In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Übungsflüge lassen sich perfekt nutzen, um neue Routen auszuprobieren. Grundsätzlich sind die Abflugrouten vom Serres sehr vielfältig. Hier gibt es viel zu entdecken und zu erkunden. Zwei Varianten, die ich mir selbst erarbeitet habe und die auch für die Piloten der umliegenden Flugplätze Aspres, La Motte, Sisteron, Gap und St. Auban interessant sind, möchte ich hier kurz vorstellen. Die erste führt zur „Rennstrecke“, zum Parcours. Dieser ist bei gutem Wetter das Ziel auch der weniger erfahrenen Piloten. Wenn sich das Brisen-System etabliert hat, kann man dort über 50 km ohne Höhenverlust Geradeausfliegen. Aber wie hinkommen und wo einsteigen?
Mein favorisierter Weg führt über Crête de Selle und Malaup zum Grande Gautière östlich des Flugplatzes La Motte. Erreicht man hier 2’100 m Höhe, kann man das Tal der Sasse nach Südosten überqueren und über den Grat nach Süden in den Talkessel östlich des Pic de Morgon springen. Ziel erreicht! In diesen Kessel hat den ganzen Vormittag die Sonne eingestrahlt, hat senkrecht auf die Hänge gebrutzelt. Hier geht es mit großer Sicherheit hoch und zwar richtig! Hat man vorher mit schwachem Steigen um die Höhe zur Gratquerung gekämpft, so geht es nun im Fahrstuhl in den Orbit! Hoch genug, um problemlos nach Osten an die Rennstrecke zu queren. Dabei befindet man sich die ganze Zeit in sicherer Anflughöhe auf den Flugplatz Seyne. Sollte die Höhe nicht zur Querung in den Talkessel reichen, so hält man sich etwas nördlich und fliegt die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge ab, bis man -möglicherweise erst westlich vom Seyne und deutlich unter Hangkante – den alternativen Aufwind findet, der dann den Sprung an den Parcours erlaubt.
Wem das jetzt zu viele Orts- und Bergnamen waren… Nein, man muss nicht jeden Stein beim Namen kennen, bevor man in den Alpen fliegt, und ehrlich gesagt, gehöre ich selbst zu jenen, die sich geradezu peinlich schlecht Namen merken können – einschließlich Bergnamen. Ein paar wenige markante Landschaftsmerkmale sollte man sich aber doch einprägen und dann vor Ort dazulernen. Das erleichtert die Kommunikation ungemein: „Wo bist du?“ – Schweigen – „Wo bist du?“ – Schweigen. Dann: „55 km vom Flugplatz weg. Östlich.“ So funktioniert das nicht. Umgekehrt kenne ich auch Piloten, die jeden Hügel beim Vornamen kennen und auf die Frage nach der Position mit eben diesen Namen um sich schmeißen. Auch in diesem Fall weiß hinterher niemand, wo der Kollege ist oder war.
Das „Dach Europas“, der Mont Blanc
Die zweite Abflugvariante führt nach Norden mit dem Fernziel Mont Blanc und ist eine Alternative zum Standardweg über Piolit und Guillaume an den Prachaval, den Hausberg bei St. Crépin. Auf diesem Standardweg umfliegt man östlich die Écrins mit ihren Viertausendern und hohen Pässen. Man nimmt aber auch einen großen Umweg in Kauf. Dies schmerzt… und außerdem habe ich gleich doppelt schlechte Erinnerungen an diesem Weg. Streift der Piolit einen nach dem langen Anflug vom Pic de Bure ab, so hat man prinzipiell zwei Optionen: Ins flache Gelände Richtung Gap abdrehen und später einen neuen Versuch starten oder der Bergkette weiter nach Osten folgen Richtung Tête de Lucy, Guillaume und letztlich St Crépin Flugplatz, den man üblicherweise sicher erreicht. Auf dieser Strecke gibt es eigentlich vielfältige Möglichkeiten, Thermik zu finden – falls die typische Brise sich einstellt und die nach Süden und Südosten ausgerichteten Hänge hinaufweht. Falls man aber nur denkt, dass sie sich eingestellt hat, während in Wahrheit ein westlicher Gradient-Wind parallel zu den Hängen weht, dann geht es auf dem Weiterflug nach Osten kontinuierlich bergab. Dies endete für mich einmal in der Platzrunde von St. Crépin, wo ich eine Stunde lang kämpfte, um letztlich doch wieder hochzukommen und weiter ins Briançonnais vorzufliegen.
Das zweite Mal endete mein Ausflug auf dem UL-Landeplatz am Lac de Serre Ponçon – wenigstens konnte ich dort baden, bevor die Rückholer mich einsammelten… Trotz des erfrischenden Bades im herrlichen Bergsee bevorzuge ich seit diesem Erlebnis alternative Routen in den Norden 😀. Fast schon selbst ein Standardweg ist der Flug über den Pas de la Cavale, mit knapp 2700 m der niedrigste Pass über die Écrins. Vom Pic de Bure geht es hierfür zunächst den Höhenzug am Col du Noyer entlang. Dort findet man meist einen Aufwind, so dass man problemlos auf der anderen Talseite am Cuchon in die Écrins
einsteigen kann. Von hier geht es weiter die Gräte entlang Richtung Pas de la Cavale. Die Sorge, diesen nicht überspringen zu können und den weiten Rückflug nach Gap antreten zu müssen, hält wohl viele Piloten davon ab, diesen Weg zu wählen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass der Überflug fast immer im ersten Anlauf gelingt. Und falls nicht, so muss man keinesfalls den Rückzug antreten, sondern eine weitere Schleife entlang der sonnenbeschienenen Hänge liefert die fehlende Höhe. Hat man den Pas de la Cavale überquert, so öffnet sich das Briançonnais mit all seinen Optionen. Ein direkter Weiterflug zum Tête d‘Amont südwestlich der Stadt Briançon oder zum Tête de Peyron auf der östlichen Talseite sind die naheliegendsten Varianten.
Was ich hier eigentlich bewerben möchte, ist der Flug durch die westlichen Écrins. Vom Cuchon geht es schnurstracks nach Norden und über Les Deux Alpes weiter in die Savoyer Alpen. Diese Route wird aus mir unerfindlichen Gründen äußerst selten geflogen. Dabei ist sie landschaftlich wunderschön und der absolut direkteste Weg zum Mont Blanc.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Die doppelte Alpentraverse war unbestritten mein persönliches Highlight einer insgesamt tollen ersten Saison mit der JS1. Im Vorfeld des Kaufs hatte ich formuliert, dass ich „fliegerisch nochmal einen richtigen Schritt machen“ wollte. 1’000 km, große Flüge quer durch die Alpen: genau diese Dinge hatte ich dabei im Hinterkopf. Aber dass es so schnell gelingen würde, all dies umzusetzen, hatte ich nicht zu träumen gewagt.
Lag es alles am neuen Flieger? Ja und Nein… 1’000 km wäre ich mit der LS6 sicher nicht geflogen, die Alpentraverse dagegen wäre auch mit einem 15-m-Flieger gelungen. Überhaupt sind Spaß und Freude – und sogar sportlicher Erfolg im Segelflug nicht davon abhängig, dass man sich ein Flugzeug wie die JS1 leisten kann. Mit der LS6 habe ich über zehn Jahre ganz wunderbare Flüge gemacht und einige der tollsten Erlebnisse, an die ich auch nach Jahrzehnten noch zurückdenke, verbinde ich mit Flugzeugen wie Ka8, Ka6, Astir und ASW15; alles Fluggeräte für kleines oder sogar sehr kleines Budget.
Entscheidend ist, dass der Kauf des neuen Flugzeugs für mich ein ungeheurer Motivations-Schub war, der ganz neue Energien freigesetzt hat. Segelfliegen war schon immer mein liebstes Hobby und wurde auch von anderen sportlichen Leidenschaften wie Skifahren und Golfen nie verdrängt. Aber nach dem Erwerb der JS1 habe ich angefangen, mich intensiver mit Streckenplanung und allen anderen Aspekten zu beschäftigen, die es für „Rekordflüge“ (und seien es nur persönliche Rekorde) zu berücksichtigen gilt: Wetter, Luftraum, Studium von Streckenalternativen, Analyse von Flügen anderer… Es braucht auch Disziplin. Man muss die Chance ergreifen WOLLEN, den entscheidenden Tag rechtzeitig in der Wettervorhersage erkennen, sich bemühen, diesen Tag freizuschaufeln (was gerade bei mir oft nicht geht), dann alles weitere organisieren, die eigentliche Flugplanung vorbereitet in der Schublade haben, pünktlich am Flugplatz sein… wer eine Stunde zu spät startet, hat die Chance auf einen 1000er schon verspielt… es sind viele Puzzleteile, die zusammengefügt werden müssen. Und dann braucht man vielleicht auch noch das richtige Flugzeug.
Ich habe mir die Mühe gemacht, bestmöglich „auszurechnen“, was am 31. Mai (als ich die 1’000 km flog) für mich in der LS6 drin gewesen wäre. Ich war mit der JS1 nie tief, so dass ich auch mit der LS6 nie das Problem gehabt hätte, Thermik-Anschluss zu finden. Aus den Gleitzahlen, die ich mit LS6 und JS1 statistisch fliege, habe ich mir ausgerechnet, wieviel zusätzliche Meter ich mit der LS6 über den Tag hätte erkurbeln müssen (ca. 6’000!); aus dem durchschnittlich an dem Tag gekurbelten mittleren Steigen ergibt sich dann die Zeit, die ich zusätzlich kurbelnd verbracht hätte (eine knappe Stunde).
Aus diesen Rechnungen ergibt sich, dass ich mit der LS6 mindestens 850, vielleicht auch 900 km geflogen wäre. Mit Abstand mehr als ich je vorher erreicht hatte!
Ein weiterer Treiber für den Wechsel auf die JS1 war der Wunsch, eine Heimkehrhilfe zu haben, verbunden mit der Erwartung, dann raumgreifender zu fliegen, auch bei zweifelhaften Wetterlagen und auch in den „Tagesrandzeiten“, früh morgens und spät abends. Gebraucht habe ich den Jet über das Jahr nur bei drei Flügen, inklusive des Stunts Anfang März, der auf einer Wiese im Sauerland endete, da die Turbine nicht zündete. Trotzdem ist die „Rechnung“ aus meiner Sicht voll aufgegangen. Gerade im Frühjahr hätte ich mindestens zwei weitere Flüge ohne die Rückversicherung des Jetantriebs so nicht gemacht. Einfach, weil mir die Wahrscheinlichkeit einer Außenlandung zu hoch gewesen wäre.
Bleibt noch ein Blick auf die JS1 an sich, „stand-alone“ und im Vergleich zu Alternativen am Markt. Fangen wir mal mit dem Preis bzw. den „Kosten-/Nutzen-“, „Kosten-/Spaß-“, „Kosten-/ Leistungs“-Verhältnissen an. Wie so oft im Leben ist hier alles relativ. Die JS1 ist etwa fünfmal so teuer wie eine LS6. Hat man damit fünfmal so viel Spaß? Natürlich und zum Glück nicht! Hat man damit mehr Spaß? Ich finde schon 😀. Aber wie oben schon erläutert, kann man auch mit viel günstigerem Gerät das Segelfliegen in all seiner Faszination voll genießen. Und das ist gut so!
Hat man sich einmal entschlossen (und die Möglichkeiten), „so viel Geld“ für ein Flugzeug auszugeben, hat man immer noch die Qual der Wahl. Neu oder gebraucht? Doppelsitzer oder Einsitzer? Eigenstartfähig oder nicht? Welche Spannweite? Und schließlich: welcher Typ genau?
Neuflugzeuge haben zwei entscheidende Nachteile: erstens ewig lange Lieferzeiten von aktuell bis zu vier Jahren und zweitens: Sie sind noch teurer!
Doppelsitzer oder Einsitzer: Geschmacksache
Eigenstartfähig oder nicht: Man ahnt es sicher schon: wenn man eigenständig in die Luft kommen möchte, wird es noch teurer – und zwar nicht nur in der Anschaffung, sondern ganz wesentlich auch im Unterhalt. Zumindest die Anschaffungskosten hält man in Grenzen, wenn man auf einen Flieger der aktuellen Generation verzichtet und damit geringfügige Leistungseinbußen in Kauf nimmt. Allerdings: während der Flieger selbst fast unendlich lange hält, gibt das für die Motoren leider nicht. Und außerdem haben die vielfach verwendeten Zweitakt-Motoren einen großen Nachteil: Vibrationen! Das mögen auch einige Instrumente und andere Teile nicht. Unter dem Strich muss man also genau hinsehen, bevor man die Unterschrift unter den Kaufvertrag eines gebrauchten Eigenstarters setzt.
Und es gibt noch einen weiteren Nachteil dieser Bauart: Insbesondere mit „nur“ 18 m Spannweite haben Eigenstarter eine deutlich erhöhte minimale Flächenbelastung und damit einhergehend schlechtere Leistungen bei schwachem Wetter. Dies interessiert vor allem Wettbewerbspiloten, denn Meisterschaften werden oft an schwachen Tagen entschieden.
Unter dem Strich sollte man einen Eigenstarter wählen, wenn man maximal autark sein will. Solange ich an meinem Heimatflugplatz auch unter der Woche problemlos in die Luft komme, brauche ich keinen. Und dann ist -zumindest für mich- ein Flieger mit Heimkehrhilfe die bessere Wahl.
Welche Spannweite? Jetzt wird es kompliziert 😀.
Ganz früher gab nur zwei Wettbewerbsklassen: 15 m und die Offene. In der offenen Klasse war konstruktiv alles erlaubt, die 15 m Klasse war, nomen est omen, auf 15 m Spannweite beschränkt. Folgerichtig gab es auch nur zwei deutsche Meister und zwei Weltmeister. Je einen in der „kleinen“ und einen in der „großen“ Klasse. Schön übersichtlich. Anfang der 1970er Jahre gab es einen Disput über weitere Einschränkungen in der kleinen Klasse. Man wollte die Kosten begrenzen und diskutierte lebhaft, ob Einziehfahrwerk und Wölbklappen und derlei Dinge zukünftig erlaubt sein sollten oder nicht. Im Ergebnis machte man aus einer Klasse zwei. Neben der Standardklasse mit festem Profil und anfangs verbotenem Wasserballast war die FAI-15-m-Rennklasse geboren. In ihr war alles erlaubt. Nur die Spannweite blieb begrenzt. Diese Entwicklung freute die Hersteller und auch einige Wettbewerbspiloten. Nun gab es eine Möglichkeit mehr, Lorbeerkränze und Medaillen zu gewinnen.
Noch ein paar Jahre und mehrere Entwicklungsschübe weiter fragte man sich, was man denn mit den vielen gut erhaltenen, aber schon nach wenigen Jahren nicht mehr konkurrenzfähigen Flugzeugen der Standardklasse machen sollte. Flugs wurde die Clubklasse kreiert, in der die Heerschar dieser Flieger weiter an Wettbewerben teilnehmen konnte. Man fliegt in dieser Klasse „mit Index“, das heißt, dass Piloten mit einem besseren Flugzeug Strafpunkte bekommen. Dies führt mitunter zur kuriosen Situation, dass man mit einem leistungsschwächeren Flugzeug besser bedient ist.
Die Einführung der Clubklasse erfreute eigentlich alle. Die Flugzeuge blieben wertstabil und jetzt gab es schon vier Deutsche Meister gleichzeitig.
Wer denkt, nun sei es aber langsam genug mit der Einführung neuer Klassen – weit gefehlt! Zwischenzeitlich fanden immer mehr Segelflieger Spaß am doppelsitzigen Fliegen und es wurden auch leistungsfähige Doppelsitzer entwickelt. Eine tolle Sache! Leider passten diese aber in keine Wettbewerbsklasse. Also… Da waren es fünf Deutsche Meister.
Dann beobachtete man mit Sorge, dass die neuen Flugzeuge immer teurer wurden. Man wollte „die Industrie“ animieren, kostengünstige Einfachflugzeuge zu entwickeln – und schuf eine entsprechende Wettbewerbsklasse, die „Weltklasse“. Leider übersah man dabei völlig, dass es längst ein reichhaltiges Angebot günstiger Flugzeuge gab – gebraucht zwar, aber top in Schuss und unverwüstlich. Und die Clubklasse, in der diese Flieger eingesetzt werden können, gab es auch längst.
Last but not least – ich komme zum Ende- zeichnete sich in den 90er Jahren unumkehrbar der Trend zu motorisierten Segelflugzeugen ab. Fünfzehn Meter Spannweite waren aber zu wenig, um das zusätzliche Gewicht sinnvoll zu tragen. Die Offene Klasse hatte zwischenzeitlich Superorchideen mit bis zu 30 m Spannweite hervorgebracht. Mit überragenden Gleitleistungen, aber auch horrend teuer und unhandlich, am Boden wie in der Luft.
Was lag also näher, als eine neue Klasse zu schaffen: die 18m Klasse! Diese wurde tatsächlich ein großer Erfolg, brachte sie doch Flugzeuge hervor, die deutlich bessere Leistungen hatten als die 15-m-Flieger und die gleichzeitig viel handlicher waren als die großen Boliden der Offenen Klasse.
Wer richtig mitgezählt hat, kommt jetzt auf sieben Klassen, also sieben Meister im Segelflug. Lediglich die Weltklasse ist als Totgeburt zwischenzeitlich eingeschlafen. Da waren es nur noch sechs. Sechs Weltmeister, sechs Europameister, sechs Deutsche Meister. Das ist nicht vermittelbar. Wer ist denn nun der beste Segelflieger? Man weiß es nicht… mittlerweile gibt es übrigens auch massive Probleme, Ausrichter für all diese Wettbewerbe zu finden. Und sogar Piloten werden knapp. Leider wächst die Schar der Segelflieger weltweit nämlich nicht.
Mein „radikaler“ Vorschlag: Einstellen der Standardklasse und Rennklasse, alle Flieger mit 15 m in den Topf der Clubklasse einsortieren und mit insgesamt „nur“ noch vier Klassen weiter machen: Club, 18 m, Offen und Doppelsitzer. Das sollte niemandem zu sehr weh tun, auch den Herstellern nicht, die eh keine neuen 15-m-Flugzeuge mehr entwickeln und verkaufen.
Eine Entwicklung, die ausnahmsweise nicht zu einer neuen Wettbewerbsklasse geführt hat, habe ich noch gar nicht beleuchtet: Der Trend zu kleineren Flugzeugen in der Offenen Klasse. Dieser Trend hat zwei Quellen und mehrere Gründe. Zum Verständnis muss ich nochmal etwas ausholen: Die erste Generation von 18-m-Motorseglern basierte auf 15-m-Konstruktionen. Durch Ansteckohren wurde die erhöhte Spannweite ermöglicht und die Struktur der Tragflächen wurde verstärkt, um die erhöhten Lasten aufzunehmen. Bei der zweiten Generation, die vom ersten Strich an auf 18 m optimiert wurde, gingen die Hersteller dann zwei unterschiedliche Wege. Entweder sie boten eine 15m Option mit an, um mit dem gleichen Flieger auch in der Rennklasse antreten zu können, oder sie boten die Option, die Spannweite weiter zu vergrößern. Letzteren Weg ging erstmals Schleicher mit dem Eigenstarter ASH31, der es wahlweise auf 18 oder 21m Spannweite bringt.
Es zeigte sich, dass die ASH31 zumindest bei guten Bedingungen mit den Langohren der offenen Klasse mithalten kann. Bei echtem Hammerwetter, wenn sehr schnell vorgeflogen wird, ist sie sogar überlegen. Diese Erkenntnis animierte die Konkurrenz, kleinere Offene-Klasse-Flugzeuge neu zu konstruieren. Quintus und Antares 23 sind die Ergebnisse. Beide haben sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt.
Anders die JS1 (voilà!), die zunächst mit 18 m und dann mit 21m Spannweite auf den Markt kam und die schnell DAS Flugzeug in der Offenen Klasse wurde und diese nach landläufiger Einschätzung „wiederbelebte“. Waren doch die Platzhirsche ASW22 und Nimbus4 in die Jahre gekommen und im Neugeschäft komplett von den handlichen und doch leistungsstarken 18m Fliegern verdrängt worden.
Heute gibt es wieder echte Konkurrenz in der Offenen Klasse und die Hersteller verfolgen interessanterweise unterschiedliche Philosophien: Während Binder mit der EB29 weiter auf maximale Spannweite setzt, ist man bei Jonker überzeugt, dass das Optimum für die Offene Klasse bei 24 m Spannweite liegt und legt die kommende JS5 entsprechend aus. Schleicher wiederum glaubt, mit nur 20 m Spannweite und extrem schlankem Flügel das Optimum zu treffen. Es wird spannend werden! Vorläufig dominieren aber EB29 und JS1, wobei die EB29 bei den meisten Bedingungen wohl leicht überlegen ist.
Mit diesem Exkurs habe ich die Frage nach der Spannweite noch nicht beantwortet. Aber als Leser hat man sich indirekt vielleicht doch eine eigene Meinung bilden können.
Wer auf einen Motor verzichten kann, findet auf dem Markt eine riesige Auswahl gebrauchter 15-m-Flieger. Wenn es ein Motor sein soll, dann ist man direkt bei 18 m. Und für diejenigen, die sich nicht vor dem täglichen Rüstaufwand und der Unhandlichkeit scheuen, bieten ältere Offene-Klasse-Flieger viel Leistung und Freude für relativ wenig Geld.
Und dann gibt es noch die JS1: für mich das beste Segelflugzeug der Welt 😀. Gegenüber der „direkten Konkurrenz“ im gleichen Preissegment bietet sie den Vorteil, sowohl mit 18 m als auch mit 21 m Spannweite geflogen werden zu können und damit sowohl in der 18-m-Klasse wie auch in der Offenen Klasse voll konkurrenzfähig zu sein. Interessanterweise ist die JS1 zusammen mit dem Ventus3 im „Grand-Prix-Format“, wenn mit vorgegebener Flächenbelastung geflogen wird, sogar das überlegene Flugzeug in der 18-m-Klasse; besser als AS33 und JS3.
Die 21 Meter sind für mich ein echter Joker. In dieser Konfiguration hat die JS1 ein deutlich spürbares und auch wirklich ausfliegbares Leistungsplus gegenüber allen Konkurrenten mit „nur“ 18 m. Sie steigt noch besser und im Vorflug hat man auch bei hohen Geschwindigkeiten ein deutlich geringeres Sinken und damit überlegene Gleitleistungen.
„Erkauft“ wird dieses Leistungsplus durch höhere Seitenruderkräfte und eine gewisse Trägheit um die Hochachse. Dies ist – wenn man es denn überhaupt als solchen empfindet – der einzige Nachteil der JS1 – und wenn es einen stört, kann man immer noch mit 18m fliegen. Ich selbst habe mich mittlerweile vollkommen an diese Abstimmung gewöhnt und empfinde sie nicht mehr als Nachteil. Um die Längsachse ist die JS1 im Übrigen auch in der 21-m-Konfiguration wunderbar leichtgängig, thermikfühlig und wendig.
Das Jettriebwerk ist aus meiner Sicht ein echter Fortschritt gegenüber klassischen „Turbos“. Ausgefahren verursacht der Jet praktisch keinen zusätzlichen Widerstand. Damit gibt es keinen zusätzlichen Höhenverlust bis zum Anspringen des Triebwerks. Das bedeutet, dass man sich effektiv später für das Zünden des Triebwerks entscheiden kann und im Falle des Nicht-Zündens zudem ein Sicherheitsplus hat, da die JS1 mit voller Gleitleistung als Segelflugzeug weiter ihre Bahnen zieht. Läuft der Jet, bleibt es im Cockpit leise und vibrationsfrei. Zudem ist das Vorfliegen mit 140 km/h mit bis zu 1,5 m/s Steigen sehr angenehm. Sparsam ist der Jet nicht gerade, aber das ist aus meiner Sicht weder praktisch (Reichweite und auch das „Systemgewicht“ passen, da der Jet so leicht ist) noch ökologisch ein Problem. Schließlich soll der das Triebwerk ja nicht oft laufen. Wir haben 2021 bei 115 Flugstunden 40 Liter Diesel verbraucht.
À-propos Ökologie: Elektro-Motorsegler sind schwer im Kommen und das Angebot wird immer vielfältiger. Gebraucht gibt es allerdings nur die Antares und einige wenige Flieger mit FES-Antrieb. Alle anderen Muster sind zu frisch am Markt. Elektro-Motorsegler sind toll, aber auch nicht ohne Nachteile. Zu nennen ist hier vor allem das hohe Gewicht – das macht beim Aufrüsten keinen Spaß und wird bei schwachem Wetter zum Problem. Verlegt man die Batterien aus den Tragflächen in den Rumpf, wie Jonker das bei der JS3 macht, handelt man sich echte Zuladungs- und Schwerpunkt-Probleme ein. Nicht einfach.
Größter Pluspunkt des Elektroantriebs ist aus meiner Sicht keinesfalls die Ökobilanz. Hier lässt sich trefflich streiten, ob diese bei einem letztlich selten genutzten Freizeitspielzeug über die Lebensdauer vorteilhaft ist. Unbestreitbare Vorteile sind dagegen einfache Bedienung (bietet der Jet auch), einfache Wartung (bietet der Jet auch), Vibrationsfreiheit (bietet der Jet auch), Eigenstartfähigkeit (bei den meisten Systemen, bietet der Jet nicht) und Lärmarmut (bietet der Jet nur im Cockpit). Es wird spannend sein, zu beobachten, wie sich Markt und Technik hier entwickeln!
Nochmal kurz zurück zum Vergleich der JS1 mit Alternativen: Auch die JS2 als Nachfolger mit gleichen Tragflächen und neuem Rumpf wird die JS1 nicht alt aussehen lassen. Vielmehr bleibt die JS1 für alle, die keinen Eigenstarter brauchen, das leicht bessere Flugzeug: 720 kg statt 690 kg maximales Abfluggewicht, 11 kg statt weit über 20 kg schwere Aussenflügel, Wassertanks in den Aussenflügeln. Das sind in Summe Vorteile, die die Wertstabilität der nur 26 EASA-zugelassenen JS1 für viele Jahre gewährleisten sollten. Es gibt einfach nichts Besseres 😀.
Fortsetzung folgt. Nächstes Mal stelle ich typische Abflug-Routen in die Alpen ab Serres vor.
In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.
Nach der Landung in Isny gab es anerkennende Glückwünsche der wenigen Eingeweihten und ein freundliches „Hallo“ aller anderen Vereinskameraden. Erst langsam sprach sich herum, woher ich kam, und die Reaktion reichte von Erstaunen bis Unglauben. Man kann sich sicher vorstellen, wie euphorisiert und begeistert ich nach einem traumhaften Flug in traumhaftem Wetter aus dem Cockpit stieg. Typischerweise tauscht man sich nach so einem Tag am Lagerfeuer mit anderen Piloten aus, die Ähnliches erlebt hatten, schnackt über die besten Aufwinde des Tages, die Knackpunkte der Flüge, Geschwindigkeitsrekorde und Beinahe-Außenlandungen. Genau das hatte ich auch an diesem Abend erwartet. In Isny war die Stimmung aber seltsam anders. Es gab niemanden, mit dem ich mich derart austauschen konnte, da niemand an diesem wunderbaren Tag weiter als 50 km vom Flugplatz Isny weggeflogen war. Und das, obwohl durchaus viele gute und ambitionierte Piloten mit der Aussicht auf schöne Streckenflüge in den Alpen mit ins Fliegerlager nach Isny gefahren waren. Diese Konstellation machte meinen Flug in den Augen vieler sicher noch unglaublicher, es war aber vor allem eine irgendwie bizarre, auch ein wenig traurige Situation. Wie konnte das sein? Was war passiert?
Zwischenstopp in Isny
Die Erklärung ist so einfach wie bitter: Isny liegt knapp 30 km nördlich des Alpenrands und 30 km östlich des Bodensees. Während in den Alpen (und auch auf der schwäbischen Alb 60 km nördlich Isny) die Thermik brüllte, rührte sich in Isny in der vom Bodensee eingesickerten Luftmasse kein Lüftchen, gab es dort kaum den Hauch von Thermik. Erst am Nachmittag konnten einige Piloten in schwachen Aufwinden genug Höhe gewinnen, um bis Sonthofen zu fliegen und wurden dort mit dem nächsten Problem konfrontiert: mit fortschreitender Tageszeit wird in den Alpen bodennah immer mehr Luft in Richtung Alpenhauptkamm gesaugt, wo ein lokales Hitzetief entsteht. Dies unterbindet zunehmend die Thermik am Alpenrand, während es in den Alpen selbst fantastische Aufwinde gibt.
Bittere Bilanz: niemand hatte es an diesem traumhaften Tag von Isny aus in die Alpen geschafft! Damit war auch klar, dass am nächsten Morgen für mich der Einstieg in die Alpen der größte Knackpunkt des geplanten Rückflugs nach Serres werden würde. „Das kannst Du vergessen, hier kommst Du nie weg“ schallte es mir von einigen entgegen. Schöne Aussichten. Das hatte ich so nicht erwartet und kurzzeitig zweifelte ich am Gelingen meiner Pläne. Dabei gab es eigentlich keine Alternative zum Rückflug nach Serres. Auto und Anhänger standen 500 km Luftlinie entfernt. 500 km quer durch die Alpen bzw. viel mehr Kilometer um die Alpen herum. Wenn ich jemanden fände, der mich nach Serres fahren würde, – ich hatte vorab niemanden gefragt – dann würde es zwei volle Tage dauern, bis ich mit Anhänger zurück in Isny wäre. Und eine vernünftige Bahnverbindung gab es erst recht nicht. Nein: Es musste einfach klappen – und zum Glück habe ich Optimismus und Selbstvertrauen auch schnell zurückgewonnen. Ich würde mich bis Sonthofen schleppen lassen und von dort würde am Vormittag, lange bevor der Alpenhauptkamm zu sehr absaugt, der Einstieg gelingen!
Nachdem ich mir das so zurechtgelegt hatte und auch der F-Schlepper für den nächsten Morgen organisiert war, konnte ich das Abendessen und ein Bier in geselliger Runde genießen.
Einen Schlafplatz musste ich noch finden. Das zweite Bett im Wohnmobil meines Schwiegervaters war unerwarteterweise noch von meiner Schwiegermutter besetzt, die länger als geplant im idyllischen Isny geblieben war. So zog ich mit Luftmatratze und Schlafsack (alles im Flugzeug mitgebracht) ins Vereinsheim – und von dort weiter in die blitzblank gefegte Flugzeugwerkstatt, da das Vereinsheim selbst zur Schlafenszeit plötzlich von der videospielenden Jugend belegt war. Kein Problem dachte ich. Die Werkstatt war sauber, kühl, leise, mückenfrei. Was willst Du mehr! Ok, den zunächst gewählten Schlafplatz musste ich nochmal wechseln, da er im Sensorfeld des Bewegungsmelders der Beleuchtung lag – unpraktisch. Als ich endlich eingeschlafen war, wurde ich schon bald wieder wach. Das Ventil der Luftmatratze hatte sich geöffnet und direkt auf dem Steinboden schläft es sich schlecht. Dieses Spiel wiederholte sich leider noch zweimal bevor ich auf die Idee kam, die Luftmatratze umzudrehen. Mit dem Ventil Richtung Boden hielt die Luft für den Rest der Nacht. Nun stellte sich allerdings heraus, dass es in dem Raum noch einen zweiten Bewegungsmelder gab. Warum der erst jetzt ansprach, wird auf immer ein Rätsel bleiben. Ich war zu erschöpft, um mir nochmal einen neuen Schlafplatz zu suchen und versuchte es mit „ruhig liegenbleiben und nicht bewegen“ – mäßig erfolgreich. Als ich endlich schlief dauerte es nicht lange, bis ich laute Stimmen aus dem Bad nebenan hörte. Es gab tatsächlich Frühaufsteher, die schon um 5 Uhr den Tag begrüßten!
Nach dieser Nacht war ich leicht gerädert. Aber eine ausgiebige Dusche, ein starker Kaffee und ein ebenso starker Wille bewirken Wunder!
Während des ausführlichen Frühstücks in der angenehm Wärme spendenden Augustsonne musste ich länger mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) telefonieren. Natürlich hatte die diensthabende Mitarbeiterin andere Vorstellungen von einem ordentlichen Flugplan als der Kollege am Vortag und folgerichtig hatte sie meinen ersten Entwurf in der Luft zerrissen. Es war zum Mäusemelken.
Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten: Für den Heckkuller der JS1 war im Cockpit leider kein Platz und so musste ich den Schwanz anheben, um den Flieger aus der Parkbucht auszurangieren und in die richtige Position für den anschließenden Schlepp zur Startstelle zu drehen. Bei dieser Aktion war leider nur ein Flächenende besetzt – Personalmangel allerorten heutzutage 😀. Plötzlich gab es ein unschönes Geräusch… das Winglet der rechten Fläche hatte die Bespannung am Falken aufgeschlitzt und dabei selbst ein paar Kratzer abbekommen. Der Tag fing richtig gut an!
Endlich am Start hieß es erstmal Warten; erst auf den F-Schlepppiloten, dann auf auf einen Freiflieger. Sorry Luca, dass ich dann schon vor deiner dritten Landung selbst gestartet bin! Ich wurde einfach langsam ungeduldig. Über Isny rührte sich zwar wie erwartet kein Lüftchen, aber in den Alpen zeigten sich schon seit mindestens einer Stunde wunderbare Thermikwolken. Langsam sollte ich in die Luft kommen, auch wenn es außer mir scheinbar niemanden aus Isny Richtung Berge zog.
Wie geplant ließ ich mich durch die tote Luft bis kurz hinter Sonthofen auf 2’200 m MSL schleppen, immerhin 1’500 m über Flugplatzniveau. Einen solchen Rockefeller-Schlepp hatte ich noch nie zuvor gemacht, aber ich denke, jeder Euro war gut investiert 😀.
Meine Idee war, auf der Ostseite des Nebelhorns Anschluss an die hochreichende Thermik zu finden. Die Basis der vereinzelten Culumus-Wolken lockte aus geschätzten 3’000 m Höhe.
Ich glitt also auf die Rückseite des Nebelhorns und kreiste direkt neben dem Gipfelkreuz ein, als perfektes Fotomotiv für die zahlreichen Bergwanderer 😀. Leider entwickelte sich der kurzzeitige Vario-Ausschlag nicht zum erhofft starken Aufwind, und anstatt den Blicken der Ausflügler zügig nach oben zu entschwinden, flog ich den ganzen Grat mehrfach ohne nennenswerten Höhengewinn ab, machte hier einen Kreis und flog dort eine Acht.
So schnell wollte ich meinen Plan nicht aufgeben, vor dem Einflug in das zerklüftete Relief der Allgäuer Alpen bis an die Basis zu steigen. Letztlich musste ich aber nach etlichen vergeblichen Suchschleifen einsehen, dass ich hier nur Zeit vergeudete und tauchte schließlich Richtung Südosten hinter einem Almsattel ab und verschwand auf diesem Weg ohne weiteren Höhengewinn aus dem Blickfeld der zahlreichen Beobachter.
Ganz so bequem wie gedacht funktionierte der Einstieg in die Alpen also schon mal nicht. Immerhin konnte ich beim Weiterflug entlang der sonnenbeschienenen Bergflanken die Höhe halten. Ich war überzeugt, auf diesem Weg früher oder später in einen kräftigen Aufwind zu stolpern und schließlich wurde meine Geduld am Ramstallkopf belohnt. Hier stieg ich zum ersten Mal aus dem Gelände heraus und erreichte wenig später an der Rotnase (so heißt der Berg tatsächlich 😀) endlich die Basis. Damit war der Einstieg, um den ich mir im Vorfeld so viele Gedanken gemacht hatte, endgültig geschafft.
Nun ging es zügig über Wetterspitze und das Stanzertal nach Kappl im Paznauntal. Hier kletterte ich auf über 3’400 m, und von diesem Sprungbrett konnte ich direkt ins Unterengadin springen. Nun war ich wieder voll im Flow und es begann zu rennen, ganz ähnlich wie am Vortag.
Anstatt bis St. Moritz im Engadin zu bleiben, bog ich bereits am Piz Vadret, kurz hinter Zernez nach Westen ab. Es sah auch in dieser Richtung gut aus! Allerdings war die Basis insgesamt deutlich niedriger als am Mittwoch und so wurde jeder Grat zunächst zu einer Barriere, die es zu überspringen galt. Alternative Flugwege und Schlüsselberge dieses Streckenabschnitts war ich im Vorfeld wieder und wieder durchgegangen und so fühlte ich mich gar nicht in unbekanntem Gelände, obwohl ich zum ersten Mal hier unterwegs war.
Ich befand mich jetzt auf der „Königsdorfer Route“ während -wie ich mittlerweile weiß – „die Ohlstädter“ typischerweise das Engadin ganz hinauf fliegen, sogar über den Malojapass nach Italien springen und dann durch das Tessin queren.
Es gibt also immer Alternativen. Dass sich diese „lokalen“ Favoriten herausgebildet haben, ist auf den ersten Blick erstaunlich, eigentlich aber natürlich. Einer macht es vor, es klappt. Er selbst probiert es bei nächster Gelegenheit genauso – hatte ja auch beim ersten Mal funktioniert. Nun ist es schon „der Weg“. Die anderen Flieger am Platz schauen es sich ab „and here we are“: alle Ohlstädter fliegen so und alle Königsdorfer eben anders.
Ich ließ das Lenzer Horn rechts liegen und flog direkt den Piz Mitgel an. Von hier ging es weiter ins Hinterrheintal. Obwohl meine ganze Aufmerksamkeit dem weiteren Flugweg und dem Finden des nächsten Aufwinds galt, genoss ich bewusst die herrliche Landschaft und schoss einige Fotos.
Blick nach Westen zum Rheinwaldhorn. Ein wenig höher hätte die Basis schon sein können.
Der westliche Talabschluss des Hinterrheins baute sich nun als unüberwindbare Wand vor mir auf. Mir musste es gelingen, an der nördlichen Bergkette bis an die Wolkenfetzen heranzusteigen. Nur dann könnte ich am Gipfel des Rheinwaldhorns vorbei schlüpfen und direkt auf Kurs weiterfliegen. Tatsächlich gelang es, in schwachem Steigen ausreichend Höhe zu gewinnen und knapp über den Grat zu springen. Ich hatte nun den Flugplatz Münster im oberen Rhônetal als Zwischenziel einprogrammiert und flog ab hier fast auf der gleichen Spur wie am Vortag: an Ambri vorbei, über den Gotthardpass hinweg. Langsam rückte der Furkapass in Reichweite, allerdings sah ich ihn – wie eben schon den Gotthardpass- eher von der Seite als von oben. Hätte die Basis nicht einfach wenige hundert Meter höher sein können? Das war mir leider nicht vergönnt, aber irgendwie fand sich ein Weg zwischen den Felsen hindurch und plötzlich lag das Rhônetal offen vor mir.
Seen am Grimselpass. Gefühlt schon fast heimatliche Gefilde
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war zwar noch 300 km von Serres entfernt und hatte damit sogar den größeren Teil der Strecke noch vor mir. Aber ab hier kannte ich mich aus, ich fühlte mich hier fast schon zu Hause. Zudem war es erst Viertel nach Zwei, unglaublich früh am Tag eigentlich. Was sollte jetzt noch schief gehen? Dachte ich… und entschied mich wieder für die nördliche Talseite. Jetzt stieg es immerhin auf 3’500 m. Nicht allzu üppig für die bald anstehende Querung ins Mattertal, aber reichen sollte es wohl.
Ich wollte unbedingt vermeiden, wie zwei Tage zuvor tief bei Zermatt um Anschluss kämpfen zu müssen und hatte mir entsprechend Gedanken um die optimale Querung des Rhônetals gemacht – und dann ging doch alles schief. Man glaubt es kaum, aber ich habe tatsächlich das Saastal mit dem Mattertal verwechselt und entsprechend die Weisshorngruppe mit dem Dom. So ein Mist! Als ich meinen Fehler bemerkte, hatte ich bereits eine schöne Wolke und den dazugehörigen Aufwind links liegen lassen, weil er vermeintlich am östlichen Eingang des Saastals und damit weit ab vom Kurs stand. Außerdem hatte ich mir eine völlig unnötige Querung des Mattertals eingefangen und fand mich genau da wieder, wo ich nie wieder hinwollte: tief am Fuß des Doms. Noch ein paar hundert Meter tiefer als 48 Stunden vorher.
Ich haderte wirklich mit mir, als ich auf Höhe der Europahütte ein paar Suchkreise flog und dann eine Scharte weiter zur Kinhütte wechselte. Zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte ich, im direkten Blickfeld zahlreicher Bergwanderer, auf Augenhöhe mit Ihnen und fast zum Anfassen nah, Höhe zu gewinnen.
Fühlte ich mich dabei am Nebelhorn noch wie ein Adler, der majestätisch seine Kreise zieht, so war meine Gefühlslage nun eine völlig andere. Fast glaubte ich die Gespräche der Alpinisten im Cockpit zu hören: „Was macht der denn da? Soll das so sein?“ – „Das sieht nicht gut aus! Er gewinnt gar keine Höhe.“ – „Hoffentlich touchiert er nicht gleich einen Felsen!“ -„Dann wäre hier aber was los!“
Es dauerte geschlagene zehn Minuten, bis ich mich aus der Umklammerung der Scharte lösen konnte und endlich Höhe gewann. Zehn endlose Minuten, die sich mindestens wie eine halbe Stunde anfühlten. Glücklicherweise entwickelte sich aus dem zähen Nullschieber letztlich doch noch ein brauchbarer Bart, in dem ich auf fast 4’000 m klettern konnte. Ein letzter Blick nach unten – hier hatte ich gerade noch Achten fliegend an den Felsen gekratzt – dann richtete ich den Flieger auf und nahm direkt Kurs auf den Theodulpass, den fast 3’300 m hohen Übergang nach Italien zwischen Breithorn und Matterhorn. Kurz vorher nochmals etwas Höhe gewinnen – und dann hatte ich es mit Überfahrt über den Grat geschafft.
Zurück im Mattertal
Nun hatte ich etwas Muße, um den Vorbeiflug am Matterhorn zu genießen – zum Vierten und letzten Mal in diesem Urlaub. Ciao und hoffentlich bis zum nächsten Jahr!
Das Sperrgebiet um Aosta umflog ich – den Ärger von Dienstag brauchte ich nicht nochmal. Flugplan hin oder her. Der weitere Heimflug über die bekannte Route durch Vanoise, Maurienne und Briançonais verlief maximal entspannt und unspektakulär. Beim Blick nach Westen und Osten dämmerte mir allerdings, was für ein Wetterglück ich hatte. Zwischen Grenoble und Lyon sowie an der Grenze zum Turiner Becken standen schwere Gewitter, aber die Schneise dazwischen war extra für mich offengelassen worden – wenn Engel reisen 😀.
Bereits um zwanzig vor sechs rolle ich in Serres aus und werde von Thomas Reuß freudig begrüßt samt Finisher-Foto im Cockpit. Ein unglaubliches Erlebnis liegt gerade hinter mir.
Ein glücklicher Heimkehrer
Ich war einfach glücklich und hatte doch noch gar nicht verarbeitet, was da eben passiert war. Ein halbes Jahr später beim Schreiben dieser Zeilen bin ich immer noch restlos begeistert! Noch weiß ich nicht, ob die doppelte Alpentraverse für mich ein einmaliges Abenteuer bleibt oder nur der Auftakt zu einer Reihe spektakulärer Wandersegelflüge sein wird. Appetit auf mehr hat es auf jeden Fall gemacht!
Fortsetzung folgt. Im nächsten Bericht schaue ich mir den Segelflugzeug-Markt etwas genauer an.