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Charlie-Sierra: Have Fun! (Teil 2)

-> Hier finden Sie den ersten Teil der Bitterwasser-Expedition.

Autor Ernst Willi

Peters Tausender
Am Montag, 27. November 2023 starten wir zuversichtlich nach Nordosten. Unser Plan ist, mit einem eleganten Dreieck und einer ersten Wende in der Region von Gobabis, einem zweiten in der Region Gamsberg und einer dritten am Rand der Namib bei Lüderitz Peters ersten Tausender zu fliegen. Schon nach 200 km droht sich dieses Vorhaben unter sich schnell ausbreitender Feuchtigkeit am Rand der TMA Windhoek in Staub aufzulösen. Wir erwischen einen schlechten Start und unser Entscheid, ins gute Wetter zurück zu kehren fällt viel zu spät. Trotzdem entwickelt sich über den wenigen verbleibenden Sonnenflecken glücklicherweise genügend Aufwind, um den Anschluss an die strukturierten Verhältnisse in der Region südlich Windhoeks wieder zu finden.

Unsere 1000er-Pläne drohen von breit laufenden Wolken zugedeckt zu werden.

Viel zu langsam

Bei unserem bisherigen Durchschnitts-Tempo brauchen wir aber im besten Fall elf Stunden für Peters Wunsch-Distanz. Die Uhr zeigt halb zwei und wir haben erst rund 250 km hinter uns und nur noch fünfeinhalb Stunden Tageslicht sowie lächerliche 700 km vor uns. Das wird eng, d.h. konkret, wir kommen nur mit einem Schnitt von mindestens 130 km/h rechtzeitig ins Ziel. So schnell sind wir beide noch nie über eine solche Distanz geflogen. Es wird leise im Cockpit, Enttäuschung macht sich breit. Sollen wir jetzt aufgeben? Angesichts der etwas mauen Wetterprognosen für die verbleibenden Flugtage könnte heute auch gleich die letzte Chance für Peters Vorhaben sein.

Unwirtlich, aber mit starker Thermik: die „Voralpen“ zum Küstengebirge im Nordwesten von Rehoboth.

Tiefpunkt und erster Hoffnungsschimmer

Beim Einstieg in die Berge am Rande der Namib sind wir mit 2’500 m ü.M. an einem echten Tiefpunkt angelangt. Da fliesst plötzlich ein Zaubertrank namens «Konfluenz» in unsere halbleeren Trinkbeutel. Ein rabiater Aufwind spült uns mit bis zu 5 m/sec. wieder auf 4’500 m hinauf. Hoffnung keimt auf. Unser Kampfgeist erwacht. Jetzt wird es mucksmäuschenstill im Flieger.

Eine ausgeprägte Konfluenz bringt uns auf Speed, der zweite Flugabschnitt ist deutlich schneller als unser schwieriger Start.

Geradeaus. Geradeaus. Geradeaus.

Ab jetzt nutzen wir die vor uns liegenden Wolkenstrasse für einen beinahe zwei Stunden anhaltenden Geradeausflug (…). Dabei können wir wie ein Motorflugzeug unsere Ausgangs-Höhe von über 3’500 m ü. M. nicht nur halten, sondern auf über 4’000 m ausbauen. Erst südwestlich von Helmeringhausen drehen wir erstmals wieder auf. Wir sind «back in business». Eeendlich! Jetzt fehlen uns «nur noch» ca. 220 km und wir haben fast drei Stunden Tageslicht übrig. Das schaffen wir nach diesem heissen Ritt mit über 180 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit bestimmt, wenn wir uns jetzt nicht noch irgendwo eingraben.

Ausserdirdische Wüstenlandschaft zwischen Helmeringhausen und Lüderitz.

Endanflug über 200 km

Peter zaubert auf dem Endanflug bei Maltahöhe 500 und ca. 80 km später weitere 400 Höhenmeter auf den Höhenmesser und schippert uns damit sicher und mit etwas Tageslicht-Reserve rechtzeitig «nach Hause». Dass 50 km vor dem Zielpunkt eine Gewitterlinie mit Schauern steht, kann uns auch nicht mehr aufhalten, wir haben ausreichend Höhenreserve im Gepäck, um die Zellen zu umfliegen. Die Freude und Genugtuung über seinen ersten Tausender ist gross. Auch wenn die Namibia-Profis am gleichen Tag längere Distanzen fliegen, sind wir stolz auf den Flug. 1’000 km sind immer weit, die Distanz thermisch zu fliegen, verlangt in jedem Fall Sitzleder und konsequentes Vorfliegen mit deutlich höheren Geschwindigkeiten, als wir uns in den Alpen gewohnt sind. Abends feiern wir mit einer Extradosis Schnupftabak und dem gewohnten roten Gold aus der Flasche. Es ist kein Gerücht, dass der Merlot-Vorrat an diesem Abend in Bitterwasser zur Neige geht und aus Windhoek nachgeliefert werden muss.



Zweiter Tausender mit «Hitchcock-Finale»

Drei Tage später passt unverhofft nochmals alles zusammen. Diesmal ist einfach ständig alles knapp. Die Höhe, das Tageslicht und die technischen Ressourcen. Nach 570 km verabschiedet sich im allerdümmsten Moment – erneut an einem fliegerischen Tiefpunkt westlich von Kiripotib auf 2’500 m ü.M. oder 800 m über Grund – unser Bordrechner mitsamt dem Moving-Map-System. Zu allem Übel laufen in der Region Gamsberg jetzt auch noch die Wolken auseinender und Schauer breiten sich grossflächig aus.

Zuverlässige Thermik befreit uns aus dem Kellergeschoss.

Zum Glück habe ich kurz zuvor noch in der Statistik nachgesehen, wie weit wir denn bisher überhaupt gekommen sind. So addieren wir im Kopf fleissig km-Zahlen aufeinander, rechnen die verbleibende Tageszeit, Durchschnitts-Geschwindigkeiten und Dergleichen, damit unser zweites Tausender-Projekt «nicht in den Bach fällt». Etwa zwei Stunden später erholt sich der vordere Bordrechner überraschenderweise wieder und liefert zusehends plausiblere Flugstatistiken. So können wir im Flug einigermassen zuverlässig kalkulieren, wie weit wir noch nach Südwesten fliegen müssen, um doch einen Tausender voll zu bekommen. Ein erneuter Tiefpunkt erwartet uns nach einer Reihe von geflogenen Umwegen um die niedergehenden Schauer bei der Querung eines breiten Taleinschnittes, aus dem ein trockenes Flussbett namens «Tsondab-River» westwärts in die Namib führt.

Wir kalkulieren mangels Moving Map-System den zweiten Wendepunkt „von Hand“.
Wie weit müssen wir denn nun noch nach Südwesten?“ Wieviel Tageszeit bleibt noch?

Einfliessende Wüstenluft

Bis ich nach endlosen wie erfolglosen Versuchen, Aufwinde zu zentrieren, endlich realisiere, dass es wegen der aus der Namib-Wüste einfliessenden Wüstenluft keine schlaue Thermik mehr gibt, sind wir tief unten im Keller. Die Temperatur, der Herzschlag und die Zahl der Schweigeminuten im Cockpit wachsen exponentiell. Den entscheidenden Hinweis, die Situation zu erkennen, liefern Wolken-Girlanden, die unter einer unerreichbar hoch scheinenden Wolkenbasis scheinbar planlos in der Luft hängen. Offenbar drängt hier die schwerere, kalte Atlantikluft unter die heisse Luftmasse über dem Kontinent und hebt sie an. Das muss der untere Rand der Konfluenz sein. Nichts wie hin!

Jetzt bloss keinen Fehler machen, wir müssen hier unbedingt Aufwind finden…

Theorie und Praxis

Ich spüre der Puls beim Eindrehen unter dem ersten Wolkenfetzen bis in die Halsschlagader. Hier kann man nirgendwo vernünftig landen, wenn wir diesen Aufwind nicht erwischen. Der hält aber, was ich mir verspreche. Jetzt bloss nicht rausfallen! Sorgfältig zirkle ich den Arcus so steil ich kann durch den stärker werdenden Aufwind und versuche, keinen unnötigen km auf dem Fahrtmesser zu verschwenden. Nach quälenden zehn Minuten konzentrierten Kreisens zeigt der Höhenmesser wieder 4’500 Höhenmeter an. Wir sind wieder im Rennen. Da wir unseren ersten Wendepunkt am Mittag weit nach Nordosten gelegt haben (Farmland), bleibt uns bei der säuberlich kalkulierten Wende nordwestlich der Maltahöhe nur noch ein überschaubarer Endanflug, den Peter wie schon beim ersten Mal souverän mit zwei Aufwinden sauber zusammenbaut.

Imposanter Schauer beim Durchfliegen einer Gewitterlinie.

Knapp und knapper. Ob es reicht?

Letztlich kalkuliert unser wieder zum Leben erwachter Bordrechner 100 km vor dem Ziel eine Flugdistanz von 998 km bis Bitterwasser. Das darf jetzt aber nicht wahr sein! Wir wollen keine unnötigen JoJos einbauen, sondern ein sauberes Dreieck in die Landschaft fliegen. Bei der letzten Wende bin ich sicherheitshalber noch 10 km zu weit geflogen. Nun verschwinden die mysteriöserweise wieder. Während des ganzen Endanfluges fehlen uns dann die zwei Kilometer. Erst beim Überfliegen der Bitterwasser-Pfanne löst sich das Rätsel auf. In der Bordrechner-Datenbank sind mehrere «Bitterwassers» eingegeben, eines davon zwei km weiter östlich. D.h., auch der zweite Tausender von Peter ist in trockenen Tüchern. Mit 1’002 km geflogener Distanz passt letztlich alles «tout juste» zusammen. Man muss es ja nicht übertreiben. Tausend bleibt tausend.

Wir verlassen die letzten hochreichenden Aufwinde über der Küstenregion.
Jetzt geht’s nur noch 120 km geradeaus.

Den Rest des Abendprogrammes kennen Sie inzwischen: Schnupftabak und Merlot in ausreichenden Dosen.


Ein Wort zum Wetter in Namibia

Eine Übersicht über die meteorologischen Rahmenbedingungen finden Sie in einer ausführlichen Beschreibung von Bernd Goretzki hier. Etwas nachdenklich macht mich vor der Abreise folgende Passage:

«Gemütlich die Wolken anfliegen ist hier nicht. Die starken Bärte sind oft schon verpufft, wenn man dort ankommt. Hier ist alles viel kurzlebiger, es gibt keine Dauerbärte. Die Energie wird schneller umgesetzt und die Zyklen sind auf Grund hoher Vertikalgeschwindigkeiten kürzer. Was genauso geht, wie in Europa, sind die dicken Cumulus-Congestus-Wolken. Bei den kleinen Cumulanten kommt man aber oft zu spät an.»

Nicht immer erwischen wir unter den dicken Cumulus auf Anhieb die besten Aufwindzonen.

Diese Schilderung beschreibt die Verhältnisse treffend. Am zuverlässigsten ziehen die «dickeren Dinger». Auf einem der Flüge verzweifeln Heinz und ich aber beim Finden der Aufwinde darunter beinahe und entwickeln phantastische Theorien. Tests, ob die Congestus auf der Luv- oder Sonnenseite besser ziehen, misslingen völlig. Wir finden überhaupt nichts, obwohl über uns eine grosse Cumulus-Wolke mit mehreren Aufwind Zentren steht. Womöglich waren die einfach schon «beim Feierabendbier», wie von Bernd Goretzki beschrieben.

Aufwindqualität. Zuverlässigkeit.

Darüber hinaus finden wir auf den meisten Streckenflügen verbreitet Aufwinde über 3 m/sec., immer mal wieder welche mit 4 bis 5 m/sec. während ein paar Minuten und selten welche mit 6 m/sec. über mehrere Vollkreise hinaus. Manche fühlen sich «brachial» an, sie werden mir in Erinnerung bleiben. Auf einem der langen Flüge falle ich wie weiter oben erwähnt auf gerade noch 800 m GND in einen länger anhaltenden 5-m/sec.-Aufwind. Nach anderthalb Minuten sind wir bereits 500 m höher, kurz darauf wieder in etwas schwächerem Steigen auf beruhigenden 4’000 m ü. M. Wir versuchen, über dem meistens schwer landbarem Gelände hochzubleiben. So wird man zwar nicht schnell(er), dafür schont man sein Nervenkostüm.

Hochbleiben ist nervenschonend(er).

Der Regen kommt nie zu Boden. Wirklich? Die Meinung, dass die trocken-heisse Luftmasse Namibias Schauer meistens austrocknet, bevor sie den Erdboden erreichen, kann ich nicht vollumfänglich teilen. Sind die Gewitterzellen ausreichend mächtig, treiben sie anfangs wie ein gigantischer Schneepflug mit einer Sand- und Staubwalze alles vor sich her, was nicht fix am Boden verzurrt ist. Windgeschwindigkeit bis ca. 80 km/h am Boden sind dabei keine Seltenheit und kommen Aussagen Einheimischer zufolge in der Thermiksaison auch etwa einmal monatlich vor. Dass man auch damit umgehen kann, beweisen die beiden französischen Piloten Thierry Boilley und Barthelemy Gras in einem der Arcus M. Sie landen kurz nach einer Sandwalze professionell, schnell, steil und sicher mitten in die sich drehenden Winde in die Pfanne Bitterwassers, ohne den kleinsten Kratzer zu verursachen. Trotzdem sind alle erleichtert, die Crew unbeschadet zurück am Boden zu wissen.

Zweimal haben wir nördlich Bitterwassers grosse Gewitter mit einem Durchmesser von ca. 100 km umflogen und haben zum Glück frühzeitig den Abgang und eine Sicherheitslandung gewählt. Die Zellen entwickeln ihre Macht schnell. Besser, man geht ihnen aus dem Weg. Die darin eingebetteten Schauer müssen den Boden auf jeden Fall erreicht haben, denn am Tag unserer Rückreise war die Wüstenlandschaft südlich Windhoeks wie von Zauberhand mit grüner Farbe eingefärbt. Diese Mini-Regenzeit reicht offenbar, um alles Leben in die Trockenheit zurückzubringen.

Die Besten

Auf der Rückreise in die kühlere Nord-Hemisphäre sind wir uns einig. Es war ein Abenteuer, das mit dem Adjektiv «unbeschreiblich» am besten eingefangen wird. Ob’s ein weiteres Bitterwasser in unserem Segelflieger-Leben gibt? Ich weiss es nicht. Schön wär’s schon.

Aber auch wenn die Reise einmalig bleiben sollte, blicke ich dankbar auf eine unvergleichliche Zeit in bestmöglicher Gesellschaft zurück. Ich werde diese Expedition jedenfalls nie vergessen.

Mein persönliches Dankeschön geht an alle, welche sie ermöglicht haben. Vor allem an meine Brigitte, die zuhause trotz gesundheitlicher Probleme die «Fahne hochgehalten hat», an Peter als smarten und schwungvollen Treiber hinter dem Projekt sowie an Heinz und Sigi, die mit ihrem staubtrockenen Humor und einem endlosen Technik-Know How einer Expedition wie dieser bestmögliche Sicherheit verleihen.

Ihr seid die Besten!