Zu spät für Aussenlandung entschieden

Ereignisse und Flugverlauf
Der Pilot war mit seinem Ventus-2cM um 12:21:30 Uhr1 am Sonderlandeplatz Lüsse im Eigenstartverfahren zu einem Streckensegelflug gestartet. Laut Zeugen verliefen der Start und der Steigflug mittels Motorhilfe störungsfrei. Das Triebwerk wurde um 12:27 Uhr in etwa 800 m AGL abgeschaltet und der Propellerpylon eingefahren.

Flugverlauf und Unfallszenario
Laut den Flugdaten war der Verlauf des Streckensegelfluges über eine Zeit von etwa 2:30 Stunden unauffällig. Die gewählte Strecke führte in westliche Richtung. In relativ regelmäßigen Intervallen erfolgten immer wieder kurze Höhengewinne im thermischen Aufwind. Nur zweimal betrug die geringste Höhe etwa 500 m AGL, woran sich aber jedes Mal größere Höhengewinne anschlossen.

Ab 14:51 Uhr setzte ein stetiger Höhenverlust von eingangs etwa 1’025 m AGL ein. In dieser Phase, bis 15:20 Uhr, konnte die Flughöhe zweimal stabilisiert werden, nahm aber innerhalb dieser halben Stunde trotzdem um insgesamt etwa 600 m ab. Der letzte Vollkreis wurde um 15:25 Uhr in etwa 280 m AGL beendet. Die Flugphase, in der die Motorgeräusche aufgezeichnet wurden, wurde in 93 m AGL beendet. Unmittelbar danach schloss sich eine etwa 90°-Rechtkurve in den Endanflug zur Außenlandung an. Der Endanflug führte laut den Zeugen durch die Lücke in einer Baumreihe. Die Geschwindigkeit lag in dieser Flugphase im Bereich von 90 km/h, zum Ende der Aufzeichnung hin war sie abnehmend.

Das von den Zeugen beobachtete abrupte Hochziehen und Abkippen konnte mit der Flugwegdatenauswertung zwar nicht nachgewiesen werden, aber das Spurenbild an der Unfallstelle belegt den Aufprall aus einer nahezu senkrechten Sturzfluglage. Der Aufprall erfolgte zuerst mit dem Cockpit und der rechten Tragfläche. Dem schloss sich eine Drehung um etwa 270° um die Hochachse bis in die Endlage an.

Die Abbildung 8 zeigt das Flugprofil über Höhen- und Geschwindigkeitsverlauf für den Zeitraum nach einem letzten Rechtsvollkreis, der um 15:25 Uhr beendet wurde, bis zum Ende der Datenaufzeichnung um 15:27:20 in der Nähe der Unfallstelle. Um 15:25:48 Uhr begann die Aufzeichnung des Motorsensors (gelber Bereich). Wenige Sekunden später erhöhte sich die Geschwindigkeit (blau) um 47 km/h und erreichte ihr Maximum mit 137 km/h, um danach wieder auf etwa 100 km/h zu fallen. In dem gelb markierten Zeitintervall reduzierte sich die Flughöhe von 228 m AGL auf 93 m AGL (die entsprechenden Höhen AMSL aus dem Flugprofil sind rot angegeben). Die Aufzeichnung des Motorgeräusches endete um 15:26:36 Uhr

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Der Motorsegler lag etwa 62 m von einem nördlich und quer zur Anflugrichtung verlaufenden Feldweg entfernt in einem Feld mit etwa ein m hoher Wintergerste (Abb. 915). Das Feld hatte eine Länge von etwa 800 m und stieg flach an. Die Breite betrug etwa 700 m. Es war von einem befestigten landwirtschaftlichen Weg umgeben und hindernisfrei. Der Anflug war in Richtung 170° und durch die Lücke einer Baumreihe erfolgt. Diese Baumreihe lag etwa 400 m vor der Unfallstelle.

Das Cockpit war zerstört. Der Rumpf war hinter den Tragflächen, im Bereich der Endleisten, abgebrochen. Er war etwa 40° nach links abgewinkelt. Das Fahrwerk war halb ausgefahren, aber nicht verriegelt. Die Position des Fahrwerksbedienhebels konnte nicht identifiziert werden. Die linke Tragfläche hatte oberflächliche Beschädigungen in der Beplankung, im Bereich der Trennstelle zwischen Innen- und Außenfläche. Die rechte Tragfläche war an der Trennstelle zwischen Innen- und Außenfläche gebrochen. Die Wölbklappen waren leicht nach oben ausgeschlagen. Die Bremsklappen waren eingefahren. Die Hebelstellungen im Cockpit konnten nicht identifiziert werden. Der Verlauf der Steuergestänge und Steuerseile konnte bis in den Bereich des Cockpits nachvollzogen werden. Im Cockpit selbst war dies auf Grund der Zerstörung nicht möglich.

Die Untersuchung der Motor-Propellereinheit ergab folgenden Befund:

  • Der Propellerpylon war ausgefahren.
  • Das Fangseil zwischen Propellerpylon und Rumpf war rumpfseitig abgerissen. Das Seil zeigte keine Spuren, die darauf hindeuteten, dass es sich im Propeller verfangen haben könnte.
  • An dem zweiblättrigen Propeller befand sich an einem Blatt eine etwa 1 cm tiefe Beschädigung an der Nasenkante. Diese Einkerbung konnte aufprallbedingt dem Rahmen der Cockpithaube zugeordnet werden.
  • Der Motor war äußerlich unbeschädigt und konnte leicht durchgedreht werden, nachdem die Zündkerzen herausgeschraubt wurden.
  • Die Zündkerzen waren trocken, an den Masseelektroden befanden sich keine Ablagerungen.
  • Im Vergaser wurde kein Kraftstoff festgestellt.
  • Die Stellung des Brandhahns konnte nicht identifiziert werden.
  • Am Ausgang der Kraftstoffpumpe war die Kraftstoffleitung eingerissen. An der Pumpe, an anderen Bauteilen im umgebenden Bereich, am Rumpfboden, im Fahrwerksschacht und an der rechten Fahrwerksklappe befand sich ein Schmierfilm aus Kraftstoffrückständen und Schmutzpartikeln.
  • Im Rumpftank befanden sich etwa 8 l Kraftstoff.

Zwei Zeugen beobachteten den Unfall.
Ein Zeuge bemerkte ein „Zischen“, konnte dies für einen Augenblick aber nicht zuordnen, bis er ein anfliegendes Segelflugzeug sah, das durch die Lücke einer Baumreihe flog. Es sei sehr schnell und sehr nahe an einem LKW vorbeigeflogen, der auf einer Wiese stand und mit Heuballen beladen wurde. Den weiteren Flugverlauf konnte er nicht beobachten, weil ihm der LKW die Sicht versperrte. Der zweite Zeuge, der sich etwa 640 m östlich der Unfallstelle aufhielt, gab an, dass das Segelflugzeug etwa 5-6 m hoch über der Wiese war. Auf Höhe des LKW habe die „Flugzeugnase plötzlich steil nach oben gezeigt“. Er habe die erreichte Höhe auf etwa 20 m geschätzt. Dann sei es abrupt „nach vorn übergekippt“. Der Aufprall auf den Boden sei „sehr steil“ erfolgt.

Erfahrung, Entscheidungen und Handlungen des Piloten
Der Pilot verfügte über die luftrechtlich vorgeschriebene Lizenz und die erforderliche Berechtigung. Mit einer Gesamtflugerfahrung von über 1’000 Stunden, die er in den 16 Jahren seit dem Erwerb der Lizenz erworben hatte, galt er als erfahren. Dabei ist die Erfahrung auf dem betroffenen Muster hervorzuheben, 628 Stunden in den letzten vier Jahren, davon 43 Stunden in den letzten 30 Tagen. Er war ein erfahrener Strecken-Segelflieger. Dem gegenüber stand aber, bezugnehmend auf die Flugbuch-Nachweise ab 2017, dass er keine aktuelle Außenlandeerfahrung hatte. Den Zeugenaussagen folgend, wird eingeschätzt, dass der Pilot bei Antritt des Fluges fit und auf einen mehrstündigen Flug gut vorbereitet war. Auch der Flug selbst schien in den ersten etwa 2:30 Stunden, abgesehen von der üblichen mentalen Belastung eines Strecken-Segelfluges, stressfrei verlaufen zu sein. Der letzte effektive Höhengewinn erbrachte um 14:51 Uhr eine Flughöhe von etwa 1’025 m AGL. Der danach über eine halbe Stunde dauernde Versuch, den Streckensegelflug doch noch fortsetzen zu können, endete in immer geringerer Flughöhe.

Letztendlich bedingt durch die sich verschlechternden thermischen Verhältnisse, was zwischen den beiden Piloten auch besprochen wurde. Hier hätte er frühzeitig seine Flugtaktik den Bedingungen anpassen müssen, d. h. er hätte das Triebwerk rechtzeitig starten und eine Außenlandung zumindest in der Entscheidungsfindung berücksichtigen müssen. Der Pilot handelte aber entgegen seines eigenen und von Zeugen beschriebenen Sicherheitsbewusstseins „der lieber einmal mehr im Flug den Motor zu nutzte“. Die Entscheidung des Piloten, das Triebwerk in einem Höhenband zwischen 500-400 m AGL noch nicht anzulassen, war wahrscheinlich beeinflusst von den geographischen Bedingungen der Magdeburger Börde, denn in der Gegend reiht sich sozusagen Außenlandefeld an Außenlandefeld.

Spätestens nach 15:03:30 Uhr hätte er das Triebwerk anlassen müssen, um noch eine Höhenreserve zu haben, falls das Triebwerk nicht sofort anspringt. Eventuell löste der geringe Höhengewinn von etwa 100 m – um 15:20 Uhr erreichte das Segelflugzeug nochmal 430 m AGL – in ihm die Vermutung aus, dass er den Streckenflug noch fortsetzen könne. Um 15:22:56 Uhr, nur noch etwa 300 m über Grund, leitete er einen Vollkreis ein. Wahrscheinlich hatte ihm das Variometer nochmals Steigen angezeigt, oder es handelte sich um einen Suchkreis für ein Außenlandefeld. Es blieb bei dem einen Kreis.

Spätestens jetzt, nachdem seit rund einer halben Stunde klar war, dass die thermischen Verhältnisse eine Fortsetzung des Streckensegelfluges nicht zuließen, hätte er dem landefeldorientierten Anflugverfahren, dem Ausfahren und Anlassen des Triebwerkes allerhöchste Priorität einräumen müssen. Das Segelflugzeug hatte noch eine Höhe von etwa 300 m AGL, die weiter abnahm. Die Möglichkeit, das Notverfahren zum Anlassen des Triebwerkes im Fluge durchzuführen, bei dem der Hersteller im Flughandbuch einen Höhenverlust von 150-200 m angibt, war nicht mehr gegeben. Der Pilot hätte hier bereits das Anflugverfahren zu einem ausgewählten Außenlandefeld beginnen müssen.

Nach dem letzten Vollkreis – ausgeleitet um 15:25 Uhr – hat er den Propellerpylon ausgefahren. Anschließend, 48 Sekunden nach dem Ausleiten des Vollkreises und nur noch 228 m über Grund, wurden Motorgeräusche aufgezeichnet, d. h. der Pilot hat versucht, den Motor zu starten. Die aufgezeichneten Motorgeräusche lassen folgende Interpretation der Handlungen und Entscheidungen des Piloten zu (Abb. 8):
Nach dem Ausfahren des Propellerpylon betätigte der Pilot den Anlasser für wenige Sekunden, das Triebwerk sprang aber nicht an. Dann wendete er sofort das Notverfahren „Emergency procedure for starting the engine in flight“ an, indem er das Höhensteuer nachdrückte und Fahrt aufnahm (der entsprechende Höhenverlust korrespondiert mit der Geschwindigkeitszunahme). Dass er den Motorsegler nicht, wie im Notverfahren vorgesehen, bis auf 160 km/h beschleunigte, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dem Umstand zuzurechnen, dass er sich der geringen Höhe über Grund bewusst war und nicht noch mehr Höhenverlust provozieren wollte. Danach war ein weiterer Anlassversuch aufgezeichnet. Die Anlassversuche dauerten 48 Sekunden und kosteten 135 m Flughöhe. Unmittelbar mit Beendigung der Anlassversuche leitete er in etwa 90 m AGL eine Rechtskurve ein, um ein Außenlandefeld anzusteuern. In dieser Flugphase, die Geschwindigkeit lag im Bereich von 90 km/h, hatte er sich sehr wahrscheinlich nur noch auf den Landeanflug konzentrieren können, denn er hatte weder für das Einfahren des Propellerpylons noch für die Konfigurierung des Motorseglers für die Landung Kapazitäten übrig. Der ausgefahrene Propellerpylon hätte für die Außenlandung auch kein schwerwiegendes Problem dargestellt.

Laut den Flugdaten wählte der Pilot eine zu geringe Anfluggeschwindigkeit (TAS, Abb. 8). Sie betrug etwa 90 km/h, in den letzten Sekunden abnehmend. Aber 115 km/h wären laut Handbuch erforderlich gewesen. Wie es zu dem Hochziehen beim Passieren des LKW gekommen war, konnte nicht mehr rekonstruiert werden. Entweder war er darauf fokussiert, die Lücke in der Baumreihe zu treffen und hatte somit den LKW erst spät entdeckt und den Motorsegler infolge dessen abrupt hochgezogen, oder es kam zu einem unbewussten Hochziehen beim Konfigurieren des Motorseglers für die Landung.

Die zu geringe Anfluggeschwindigkeit, insbesondere bei ausgefahrenem Propellerpylon, führte bei dem beobachteten Hochziehen dann sehr schnell zu einem Strömungsabriss, auf den der Pilot nicht mehr reagiert hat bzw. reagieren konnte. Für ein Ausleiten des überzogenen Flugzustandes war die Höhe über Grund viel zu gering.

Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist auf ein riskantes Außenlandemanöver zurückzuführen, wobei es im unkontrollierten Flugzustand zum Aufprall auf den Boden kam. Die Geschwindigkeit im Anflug war zu gering und der Motorsegler nicht für eine Landung konfiguriert. Der Anflug war insgesamt nicht stabilisiert.

Beitragende Faktoren:

  • zu spät getroffene Außenlandeentscheidung
  • keine aktuelle Außenlandeerfahrung, respektive kein Außenlandetraining

Quelle und vollständiger Bericht: ‚BFU, Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchung‚.

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