Bayreuth, DM im Segelflug, Tag 7, 4. Juni 2023

->> Rückblick auf den sechsten Wertungstag.

Autor: Martin Knops

Bislang hatte ich mich bei dieser Deutschen Meisterschaft bravourös geschlagen. Im Vorfeld hatten Conrad und ich unsere Erwartungen ausgetauscht und abgesteckt. Wir fühlten uns stark genug für einen Platz unter den ersten zehn. „Best of the rest“ hinter all den EB29R, pilotiert von aktuellen oder ehemaligen Welt- und Europameistern. Nach den ersten sieben Tagen lag ich auf Platz sechs und war damit in die Phalanx der EB29R, der Welt- und Europameister vorgedrungen.

Überwältigend, phantastisch, phänomenal – fast zu schön, um wahr zu sein. Doch von nun an ging es abwärts, beginnend eigentlich bereits mit ebendiesem siebten Wertungstag, an dem ich meinen Platz in der Gesamtwertung zwar noch verteidigen konnte, an dem ich aber nur glücklicher 14. wurde – abgehängt um fast eine Stunde von Michael Sommer und Markus Frank. Sechzig Minuten, das ist auch auf 600 km eine Welt. Trotzdem war ich glücklich. Glücklich, meinen Platz verteidigt zu haben, glücklich, überhaupt nach Hause gekommen zu sein.

Genau darum musste ich die letzten eineinhalb Stunden kämpfen, nachdem es schon vorher mehrmals tief und spannend gewesen war.

Was war geschehen? Die tolle Luftmasse des Vortags war mittlerweile gealtert. Über den Kämmen des Erzgebirges sollte es aber eine durch Wolken gezeichnete Konvergenz geben – wunderbar. Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde es die Sportleitung gut mit uns meinen. Ausgeschrieben wurden 600 km praktisch als Ziel-Rückkehrstrecke entlang des Erzgebirges bis an die polnische Grenze. Allerdings hatten die Planer eine fiese Ecke für uns eingebaut. Ein einfaches Rennen entlang der Konvergenz schien offensichtlich zu langweilig. Der ein oder andere „Ochser“ sollte schon dabei sein.

So lag die erste Wende schließlich nördlich Görlitz in einer Ecke, in die es wohl noch nie freiwillig einen Segelflieger verschlagen hatte. Aus dem segelfliegerischen Paradies mussten wir gut 50 km ins Blaue, flache, thermisch schlechte Gebiet und unter der Absinkinversion wieder zurück ins Gebirge. Um sich so etwas auszudenken, braucht es schon eine sadistische Ader :-). Wobei die Wettbewerbsleitung vermutlich am Ende zufrieden war – die Spreu war vom Weizen getrennt, und es waren immer noch 80 Prozent Heimkehrer – Mission accomplished!

Leider war ich diesmal eher bei der Spreu als beim Weizen dabei…

Der Reihe nach:
Der sonst so schwierige Einstieg in das Erzgebirge gestaltete sich diesmal denkbar problemlos und alsbald genossen wir auf den ersten 200 km die phänomenale Konvergenzlinie des Erzgebirges. Es hatte sich ein kleiner Pulk gebildet. Unter anderem war Markus Frank mit dabei und erwartungsgemäß bekamen wir im direkten Vergleich mit der EB29R zunehmend einen langen Hals. Langsam, aber unaufhaltsam entschwand Markus unseren Blicken. Querab Pirna wurde es blau. Bis hierher hatte Markus sich etwa acht Minuten Vorsprung herausgeflogen. Beachtlich, aber er war immer noch in Reichweite und wir sahen ihn Kurs auf Görlitz nehmen, während wir uns weiter südlich hielten. An der Wende betrug der Rückstand 14 Minuten, beim Einstieg ins Zittauer Gebirge 22 Minuten, auf Höhe Pirna 28 Minuten. Murks (so Markus‘ Spitzname seit Akafliegtagen) hatte uns richtig abgekocht! Und damit ganz nebenbei die Weisheit widerlegt, dass Alleinflieger im Blauen gegen einen Pulk chancenlos sind. Dies gilt offenkundig nicht für einen Angstpulk, wie wir einer waren. Angstpulks gelingt es nicht, Aufwinde optimal zu nutzen. Wo ein oder zwei Flieger steil und eng kreisen, dümpeln Pulks mit geringer Querneigung herum. Verliert die aufsteigende Warmluftblase langsam an Kraft, so verzögert der Pulk die Entscheidung zum Weiterflug. Keiner will als erster los mit der Meute im Rücken, die aufgefächert vorfliegend möglicherweise hinter einem einkreist. Angstpulks sind auf dem Niveau einer Deutschen Meisterschaft eigentlich selten, aber hier kamen alle Zutaten zusammen: zweifelhaftes Wetter voraus, keine klar identifizierbaren Thermikauslöser, Sorge, abgestreift zu werden und aussenlanden zu müssen.

Umso mehr Respekt gebührt Murks, der sich über dem Erzgebirge gerade genug Vorsprung herausgeflogen hatte, um im Blauen nicht als Thermikboje missbraucht werden zu können, der den Mut und das Selbstvertrauen hatte, sich als einsamer Wolf durchs Blaue zu kämpfen, der dies bravourös meisterte und die kurzlebigen Warmluftblasen bestmöglich nutze.

Was hätten Conrad und ich besser machen können? Eine etwas ungewöhnliche Idee hatte ich im Nachhinein: In einem unbeobachteten Moment Wasser ablassen! Altmeister Bruno Gantenbrink hat es mit seiner vergleichsweise leichten Nimbeta vorgemacht: besser Steigen, dadurch „alleine“ eng kreisen können, damit noch besser steigen und dank der langsamen Vorfluggeschwindigkeiten auch im nächsten Aufwind höher ankommen, wo sich das Spiel wiederholt. Am Ende ist er uns weggeflogen. Wir waren alle zu schwer und haben mit der Aussicht, irgendwann wieder unter der Konvergenz anzukommen, kein Wasser geschmissen. Retrospektiv ein Fehler!

Das ist aus meiner Sicht eine echte Erkenntnis: Spätestens, wenn man das zweite Mal einen Aufwind um oder gar unter 1 m/s annimmt: Wasser raus! Was man hier mit dem schweren Flieger verliert, holt man später nie wieder auf. Hinzu kommt der beschriebene taktische Vorteil durch ein leichtes Flugzeug.

Endlich zurück auf dem Erzgebirge, versprach es ein entspannter Rückflug zu werden. Die Konvergenz stand nach wie vor, gezeichnet durch 1/16 flacher Cumuli, alles bereit für ein schnelles Rennen Richtung Heimat. Planmäßig wollten wir vor dem Ausflug aus dem Erzgebirge maximal Höhe tanken, der richtige Hammerbart würde sich hierfür schon finden. Wenn nicht unter Wolke 1, dann unter Wolke 2, Wolke 3 oder… um es kurz zu machen: sorgte üblicherweise der Einflug ins Erzgebirge für schweißnasse Hände, so war es heute der Ausflug, der uns völlig misslang. Nirgendwo ging es vernünftig hoch und ehe wir uns versahen, lag das Erzgebirge hinter uns…

Nun war guter Rat teuer. Auf Kurs zur letzten Wende am Rand des Thüringer Waldes war alles blau. Deutlich südlich noch eine einsame, verlockend ausschauende Wolke. Conrad, der um einiges höher war als ich, flog Kurs, ich peilte die Wolke als letzten Rettungsanker an und schmiss das Wasser. Beide Varianten entpuppten sich als ähnlich gut, beziehungsweise als ähnlich schlecht. Ich brauchte lange, um unter meiner Wolke vernünftig zu steigen und auch Conrad erging es nicht wesentlich besser. Letztlich trafen wir uns kurz vor der letzten Wende wieder und kämpften fortan wieder gemeinsam um die letzten wenigen hundert Höhenmeter, die noch zum Endanflug fehlten. Wir kämpften gemeinsam zusammen mit etlichen Leidensgenossen, während Markus längst seinen Flieger putzte. Wenn die eigene Zeitplanung nicht passt, wenn man am Ende des Tages in die absterbende Thermik kommt, dann wird die Ziellinie zum sprichwörtlichen Sehnsuchtsziel. Dieses gilt es zu erreichen, denn der langsamste Heimkehrer wird gegenüber demjenigen, für den es knapp nicht reicht, immer noch reichlich mit Punkten belohnt. So war ich schließlich überglücklich, doch noch über die Ziellinie zu schleichen, fast eine Stunde hinter den Tagessiegern.

Bevor ich vergesse, es zu erwähnen: es war ein toller Flug! 300 km weg vom Startplatz und wieder zurück, bis an die polnische Grenze, durch Tschechien und viele mir bislang unbekannte Landschaften. Sowas bietet nur Segelfliegen – was für ein wunderschöner Sport!

-> Link zum Flug.
-> Link zur Wertung.

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