Überfluss hat man offensichtlich bei M&D selbst vergessen, dass man auf dem Kennschild „0108“ eingestanzt hat. In allen Werksdokumenten heißt es „108“ und nicht „0108“.
Mitte Januar hatte ich schließlich in Rekordtempo alle revidierten und nachgebesserten Unterlagen zusammen. Das abgezeichnete ARC war auf dem Weg von der LBA-Außenstelle in die Zentrale und mein zweiter dicker Umschlag per Einschreiben nach Braunschweig aufgegeben. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen und doch blieb ich angespannt, bis ich tatsächlich Eintragungsschein und Lufttüchtigkeitszeugnis in den Händen hielt, exakt vier Monate nach dem „Jungfernflug“.
Ich fühlte mich mit den langersehnten Papieren in der Hand ein wenig wie Uys Jonker selbst nach dem Erhalt der Musterzulassung: so ein einfaches, profanes Stück Papier – völlig unangemessen für die Arbeit und den Aufwand dahinter. Und sogar eine gewisse Leere machte sich in mir breit wie bei einem Jungrentner nach dem wohlverdienten Eintritt in den Ruhestand. Was sollte ich jetzt tun mit der plötzlich gewonnenen Freizeit? – Aber keine Sorge: das war eher ein Scherz. Es gibt genug Projekte wie das Aufschreiben dieser Geschichte 😀und schließlich wird auch das Frühjahr kommen – mit Hammerwetter. Ich werde es genießen!
P.S.: Ich danke allen, die mich auf dem Weg zur JS1 und deren Zulassung unterstützt haben! Meiner Frau, die alles mit Langmut ertrug, allen Anbietern, die Zeit und Mühe in die Kommunikation mit mir steckten, Inhabern und Mitarbeitern von M&D, Aeroconcept, Airmarin, DG-Flugzeugbau und auch den Sacharbeitern beim LBA und der Bundesnetz-Agentur. Diese haben mir keinesfalls Steine in den Weg gelegt, sondern zügig und freundlich ihren Job gemacht. Es ist halt alles nicht trivial und es lauern ein paar Fallen. Zum Glück war Winter. Ich bin die Sache als sportliche Herausforderung angegangen und habe nie meine positive Einstellung verloren. obwohl ich mir anfangs alles einfacher vorgestellt hatte. Es hat mir sogar Spaß gemacht, mich in die Dinge zu vertiefen und zu lernen. Das wäre natürlich ganz anders gewesen, wenn ich das Flugzeug im März gekauft hätte und April, Mai, Juni, Juli an mir vorbeigezogen wären, ohne in die Luft zu kommen.
>> Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht geht es um den Start in die erste Saison.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Seit gut zehn Jahren sieht meine fliegerische Jahresroutine eine Woche in Serres bei Klaus Ohlmann vor, außerdem ein, zwei oder drei Überlandflüge zu Hause und eine Reihe von Fluglehrerdiensten. Mehr ist nicht drin, es reicht aber. Man soll schließlich nicht gierig werden und es gibt auch noch andere schöne Dinge im Leben.
Korrekt müsste es heißen: „Meine Odyssee zur JS-MD 1C – 1C.MD0108 D-KTVX“. Doch dazu später. Ich fliege seit vielen Jahren begeistert. Mit 14 habe ich angefangen, bin immer am Ball geblieben, wurde Fluglehrer, passionierter Gebirgsflieger, zwischenzeitlich ambitionierter Wettbewerbsflieger, seit 2010 glücklicher Besitzer einer LS6.
Ein anderes Flugzeug war für mich eigentlich nie ein Thema. Die LS6 hat ein traumhaftes Handling, gute Flugleistungen, Wettbewerbe fliege ich aktuell nicht und wenn, dann hätte ich gerne gezeigt, was man mit so einem alten Schätzchen noch reißen kann. Auch einen Motor habe ich nie vermisst. Ich sah mich gerne als puristischen Segelflieger, der auch ohne Heimkehrhilfe große Strecken fliegt, meist nach Hause kommt und für den der Nervenkitzel des Außenlanderisikos irgendwie dazugehört. Aber wie sagte schon Adenauer: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern!“
Langsam stieg in mir doch der Wunsch auf, fliegerisch mit einem neuen Flugzeug nochmal einen richtigen Schritt zu machen. Dabei setzte sich in meinem Kopf fest, was mich an der LS6 alles stört: manuelle Ruderanschlüsse, kein Transponder und -ja, tatsächlich- kein Motor.
Auch ohne Motor fliege ich weiter als die meisten, denke nach vorne und nicht schon mittags an das Nachhausekommen, habe keine Angst, ins Blaue zu fliegen und bin insgesamt forsch unterwegs. Und doch ist in vielen Situationen die Handbremse leicht angezogen. Wer will schon der Depp sein, der bei schwachem Wetter draußen liegt, weil er dachte, dass es doch auch woanders gehen muss, wenn es am Platz geht. Wer will schon abends um acht neben dem Kraftwerk auf dem Acker liegen, weil er meinte, dass auch nach Thermikende die Kraftwerke noch zuverlässig ziehen? Die Versicherung im Rumpfrücken hilft doch ungemein, die Grenzen auszureizen und den inneren Schweinehund zu überwinden. Dass dies nicht zu Lasten der Sicherheit gehen darf, dass man trotz Motor immer eine Außenlandeoption haben muss, ist dabei selbstverständlich.
Es sollte also ein Flieger mit Heimkehrhilfe, automatischen Ruderanschlüssen und Transponder werden. Aber wenn schon denn schon -so der nächste Gedanke. Ich wollte nicht insgeheim der LS6 nachweinen, wie ich das von einigen DG800 Piloten gehört habe und ja: ein richtiger Leistungssprung, das wär’s.
Die Entwicklung und Erfolge der Jonker-Brüder und ihrer Flugzeuge hatte ich schon immer am Rande verfolgt. Jetzt fing ich an alles zu verschlingen, was ich darüber an Lesestoff und Videomaterial finden konnte. Es ist ein modernes Märchen. Zwei Brüder aus dem hintersten Afrika arbeiten lange Jahre hart, akribisch, mit unglaublicher Zielstrebigkeit und Fachwissen an der Verwirklichung ihres Traums. Anfangs belächelt begeistern sie die Segelflieger rund um den Globus, heimsen einen Erfolg nach dem anderen ein und drehen die Welt der etablierten Hersteller auf Links.
Jahrzehntelang gab es keinen echten Leistungssprung mehr bei Segelflugzeugen. Der Leistungszenit wurde bereits vor 25 Jahren mit Flugzeugen wie ASW27 und Ventus 2 erreicht. Mit einer LS8, die eigentlich auf die LS6 von 1984 zurückgeht, kann man heute noch Weltmeister werden. Positiv gesprochen sind die heutigen Konstruktionen sehr ausgereift.
Man stelle sich vor, man wäre 1975 mit einem Flugzeug von 1950 angetreten, 1990 mit einem von 1965, 2000 mit einem von 1975 – alles unvorstellbar. Heute ist ein 25 Jahre altes Flugzeug absolut auf der Höhe der Zeit. Seit Mitte der 90er sorgte lediglich Spannweiten-Vergrößerung für mehr Leistung ohne echten technischen Fortschritt. Befeuert durch den Trend zur Motorisierung etablierte sich die 18m Klasse. 18m statt 15m Spannweite, 600 kg maximale Abflugmasse statt 525kg bedingen in Kombination einen Leistungssprung. Aber echter aerodynamischer Fortschritt – Fehlanzeige.
Und dann kamen die Jonkers mit einer kompletten Neuentwicklung (ok, der Rumpf erinnert stark an Schleicher, das ist eine andere Geschichte), selbst entwickelten aerodynamischen Profilen, einem auch qualitativ überzeugenden Gesamtpaket und haben für mehr als frischen Wind gesorgt.
Die JS-1C Revelation ist tatsächlich eine Offenbarung, besonders in der 21m Version. Gleitzahl 63 mit „nur“ 21m Spannweite, tolles, einfaches Handling auch bei hoher Flächenbelastung, lediglich 1,4 m/s Eigensinken bei 200 km/h. Und dazu der Jet-Antrieb: praktisch kein erhöhtes Eigensinken bei ausgefahrenem Triebwerk, Gutes Steigen bei hoher Geschwindigkeit, einfache Wartung. Ein Traum! Absolut und auch im Vergleich zur Konkurrenz. Nicht nur die „alten“ Spannweitenriesen, auch die parallel zur JS1 entwickelten Wettbewerber ASH31 und Quintus haben «keine Schnitte» gegen den neuen Flieger aus der afrikanischen Savanne.
Der erste Schock für meine Frau war, dass ich mir überhaupt ein neues Flugzeug kaufen wollte. „Warum? Das Alte ist doch toll und Du warst immer zufrieden.“
Trotzdem fragte sie, welches es denn sein sollte. In meiner Begeisterung antwortete ich „Eine JS1, das beste Segelflugzeug der Welt“. Das war taktisch eindeutig die falsche Antwort. Ich sei größenwahnsinnig, bekam ich zu hören. Das Thema war erstmal erledigt.
Geholfen hat dann mein Schwiegervater. Der fand die Aussicht, demnächst selbst eine JS1 fliegen zu können, nicht sooooo schlecht. Und schließlich sei ein Segelflugzeug eine ganz gute Geldanlage, zumindest kein zum Fenster rausgeworfenes Geld.
Schon bevor das endgültige OK meiner Frau stand, fing ich an, mich umzuschauen und schlau zu machen. Neu gebaut wird die JS1 nicht mehr. Seit 2019 werden nur JS3 gefertigt, der neue 15m/18m Flieger von Jonker. Auch ein großartiges Flugzeug, aber deutlich teurer als eine gebrauchte JS1, die dank der 21m immerhin 7 Gleitzahlpunkte mehr hat. Ab 2022 kommt dann die JS2 als Nachfolger der JS1. Gleicher Flügel, neuer Rumpf, der dann auch einen Eigenstartermotor beherbergen kann.
Also kämmte ich den Gebrauchtflugzeugmarkt nach Kaufoptionen durch. Aus unerfindlichen Gründen scheinen diese immer im Schwarm zu kommen. Lange gibt es genau gar nichts, dann plötzlich mehrere Alternativen. Dabei gibt es bei der JS1 einiges zu bedenken. Die wurde bekanntlich in Südafrika entwickelt und zunächst nur dort muster-zugelassen. Die meisten der insgesamt 126 JS1 fliegen daher mit südafrikanischer ZS-Zulassung. Erst die letzten 26 ab 2016 gebauten JS1 fallen unter die EASA-Musterzulassung und können mit D-Kennung fliegen. Eine südafrikanische Zulassung schreckte mich nicht. Meine LS6 fliegt mit österreichischer Kennung, mein Auto fährt mit belgischem Kennzeichen. Das fand ich immer charmant, leicht exotisch, international: passt.
Der erste Kandidat war dann eine polnische JS1. Werknummer 106, Bombenpreis, EASA-zertifiziert. Dachte ich. Schnell stellte sich heraus, dass das Flugzeug nicht polnisch, sondern serbisch zugelassen war. Serbien ist nicht in der EASA. Hintergrund des Ganzen: Als der Flieger im Frühjahr 2016 fertig beim Jonker-Partner M&D in Friedeburg stand, gab es noch keine EASA-Zulassung. Die Flugzeuge flogen mit vorläufiger Verkehrszulassung und die maximale Anzahl an VVZ war bereits ausgeschöpft. Pech für den polnischen Kunden. Er sollte bis zur Musterzulassung warten oder… da kam die Sache mit der serbischen Zulassung ins Spiel. Die Serben hatten kein Problem mit der Anerkennung der südafrikanischen Musterzulassung. Super dachte nicht nur der Käufer. Super dachte 4 Jahre später auch ich. Mit serbischem Flieger wollte ich nicht fliegen, aber eine Ummeldung sollte ja wohl kein Problem sein. Denkste!
Der Verkäufer gab zu verstehen, dass er das auch schon versucht hätte, die Sache sei aber kompliziert. Nach einem Gespräch mit Keno Markwald von M&D verstand ich langsam, warum. Die südafrikanische Musterzulassung erfolgte für den Hersteller Jonker-Sailplanes, die EASA-Zulassung für den Hersteller M&D. Auf speziellen Wunsch des Kunden (Gründe siehe oben) war der offizielle Hersteller nicht wie 2016 üblich M&D, sondern Jonker. und um das Flugzeug unter den Mantel der EASA-Zulassung zu bringen, musste nachträglich der Hersteller geändert werden. Das könne man versuchen, aber das sei echt viel Aufwand und ob die Behörde das anerkenne, fraglich… Der Bombenpreis relativierte sich auch, verstand er sich doch exklusive 20 % MWST. Der polnische Verkäufer hatte das Flugzeug nicht privat, sondern über seine Firma erworben. Auf Flugzeug und Anhänger gab es Werbung für die Firma des Verkäufers. Das reichte dem Finanzamt wohl.
Trotz alledem blieb ich monatelang am Ball, mailte und telefonierte fleißig mit Verkäufer und Hersteller, überlegte, ob ich selbst eine Firma gründe, in die ich den Segler einbringen könnte, korrespondierte mit Steuerberatern und lotete aus, ob wenigstens die deutsche statt der polnischen MWST zur Anwendung kommen konnte, widerstand der Versuchung, „offiziell“ zu einem niedrigeren Preis zu kaufen, um Steuern zu sparen – und suchte parallel nach alternativen Angeboten.
Weitere Offerten fanden sich denn auch. Zunächst eine aus England. Der sehr sympathische Anbieter entpuppte sich als ehemaliger Drachenflug-Weltmeister, der im fortgeschrittenen Alter auf Segelflug umgesattelt hatte. Er hatte eine ASG29 an seinem Heimatplatz stehen und die JS1 im eigenen Hangar in Lasham, DEM britischen Segelflugzentrum. Seit Neuanschaffung war der Flieger erst 35 Stunden in der Luft gewesen, im Coronajahr 2020 kein einziges Mal. Daher der Verkauf. Der Preis schien ok, „Nein, Mehrwertsteuer werde nicht zusätzlich fällig“. Ein Blick in die Papiere zeigte dann aber, dass nicht der Verkäufer als Privatperson, sondern eine nach ihm benannte Firma Eigentümer war. „Hm“, da müsse er mal seine Assistentin fragen. Am nächsten Tag kam dann die Rückmeldung. Leider doch netto. Der Preis wurde daraufhin gesenkt, aber aus meiner Sicht nicht weit genug. Als wir uns nach einigem hin und her eigentlich handelseinig waren und ich bereits den Trip über den Kanal geplant hatte, kam eines Morgens ein ernüchternder Anruf. Leider habe er sich dazu entschieden, vorläufig gar nicht zu verkaufen. Er sei gesundheitlich angeschlagen und alles einfach zu viel im Moment. Vielleicht nächsten Sommer wieder. Ich war ganzschön baff und enttäuscht, aber ok, da macht man nichts. Für alle, die auch eine JS1 suchen, haltet die Augen auf…
Mittlerweile hatte ich ein gutes Gefühl für die aktuellen Marktpreise entwickelt. Eine EASA-Zulassung erhöht den Wert des Fliegers deutlich. Flugzeuge, die sich hierfür nicht qualifizieren, werden mit deutlichem Abschlag gehandelt oder – wenn der Eigentümer das anders sieht – wie «sauer Bier» vergeblich angeboten. Ich hielt die Augen offen und harrte der Dinge. Eine Schweizer JS1, letzte gebaute Werknummer, poppte auf und war nach 2 Tagen verkauft, wohl an einen anderen Schweizer, der dann auch keinen Zoll zahlen musste. Dann gab es da noch ein Angebot aus Frankreich. Deutlich überteuert, aber vielleicht war da über die Zeit was zu machen. Zwischen meiner Schmerzgrenze und der des Verkäufers, der es sich leisten konnte, im Zweifel eben nicht zu verkaufen, gähnte aber auch nach Wochen noch ein tiefer Graben.
Mitte September wurde eine weitere JS1 aus Tschechien bei Segelflug.de inseriert. Alles schien zu passen, aber die Annonce war schon drei Tage alt, als ich sie sah. So ein Mist, normalerweise schaute ich täglich nach Updates. Und tatsächlich: auf meine eMail bekam ich eine freundliche, aber enttäuschende Antwort: Ich sei Nummer 3 auf der Liste. Wenn Nummer 1 und 2 innerhalb von zehn Tagen nicht kaufen, käme man wieder auf mich zu. Ich machte mir nicht allzu viel Hoffnung, aber nach Ablauf der Frist kam tatsächlich die überraschende Nachricht, dass ich auf Nummer 1 vorgerückt sei.
Jetzt ging alles ganz schnell. Preisverhandlung, Austausch von Vertrags-Entwürfen und Personalausweis-Kopien, schließlich Abstimmung eines Besichtigungs- und Übergabetermins. Ein grenzüberschreitendes Treffen in Coronazeiten. Tschechien war gerade zum Hochrisikogebiet erklärt worden, aber acht Stunden Transit durch das Land ohne anschließende Quarantäne möglich. Also Treffen auf einem Flugplatz im Böhmerwald, gefühlt am Ende der Welt, weit ab der Zivilisation – fast unheimlich allein im strömenden Regen auf immer enger werdenden Sträßchen durch den immer dichter werdenden Wald. Schließlich öffnen sich die Wipfel zur freien Hochebene und darauf ein Flugplatz – Vereinsheim, Tower, Campingplatz, Anhänger, Hallen – und der Verkäufer samt Tochter und Flugzeug schon da. Beide sehr sympathisch, also Vater und Tochter. Der Flieger wie erwartet in einwandfreiem Zustand. 2017 auf der WM in Benalla, Australien mitgeflogen, danach zunächst fast nicht mehr bewegt. Es gibt halt noch eine EB29 und einen ARCUS im Familienfuhrpark, seit 2019 mit Sohn und mittlerweile 16jähriger Tochter, aber immerhin auch drei Piloten. Letztere hat die JS1 in 2020 dann auch aus dem Dornröschenschlaf geweckt und immerhin 180 Stunden bewegt. Schule war eh coronabedingt zu, also viel Zeit zum Fliegen. Entsprechend groß war der Trennungsschmerz, wobei die im Frühjahr 2021 zur Auslieferung anstehende AS33 den Liebeskummer sicher lindern wird.
Nach gut zwei Stunden rollte ich mit neuem Anhänger und wertvollem Inhalt vom Hof. Konten geleert und doch glücklich. Wer hofft, hier sei die Story endlich zu Ende, den muss ich enttäuschen. Ich hatte die JS1 OK 1551 erworben. Meine Odyssee zur JS-MD 1C – 1C.MD0108 D-KTVX begann jetzt erst.
Auf der Rückfahrt aus Tschechien regnete es weiter aus Kübeln, aber für den nächsten Tag war trockenes Wetter angesagt. Die erste und letzte Gelegenheit die JS1 in der ablaufenden Saison zu fliegen, bevor sie in Tschechien abgemeldet und sicher erst Wochen später (wie naiv ich doch war) in Deutschland neu zugelassen werden würde. Meine Frau reagierte erstaunlich gelassen auf die Nachricht, dass ich nach der 1’700-km-Gewalttour am Sonntag unbedingt auf den Flugplatz musste. Also Wecker auf 7 Uhr gestellt und mit dem Gespann pünktlich los.
Der Jungfernflug war auch für die OK 1551 eine Premiere. Noch nie vorher wurde sie an der Winde gestartet. Entsprechend groß war die Spannung und auch Anspannung auf meiner Seite. Unnötigerweise. Die JS1 fliegt in allen Situationen ganz einfach und angenehm, ist extrem thermikfühlig, wendig und setzt den kleinsten Lupfer in Steigen um. Deutlich Seitenruder muss man dabei zumindest mit den langen Ohren schon geben, aber da gewöhnt man sich schnell dran.
Die schwachen Bedingungen an diesem Tag mit Steigwerten im Zentimeterbereich und maximal 700 m Arbeitshöhe waren sogar ideal, um das Potential des Flugzeuges eindrucksvoll zu zeigen. Mehrfach habe ich das sichere Gefühl, der Einzige zu sein, der in den Nullschiebern steigt, statt langsam zu sinken.
Die Gleitleistungen sind bei alledem schlichtweg atemberaubend. Mit einer Ausklink-Höhe von 350 m hat man 12 km Aktionsradius für die Thermiksuche, aus 30 km Entfernung reichen 700 m Höhe ganz locker, um nach Hause zu gleiten und in der Platzrunde erneut Thermikanschluss zu finden. Und als ich zwischendurch mal 12 km vom Flugplatz entfernt in 250 m Höhe im Nullschieber bastele, steigt der Puls kein bisschen. Erstens macht das die JS1 schon, zweitens brauche ich nur 100 m steigen, um entspannt nach Hause zu kommen und drittens gibt es da ja noch den Jet im Rumpfrücken. Den teste ich denn auch bei jedem meiner drei Starts an dem Tag. Kinderleicht zu bedienen, wirkungsvoll und zuverlässig. Wobei -als ich beim zweiten Flug an der Position den Jet zünden will, geht er zweimal hintereinander einfach wieder aus. Grrr – was habe ich denn da gekauft!?
Beruhigend immerhin, dass die JS1 einfach weiter ihre Bahnen zieht, ohne merkbar erhöhtes Sinken, mit gefühlter Gleitzahl unendlich. Schließlich entschließe ich mich, das Triebwerk einzufahren und zu landen. Noch im Endanflug geht mir ein Licht auf. Mit geschlossenem Brandhahn springt das beste Triebwerk nicht an. Das Problem lag mal wieder zwischen den Ohren.
Begonnen hatte die Saison ganz wunderbar am 3. April mit einem Ziel-Rückkehr-Flug von Langenfeld nach Reims in Frankreich. 630 km quer durch die Ardennen in Eiseskälte. Von Langenfeld aus überfliegt man auf dem Weg nach Westen zunächst das Rheinische Braunkohlerevier mit seinen Kraftwerken und Tagebauten. Ich bin den Anblick seit 35 Jahren gewohnt. Jan Böhmermann und viele andere haben offensichtlich erst vor kurzem realisiert, was hier passiert. 100 Quadratkilometer große, bis zu 400m tiefe Löcher, um die herum das Grundwasser noch in 30 km Entfernung abgepumpt wird. Wahnsinn! Gestört hat all das lange niemanden. Die lokale Bevölkerung arbeitete großteils bei RWE und hat im Falle der Umsiedlung gerne die alte Bude gegen ein schickes Haus im neu erbauten “Ersatzdorf” eingetauscht. Und die breitere deutsche Öffentlichkeit interessierte sich für ganz andere Dinge. Im Zweifel war man gegen Atomkraft und sorgte sich in Zeiten des Zechensterbens um die Kumpel im Ruhrgebiet. Gut, dass es immerhin “in der Braunkohle” noch sichere Jobs gab.
Wir Segelflieger waren ohnehin RWE-Fans, sorgen die Kraftwerke doch für zuverlässige Aufwinde inmitten der ansonsten wenig thermikträchtigen Jülicher Börde. Als Mitte der 80er Jahre die Rauchgasentschwefelung eingeführt wurde, diskutierte man ernsthaft, ob sich dies wohl negativ auf die Kraftwerksbärte auswirken würde. Tat es zum Glück nicht und dass es über den Kraftwerken nicht mehr gar so stank und die Flügel-Vorderkanten sich nicht mehr gar so schwarz- gelb färbten, wussten auch die Segelflieger zu schätzen.
Wie sich die Welt doch geändert hat. Heute kennt jeder “Hambi” und “Lützi” und die Verfeuerung von Braunkohle gilt zurecht als Anachronismus. Und doch fürchten die Segelflieger zwischen Aachen und Sauerland den endgültigen Kohleausstieg 2030 – das wird eine harte Zeit. Auf dem Weg dahin werden wir allerdings schon langsam von der Droge entwöhnt. Bevor durch Ukrainekrieg und Gasknappheit die Braunkohle-Kraftwerke eine kleine Renaissance erlebten, liefen sie insbesondere dann, wenn die Sonne schien und/oder der Wind wehte -also dann, wenn Segelflieger in die Luft gehen- nur noch im Leerlauf. Damit sind sie zu unsteten Gesellen geworden und liefern längst nicht mehr so zuverlässig starke Aufwinde wie in der guten alten Zeit.
Es ging also zunächst über die Jülicher Börde. Die Basis war niedrig und wir nahmen die Hilfe der Kraftwerke Fortuna und Weisweiler dankend an. Von letzterem führte der weitere Weg vorsichtig entlang der Kante, die die schneefreie Tiefebene von der verschneiten Eifel trennte. Ein direkter Einflug in die Eifel empfahl sich nicht.
Lehrbuchhaft war zu sehen, dass sich über schneebedeckten Flächen eher schlecht Thermik ausbildet. Weiter im Westen bei Verviers waren die Ardennen zum Glück schneefrei und hier gelang der Einstieg ins Bergige mit ausreichend Bodenfreiheit und zuverlässigem Steigen.
Vervier? Ardennen? Liegt dass nicht in Belgien? Viele deutsche Segelflieger halten Belgien für eine ähnliche No-go Area wie ehedem die DDR. Zu abschreckend ist der Blick auf die ICAO-Karte. Ein gesperrter Luftraum reiht sich an den nächsten. Kein Durchkommen! Erstaunlicherweise gibt es allerdings auch in Belgien Segelflieger und mittlerweile sieht man immer mal wieder Flüge deutscher Piloten nach und durch Belgien. Irgendwie muss es also funktionieren.
Versucht man selbst das Dickicht zu durchdringen und die Luftraumstruktur zu verstehen, so beginnt man allerdings schnell diejenigen zu verstehen, die nach dem Motto “Fliegen kann man auch woanders” lieber Abstand zur Belgischen Grenze halten. Es ist schon kompliziert und zu allem Überfluss findet man die notwendigen Informationen kaum irgendwo zentral und übersichtlich zusammengestellt. Ich wage hier mal einen ganz kurzen Abriß: Belgien versucht sehr konsequent kontrollierten und unkontrollierten Verkehr zu trennen. Unterhalb 4500 ft Höhe ist der Luftraum unkontrolliert. Dies ist das Reservat für Hobbypiloten und Segelflieger. Der Luftraum darüber ist für kontrollierten Verkehr reserviert und für uns Segelflieger gesperrt. Immerhin hat man erkannt, dass 4500 ft über den Ardennen nicht reichen und auch im Flachland unseren Sport massiv einschränken. Daher wird am Wochenende auf Antrag der lokalen Segelflieger die Grenze großflächig angehoben auf FL55, 65 oder sogar 75. Veröffentlicht wird dies auf der Homepage des Flämischen Segelfliegerverbands.
Hier muss man nachschauen. Zusätzlich gibt es über den Ardennen Segelflugsektoren, die unter der Woche geöffnet werden können. Die meisten der in der Karte eingetragenen Lufträume sind zudem entweder nicht relevant (zum Beispiel, weil sie eine sehr niedrige Obergrenze haben) oder regelmäßig inaktiv. Eine tagesaktuelle Übersicht findet man hier.
Für mich war es der erste Flug durch die Ardennen und auch das machte diesen Saisoneinstieg zu einem ganz besonderen. Rein zum Genießen wurde der Flug ab der Belgisch-Französischen Grenze. Im Übergang zum Flachland (!) gab es einen Basissprung um 200-300m auf 1800m und wunderbare Wolkenstrassen auf Kurs. Auf dem Rückflug von Reims reichte dieses Hammerwetter dann bis St. Hubert. Dort verdunkelte sich aber der Himmel: 7 bis 8/8, eingelagerte Schneeschauer, kaum Sonne. In der polaren Kaltluft entwickelten sich dennoch immer wieder Aufwinde und auch die Kraftwerke gingen im Schneeschauer ohne jede Sonneneinstrahlung zuverlässig. Insgesamt ein wunderbarer Flug, an den ich noch länger denken werde!
Jenacup und Alpenfliegen bildeten zweifellos die Höhepunkte der Flugsaison 2022. Aber auch sonst ist viel passiert. Einiges habe ich schon fast verdrängt, anderes sollte ich unbedingt in Erinnerung behalten, weil es so schön war.
Verdrängt!? Nun ja, Pleiten, Pech und Pannen blieben mir leider auch in diesem Jahr nicht erspart. Das Unheil nahm auf einem harmlosen Trainingsflug Ende April seinen Lauf. Kein großer Flug, keine Glanzleistung, und doch war ich stolz, es bis hinter die Wasserkuppe und ohne Motor zurück geschafft zu haben.
Erstaunt musste ich nach dem Upload feststellen, dass weglide eine deutlich kürzere Strecke berechnete. Angeblich hatte ich in den letzten zwei Stunden des Fluges immer wieder den Motor benutzt. Grrr. Da hatte offensichtlich ein Sensor den Geist aufgegeben oder spontan entschieden, auf die subversive Seite zu wechseln. Sollte eine derartige Fehlfunktion beim Jenacup auftreten, hätte ich auch gleich zu Hause bleiben können. Das Ding musste also raus und gewechselt oder repariert werden. Kein Problem. So teuer sind diese Bauteile gar nicht – allerdings in Zeiten von Chipkrise und Lieferkettendisruptionen komplett ausverkauft! „Wann kommen die wieder rein?“ – „Keine Ahnung, kurzfristig nicht. Aber wir können den Sensor einschicken und reparieren lassen“ – „Wie lange dauert das?“ – „Keine Ahnung, vielleicht vier Wochen.“
Ich konnte es nicht fassen. „Nichts zu machen?“ – „Leider Nein. Aber frag mal beim Flugzeughersteller nach. Die haben Kontingente für ihre Neuflugzeuge. Vielleicht lässt sich da was abzwacken.“ Gesagt, getan. Ich drückte ein wenig auf die Tränendrüse und nach einigem hin- und her fand sich tatsächlich ein Sensor. Es gab allerdings einen kleinen Haken: „Ihr uraltes Modell stellt die Firma schon längst nicht mehr her.“ Und das neue Modell – „viel besser und zuverlässiger“ – aha – hat einen anderen Anschlussstecker. Den müsste man dann auch tauschen; am besten „im Werk“.
Ich setzte für den Moment auf die Reparaturoption. Bis zum Jenacup waren es noch etliche Wochen. Das würde schon passen und den neuen Sensor würde man mir warmhalten für den Fall der Fälle, „versprochen“.
Wo saß dieser „MoP-Sensor“ überhaupt? Im Handbuch war nichts zu finden, aber die Schwarmintelligenz bei Facebook wusste es: hinter dem Motorkasten auf dem Querspant. Um daran zu kommen, musste also der Jet mitsamt Kasten raus. Wie das geht, war detailliert im Handbuch beschrieben. Ich hatte etwas Muffe davor, aber hey: ich war immerhin Ingenieur, promoviert sogar. Das sollte doch machbar sein. So machte ich mich frohen Mutes ans Werk. Erst den Motor raus. Gar nicht so schwer. Vorher die Batterien abklemmen und alle Kabel isolieren, damit es keinen Kurzschluss geben kann. Dann den Kasten raus. Auch das gelang trotz einiger ausgelutschter Inbusschrauben recht problemlos. Der Sensor war schnell gefunden und noch schneller ausgebaut. Geschafft! Ich fühlte mich wie ein Bergsteiger auf dem Gipfel. Aber bekanntlich ist der Abstieg ungleich gefährlicher als der Aufstieg!
Nach dem Einbau des Kastens musste ich die Batterie wieder anschließen, um den Motorträger in die richtige Position zu bringen – und vergaß danach, dieselbe wieder abzuklemmen. Ein verhängnisvoller Fehler. Beim Anschließen der Steuerkäbelchen berührten sich zwei – fast unvermeidlich – und dieser Kurzschluss setzte die Steuerplatine außer Gefecht. Ergebnis: der Jet lies sich nicht mehr einfahren. Keine Chance! Ein paar hektische Telefonate später war klar: die Platine musste eingeschickt werden. Mit dem Flieger oder separat. Und übrigens: den Motorkasten hätte man auch zusammen mit den Jet ausbauen und sich damit den ganzen Ärger sparen können. Danke für den Tipp. Leider zu spät.
Ich hatte erstmal genug und begann frustriert, den Flieger einzupacken. Mit ausgefahrenem Jet. Sollte passen. Vorsichtig den Anhängerdeckel zuziehen – Knirsch. Es passte ganz knapp nicht und die Zündkerze hatte fein säuberlich ein kleines Loch in das unter dem Anhängerdeckel hängende Höhenruder gestanzt. Ich Vollidiot! Das durfte doch alles nicht wahr sein. Slapstick pur! Meine Flüche waren sicher kilometerweit zu hören mein ganzes Auftreten hätte Rumpelstilzchen zur Ehre gereicht. Mann!
Es dauerte länger, bis ich mich beruhigt hatte… nach zwei Wochen war alles repariert, ein neuer Sensor verbaut und die Sechsjahreswartung des Jets gleich miterledigt. Danke nochmal an Aeroconcept und M&D! Mein Kontostand hatte allerdings etwas gelitten… Monate später trudelte schließlich auch der reparierte Sensor bei mir ein. Falls jemand einen braucht…
Links zum Flug… bei onlinecontest noch mit den falschen Motorsensorsignalen.
Den ganzen Wettbewerb hatte ich mich vor der Wettervorhersage „Blauthermik“ gefürchtet. Nun am mutmaßlich letzten Wertungstag war es soweit: Blauthermik und extrem frühes Thermikende gegen 16 Uhr. Viele Piloten lassen ihren Flieger grundsätzlich im Anhänger, wenn das Stichwort Blauthermik fällt. Auf einem Wettbewerb hat man diese Wahl natürlich nicht. Und ich persönlich fliege auch im Blauen gerne. Kein Grund, zum Fußgänger zu werden 😃. Klar ist jedoch in jedem Fall, dass man als einsamer Wolf, als Alleinflieger ohne Teampartner im Blauen praktisch keine Chance hat gegen das Rudel, den Pulk hinter einem.
Im Blauen tappt man bildlich gesprochen im Dunkeln, fliegt „ins Blaue“, versucht sich an Bodenmerkmalen zu orientieren: Wo erwärmt die Sonne die bodennahe Luft stärker als in der Umgebung, wo bilden sich in der Folge Warmluftseen, wo lösen sie ab, wo treibt der Wind sie hin? Aber selbst, wenn man das virtuos beherrscht, fliegt man an drei Aufwinden vorbei, bevor man einen trifft. Und das ist dann möglicherweise der schlechteste von den Vieren. Das Rudel hinter einem hat dagegen eine ungleich bessere Trefferquote.
Blauthermik also. Und frühes Thermikende. Immerhin würde es eine kurze Aufgabe geben. Denkste! Gut 500 km standen auf dem Zettel. Wieder quer über den Thüringer Wald, dann nach Weiden in der Oberpfalz und über Jöhstadt im Erzgebirge zurück nach Jena. Uns blieben die Münder offen stehen. Wie sollte das funktionieren? Zwischen frühestmöglichem Abflug und Thermikende blieben gerade dreieinhalb Stunden. Lapidarer Kommentar des Sportleiters: Ihr seid immer so schnell, ihr schafft das schon. Um es vorweg zu nehmen: Er sollte recht behalten 😃.
Die erste positive Überraschung gab es nach dem Start: zarte weiße Flusen entwickelten sich am Himmel. Mir fiel der erste schwere Stein vom Herzen. Trotzdem funkte ich noch vor dem Abflug Conrad an und fragte ihn, ob wir heute nicht zusammen fliegen wollten. Wir hatten uns jetzt einige Tage beobachtet und wechselseitig den Eindruck gewonnen, dass der jeweils andere wohl auch fliegen kann 😃. Außerdem flogen wir die gleichen Flugzeuge. Was lag also näher, als ein Team zu bilden? Taktisch war es zumindest zu diesem Zeitpunkt eher dumm, ein solches Angebot zu machen. Conrad lag auf Platz 1, ich auf Platz 3. Meine Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft war praktisch sicher. „Nach hinten absichern“ musste ich meine Position also nicht wirklich. Umgekehrt gab es für mich durchaus noch die Chance, den Jenacup zu gewinnen. Allerdings wohl kaum, wenn ich mit dem Führenden zusammenflog… Ich tat es trotzdem und wurde glücklich damit 😃.
Bevor ich dieses Rätsel löse, ein kleiner Exkurs zum Teamfliegen: Mittlerweile hat sich im Segelflug die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein gutes Team dem besten alleinfliegenden Piloten überlegen ist. Entscheidend ist, dass man gemeinsam die Aufwinde zuverlässiger findet und schneller zentriert. Das kommt besonders bei Blauthermik zum Tragen (voilà!), in abgeschwächter Form aber auch bei jedem anderen Wetter. Damit dies funktioniert, braucht es aber nicht einfach EIN Team, es braucht ein GUTES Team. Vorgeflogen wird im engen Verbund mit maximal 500 m Abstand und gleicher Geschwindigkeit. Mit knappen Funksprüchen informieren die Partner sich. Wer einkreist, gibt sofort und korrekt die Steigwerte weiter. Flugweg- und andere Entscheidungen werden kurz abgestimmt und ohne Verzögerung getroffen.
Dabei lauern genug Fallen. Ist der Abstand zwischen den Flugzeugen zu groß, so lohnt sich für den Teampartner der Umweg nicht, der mit dem Einstieg in den gefundenen Aufwind verbunden ist. Fliegt einer in der Spur des anderen, kann man auch gleich alleine fliegen. Sind die durchgegebenen Steigwerte mehr Wunschdenken als Realität, so erweist man dem Team einen Bärendienst. Werden taktische Entscheidungen verschleppt, weil die Partner unterschiedlicher Meinung sind und keiner „nachgibt“, dann kehrt sich der Vorteil des Teams gegenüber dem einsamen Wolf endgültig ins Gegenteil um.
Es braucht also ein gutes Team, welches alls das beherzigt und das aus gleich guten Piloten besteht. Hat einer der beiden das sichere Gefühl, den anderen „durchzuschleppen“, ist der Ärger vorprogrammiert und das Ende des Teams nah. Besonders schwierig sind gemeinsame Flugweg-Entscheidungen. Diese sind schon für jeden alleine knifflig – und oft genug suboptimal. Nun gilt es, Entscheidungen abzustimmen – verzögerungsfrei. Und wenn sich die Entscheidung dann als schlecht herausstellt, gibt es immer einen Schuldigen. Schwierig. Eine einfache Lösung wäre, dass grundsätzlich einer der beiden die Entscheidungen trifft. Der bessere, erfahrenere, erfolgreichere von beiden. Aber ein solches Team funktioniert nicht dauerhaft. Siehe oben. Nur zwei gleichberechtigte, gleich gute Piloten, die davon überzeugt sind, dass sie gemeinsam stärker sind als jeder für sich, können ein gutes Team bilden. Sie müssen einen kompatiblen Flugstil haben und sich vertrauen. Dazu gehört, dass schlechte Entscheidungen ohne Schuldzuweisungen gemeinsam erduldet werden. Alles nicht einfach. Genau deshalb gibt es immer noch erfolgreiche Alleinflieger. Gut funktionierende Teams sind selten. Conrad und ich wollten es also miteinander versuchen.
Wegen der angekündigten Blauthermik schien der Tag perfekt geeignet für Teamflug. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt… Während wir uns für den Abflug in Position brachten, baute das Wetter Richtung Thüringer Wald immer besser auf. Statt Blauthermik prägten Cumuluswolken den Himmel! Angesichts der großen Strecke und des frühen Thermikendes war das Zeitfenster für den Abflug eng. Ich selbst hatte mir 13 Uhr als absolute Deadline gesetzt – und genauso dachten offensichtlich noch einige andere. So wurde es fast ein Regatta-Start. Vierzehn von neunzehn Piloten begannen das Rennen gleichzeitig. Zum ersten Mal im Jenacup war Pulkfliegen angesagt – und dafür braucht es eigentlich keinen Teampartner. Einem Pulk mit 14 Maschinen zu entwischen, ist auch für ein Team praktisch unmöglich. Dachte ich. Bis sich auf dem zweiten Schenkel querab Kulmbach doch eine Chance bot. Mein Plan war es die ganze Zeit, als Zwischenziel das Fichtelgebirge östlich Bayreuth anzusteuern. Zu meinem großen Erstaunen bog die Mehrzahl der Piloten jedoch nach rechts ab und umflog das Gebirge. Das war unsere Gelegenheit!
Leider fand sich der erwartete Hammerbart nicht an der vorgesehenen Stelle. Hatten wir uns verspekuliert? Als ich immer nervöser wurde, kurvte Conrad schließlich rechtsrum ein und gab kurz darauf das erlösende Signal: mindestens 2 Meter pro Sekunde! Es hatte geklappt! Der erste kleine Vorsprung war herausgeflogen. Weiter ging es Richtung Weiden, der nächsten Wende. Kurz davor noch einmal kurbeln. Diesmal mit Peter Pollack und Horst Singer, die den Aufwind für uns markierten. Kurz hinter der Wende zogen diese beiden ihre Flieger wieder steil in den Himmel, entschieden sich aber für den Weiterflug. Dabei war es wirklich ein starker Aufwind, mehr als 3 m/s: Eindrehen, Hochschrauben und erst dann hinter den beiden her!
Wieder eine richtige Entscheidung! Es dauerte nicht lange und wir sahen die beiden deutlich tiefer vor uns kreisen. Beim weiteren Vorflug setzte Conrad die Pace. Er preschte vor und ließ mehrere Aufwinde bewusst stehen. Ich war immer wieder versucht, einzukreisen, wir sanken immer tiefer und ich wurde zusehends nervöser, bis am Rand des Erzgebirges endlich meine rechte Tragfläche emporgerissen wurde. Ich spürte sofort, dass das der Knaller war, auf den wir so lange gewartet hatten: 4 m/s, mindestens! Conrad hatte recht behalten und drehte sofort bei, um in meinen Kreis einzusteigen. Zum Glück waren wir nah genug beieinander. Uwe Förster in der EB29 flog dagegen weiter. Wieder ein Treffer für unser Team!
Über dem Erzgebirge hatte sich zwischenzeitlich eine schöne Wolkenstrasse gebildet. Diese reichte allerdings nicht bis zur Wende Jöhstadt. Dort war es blau, genau wie auf dem weiteren Weg Richtung Jena. War dort die Thermik bereits abgestorben? Vorsichtig glitten wir Richtung Jöhstadt und erspähten wenige Kilometer hinter der Wende zwei kreisende und offensichtlich leidlich steigende Flieger. Doch noch kein Thermikende und sogar Thermikbojen waren auf dem weiteren Weg erkennbar. Dies waren Doppelsitzer, deren Aufgabe sich mit unserer überschnitt und den letzten Schenkel gemeinsam hatte. Ein Segen für uns!
Während wir noch mit den Doppelsitzern in einem mäßigen Aufwind kreisten, erspähte ich – genau in Flugrichtung Jena – zwei Flusen. Dort würde es sicher besser steigen. Nichts wie hin! „Besser“ entpuppte sich als 4 m/s. Ein echter Hammer, der uns nicht nur nach oben, sondern auch in der Wertung endgültig nach vorne katapultierte. Tagesplatz eins und zwei für unser Team mit 126 km/h. Plätze 1 und 2 auch im Gesamtklassement! Das war ein wahrer Husarenritt, unser Team hatte die Feuertaufe bestanden!
P.S.: Leider war der Jenacup 2022 mit diesem Flug schon beendet. Freitag und Samstag wurden wetterbedingt neutralisiert. Für mich war es eine fantastische Woche. Sportlich wurden alle Erwartungen übertroffen, aber auch sonst war es im Kreis der Segelflugbegeisterten aus allen Ecken Deutschlands einfach schön und entspannend. Ich freue mich schon jetzt auf die Deutschen Meisterschaften in Bayreuth. Conrad und ich werden vermutlich als einzige im Feld JS1 fliegen. Mal schauen, was für uns drin ist 😃.
Trotz des Dämpfers am 3. Wertungstag lag ich immer noch auf Platz 5. Der ganze Wettbewerb machte unheimlich viel Spass. Gutes Wetter, schöner Platz, Klasse-Organisations-Team und sportlich lief es unterm Strich trotz des mäßigen dritten Fluges bislang hervorragend. Auch der Folgetag versprach, wieder toll zu werden. Viel Wind, aber auch gute Thermik, klar gezeichnet durch schönste Cumuluswolken. Um so größer war die Ernüchterung, als die Sportleitung die laufenden Starts der offenen Klasse abbrach und den Tag für alle neutralisierte. Der Seitenwind war einfach zu stark, ein Start sah halsbrecherischer aus als der vorherige und so war die Entscheidung leider konsequent. Somit stand erstmal das Alternativprogramm im Kalender. Ich nutzte die freie Zeit, um mir auf dem Golfplatz den Wind um die Nase wehen zu lassen und abends ging’s ins Kino. „Top Gun“, was sonst.
Der folgende Mittwoch erinnerte zunächst verdächtig an den ersten Wertungstag. Geschlossene Wolkendecke, Warten im Grid auf das angekündigte, gute Wetter. Das lag nordwestlich von uns in Lauerstellung. Von Langenfeld aus waren einige schon seit 10 Uhr morgens in der Luft und hatten längst Hunderte Kilometer auf der Uhr, als wir immer noch nach dem ersten Sonnenstrahl am Horizont Ausschau hielten und ständig die aktuellsten Satellitenbilder checkten. Um 14 Uhr ging es endlich in die Luft. Auf dem Zettel stand mal wieder eine AAT.
Zunächst sollte es gegen den Wind nach Nordwesten gehen, dann nach Osten über den Harz und von dort zurück nach Jena; 3:15 h Mindestwertungszeit. Über die genaue Streckenführung hatte ich mir nach dem Briefing intensiv Gedanken gemacht. Alles lief darauf hinaus, schon den ersten Wendesektor maximal nach Nordwesten auszufliegen. In dieser Richtung würde das Wetter mit jedem Kilometer besser werden. Vermutlich würde man Wolkenstrassen nutzen können und so auch gegen den Wind zügig vorankommen. Hinzu kam noch ein weiterer Aspekt, von dem ich insgeheim hoffte, dass ihn nicht jeder erkennen würde: Wer zu früh die erste Wende setzt, der wird bei den zu erwartenden hohen Schnittgeschwindigkeiten Schwierigkeiten haben, ausreichend weit zu fliegen und die 3:15 h Mindestwertungszeit zu erreichen. Der zweite Wende-Sektor und der kleine dritte Sektor südlich Jena boten hierfür einfach zu wenig Spielraum. Und wer verfrüht nach Hause kommt, der verschenkt wertvolle Punkte. Die geflogenen Kilometer werden zur Ermittlung der Schnittgeschwindigkeit nämlich auch dann durch die Mindestwertungszeit geteilt, wenn man effektiv kürzer geflogen ist.
Ich rechnete optimistisch mit 130 km/h Schnittgeschwindigkeit und folglich 420 km Strecke, die ich fliegen musste. Mein Plan war: südlich am Harz vorbei, das Weserbergland entlang bis an den Luftraum von Hannover. Alles genau gegen den Wind. Nach der Wende die gleiche Spur zurück und den richtigen Moment für den Absprung hinüber zum Harz finden. Nach Osten bis zum südlichsten Rand des zweiten Wendezylinders. Dann nach Hause bzw. zuvor noch den Pflichtsektor südlich Jena ankratzen, den die Wettbewertbsleitung eingefügt hatte, damit sich alle für die Landung von der „richtigen“ Seite dem Flugplatz nähern.
Das Landeverfahren bei so einem Wettbewerb ist einen kleinen Exkurs wert. Für Piloten wie für Beobachter ist es durchaus spektakulär, wenn innerhalb kürzester Zeit Dutzende Flugzeuge am Flugplatz einfallen. „Zuhause“ ist man gewohnt, dass man als anfliegendes Flugzeug den Flugplatz für sich hat. An Grossflughäfen wie Frankfurt beeindruckt die Perlenschnur, an der die landenden Flieger aufgereiht sind. Was macht man aber, wenn sich das halbe Wettbewerbsfeld gleichzeitig dem Platz nähert?
Die passende Infrastruktur, das richtige Regelwerk, aber auch Schwarmintelligenz, Disziplin und Selbstorganisation sind hier gefragt.
Zutat eins: Ein Platz, der breit genug ist, um Parallellandungungen zu erlauben. Zwei, besser drei Flugzeuge nebeneinander sollten passen.
Zutat zwei: Ein Flugplatz, der lang genug ist, um sicheres Landen mehrerer Flugzeuge mit minimalem Abstand zu ermöglichen. Jeder landet so weit wie möglich durch; bis zum Flugplatzende oder bis zum vorher gelandeten Flugzeug. Alles mit Sicherheitsabstand, versteht sich.
Zutat drei: Direktanflug aller Landenden! Anflug der Position und klassische Landeeinteilung strengstens verboten!
Zutat vier: Eine Schar umsichtiger und guter Piloten, die nicht zu Hektik und Panikattacken neigen 😃. Gleiches gilt übrigens auch für den Sportleiter am Boden, der nur sehr bedingt koordinieren kann und doch viel Verantwortung auf seinen Schultern trägt.
Zutat 5: Zielkreis in ausreichendem Abstand vom Flugplatz, in den mit einer Höhe eingeflogen werden muss, die Spielraum für die Landeeinteilung lässt. Damit verhindert man erfolgreich extrem knappe Anflüge.
Zutat 6: eine fleißige und hellwache Bodencrew, die die gelandeten Flugzeuge schnell und umsichtig aus der Landebahn schafft.
Zurück zu meiner Streckenplanung. Diese hatte eine entscheidende Schwäche: sollte ich nach der ersten Wende nicht schnell genug sein, so gäbe es praktisch keine Möglichkeit, die Strecke zu verkürzen. Unvermeidliches Ergebnis wäre eine deutlich zu lange Flugzeit im Antlitz des nahenden Thermikendes. Um es kurz zu machen: mein Plan ging geradezu beängstigend perfekt auf. Abflug kurz vor 15 Uhr, Flugzeit exakt 3:15, 422 km mit 130 km/h, belohnt mit Tagesplatz 2 und einer Verbesserung auf Gesamtplatz 3. Wow! Ganz so geschmeidig, wie sich das alles anhört, lief es unterwegs aber doch nicht. Im ersten Aufwind nach dem Abflug traf ich Bruno Gantenbrink mit seiner Nimeta und Uwe Förster in der EB29DR. Zwei der imposantesten Flieger, denen man in der Luft begegnen kann. 31 Meter und maximal schlanke 28 Meter Spannweite. Es ist einfach majestätisch, wie diese beiden Langohren ihre Kreise ziehen oder im gestreckten Galopp voranpreschen. Ich genoss diesen Anblick für die nächsten 100 km oder knapp 45 min, die wir gemeinsam gegen den Wind die Cumulusreihungen absurften. Ich zugegebener Maßen meist in der von den Kollegen wenig geschätzten „hinten links oben“ Position. Wir hatten keinen Funkkontakt und ich versuchte mit meinem vermeintlich unterlegenen „Stummelflieger“, den beiden Langohren zu folgen. Dieser direkte Vergleich zeigte mir endgültig, dass ich mit der JS1 das perfekte Flugzeug unter dem Hintern hatte; zumindest für die in Jena durchgängig vorherrschenden guten Wetterbedingungen. Ein Nachteil im Gleiten ließ sich beim besten Willen nicht erkennen. Im Gegenteil: den Vorteil des Hinterherfliegenden, der zu jeder Zeit sieht, wer der beiden Vorausfliegenden besser steigt bzw. weniger stark sinkt, konnte ich nutzen, um immer der höchste von uns dreien zu sein. „Hinten links oben“ eben.
Schließlich wurde es mir doch zu peinlich und ich gab noch etwas mehr Gas, zog an den beiden vorbei und hatte sie wenig später für den Rest des Tages verloren, da sie einer weiter östlich verlaufenden Wolkenstrasse folgten. Ich dagegen folgte weiter den im Wind ausgerichteten Höhenzügen östlich der Weser und wendete kurz vor dem Luftraum Hannover. 180 km gegen den Wind in 1:25 h. Alles im Plan, alles perfekt. Leider hatte ich damit den entspanntesten Teil des Fluges schon hinter mir. Anstatt im Delphinstil die Wolkenstrassen entlang zu surfen, war nun mehrmaliges, tieferes Abgleiten durch starkes Fallen angesagt. Zum Glück gelang der Einstieg in den Südharz letztlich problemlos. Der entscheidende Bart stand genau an der erwarteten Stelle und obwohl dieser nicht ganz die erhoffte Stärke hatte, nahm ich jeden Meter mit. Zu unwirtlich, zu unlandbar und schlicht und einfach verdammt hoch ist der Harz im weiteren Verlauf der Flugroute. Verdammt weitläufig zudem! Die vom Fichtensterben der letzten Jahre massiv gezeichnete Hochfläche nimmt kein Ende und so war es auch in der folgenden halben Stunde mein vorrangiges Ziel, immer schön hoch zu bleiben. Dies ging leider etwas zu Lasten der Geschwindigkeit. War ich auf dem ersten Schenkel noch eindeutig der Schnellste im gesamten Feld, so verlor ich auf der zweiten Etappe Richtung Osten deutlich auf den späteren Tagessieger Conrad Hartter in der zweiten JS1. Conrad flog den nördlichen Harzrand entlang. Hier gab es offensichtlich einen leichten Luveffekt, den er nutzen konnte, während ich im Gegenzug durchs Lee des Brockens flog. Diesen Effekt hatte ich nicht auf der Liste gehabt und bei der Streckenwahl nicht berücksichtigt! Der Ärger hierüber hielt sich aber in Grenzen. Platz 2 mit kleinem Rückstand auf den Tagessieger und deutlichem Vorsprung auf die anderen Konkurrenten, beide JS1 vorne. Daran könnte ich mich gewöhnen, so durfte es ruhig weitergehen 😃.
Wie sagte ich noch: Ungemach droht an jeder Ecke. Womit wir bei Tag 3 wären.
Der Tag begann unschuldig mit bestem Wetter, aber am frühen Nachmittag sollte von Nordwesten dichte Bewölkung aufziehen. Es würde also ein Wettlauf gegen die Uhr werden. Um das fliegbare Wetter möglichst lange nutzen zu können, sollte es im Uhrzeigersinn um Leipzig herum gehen, 450 km. Laut Wettbewerbsleitung war dies eine absolute Premiere. Angeblich war kein Mensch jeweils auf die Idee gekommen, so zu fliegen, da der Korridor zwischen Dresden und Leipzig thermisch als extrem schlecht bekannt ist. Heute sollte dies aber anders sein. Nun gut, wenn der Meteorologe meint…
Ich bin früh abgeflogen. Alleine von Vorne das Rennen gewinnen, so der Plan. Angesichts der Wetterprognose sicher kein Fehler. Und zunächst lief es auch richtig gut. Gegen den strammen Nordwind bin ich unter dem westlichen Leipziger Luftraum durchgetaucht, habe nach 100 km an der 1. Wende einen starken Aufwind gezogen und den Fläming entlang Richtung Osten sah es traumhaft aus, während im Westen schon die aufziehende hohe Bewölkung zu erkennen war.
Leider gelang es mir auf dem langen Schenkel nach Osten nicht, unter den wunderbar anzusehenden Cumulusfladen wirklich starke Aufwinde zu finden. Zwar ging es problemlos und auch durchaus zügig voran, aber mich beschlich das sichere Gefühl, dass mein Vorsprung vor der Konkurrenz ständig schmolz. Zum ersten Mal begann ich, einen Teampartner zu vermissen. Zu Zweit hätten wir die 3-Meter-Bärte mit Sicherheit gefunden, an denen ich nun schon wiederholt vorbeigeflogen war.
Wie ich später erfuhr, verfolgten einige meinen Kampf um den Tagessieg live im Internet. Dort kann man mittlerweile in Echtzeit mitfiebern und hat alle Informationen, die der Pilot im Cockpit selbst zu gerne hätte. Position der Konkurrenten, deren Steigwerte, Vorfluggeschwindigkeiten… Manch professionelle Crew funkt diese Daten kontinuierlich an ihren Piloten, verschickt WhatsApp-Nachrichten etc. Nun ja, es geht auch ohne. Manches möchte ich mitten im Rennen auch gar nicht wissen. Was ist hilfreich, was lenkt nur ab von der Herausforderung, selbst die Aufgabe optimal zu fliegen? In jedem Fall drückten mir einige die Daumen und fieberten mit, ähnlich wie mit einem Ausreißer bei der Tour de France. Ein schöner Vergleich. Und leider ging es mir auch genau wie den meisten dieser Ausreißer. Den ganzen Tag kämpft man bis zur Erschöpfung, um dann kurz vor dem Ziel vom Feld überrollt zu werden. Es hätte aber auch durchaus gut gehen können. Dann wäre ich nicht der tragische, sondern der strahlende Held dieses Tages gewesen.
Doch der Reihe nach. Direkt hinter der Wende Lübbenau an der Autobahn zwischen Berlin und Dresden, hatte ich in einem schönen Aufwind Zeit, mir über die Taktik für die verbleibenden 180 km Gedanken zu machen. Was eben noch als starker Seitenwind nervte, schob nun Richtung Heimat. Es war also auf jeden Fall richtig gewesen, erst hinter der Wende zu kurbeln und einige Aufwinde davor stehen zu lassen. Leider gab es aber auch schlechte Nachrichten. Die abschirmende Bewölkung drückte nun doch massiv rein. Vermutlich würde mir nur ein weiterer guter Aufwind auf dem Nachhause-Weg vergönnt sein. Dieser würde aber noch nicht für den Endanflug reichen. Die Höhe hierfür würde ich mir mühsam in zunehmend abbauender Thermik erarbeiten müssen – hoffentlich erfolgreich. Der einzig tröstliche Gedanke war, dass es der Konkurrenz hinter mir kaum besser gehen würde – eher schlechter. Es war auf jeden Fall richtig gewesen, früh abzufliegen.
Ergebnis all dieser Überlegungen war fortan ein eher verhaltener Flugstil. Langsamer vorfliegen, mäßige Thermik, die ich eben noch im Geradeausflug durchflogen hätte, kurbeln; einfach, weil die Aussichten auf Kurs bescheiden waren und voraus noch schlechtere Steigwerte zu erwarten waren. Kurz vor dem Pflichtwendepunkt Colditz, 80 km vor dem Ziel, schaltete ich endgültig auf “Überlebensmodus” um. Ich brauchte noch einige hundert Meter unter den Tragflächen, um nach Hause zu kommen, einen Bart, der mich auf Maximalhöhe tragen sollte, “egal”, mit welchen Steigwerten.
Wie sich zeigen sollte, war ich mit dieser Herangehensweise viel zu defensiv unterwegs. Aber der Reihe nach: Schöne Thermikwolken gab es längst nicht mehr. Wohin sollte ich fliegen? Wo gab es die besten Chancen auf den rettenden Aufwind? Deutlich nördlich vom Kurs, über den Braunkohle-Tagebauten standen unter einer schon massiven Abschirmung noch einige Flusen, die ich als Thermikboten deutete. Würde es da noch hoch gehen? Falls ja: würde der dortige Aufwind aktiv bleiben bis ich die Wolken erreichte? Weiter südlich strahlte die Sonne noch recht ungestört ein. Hier war es aber komplett blau, hier gab es keine sichtbaren Anzeichen von Thermik.
Ich entschied mich zusammen mit Conrad Hartter, der in der zweiten JS1 mittlerweile von hinten aufgeschlossen hatte, für die nördliche Variante. Ein Team aus zwei ASW 22, ebenfalls von hinten kommend, bevorzugte dagegen selbstbewusst den Weg ins Blaue. Mein eigentlicher Fehler war nun, dass ich nicht konsequent zu den Flusen vorflog, sondern stattdessen jeden Lupfer mitnahm. Hier ein Suchkreis, dort zehn Runden in wirklich schwachem Steigen, weiter erst, wenn ein längeres Verbleiben ganz offensichtlich sinnlos wurde. Ich hatte einfach die Hose voll, fürchtete, dass meine Flusen nicht funktionieren würden, dass ich dahinter unter der immer dickeren, geschlossenen Bewölkung keinen Aufwind mehr finden könnte. Mir fehlte der berühmte Plan B und allein auf Plan A wollte ich mich nicht verlassen.
Als ich schließlich doch an den Flusen ankam, überraschten diese mich mit über 2 m/s Steigen. Ich war erleichtert und frustriert zugleich. Warum bin ich Hornochse nicht direkt hierhin geflogen? Hätte, wäre, wenn… Zu allem Überfluss kreiste ein weiterer von hinten aufschliessender Pulk hinter mir an der Wende Colditz in 3,5 m/s ein – das erzählten mir die Internet-Follower nach der Landung. Dieser Hammerbart stand da einfach so, aus dem Nichts. Grrrr! Die Welt kann so ungerecht sein 😕.
Zu meiner Verteidigung muss allerdings auch erwähnt werden, dass andere im Endanflug noch viel mehr Zeit verloren haben als ich. So ist das oben angesprochene ASW 22-Pärchen mit seiner Entscheidung, ins Blaue zu fliegen, gar nicht glücklich geworden. Auch sie haben auf der Suche nach einem Endanflugbart beim „Angstkreisen“ viel Zeit verloren und erst spät und tief einen brauchbaren Aufwind gefunden.
Nach dem Stress der letzten Stunde hatte ich mir eigentlich einen entspannten Endanflug verdient. Aber auch der war mir an diesem Tag nicht vergönnt. Ich hatte erwartet, durch tote Luft zu fliegen und erwischte stattdessen eine unglaublich schlechte Spur. Ich musste so sehr das Gas rausnehmen, dass Conrad, der ein wenig weiter nördlich flog, mir auf den verbleibenden Kilometern mehr als 5 Minuten abnehmen konnte. Wenn es nicht läuft, dann läuft es nicht…
Als ich schließlich als Tageszwölfter, 26 min langsamer als der Tagessieger (und immer noch mit 115 km/h Schnittgeschwindigkeit) in Minimalhöhe und mit Minimal-Geschwindigkeit über die Ziellinie schlich, fiel alle Anspannung von mir ab. Ich war fix und fertig und offensichtlich nicht mehr voll konzentriert.
Erst im Endanflug auf die Asphaltpiste fiel mir auf, dass ich das Fahrwerk noch nicht ausgefahren hatte. Das wäre der krönende Abschluss eines ohnehin schon bescheidenen Tages gewesen! Fortsetzung folgt…
Das tolle Feedback zu meinem letzten Post hat mich natürlich motiviert, weiter zu schreiben Ich hoffe, es gefällt Euch auch diesmal 😃.
Der 1. Tag des Jenacup 2022, meines ersten Wettbewerbs nach 14 Jahren, war trotz zwischenzeitlicher Selbstzweifel wunderbar gelaufen. Zweiter Platz! Ich sammelte etwas verfrühte Glückwünsche aus dem Freundeskreis ein, genoss ein Feierabendbier und den Blick auf die Tageswertung. Diese war natürlich nur eine Momentaufnahme. Eine ganze Woche lag noch vor uns. Aber immerhin: der Einstand war mehr als gelungen und ich hatte mich nicht blamiert 😃. Nicht, dass ich das befürchtet hätte.
Und doch ist die Sorge, mäßig abzuschneiden und sich entsprechend erklären zu müssen, für einige ein Grund, nicht an Wettbewerben teilzunehmen. Kein Mensch ist komplett uneitel und wer im persönlichen Umfeld und im eigenen Verein auch ohne Wettbewerbserfolge als Toppilot gilt, der kann eigentlich nur verlieren, wenn er sich dem direkten Vergleich stellt. Dieses Denken ist verbreiteter, als man glaubt. Niemand würde das natürlich von sich zugeben, aber ich habe es schon öfter beobachtet. Nicht umsonst gibt es auch den Spruch, dass der Pilot Wettbewerbe gewinnt und das Flugzeug diese verliert.
Mit meiner alten LS6 wäre ich gerne gegen Ventus 2 und 3, ASW27 und ASG29 in der Rennklasse geflogen. Ich hätte mir durchaus gute Chancen ausgerechnet, aber wenn ich am Ende des Feldes gelandet wäre, hätte es auch eine einfache, wasserdichte Erklärung gegeben: Mit dem alten Hobel hatte ich schlicht und einfach keine Chance gegen die Flieger der neuesten Generation! Mit meiner JS1 konnte ich auf diese Ausrede schon mal nicht setzen. Zwar wurde ich von einigen im Vorfeld gefragt, warum ich mit meinem 21 Meter Stummelflügler denn gegen die Spannweitenriesen in der Offenen Klasse anträte, aber wer sich auskennt, der weiß sehr wohl, dass die JS1 neben der EB29R aktuell DAS Flugzeug in der Offenen Klasse ist.
Hierzu lohnt sich (noch) ein kleiner Exkurs: Ähnlich wie es im Segelsport verschiedene Bootsklassen gibt, so werden auch Segelflug-Wettbewerbe in unterschiedlichen Klassen ausgetragen. „Königsklasse“ ist die Offene Klasse, in der es keine Bauvorgaben gibt. Lediglich das maximale Abfluggewicht ist auf 850 kg begrenzt. Über viele Jahrzehnte gab es einen einfachen Maßstab für den technischen Fortschritt im Segelflugzeugbau: Die Spannweite der Offenen Klasse. Neue Werkstoffe, erst glasfaserverstärkter Kunststoff, dann die Einführung der Kohlenstoff-Fasern ermöglichten immer längere und gleichzeitig immer dünnere und schlankere Flügel. Je länger und schlanker die Flügel, desto besser das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand, desto besser die Gleitzahl. Seit mehr als 30 Jahren gleiten die Segler der offenen Klasse aus 1000m Höhe mehr als 60 km weit. Gleitzahl 60: Traumhaft. Die Rekordspannweite markiert seit nunmehr 20 Jahren die „ETA“ mit knapp 31m und einer Gleitzahl von 70.
Diese enormen Spannweiten bringen aber auch Nachteile mit sich. Nicht nur beim Auf- und Abbauen und beim Handling am Boden sind diese Riesenflieger unhandlich; auch in der Luft sind sie nur schwer „um die Ecke“ zu bewegen. Die Wendigkeit ist im Vergleich zu kleineren Fliegern deutlich eingeschränkt. Und auf diese Wendigkeit kommt es durchaus an, will man enge Aufwinde optimal nutzen. Diese Zusammenhänge allein vermochten es allerdings nicht, das Spannweiten-Wachstum in der Offenen Klasse zu stoppen. Aber da gibt es noch einen weiteren Aspekt: die Flächenbelastung. Diese Kennzahl setzt das Abfluggewicht ins Verhältnis mit der Flügelfläche (kg/m2).
Intuitiv wird wohl jeder denken, dass ein Segelflugzeug möglichst leicht sein sollte, um optimal von der Thermik in die Höhe getragen zu werden. Und so verwundert es zu sehen, dass die Piloten an einem guten Flugtag Wasser tanken, um schwerer zu werden. Oft sogar, um möglichst schwer zu werden. Dies scheint zunächst widersinnig und tatsächlich steigen diese schweren Flugzeuge in Aufwinden schlechter als leichtere.
Des Rätsels Lösung liegt im Geradeausflug zwischen den Aufwinden. Hier gilt es, möglichst schnell, aber logischerweise auch möglichst hoch den nächsten Aufwind zu erreichen. Dummerweise steigt aber der Widerstand mit zunehmender Geschwindigkeit überproportional an. Das Flugzeug sinkt schneller, die Gleitzahl wird schlechter. Aus Gleitzahl 60 bei 100 km/h wird so beispielsweise Gleitzahl 28 bei 200 km/h. Man verliert also mehr als doppelt so viel Höhe auf der gleichen Strecke. Offensichtlich ein Optimierungsproblem: wie schnell fliege ich vor? Schnell kann schnell langsam sein (mir gefällt dieser Satz 😃) oder gar zur Aussenlandung führen, wenn der erwartete starke Aufwind nicht gefunden wird.
Ein schwereres Flugzeug, eins mit höherer Flächenbelastung sinkt nun bei gleicher Geschwindigkeit langsamer, da es mehr kinetische Energie hat. Die Gleitzahl bei 200 km/h Vorfluggeschwindigkeit liegt nun bspw. bei 40 statt bei 28 mit dem leichteren Flugzeug. Ist die Thermik stark genug, so wiegt das den Nachteil im Steigen mehr als auf. Zumal dieser Nachteil mit den aerodynamischen Innovationen der letzten 30 Jahre sukzessive immer kleiner geworden ist. Auch maximal schwere Flugzeuge lassen sich heute dank neuer, auftriebsstarker Profile problemlos in der Thermik steuern und steigen immer noch sehr gut.
Was hat dies alles mit der Spannweite zu tun? Die Spannweitenriesen kommen aufgrund der Gewichtslimitierung von 850 kg einfach nicht auf ausreichend hohe Flächenbelastungen, um bei gutem Wetter überlegen zu sein. Dies gilt zumindest für die weit verbreiteten Nimbus 4, ASW 22 BL und auch den oben bereits erwähnten Rekordflieger ETA.
Die JS1 ist mit ihren nur 21m Spannweite kleiner und agiler, kommt dennoch auf eine Gleitzahl über 60 und ist im Schnellflug eindeutig überlegen, nicht zuletzt dank einer im Vergleich zur ASW 22 BL 20% höheren maximalen Flächenbelastung. Mit diesen Eigenschaften hat die JS1 in den letzten Jahren für einige Furore gesorgt. Als noch etwas besser gilt lediglich die EB 29 R. Diese hat 28m Spannweite, 7m mehr als die JS1 und sogar mehr als die „alten“ Spannweitenriesen Nimbus 4 und ASW 22. Dabei ist der Flügel aber extrem schlank und hat damit eine sehr kleine Fläche. Dies ermöglicht hohe Flächenbelastungen, die sonst nur die JS1 erreicht. Somit gibt es keine Nachteile im Schnellflug, durch die höhere Streckung und die große Spannweite aber Vorteile im Steigen und bei niedrigeren Vorfluggeschwindigkeiten.
Zurück zum Jenacup: Tag zwei begann mit herrlichem Sonnenschein aber auch mit einem Schock. Ein Teilnehmer meldete sich mit Corona ab. Tags zuvor hatte ich beim Briefing noch neben ihm gesessen und entsprechend beschlich mich ein leicht mulmiges Gefühl – einschließlich erster Erkältungs-Symptome. Das hätte mir jetzt gerade noch gefehlt.
Bessere Nachrichten gab es vom Meteorologen: Hammerwetter! Auf dem Zettel standen 625 km. Erst 100 km nach Westen quer über den Thüringer Wald, dann fast 300 km nach Süden bis Zwiesel im Bayrischen Wald und von dort entlang der Tschechischen Grenze zurück nach Jena. Wow! Ein wenig Respekt hatte ich schon vor solch einer Strecke. Start um 12, Abflug frühestens eine Dreiviertelstunde später. Macht einen 100er Schnitt für eine Ankunft um 19 Uhr. Machbar, aber ohne viel Spielraum für Fehler – dachte ich.
Was dann folgte war schlicht atemberaubend, berauschend, fantastisch. Abflug Viertel vor eins, Ankunft nach 625 km exakt 4:36 h später um 17:23, 136 km/h im Schnitt. Wow! Alles „alleine“, ohne Teampartner, ohne Pulk, ohne Thermikbojen. Es rannte, es lief! Auf dem zweiten Schenkel hinunter in den Bayrischen Wald bin ich gefühlt nur geradeaus geflogen! „Offiziell“ lag der Kurbelanteil bei 10 %, die mittlere Gleitzahl bei 105, die mittlere Vorfluggeschwindigkeit bei 170 km/h über den gesamten Flug. Und bei alldem habe ich auf dem letzten Schenkel durch schlechte Kurswahl sogar noch 10 min liegen lassen. Wow, wow, wow! Gereicht hat all das für Tagesplatz 5 und Gesamtplatz 1!
14 lange Jahre bin ich keine Wettbewerbe geflogen.
Der Grund war keinesfalls ein negatives Erlebnis, sondern schlicht und einfach Zeitmangel. Sechs Wochen Urlaub im Jahr sind nicht wenig, aber mit verschiedenen Familienaktivitäten ist das schnell verplant. Genau eine Woche war typischerweise fürs Fliegen reserviert und diese „wertvolle“ Woche habe ich immer lieber in den französischen Alpen als potentiell im deutschen Regen verbracht. Mit dem neuen Flieger juckte es mich aber irgendwie zwischen den Fingern. Ich hatte richtig Lust, wieder ins Wettbewerbsgeschehen einzusteigen und so meldete ich mich im Winter kurzentschlossen für den Jenacup an.
Der Startplatz ist gut gelegen zwischen Thüringer Wald und Erzgebirge, das Teilnehmer-Feld war gespickt mit einigen Toppiloten wie Bruno Gantenbrink und Alexander Müller. So versprach es, eine tolle Woche zu werden. Und um das Wetter musste man sich im Jahr 2022 bekanntlich keine Sorgen machen. Das würde schon passen. An Selbstvertrauen fehlt es mir nicht, aber ein abgebrühter Profi war ich nach 14 Jahren Abstinenz auch nicht mehr. Auf dem Flugplatz in Jena war ich nie gestartet, den Wettbewerbsraum kannte ich nur teilweise und der ganze Ablauf von Aufgaben-Pprogrammierung bis Dokumenten-Kontrolle war mir nicht mehr vertraut.
Mit etwas Vorlauf vor dem Start der Rennen am Samstag (23.7.) anzukommen, wäre also schön gewesen. Allerdings flog mein Sohn am Freitag Vormittag für ein halbes Jahr in die USA und Mittwoch hatte meine Tochter Geburtstag. War wohl nichts mit früh ankommen… Oder doch? – Ich konnte mir Montag und Dienstag freischaufeln, reiste am Montag an, baute alles auf, flog Dienstag (am wohl heißesten Tag des Jahres) flotte 600 km und fuhr am selben Abend wieder 500 km zurück nach Hause. – Klingt nach Stress, gab mir aber genau die Sicherheit, die ich brauchte: alle Systeme funktionieren, Platz bekannt, Fluggebiet bekannt, Ausrichterteam vor Ort vertraut…
Am 1. Wertungstag war dann erstmal Warten angesagt. Eine zähe Hochnebeldecke unterband zunächst jeden Gedanken ans Fliegen, aber unser Meteorologe blieb optimistisch. Ab 14 Uhr spätestens würde die Sonne vom azurblauen Himmel strahlen. Abwarten.
Aus 14 Uhr wurde 15 Uhr; die ersten behaupteten, sie hätten schon die Sonne gesehen… aber langsam lief uns die Zeit davon. Doppelsitzer- und 18m Klasse wurden neutralisiert, aber die 20 Offene-Klasse-Flieger wurden tatsächlich um halb vier noch gestartet. Auf dem Zettel stand eine 2 Stunden AAT. Für alle Nicht-Experten: Hierbei geht es darum, über mindestens 2 Stunden Flugzeit eine möglichst hohe Schnitt-Geschwindigkeit zu erzielen. Die Geschwindigkeit wird allerdings nur gewertet, wenn man auch wieder nach Hause kommt und auf dem Weg zwei vorgegebene Zylinder mit (im konkreten Fall) 50 km Durchmesser angekratzt hat.
AAT-Aufgaben haben gegenüber einer klassischen Racingaufgabe, die zwischen Startlinie und Ziel um vorgegebene virtuelle Bojen führt, einige Vorteile. Die Piloten können die Wendepunkte und damit die Strecke individuell wählen und so z.B. lokale Schauer und Gewitter sicher umfliegen. Gute Sache. Allerdings wird das Leben der Piloten damit nicht einfacher. Zu allen anderen Herausforderungen kommt nun noch die Aufgabe der Streckenplanung: welcher Weg verspricht unter den gegebenen meteorologischen und orografischen Randbedingungen die schnellsten Schnitt-Geschwindigkeiten? Entsprechende Entscheidungen sind im Flug ständig zu hinterfragen und anzupassen. Wie komplex diese Aufgabe ist, sollte sich direkt an diesem ersten Tag für einige sehr schmerzhaft zeigen – doch dazu später mehr.
Der Abflug erfolgte schließlich um 16:30 Richtung Thüringer Wald. Zunächst waren alle Maschinen recht eng beisammen. Echte Pulks gab es nicht, aber in der klaren Luft konnte man sich jederzeit einen guten Überblick über das Teilnehmerfeld verschaffen und man fand auch immer den einen oder anderen Kollegen im nächsten Aufwind wieder.
So war auch unschwer zu erkennen, dass die meisten Wettbewerber schon vor dem Hauptkamm des Thüringer Waldes Richtung Norden abdrehten, um auf dem kürzestmöglichem Weg den zweiten Wendezylinder ins Visier zu nehmen. Die Logik dahinter: angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit sollte man möglichst genau die 2 Stunden Mindestflugzeit einhalten und keinesfalls deutlich länger fliegen, da man dann unweigerlich in die absterbende Abendthermik gelangen würde. Also galt es, nur knapp in den ersten Zylinder einzufliegen und dann die zweite Wende so zu wählen, dass man pünktlich nach 2 Stunden nach Hause kommt.
Alle drehten also früh nach Norden ab. Alle bis auf Einen.
Ich war tief und der dringend benötigte Anschlussbart lockte – so war ich überzeugt – auf der sonnenbeschienenen Westseite des Hauptkamms – also hieß es für mich: weiter nach Westen! Dies passte zunächst sogar zu meiner ursprünglichen Flugplanung. Eins sprach nämlich eindeutig gegen ein (zu) frühes Abdrehen nach Norden: Der für uns gesperrte Luftraum um den Erfurter Flughafen, der sich bei dieser Streckenwahl wie ein überdimensionaler Schokoriegel quer in den Weg stellte! Hatten die anderen dies wirklich nicht bedacht? Klar, man konnte den Luftraum unterfliegen, man konnte ihn auch umfliegen, aber ideal schien mir beides nicht.
So flog ich zunächst positiv gestimmt weiter. Ich war mittlerweile so tief gesunken, dass sich der Thüringer Wald als veritables Gebirge vor mir aufbaute. Dies schreckte mich allerdings wenig. Über den Grat würde ich sicher kommen und der sonnenbeschienene Hang auf der anderen Seite musste einfach Thermik bringen! Sollte das nicht der Fall sein, so würde ich der Hanglinie weiter folgend nach Nordwesten in tieferes Gelände fliegen und irgendwo auf dem Weg wieder Anschluss finden. Dieser Plan B musste zum Glück nicht aktiviert werden. Tatsächlich fand sich an der vorgesehenen Stelle ein wunderbarer Aufwind. Also alles in Butter – für den Moment!
Leider droht Ungemach hinter jeder Ecke – und gerade, wenn man sich „im Flow“ fühlt, gilt es, achtsam zu sein. Während ich mich kreisend zügig der Wolkenuntergrenze näherte, musste ich den weiteren Flugweg ausknobeln. Abdrehen nach Norden oder nochmal 20 km nach Westen „unter die schöne Wolke“, die dort lasziv lockte? Ich erlag der Versuchung der Schönheit und hätte mir schon wenig später in den Hintern gebissen, wenn dieser für meine Zähne nur erreichbar gewesen wäre.
Zwar enttäuschte die Wolke nicht, doch der Wiedereinstieg in den Thüringer Wald erwies sich als knifflig. Ich fand einfach keinen guten Aufwind, sah gleichzeitig ein paar deutlich nach mir abgeflogene Nachzügler in galaktischer Höhe unter den Wolken gen Norden schießen und ließ mich so dazu hinreißen, ihnen zu folgen und einen mäßigen Aufwind nach dem anderen „stehen zu lassen“. Es musste sich doch einfach irgendwo ein richtiger Hammer finden lassen! Nur mit diesem würde es mir gelingen, halbwegs wieder zu den Konkurrenten aufzuschließen!
Leider näherte ich mich so unaufhaltsam dem nördlichen Rand des Thüringer Waldes und damit dem Ende der vielversprechenden Thermikwolken. Es ist zwar schön, im Wettbewerb nur starke Aufwinde kurbeln zu wollen. Nur das macht schnell. Entscheidend ist aber immer die Aussicht nach vorne und nicht der Blick zurück! Ich hätte einfach schon deutlich früher die Priorität darauf legen müssen, im thermikträchtigen Mittelgebirge maximale Höhe zu gewinnen! Stattdessen glitt ich jetzt weit unterhalb der Basis ins Ungewisse. Statt schöner Cumuluswolken waren in Flugrichtung nur noch vereinzelte weiße Fetzen zu sehen. Spätestens jetzt wurde offensichtlich, dass ich an diesem Tag im abbauenden Wetter die Steigwerte, die ich eben noch stehengelassen hatte, nie wiedersehen würde. Stattdessen musste ich nun ums Nachhausekommen kämpfen, schwächere Bärte annehmen und Wasser schmeißen.
Ich hatte mich verzockt.
Ich war viel zu spät dran, der Umweg nach Westen war ein Riesenfehler gewesen, so ein Sch… In so einer Situation fällt es schwer, die negativen Gedanken abzuschütteln und wieder positiv nach vorne zu schauen. Jetzt galt es wirklich, ums Nachhausekommen zu kämpfen! Als ich schließlich um 19 Uhr nach 2:30 glücklich und erschöpft über die Ziellinie schlich, war ich mir ziemlich sicher, nur mäßig abgeschnitten zu haben. Allerdings zeigte sich schnell, dass es den anderen auch nicht besser ergangen war. Einige hatten sich sogar Luftraumverletzungen eingehandelt, was zu einer virtuellen Aussenlandung führt. Ein ganzer Pulk war auf dem Weg zur zweiten Wende mit dem querliegenden „Schokoriegel“ in Konflikt geraten und in den Erfurter Luftraum eingeflogen.
So schlecht lag ich also doch nicht mit meinem Flugweg. Trotz der Umwege hatte ich tatsächlich den zweitschnellsten Schnitt erflogen. Ein wenig stolz war ich schon: Zweiter Platz direkt hinter Alexander Müller. Nicht schlecht nach 14 Jahren Abstinenz 😃.
Mit der Teilnahme an einem Segelflugwettbewerb gehen wir ein erhöhtes Risiko ein. Für zentralisierte Wettbewerbe, spätestens ab dem Niveau Landes-Meisterschaft oder Internationaler Wettkampf, wissen wir, dass sich das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Unfall und dafür im Wettbewerb zu Tode zu kommen, erheblich erhöht. Je nach Rechnung ist das Risiko im Vergleich zum sonstigen Segelfliegen* mindestens um Faktor 10 erhöht. Zu internationalen Wettbewerben nimmt man, den neuesten Zahlen der IGC zur Folge, am besten einen dunklen Anzug mit, da man bei jedem zehnten Wettbewerb auf eine Beerdigung gehen muss.
Bild 1: Risiken im Nichtalpinen-, Alpinen- und Wettbewerbs- Segelflug
* Die Aussagen dieses Beitrags, Zitate und Zahlenangaben sind durch Veröffentlichungen belegbar. Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, wurden die Literaturhinweise entfernt. Sie können beim Autor bezogen werden.
Das Risiko, in einem Segelflugwettbewerb mitzufliegen, liegt somit in einem untragbaren Bereich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie beginnen bei der Persönlichkeits-Struktur von Wettbewerbs-PilotInnen und reichen bis zu Wettbewerbs-Rregularien, die wichtige Sicherheitsmethoden außer Acht lassen. Klar ist, dass bei Wettbewerben das Eingehen von Risiken oft mit besseren Plätzen belohnt wird.
Da in der Regel Wetter und Technik als Unfallursache praktisch keine Rolle mehr spielen, ist das Verhalten der TeilnehmerInnen der entscheidende Faktor. Das Verhalten teilnehmender Piloten wird jedoch durch die Wettbewerbs-Regeln bestimmt.
Sind diese Regeln gut für die Sicherheit? Die Wettbewerbs-Ordnung der FAI und IGC*, von dem auch das Reglement für Wettbewerbe (SWO) abgeleitet ist, befindet sich nicht auf dem heutigen Stand der Flugsicherheit, wie sie für die Luftfahrt weltweit vorgeschrieben ist. Derzeit bestehen die in den Regeln verankerten Sicherheits-Prozeduren praktisch ausschließlich aus statischen (reaktiven) Methoden. D.h. aus Unfällen oder Vorfällen der Vergangenheit wird immer wieder eine Verbesserung der Regeln entwickelt. Den ganzen Bereich der dynamischen (proaktiven) Flugsicherheit lassen unsere derzeitigen Sport-Regularien bedauerlicherweise aus. Sie geben nicht vor, wie ein Wettbewerb täglich und vor Ort die Sicherheit aktiv verbessern kann, ohne dass zuvor ein Unfall passiert ist. Ein passives Warten auf sicherheitsbezogene Beschwerden (reaktive Sicherheit) funktioniert in der Praxis nicht.
Können wir mit besseren Regeln mehr Sicherheit schaffen? Klare Antwort: Ja. In der modernen Sicherheits-Wissenschaft (Safety Science) wird davon ausgegangen, dass wir akzeptieren müssen, dass Menschen, d.h. alle Piloten, Wettbewerbs-Organisatoren, Schlepppiloten, Starthelfer, Flächenhalter, u.s.w. also alle, die am Wettbewerb beteiligt sind, unvermeidlich Fehler machen werden. Dies ist nicht verhinderbar und somit aktiv zu behandeln. Unter den geeigneten Umständen, insbesondere, wenn nicht aktiv mit geeigneten Sicherheitsmethoden vorgebeugt wird, können sich selbst einzelne Fehler zu Unfällen entwickeln. Wenn man dieses weiss und akzeptiert, dann ergibt sich aus der Optik der Sicherheit ein klarer Auftrag an die Wettbewerbs-Organisation: ein Safety Management System (SMS) einrichten und kompetent betreiben.
Eine Wettbewerbs-Ordnung, die hinsichtlich Flugsicherheit auf der Höhe der Zeit wäre, sollte organisatorische und personelle Vorkehrungen für ein SMS im Wettbewerb verbindlich vorgeben. Sie sollte dafür sorgen, dass Wettbewerbsleitungen und ihre Helfer in moderner Flugsicherheit ausgebildet sind. Insbesondere der in der in den IGC/FAI Dokumenten für Wettbewerbe erwähne Safety Officer, hier „Safety Coach“ genannt, sollte eine solche Ausbildung erhalten haben, welche mindestens die von der ICAO vorgegebenen Flugsicherheitsmethoden – angepasst auf unsere Segelflugvereine- umfasst. Vorherige Tätigkeiten als Testpilot, ATPL-Pilot, Behördenmitarbeiter, Flug-Unfall-Untersucher oder Erfahrungen als Wettbewerbs-TeilnehmerInnen bzw. -OrganisatorInnen, sind dazu nicht ausreichend.
Was ist ein Safety Management System (SMS) für einen Wettbewerb? Um dies zu verstehen, kann man das Schweizer-Käse-Modell von James Reason verwenden. Damit verhindert werden kann, dass sich einzelne Fehler oder Probleme (Pfeile im Reason-Modell) zu Unfällen entwickeln können, wird eine Reihe von Sicherheits-Netzen (Käsescheiben) hintereinander geschichtet. Diese sollen verhindern, dass sich Fehler zu Unfällen entwickeln. Nur im hoffentlich seltenen Spezialfall, dass alle Löcher genau passend hintereinander angeordnet sind, kann es dann noch zu einem Unfall kommen. Leider sind die Käsescheiben keine undurchlässigen Gruyere-Scheiben, sondern sozusagen Emmentaler. D.h. in den Sicherheitsnetzen gibt es Lücken = Löcher in den Käsescheiben. Leider sind diese Löcher aber nicht ohne weiteres sichtbar. Sie müssen aktiv gesucht werden. Wenn man von einem typischen Segelflug-Wwettbewerb mit etwa 200 Starts und den üblichen 6 Scheiben (siehe Bild 2) ausgeht, dann kann man statistisch errechnen, dass die TeilnehmerInnen in diesem Käsescheiben-Stapel, wenn nichts getan wird, statistisch 4’800 Löcher (!) antreffen.
Safety Management ist nichts anderes als eine geplante, aktive und professionell durchgeführte Suche nach möglichst vielen Löchern in diesen Sicherheitsnetzen. Management von Sicherheit ist also eine organisierte und kompetente Suche nach Löchern in den Käsescheiben. Weiter braucht es einen ausgebildeten Fachmann für Sicherheit (Safety Coach). Dieser weiss, wie man die Suche organisiert, und wie er aus den gefundenen sicherheitsrelevanten Beobachtungen methodisch Maßnahmen ableiten kann, welche den Wettbewerb sicherer machen werden. Solche Methoden, wie z.B. das in der OSTIV bekannte TAO2M*, werden in guten Ausbildungen zum Safety Coach gelernt. Um im Reason Modell zu bleiben, müssen „Deckelchen“ entwickelt werden, welche die Löcher in den Käsescheiben abdichten können.
Damit ist die Aufgabe des Safety Coaches noch nicht zu Ende. Er muss auch dafür sorgen, dass die Wettbewerbs- Leitung geeignete Maßnahmen umsetzt und auch messen, ob sie mehr Sicherheit erbracht haben.
Bild 2: Unfallverhinderung im Schweizer Käse Modell von J. Reason
Ein wertvoller Nebeneffekt dieses Ansatzes ist, dass die Sicherheit eines Wettbewerbs gemessen werden kann. Aus Erfahrung wissen wir, dass während der ersten drei Tage des Wettbewerbs die TeilnehmerInnen und ihre Helfer in der Lage sind, mindestens sechs sicherheitsrelevante Beobachtungen (Löcher) zu finden. In der Regel lassen sich daraus ca. 30 praktische und konkrete Maßnahmen entwickeln, welche die Wettbewerbs-Leitung umsetzen kann. Die Sicherheit eines Wettbewerbs kann somit an der Anzahl gefundener Löcher, und der Anzahl der umgesetzten Sicherheits-Mmaßnahmen gemessen werden. Hieraus kann man ein Sicherheits-Barometer analog des bekannten Trainingsbarometers entwickeln. Bild 3 zeigt dieses Sicherheits-Barometer und gelb unterlegt die Ergebnisse in Königsdorf (Bayern).
Hat dies schon mal funktioniert? Bei dem Anfang Mai 2022 stattgefundenen Königsdorfer Vergleichsfliegen (Bayern, DE) haben die ca. 30 TeilnehmerInnen unter Anleitung eines gut ausgebildeten und erfahrenen Safety Coaches nach sicherheitsrelevanten Beobachtungen gesucht. Ziel war es, dass jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin mindestens sechs Käsescheiben-Löcher in den ersten Tagen des Wettbewerbs finden soll. Von den idealerweise 6 x 30 = 180 Löchern wurden in der Tat 176 gefunden. Dies entspricht einem gemessenen Sicherheitsniveau von 98%. Der Safety Coach konnte mit der TAO2M Methode jeden Tag der Wettbewerbs-Leitung ca. zehn Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Wettbewerbs vorschlagen. Insgesamt wurden an den ersten drei Flugtagen täglich jeweils zwischen fünf und zehn Maßnahmen in die Praxis umgesetzt. Beispiele für solche Maßnahmen sind: bessere Startverfahren, bessere Abflugverfahren, bessere Schlepprouten, spezielle Briefings, technische Verbesserungen, Kennzeichnungen, u.a.m.
Bild 3: Messung von Sicherheit für einen Wettbewerb
Warum hat das funktioniert und wie kompliziert ist das in der Praxis? Mehr Sicherheit bei einem Wettbewerb gibt es nicht ohne Aufwand. Dieser besteht dabei darin, die Beteiligten, insbesondere Organisatoren des Wettbewerbs und natürlich insbesondere den Safety Coach des Wettbewerbs in moderner, organisations-basierter Flugsicherheit auszubilden. Als Resultat dieser Ausbildungen konnten alle TeilnehmerInnen in Königsdorf das 98% Sicherheitsniveau erreichen. Dies war die „Ernte“ einer Reihe von Ausbildungen, die im Vorfeld des Wettbewerbs stattgefunden haben:
Der Verein, der den Wettbewerb ausgerichtet hat, wurde in den Jahren vorher trainiert eine LAUF (Lerne-aus-Fehlern)-Fehlerkultur einzusetzen.
Die Wettbewerbsleitung und alle am Wettbewerb Beteiligten wurde vor dem Wettbewerb in modernen Sicherheitsverfahren ausgebildet.
Ein umfassend in moderner Sicherheit ausgebildeter Safety Coach hat die Suche nach den sicherheitsrelevanten Beobachtungen organisiert, die Ableitung von Maßnahmen vorgenommen und die Wettbewerbsleitung in Sicherheit beraten. Für die teilnehmenden Piloten und ihre Helfer bedeuteten diese dynamischen Sicherheitsmethoden einen „Aufwand“ von 10 Minuten für die Sicherheit beim täglichen Briefing.
Vertrauliche Probleme der TeilnehmerInnen, PartnerInnen, Helfer und Schlepppiloten wurden durch eine u.a. bei der Stiftung MAYDAY* ausgebildete Spezialistin (Barbara Hofer) betreut.
In Summe wurde dieser Wettbewerb täglich sicherer. Die erzielten 176 sicherheits-relevanten Beobachtungen (Löcher) dienten nicht nur dazu, die Sicherheit dieses Wettbewerbs täglich zu verbessern. Sie können von den Veranstaltern auch genutzt werden, um künftige Wettbewerbe sicherer durchzuführen. Selbstverständlich wurden die gemachten Beobachtungen vor einer Weiterleitung an die Wettbewerbs-Leitung vollständig anonymisiert.
Wie kann man Safety Management lernen? Die für die Luftfahrt im allgemeinen beste Quelle für SMS ist ICAO Annex 19 und die davon abgeleitete Vielfalt von Dokumenten, von denen etliche praktische Anleitungen geben. Da diese Dokumente zunächst für die kommerzielle Luftfahrt mit „Kunden“ und industriellen Prozessen verfasst wurden, müssen die darin enthaltenen Methoden in die Organisationsform Segelflugwettberb mit i.d.R. ehrenamtlichen Helfern übertragen werden. Hierfür kann man sich Ausbildungen, Organisationshinweise und praktische Anleitungen beschaffen*.
Zusammenfassung: Veranstalter von Segelflugwettbewerben, die gar kein oder ein Safety Management im Wettbewerb nicht so betreiben, wie es für die Luftfahrt weltweit verbindlich vorgesehen ist, könnten sich dem Vorwurf aussetzen, nicht alles getan zu haben, um die Sicherheit für die Teilnehmer des Wettbewerbs nach den gegenwärtig vorauszusetzenden Standards zu gewährleisten. Daher ist allen Veranstaltern von Segelflug-Wettbewerben anzuraten, sich das entsprechende Wissen und Können anzueignen. Wettbewerbs-Leitungen, sollten zumindest eine Grundausbildung in dynamischer Flugsicherheit besitzen. Der in den Wettbewerbs-Regularien der FAI/IGC geforderte „Safety Officer“ (alias Safety Coach, Sicherheitstrainer, etc.) sollte die organisations-basierten Sicherheitsmethoden sehr gut kennen und diese auch in der Praxis anwenden können.
Hinterbliebene oder bei einem Wettbewerb Geschädigte werden es als grob fahrlässig empfinden, wenn Wettbewerbsleitungen im Wettbewerb Sicherheitsmethoden nicht einsetzen, welche in der Luftfahrt und auch gerade im Segelflug nachweislich hoch wirksam sind. Die Wettbewerbsregularien sollten in Bezug auf moderne, dynamische, proaktive Sicherheit auf den aktuellen Stand der einzusetzenden Sicherheitsmethoden gebracht werden. Insbesondere sollten Schulungen in organisations-basierter Flugsicherheit für Veranstalter und Safety Coaches zur Voraussetzung für eine Durchführung eines zentralen Wettbewerbs gemacht werden.
Mein persönliches Fazit: Wir Segelflieger sollten bei keinem Wettbewerb mehr teilnehmen, der kein SMS hat oder ein solches SMS nicht kompetent betreibt.
Danke Der Autor dankt Tobias Zilkens, SSV Ludwigshafen und Thomas Kurz, Flugplatz Schwarze Heide, sowie Barbara Hofer, SO für die Durchsicht und konstruktive Anmerkungen.
Jahrelang habe ich mich innerlich gegen eine Schutzhaut für meinen treuen 15-m-Flieger gewehrt. Mein Haupt-Argument war dabei: «Bis ich einen Schutzbezug aufgezogen und am Morgen wieder weggeräumt habe, ist mein Flugzeug auch auf- und abgebaut» im Hänger. Mehrmals haben mich aber in der Nacht unerwartetstarke Niederschläge oder Gewitter überrascht und eine hastige Abbau-Übung im Licht von Autoscheinwerfern und Stirnlampen ausgelöst. Aber heute gehoren solche Notfall-Übungen der Vergangenheit an.
Selbst eiskalte Überraschungen wie diese hier stecken die Jaxida Cover locker weg.
Entspannter Flieger-Urlaub
Inzwischen habe ich einige Jahrringe mehr – und das unschlagbare Argument der «bequemen Sicherheit» hat sich durchgesetzt. Wenn ich im Sommer drei Wochen in Südfrankreich Segelflug-Urlaub verbringe, bleibt mein Flugzeug montiert, fest verzurrt und mit den Schutzbezügen vor Wind und Wetter trocken und geschützt, obwohl ich nur einen einfach zu montierenden Rennklasse-Flieger besitze. Bei einem Offenen-Klasse-Flugzeug wäre für mich der Entscheid für Cover ohnehin kein Thema, baut man doch die grossen Vögel kaum täglich auf und wieder ab.
Dabei trage ich heute nicht nur seltener schwere Flügel umher, sondern schlafe bei gewittrigem Wetter entspannter. Da ich oft mit der Familie im Segelflug-Urlaub unterwegs bin und nicht jeden Tag fliege, muss ich mir dank der neuen Bezüge nicht mehr bei jedem Wetterwechsel Sorgen machen, ob ich das Flugzeug doch abbauen und im Hänger in Sicherheit bringen soll. Die Cover schützen das Flugzeug sogar vor leichtem Hagel (habe ich glücklicherweise aber noch nicht getestet).
Bei grossen Spannweiten sind Schutzbezüge unverzichtbar, weil der Aufwand für häufigen Auf- und Abbau des Flugzeuges im Urlaub einfach zu gross wird. Bild: Jaxida-Cover.
Wie eine moderne Outdoor-Jacke
Jaxida-Cover wirken auf mich wie eine multifunktionale Softshell-Outdoorjacke. Auch beim Flugzeug-Schutzbezug wird für den harten Aussen-Einsatz ein Hightech-Gewebe mit Nano-Additiven verwendet. Der Pflegeaufwand ist gering, der Schutz bleibt über lange Zeit hoch. Meine zweite Flugzeug-Haut ist massgeschneidert, die Übergänge sind dank starkem und exakt montiertem Klettband robust, was bei starkem Wind wichtig ist und unerwünschte Ermüdungs-Geweberisse durch «Flattern im Wind» verhindert.
Schnell und effizient montiert
Die Montage und das Fixieren der Übergangs-Verbindungen zwischen Rumpf und Flächen ist einfach und geht nach kurzer Zeit zügig und effizient. Praktische und unterschiedlich gefärbte Packriemen und Transportsäcke erleichtern das Abbauen ebenso wie das abendliche Aufziehen der Bezüge.
Die Zeit zwischen der Landung und dem «Bier-nach-der-Landung» bleibt damit kurz und vor allem mühelos. Herrlich, dass mir nun das Flugzeug-Abbauen keine unnötigen Schweisstropfen mehr auf die Stirne treibt. Und anderntags wische ich einfach mit einem weichen «Gummi-Rakel» den Tau von den Flächen, lasse die Restfeuchtigkeit trocknen und verstaue erst kurz vor dem Start die Covers in ihren Tragetaschen im Hänger.
Kurz: ich möchte die Cover heute nicht mehr missen. Eigentlich wundere ich mich heute nur darüber, dass ich mir nicht schon früher welche gekauft habe.
Jaxida-Cover-Vorteile auf einen Blick:
Schutz vor UV-Strahlung, Schmutz, Hagel, Hitze
Werterhaltung
Einsparen der Kosten für Hangarierung
Hitzeschutz für das Cockpit und die sensiblen Instrumente
Einfache Handhabung (Packriemen und Transportsäcke)
Dank der Belüftung auf der Unterseite kaum Feuchtigkeit
Einen solchen Start ins neue Jahr wünscht sich manche/r Segelflieger/in. Schon am dritten Tag des Jahres und bei winterlich-eisigen Bedingungen im Hangwind aus den Ostschweizer Voralpen in etwas mehr als fünf Stunden scheinbar mühelos im starken, präfrontalen Westwind das Matterhorn im südlichen Wallis zu erreichen. Finden Sie heraus, wie dieser aussergewöhnliche Flug gelingen konnte und wer im Cockpit sass.
Text: Ernst Willi, Bilder: Christian Furrer, Gerhard Wesp.
Einflug auf der Ostseite des Mattertales. Diese Region ist besonders in den unteren Höhenbändern (< 3’000 m ü.M.) sehr turbulent.
Streckenfuchs an Bord
Beim Flug vom 3. Januar 2022 fällt die Zusammensetzung der Besatzung auf. Einerseits sitzt hinten im Duo Discus ein Jungpilot am Steuerknüppel, der zwar eine grosse Flugerfahrung aufweist, aber im Gleitschirmfliegen. Auf dem vorderen Sitzplatz steuert Streckenfluchs Gerhard Wesp den Duo Discus mit feiner Hand den einigermassen im Wind stehenden Kreten und Graten entlang immer weiter nach Südosten, bis vor der Nase des Duo der Matterhorn-Gipfel erscheint. Nach dem Höhe tanken an der Ostseite vom Mattertal und Vorbeiflug an der Dufourspitze hüllte sich das Matterhorn leider in Wolken und die Duo-Besatzung konnte den Gipfel nicht erreichen.
Gerhard Wesp hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Langstreckenflüge in den südamerikanischen Anden, aber auch in den europäischen Alpen realisiert und gilt als versierter Föhnfuchs, der sich systematisch das know how über eine Flugregion aufbaut. Am Vortag des Fluges hat er im aufbauendem Windfeld die Hang- und Wellenflug-Möglichkeiten über der Südost- und Zentralschweiz bis ins Engelberger-Tal erkundet.
Verhältnisse erkannt
Der Flug vom Vortag hat geholfen, die Wetterverhältnisse des Folgetages einzuschätzen und überhaupt einen Start zu wagen. Anderseits war das Ziel Zermatt auch nicht von Beginn weg auf der „Speisekarte“, es hat sich während des Fluges ergeben. Gerhard Wesp sagt dazu, dass sie eher ungeplant ins Wallis «gefallen» seien. Eigentlich hätte er gehofft, die Welle von Andermatt Richtung Domodossola halten zu können. Dafür wäre aber vermutlich mehr Geduld und mehr Höhe notwendig gewesen. Fraglich sei auch gewesen, eine Freigabe unter der Luftstrasse «A9» zu bekommen.
Topographie und Möglichkeiten genutzt
Die beiden Piloten haben die sich abzeichnenden Verhältnisse geschickt genutzt und sind den nach Nordwesten ausgerichteten Hängen und Graten der Glarner-, Urner- und Walliser Alpen gefolgt. Dabei mussten Sie neben teilweise starken Turbulenzen, etwa im Mattertal, auch zähe Tiefpunkte überwinden und sich z.B. am «Bättlihorn» im Wallis mit Geduld aus tiefen Flughöhen wieder „ausgraben“.
Der Bodenwind am 3. Januar auf 925 hPa. Quelle: Meteociel.
Sieben Fragen an Co- und Jungpilot Christian Furrer
1. Wie habt Ihr Euch auf dem Winterflug ans Matterhorn im Cockpit als Crew organisiert?
Während ich die eher ruhigen Phasen des Fluges, wie den Schlepp, die langen Gleitpassagen und die „schönen“ Aufwinde übernommen habe, hat Gerhard den Duo in den teilweise sehr turbulenten Schlüsselstellen zum Höhengewinn gebracht. Ich habe im hinteren Sitz die Windwerte verschiedener Windstationen per Mobilephone studiert und mich mit Gerhard zum Flugweg beraten.
2. Welche Faktoren waren für diesen besonderen Flug wichtig?
Am 3. Januar einen Schlepppiloten zu finden (Dankeschön Paul Kläger!)
Den Wind richtig einzuschätzen und in den Lees gegen den Wind genügend schnell zu fliegen, um nicht zuviel Höhe zu vernichten.
Gute Ausweich-Alternativen zu haben und hoch zu fliegen (das Goms ist im Winter nicht landbar)
Die Freigaben für den Luftraum «Charly» im Mattertal und beim Heimflug durch die militärische TMA von Meiringen zu bekommen.
Sich genügend warm anzuziehen (Skyboots sind super)
Gerhard zu vertrauen
3. Du bist ursprünglich über das Gleitschirm-Fliegen zum Segelflug gekommen – was magst Du anDeiner „neuen“ Sportart?
Die unglaubliche Gleitflug-Leistung und die hohe Geschwindigkeit verglichen mit jenen eines Gleitschirms
Die Klapp-Resistenz in Turbulenzen
Einen «richtigen» Flieger zu pilotieren
Bei Wetterverhältnissen zu fliegen, an denen man nicht dran denkt, den Gleitschirm auszupacken
Ohne Motor noch weiter zu fliegen als mit dem Gleitschirm
4. Du hast Dich als Jungpilot in kurzer Zeit nahtlos in einen grossen Verein integriert. Was hast Du dafür getan?
Ich habe an möglichst allen Events, die in unserem Club stattgefunden haben, teilgenommen und mich auch bei den Fronarbeiten und dem Winterdienst an den Fliegern eingesetzt. So kam ich schnell im Vereinsleben zurecht und habe viele Leute kennengelernt.
5. Hast Du Tips für Jungpiloten, um den Zugang an know how und Streckenfüchse hinzubekommen?
Ich habe schon während der Ausbildung versucht, bei vielen Piloten in unserem Verein Tips zu holen und konnte schon vor meiner Piloten-Lizenz interessante Flüge mit erfahrenen Piloten machen. Wenn Ihr Fragen habt, geht zu euren Fluglehrern, Streckencracks, Technikprofis… irgendjemand hilft immer.
Ich bin eigentlich immer auf offene Ohren gestossen. Ich helfe mit, wo ich kann und mir wird auch geholfen…
6. Was wünscht Du Dir als Jungpilot von einem Verein?
Von einem Verein wünsche ich mir, dass die Jungpiloten gut integriert werden und dass es spezielle Events für neue Piloten gibt. Bei uns in der SG Lägern gibt es etwa den Glidercup, bei dem wenig erfahrene Piloten mit erfahrenen Fliegern Streckenfliegen. Der Event findet ein paarmal im Jahr statt, wobei man auch bei eigentlich schlechtem Wetter noch zum fliegen kommt und sieht, was möglich ist.
7. Wie kannst Du Dein Berufsleben organisieren, um oft gute Tage für das Segelfliegen zu erwischen?
Ich habe das Glück, einen guten Arbeitgeber zu haben, bei dem ich mir die Arbeit sehr gut selber einteilen kann. Ich habe selten fixe Termine und kann so sehr kurzfristig freinehmen.
1998: Fallschirmbrevet, mit 230 Absprünge in 4 Jahren, dann aufgehört wegen Gleitschirmfliegen.
2005: Gleitschirmbrevet SHV, seit da unzählige Flüge und Flugstunden. 80-100h Airtime im Jahr mit Reisen in viele Länder, von Türkei nach Südafrika, Malawi, Marokko, Kolumbien und vielen Orten in Europa. Personal Best: 193km in fast 10 Std. Airtime in der Ostschweiz. Im Jahr 2009 habe ich die Tandemlizenz gemacht und konnte schon einige Spaziergänger fürs Fliegen mit dem Schirm begeistern.
April 2021: Segelfluglizenz, bis jetzt mit 55 Starts und 84 Std. Airtime als PIC nach der Prüfung.
Interessen ausserhalb des Segelfliegens: Gleitschirmfliegen, Mountainbiken, Split-Boarding, Reisen