2022 – was für eine Flugsaison! (Teil 2)

Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.

Im Tiefflug über das Massif Central

Autor Martin Knops

Das Fluggebiet, das sich von Serres aus erschließt, ist atemberaubend und auch nach vielen Jahren, über hundert Flügen und achthundert Stunden noch abwechslungsreich. Mehr noch: es bietet auch nach all den Jahren noch neue Varianten, neue fantastische Eindrücke und es gibt sogar noch weiße Flecke auf der Landkarte, die es zu erschließen gilt. In solche weißen Flecken bin ich dieses Jahr an jedem der drei Flugtage vorgestoßen. Die Gletscherwelt zwischen Mt. Blanc und Matterhorn mit 30 Viertausendern hatte ich bislang genauso wenig durchflogen wie die Chartreuse nordwestlich von Grenoble. Und vor allem hatte ich mich noch nie über das breite Rhonetal in das Massif Central gewagt.

Das Rhônetal, Blick auf Valence.

Ein solcher Ausflug aus dem Alpenraum bietet sich natürlich nicht bei jeder Wetterlage an. Aber es hatte mich in den vergangenen Jahren schon mehrfach in den Fingern gejuckt… allein, getraut habe ich mich nie. Zu groß schien mir das Risiko, nach der Talquerung keinen Thermikanschluss zu finden und den Tag frühzeitig auf dem Acker zu beenden. Zugegeben: gegen derartige Bedenken hilft ein Jet im Rücken ungemein. Also nahm ich das Abenteuer nach einem regenbedingten Pausentag frohen Mutes in Angriff.

Eigentlich wollte ich zunächst in den Norden und später in das Zentralmassiv fliegen. Aber der Tag begann durch den Regen des Vortages zäh und als ich kurz nach 12 Uhr in die Luft kam, sah es Richtung Ecrins noch gar nicht einladend aus. Also spontan umgeplant und Richtung Aubenasson, zum Sprungbrett über das Rhônetal. Basishöhen waren im Zentralmassiv mit 2000 m angesagt. Das schien mir ausreichend. Hätte ich mich besser vorbereitet, wäre ich allerdings zu einem anderen Schluss gekommen. Schließlich handelt es sich beim Massif Central um eine Hochebene, 1300 bis 1500 m über dem Meeresspiegel. Für die, die nicht mitgerechnet haben: 500 bis 700m über Grund sind selbst in landbarem Terrain nicht gerade üppig…

Für den Sprung über das Rhônetal wollte ich natürlich so viel Höhe wie möglich tanken, aber wie üblich fiel die Basis hier deutlich ab und letztlich mussten 1600 m für den Absprung reichen (Flugdetails).

Auch die bewaldeten Hügel mitten im Rhônetal brachten nicht das erhoffte Steigen und so baute sich unerwartet vor mir das Sperrgebiet um das AKW Cruas zum unüberwindbaren Hindernis auf. Eben noch war mein Plan, die erste Wolke hinter dem Atomkraftwerk anzufliegen und dafür das Sperrgebiet zu überfliegen. Nun musste ich nördlich um das AKW herum und mir war klar, dass es richtig knapp werden würde, den dringend nötigen Thermikanschluss zu finden. Voraus lockten herrliche Wolken – unerreichbar. Nördlich und noch eine ganze Ecke entfernt stand über den ersten Hügeln eine zerfaserte Wolke. Die musste es bringen. Warum nur hatte ich die kurzen Ohren montiert? Die Extra-Gleitpunkte der 21 m hätte ich jetzt gut gebrauchen können…

Das Atomkraftwerk Cruas im Rhônetal.

In 200 m über Grund lupfte es – das Landefeld im Tal fest im Blick. Spannend blieb es aber noch unendlich gedehnte Minuten. Meterchen für Meterchen ging es nach oben. Oder besser gesagt: 3 Meter hoch und 2 wieder runter. Schließlich entwickelte sich doch noch ein vernünftiger Aufwind und wenig später konnte ich aufrichten und Kurs nach Westen nehmen. Der Einstieg ins Zentralmassiv war geschafft. Dachte ich und fand mich kurz darauf wieder in 200 m über dem rapide ansteigenden Gelände. Immerhin ging es jetzt mit gutem Steigen Richtung Wolkenuntergrenze. Aber spätestens hier wurde mir bewusst, auf was ich mich heute eingelassen hatte. Das Wolkenbild lud zum schnellen Vorfliegen ein – eine fast teuflische Versuchung. Ein verpasster Aufwind, ein Moment der Unkonzentriertheit und die Orientierung musste sofort statt nach vorne nach unten gehen – oder besser in die Ferne, querab vom Kurs Richtung potentiell landbaren Geländes.

Mont Devès.

Glücklicherweise blieb mir ein weiterer Tiefpunkt erspart und es gelang mir, die herrliche Landschaft aufzusaugen und zu genießen. Hier war ich sicher nicht zum letzten Mal – so toll!

Das Hochplateau des Massif Central

Der Wiedereinstieg in die Bergwelt der Haute Provence gestaltete sich leider fast so spannend wie Stunden zuvor der Sprung ins Zentralmassiv. Wieder tief über der ersten Rippe, wieder kämpfend im schwachen Steigen. Aber auch das war irgendwann geschafft. Nun kannte ich mich wieder aus, nun war ich zurück in vertrautem Terrain und obwohl immer noch tief steigerte ich mich schnell in einen regelrechten Flow.

Unter der westlichen Hangkante des Parc National du Vercors.

Unter Hangkante am Vercors entlang, rüber zum Pic de Bure, erst dort die ersten wenigen Kreise. Weiter in die Ecrins, rauf auf den Parcours Royal, diesen komplett nach Norden durchgeflogen und raus aus der Umzingelung der Beinahe-Viertausender ins „freie Gelände“. Alles im Geradeausflug – es lief! Die nächste Wolke katapultierte mich regelrecht über 4000 m und weiter geradeaus durch die Vanoise zur Konvergenz an der italienischen Grenze, knapp südlich des Gran Paradiso.

Beeindruckende Optik entlang der Konvergenzlinie an der italienisch-französischen Grenze.

Von dort aus ging es ohne einen einzigen Kreis zurück in die Ecrins, den Parcours Royal und den Parcours herunter bis an die Gorge du Verdon am östlichen Ende des Lac de St. Croix. Wahnsinn! Nun den Parcours nochmal herauf bis an den Morgon und zurück nach Serres. Ein Flug für die persönlichen Annalen. Wow!

(Fortsetzung folgt).

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