Bayreuth, DM im Segelflug, Tag 8, 5.Juni 23

->> Rückblick auf den siebten Wertungstag.

Autor: Martin Knops

Mittlerweile schreiben wir Montag, den 5. Juni. Wertungstag acht von acht möglichen, Flugtag 10 einschließlich der beiden Trainingstage. Zehn Tage am Stück; eigentlich ein Traum, aber so langsam ging der eine oder andere doch sichtbar auf dem Zahnfleisch. Der schwelenden Diskussion um den überfälligen Pausentag nahm die Wettbewerbsleitung am Anfang des Briefings den Wind aus den Segeln: Morgen sollte es endlich so weit sein!

Aber heute wolle man nochmal ein Wetterfenster nutzen. Im Westen blau, im Südosten verbreitet gewittrig, dazwischen extra für uns ein Streifen mit schöner Wolkenthermik, wie immer garniert mit einem strammen Ostwind. Zumindest für eine kurze, knackige AAT sollte es reichen. Zwei Stunden nach Westen, minimal 166, maximal 278 km. Noch vor dem Start legten Conrad und ich die grobe Taktik fest: Früh abfliegen, um sicher vor den von Osten aufziehenden Gewittern zurück zu sein, den ersten Sektor weit nach Nordwesten ausfliegen, um auch bei hoher Schnitt-Geschwindigkeit im zweiten Sektor noch genug Spielraum zu haben, dann möglichst früh Endanflughöhe tanken und möglichst genau die zwei Stunden Wertungszeit treffen. Was kam, war ein echtes Rennen – und ein kleiner Stresstest für uns als Team.

Los ging es im ICE-Tempo: 80 km nur geradeaus, mit Rückenwind von Wolke zu Wolke ohne jeden Höhenverlust. Erst dann zum ersten Mal kurbeln, 700 Höhenmeter mit 2,5 m/s integriert bis an die hier deutlich höhere Basis und schon ging es weiter, nun in über 2000 m MSL. Mit Siebenmeilen-Stiefeln näherten wir uns jetzt bereits dem nordwestlichen Rand des Wendesektors. Ein Blick aufs LX offenbarte berauschende 150 km/h Durchschnitts-Geschwindigkeit! Voraus wurde es nun blau. Hochziehen unter der letzten Wolke – kein lohnendes Steigen. Also Abdrehen nach Süden Richtung Schweinfurt; nur knapp vier km fehlten noch zum maximalen Ausfliegen des Sektors.


Für mich war die Entscheidung zum Abdrehen klar und passend zur vorab verabredeten Taktik. Schließlich waren wir 36 von 40 möglichen Kilometern durch den Wendesektor gedüst. Nach meinem Verständnis hatten wir ihn damit (fast) maximal ausgeflogen. Auch die letzten 4 km noch mitzunehmen, hätte acht km Gleitflug durchs Blaue bedeutet. Warum hätten wir das tun sollen?

Nun, es wurde schnell klar, dass Conrad einen anderen Plan im Kopf hatte und die Situation anders bewertete. Wir waren noch lange nicht am Rande des Sektors, es fehlten noch vier km. Aus über 2000 m Höhe acht km durchs Blaue zu fliegen, wäre gar kein Problem. Wir hatten doch am Boden bereits besprochen, dass wir den ersten Sektor maximal ausfliegen wollten. Die Gründe hierfür waren nach wie vor gültig – mehr denn je sogar angesichts der Wahnsinns-Speed, mit der wir bislang durchs Frankenland gebrettert waren. Wer von uns beiden hatte nun Recht, wer lag richtig mit seinem Plan?

Die richtige Antwort lautet: man weiss es nicht. Vermutlich hätte es schlicht und einfach keinen Unterschied für unsere Tagesplatzierungen gemacht, wenn wir weitergeflogen wären. Conrads Befürchtung, dass uns am Ende die Kilometer ausgehen und wir zu früh zurückkommen würden ohne diese acht Kilometer, bestätigte sich jedenfalls (leider) nicht. Dazu unten mehr.

Klar ist aber, dass wir in dieser Situation ein echtes Kommunikations-Problem hatten. Aus Conrads Sicht war ich völlig überraschend abgedreht und hatte damit unseren schönen Plan über den Haufen geworfen. Zähneknirschend folgte er mir – und beschwerte sich schon kurz darauf über meine einsame Entscheidung – eine Entscheidung ohne jede vorgeschaltete Kommunikation oder gar Diskussion. Aus meiner Sicht hatte es dieser Kommunikation nicht bedurft, da ich von unserem ursprünglichen Plan gar nicht abgewichen war… Weniger denken, mehr mit dem Teampartner reden – das ist wohl die Lehre aus dieser Geschichte.

Keine fünf Minuten später stolperte ich in den Bart des Tages. 3,5 m/s integriert über 500 Höhenmeter. Wow! Conrad kam zwei Kreise später an, erwischte nur 2,5 statt 3,5 m/s; Ruck-zuck waren so 300 Höhenmeter zwischen uns – und das Team gesprengt. Ich musste alsbald los, Conrad stieg immer schlechter, so, dass Warten aus meiner Sicht keinen Sinn machte. Zwei Etagen tiefer mitzukommen, war für Conrad seinerseits keine Option und voilà – so schnell entsteht ein Infoteam. Fortan informierten wir uns auf diesem Flug also nur noch über Standort, Thermikgüte, Flugwegpläne. Gesehen haben wir uns erst wieder am Boden…

Unsere Teamperformance war an diesem Tag also „mehr so mittel”, um es euphemistisch auszudrücken. Trotzdem lagen wir bisher fantastisch im Rennen. Viel besser hätte es nicht laufen können auf den ersten 100 km. Nun folgte ein weiterer 70 Kilometer langer Gleitflug ohne einen einzigen Kreis – im Unterschied zum Ritt unter der Wolkenstraße auf dem ersten Schenkel ging es diesmal aber sehr wohl bergab. In knapp 800 m über Grund fühlte ich mich dann tief genug, um knappe 2 m/s anzunehmen – eine Sicherheitsentscheidung, die zumindest nicht ganz falsch war. Etwas Besseres hatte ich auf dem ganzen langen Gleitflug nicht durchflogen. Genauso richtig war die Entscheidung, nach gut 300 m Höhengewinn weiterzufliegen, um nach weiteren acht Kilometern Strecke gute 1000 m in über 3 m/s zu tanken! Ich war wieder im Flow, gefühlt auf dem Weg zum Tagessieg. Jetzt hielt ich mich etwas südlich vom Kurs und querte den Nürnberger Luftraum. Mittlerweile hatte es etwas überentwickelt, aber ich blieb guter Dinge und sah mich schon knapp über oder unter der Mindestwertungszeit von zwei Stunden über die Ziellinie düsen.

Und dann kam – für mich völlig unerwartet – der Absturz und es wurde nochmal richtig spannend! Das Elend begann nördlich der Friesener Warte. Wer die Gegend kennt, weiss, dass sich hier ziemlich schroff und abrupt die Fränkische Schweiz aus der Umgebung erhebt. Gut 400 m hoch ist die grob in Nord-Süd-Richtung verlaufende Abbruchkante, garniert mit Taleinschnitten und Vorsprüngen. Thermisch ist gerade diese Kante der fränkischen Schweiz in der Regel sehr ergiebig. Eigentlich findet sich immer ein Hang, der gerade optimal von der Sonne beschienen wird.

Völlig unterschätzt hatte ich allerdings bei den heutigen Windverhältnissen den ausgeprägten Leeeffekt westlich der Abbruchkante, verstärkt noch durch Düseneffekte in den Scharten und Taleinschnitten. Auf nicht einmal zehn Kilometer Strecke verlor ich mit meinem voll getankten Offene-Klasse-Flieger weit über 600 m, ein regelrechter Sturz ins Bodenlose, an dessen Ende ich mich mit nur 400 m Luft unter den Flügeln über dem Hochplateau der Fränkischen Schweiz wiederfand. Eben machte ich mir noch Sorgen darum, dass ich möglicherweise zu früh die Ziellinie kreuzen könnte. Jetzt galt es, den Hebel komplett umzuschalten auf “oben bleiben”, “nicht außenlanden”.

Über mir breitete sich eine ausladende Cumulus congestus aus. Irgendwo musste es hier hochgehen, gut eigentlich sogar. Aber es war bereits großräumig abgeschattet und ich einfach schrecklich tief. Zunächst suchte ich auf Kurs, gegen den Wind. Ein Suchkreis, nichts. Weiter. Nichts. Hier hörte die Wolke auf, weiteres Vorfliegen machte keinen Sinn, die nächste Wolke war schlicht unerreichbar. Also Kehrtkurve, mit Rückenwind zurück unter die Wolke, nochmal alles absuchen. Tatsächlich finde ich einen guten Meter. Das muss jetzt reichen. Ich habe keine Alternative. Nach einigen Kreisen nochmals deutlich verlagern. Hier geht es besser, immerhin 2 m/s.

Mir ist natürlich bewusst, was ich gerade für einen Mist fabriziert hatte, dass ich dabei war, mich auf diesem schnellen, kurzen Rennen in Rekordzeit von ganz vorne nach ganz hinten zu schiessen. Und unter diesem psychischen Druck begehe ich direkt den nächsten Fehler! Ich verlasse den gar nicht so schlechten Aufwind unter Endanflughöhe, vertraue darauf, dass ich auf dem weiteren, durch Wolken gezeichneten Weg an den Gleitpfad heransteigen werde.

Genau dies gelingt aber nicht wirklich und stattdessen sorgt der kühne Plan in der folgenden Viertelstunde für jede Menge Stress im Cockpit. Verzweifelt nehme ich die Fahrt immer weiter zurück, surfe jeden Wolkenfetzen ab, mache hier und dort einen Schlenker, ärgere mich zunehmend darüber, dass ich nicht einfach 100 m mehr mitgenommen habe im letzten Bart, dass ich beim Vorfliegen nicht doch mal eingekreist bin, als das Variometer ausschlug. Schließlich weiche ich deutlich nach Süden aus, fliege noch eine Wolke ab, in der Hoffnung, dass mich diese -zwar auf einem deutlichen Umweg, aber immerhin- über die Ziellinie heben würde. Und tatsächlich: mit Minimalfahrt und weniger als 10 m Puffer schleppe ich mich über die Linie. Was für ein Ritt, was für ein Mist – und doch: was für ein geiler Flug!

Fünfzehn km/h fehlen mir auf Holger Karow als Tagessieger, 7 km/h auf Conrad, der auf einem anderen Flugweg von einem Absetzer verschont blieb und nichts von meinen Schwierigkeiten ahnte. Ohne den Aussetzer kurz vor dem Ziel hätte ich mich irgendwo zwischen Platz drei und fünf einsortiert. So wurde es Platz 15 und auch in der Gesamtwertung ging es einen Platz nach unten auf Rang sieben. Nur einen Platz! Gerade nochmal gut gegangen – Schwamm drüber.

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