Irgendwann an einem besonders nebligen Novembertag in Graz kam uns ein Bericht über das Segelfliegen in Südafrika unter: Dort ist um diese Jahreszeit ja Frühling, es ist meist strahlend schönes Wetter – und es gibt allerbeste Thermik, oft weit über 5000 m hinauf.
Von Galriep Dam nach Kuruman am Rand der Kalahari
Also beschlossen wir kurzerhand, im Herbst 2000 unseren Doppelsitzer (damals ein Nimbus 3DT) nach Südafrika zu schicken, um vom Flugplatz Gariep Dam aus – dort wird der Oranje-Fluss aufgestaut – möglichst große Strecken zu fliegen. Und: Wir waren sehr beeindruckt und begeistert – es war der Beginn einer mehrwöchigen Auszeit vom Grazer Winterwetter. Gariep Dam ist ein ruhiges, und sicheres Örtchen – ein Überbleibsel aus der Zeit der Errichtung des Staudamms.
1600 Meter lange und nur 15 Meter breite Piste
Segelfliegerisch war Kuruman eine Stufe besser als Gariep Dam: Bessere Thermik, stärkere Aufwinde – und damit längere Streckenflüge. Und das alles bei praktisch freien Lufträumen. Allerdings hatte der Flugplatz in Kuruman auch Nachteile: Die 1600 m lange Piste war nur 15 m breit, und am Rande wuchs sehr trockenes, relativ hohes Gras – ein Problem für unsere Spannweiten von über 27 m. Zudem liefen Pferde dort frei herum. Oder wir kamen am Abend von langen Flügen zurück, und mussten mit der Landung warten, bis das lokale Gokart-Rennen auf der Piste beendet war.
Flüge ins unbewohnte Botswana
Kuruman ermöglichte uns dafür weite Flüge bis ins benachbarte Botswana – dort enden aber schon wenige Kilometer hinter der Grenze alle Anzeichen von Zivilisation: Keine Straßen oder Wege, keine Ortschaften, keine Häuser, keinerlei Spuren; sollten irgendwann einmal Aliens dort landen, würden sie feststellen, dass die Erde unbewohnt ist – abgesehen von ein paar Löwen. Man fliegt über diesen Gegenden mit dem Segelflugzeug tunlichst nur in Höhen, die eine sichere Rückkehr ins zwar ebenfalls unlandbare, aber immerhin bewohntere Südafrika ermöglichen.
Längere Start-Pistein Pokweni / Namibia
Im Jahre 2020 verlegte ich dann meine Winterausflüge nach Pokweni / Namibia – ein Farmer hat dort auf einer ‚Lehmpfanne‘ einen Flugplatz aufgebaut, mit Hangar, mit ‚Shade Parking‘ für 15 Segelflugzeuge, und mit einer 2.7 km langen Start-Piste. Diese Pistenlänge ist ein Sicherheitsfaktor: Man startet in 1400 m Seehöhe, bei Temperaturen an die 40°C, und mit nicht üppig motorisierten Eigenstartern.
Fliegen über unlandbare Kalahari
Ist man aber erst mal in 800 m oder so über der Pfanne und hat den Motor abgestellt, dann beginnt das Abenteuer ‚Streckenflug‘: Erst mal vorsichtiges Vorfliegen in relativ geringer Höhe über die unlandbare Kalahari-Wüste, bis nach 1 Stunde die bis dahin eher schwache Thermik zur Höchstform aufläuft: Mit Steigwerten von 5-6 m/s auf Höhen von 4000 bis 5500 m (wir fliegen hier deshalb immer mit Sauerstoff-Brillen), jagen mit Stundenschnitten von über 180 km/h kreislos entlang von Konvergenzen – auf der einen Seite blauer Himmel ohne jede Wolke, auf der anderen Seite tiefschwarzes Gewitter-Gewölk mit gewaltigen Blitzen und Starkregen – und kämpfen uns dann gegen den oft starken Gegenwind 250 km wieder zurück nach Pokweni.
Winterausflüge mit Segelflugkollegen
Bei all diesen Winterausflügen nehme ich meist einen Akaflieg-Kollegen mit, der im Doppelsitzer (Nimbus 4DM) nicht nur solch großartige Segelflugbedingungen kennen lernen kann, sondern auch Einblick in ein exotisches Leben am Rande von Wüsten gewinnt. Und seit 2017 lade ich auch den jeweiligen Junioren-Sieger der österreichischen Staatsmeisterschaft im Segelfliegen (sis-at) zum Mitfliegen ein – mein kleiner Beitrag zur Jugendförderung. Quelle: ‘Akaflieg Graz‘
Retorsions-Massnahme. Die aktuelle Visumbefreiung, die Namibia den Bürgern von 31 Ländern gewährt, endet im Frühjahr 2025. Ursprünglich sollte die Visumspflicht für die Einreise nach Namibia für die Bürger von 31 Ländern im Oktober 2024 eingeführt werden. Im Mai letzten Jahres kündigte Namibia seine Absicht an, die Visumpflicht für Bürger der Länder einzuführen, die ihrerseits für namibische Staatsangehörige eine Visumpflicht vorsehen. Die namibischen Behörden erklären, dass Länder, die Namibias Geste der Visum-Befreiung nicht erwidert haben, ab dem 1. April 2025 ein Visum bei der Ankunft oder ein elektronisches Visum (e-Visum) beantragen müssen. Namibia hat im September 2023 ein eVisum-System eingeführt. Nach Angaben der namibischen Regierung zielt diese Entscheidung darauf ab, die Gleichbehandlung der Länder bei Visabestimmungen zu fördern.
Folgende 31 Länder wenden die gegenseitige Befreiung von der Visumpflicht für namibische Besucher nicht an und sind daher von der neuen namibischen Visumspflicht betroffen:
Armenien, Österreich, Aserbaidschan, Belgien, Weißrussland, Kanada, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Island, Irland, Italien, Japan, Kasachstan, Kirgisistan, Liechtenstein, Luxemburg, Moldawien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, Schweiz, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten und Usbekistan.
1.600 N$ (ca. 88 USD) für Bürger aus Ländern außerhalb der Afrikanischen Union;
1.200 N$ (67 USD) für Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union, die die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums bei der Ankunft erfüllen.
Die Gebühren können den herrschenden Wechselkursen angepasst werden.
Das Formular “Visum bei Ankunft” und das “Ankunftsformular” werden zusammengefasst, das Abreiseformular abgeschafft.
Die Zahl der Mitarbeiter an den Ankunftsschaltern soll erhöht werden.
Die Weite. Ich habe mich oft gefragt, warum sind die Eindrücke aus dem Cockpit so anders als in Europa? Für mich ist es Weite des Himmels, des Horizonts und der Landschaft. Es fängt schon damit an, in Afrika ist die Basis in der Regel deutlich höher, an guten Tagen sind 5000 Meter NN keine Seltenheit. Das gibt schon einen unglaublich weiten Blick. Die Luft ist klarer und dazu kommt die unendliche Weite der Landschaft. Man hat den Eindruck, die roten Dünen der Kalahari enden nie. Es gibt nur wenige Farmen und Ortschaften, die sich in dieser Umgebung fast verlieren. Jeder Start, jeder Flug ist wieder neu beeindruckend.
Genießen konnte ich diese einmaligen Flüge in Bitterwasser. Die Flying Lodge bietet dazu optimale Bedingungen. Zum einen durch die über 2 km große Pfanne, aus der in jede Richtung gestartet und gelandet werden kann. Besonders der Startaufbau ist dadurch angenehm geschmeidig. Die Startaufstellung erfolgt durch die großen Platzmöglichkeiten entspannt nebeneinander. Jeder kann Starten so wie er möchte und keiner behindert den anderen. Aber der vielleicht viel wichtigere Aspekt sind die Menschen, die dieses besondere Segelflug-Zentrum betreiben. Durch dieses Engagement des gesamten Teams, angefangen von dem kleinsten Gärtnern über die Küche, Flight Service, Lodge Betrieb zur Gesamtorganisation, entsteht ein sehr entspanntes, freundliches und offenes Klima. Ich möchte fast sagen „Der Spirit von Bitterwasser“. Ganz nebenbei ist Afrika eine hervorragende Flugregion. Nicht umsonst werden hier 1000 km und noch viel mehr Kilometer fast wie am Fließband geflogen. Quelle: ‘Corinne Baudisch im OLC‘.
Peters Tausender Am Montag, 27. November 2023 starten wir zuversichtlich nach Nordosten. Unser Plan ist, mit einem eleganten Dreieck und einer ersten Wende in der Region von Gobabis, einem zweiten in der Region Gamsberg und einer dritten am Rand der Namib bei Lüderitz Peters ersten Tausender zu fliegen. Schon nach 200 km droht sich dieses Vorhaben unter sich schnell ausbreitender Feuchtigkeit am Rand der TMA Windhoek in Staub aufzulösen. Wir erwischen einen schlechten Start und unser Entscheid, ins gute Wetter zurück zu kehren fällt viel zu spät. Trotzdem entwickelt sich über den wenigen verbleibenden Sonnenflecken glücklicherweise genügend Aufwind, um den Anschluss an die strukturierten Verhältnisse in der Region südlich Windhoeks wieder zu finden.
Viel zu langsam
Bei unserem bisherigen Durchschnitts-Tempo brauchen wir aber im besten Fall elf Stunden für Peters Wunsch-Distanz. Die Uhr zeigt halb zwei und wir haben erst rund 250 km hinter uns und nur noch fünfeinhalb Stunden Tageslicht sowie lächerliche 700 km vor uns. Das wird eng, d.h. konkret, wir kommen nur mit einem Schnitt von mindestens 130 km/h rechtzeitig ins Ziel. So schnell sind wir beide noch nie über eine solche Distanz geflogen. Es wird leise im Cockpit, Enttäuschung macht sich breit. Sollen wir jetzt aufgeben? Angesichts der etwas mauen Wetterprognosen für die verbleibenden Flugtage könnte heute auch gleich die letzte Chance für Peters Vorhaben sein.
Tiefpunkt und erster Hoffnungsschimmer
Beim Einstieg in die Berge am Rande der Namib sind wir mit 2’500 m ü.M. an einem echten Tiefpunkt angelangt. Da fliesst plötzlich ein Zaubertrank namens «Konfluenz» in unsere halbleeren Trinkbeutel. Ein rabiater Aufwind spült uns mit bis zu 5 m/sec. wieder auf 4’500 m hinauf. Hoffnung keimt auf. Unser Kampfgeist erwacht. Jetzt wird es mucksmäuschenstill im Flieger.
Geradeaus. Geradeaus. Geradeaus.
Ab jetzt nutzen wir die vor uns liegenden Wolkenstrasse für einen beinahe zwei Stunden anhaltenden Geradeausflug (…). Dabei können wir wie ein Motorflugzeug unsere Ausgangs-Höhe von über 3’500 m ü. M. nicht nur halten, sondern auf über 4’000 m ausbauen. Erst südwestlich von Helmeringhausen drehen wir erstmals wieder auf. Wir sind «back in business». Eeendlich! Jetzt fehlen uns «nur noch» ca. 220 km und wir haben fast drei Stunden Tageslicht übrig. Das schaffen wir nach diesem heissen Ritt mit über 180 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit bestimmt, wenn wir uns jetzt nicht noch irgendwo eingraben.
Endanflug über 200 km
Peter zaubert auf dem Endanflug bei Maltahöhe 500 und ca. 80 km später weitere 400 Höhenmeter auf den Höhenmesser und schippert uns damit sicher und mit etwas Tageslicht-Reserve rechtzeitig «nach Hause». Dass 50 km vor dem Zielpunkt eine Gewitterlinie mit Schauern steht, kann uns auch nicht mehr aufhalten, wir haben ausreichend Höhenreserve im Gepäck, um die Zellen zu umfliegen. Die Freude und Genugtuung über seinen ersten Tausender ist gross. Auch wenn die Namibia-Profis am gleichen Tag längere Distanzen fliegen, sind wir stolz auf den Flug. 1’000 km sind immer weit, die Distanz thermisch zu fliegen, verlangt in jedem Fall Sitzleder und konsequentes Vorfliegen mit deutlich höheren Geschwindigkeiten, als wir uns in den Alpen gewohnt sind. Abends feiern wir mit einer Extradosis Schnupftabak und dem gewohnten roten Gold aus der Flasche. Es ist kein Gerücht, dass der Merlot-Vorrat an diesem Abend in Bitterwasser zur Neige geht und aus Windhoek nachgeliefert werden muss.
Zweiter Tausender mit «Hitchcock-Finale»
Drei Tage später passt unverhofft nochmals alles zusammen. Diesmal ist einfach ständig alles knapp. Die Höhe, das Tageslicht und die technischen Ressourcen. Nach 570 km verabschiedet sich im allerdümmsten Moment – erneut an einem fliegerischen Tiefpunkt westlich von Kiripotib auf 2’500 m ü.M. oder 800 m über Grund – unser Bordrechner mitsamt dem Moving-Map-System. Zu allem Übel laufen in der Region Gamsberg jetzt auch noch die Wolken auseinender und Schauer breiten sich grossflächig aus.
Zuverlässige Thermik befreit uns aus dem Kellergeschoss.
Zum Glück habe ich kurz zuvor noch in der Statistik nachgesehen, wie weit wir denn bisher überhaupt gekommen sind. So addieren wir im Kopf fleissig km-Zahlen aufeinander, rechnen die verbleibende Tageszeit, Durchschnitts-Geschwindigkeiten und Dergleichen, damit unser zweites Tausender-Projekt «nicht in den Bach fällt». Etwa zwei Stunden später erholt sich der vordere Bordrechner überraschenderweise wieder und liefert zusehends plausiblere Flugstatistiken. So können wir im Flug einigermassen zuverlässig kalkulieren, wie weit wir noch nach Südwesten fliegen müssen, um doch einen Tausender voll zu bekommen. Ein erneuter Tiefpunkt erwartet uns nach einer Reihe von geflogenen Umwegen um die niedergehenden Schauer bei der Querung eines breiten Taleinschnittes, aus dem ein trockenes Flussbett namens «Tsondab-River» westwärts in die Namib führt.
Wir kalkulieren mangels Moving Map-System den zweiten Wendepunkt “von Hand”. Wie weit müssen wir denn nun noch nach Südwesten?” Wieviel Tageszeit bleibt noch?
Einfliessende Wüstenluft
Bis ich nach endlosen wie erfolglosen Versuchen, Aufwinde zu zentrieren, endlich realisiere, dass es wegen der aus der Namib-Wüste einfliessenden Wüstenluft keine schlaue Thermik mehr gibt, sind wir tief unten im Keller. Die Temperatur, der Herzschlag und die Zahl der Schweigeminuten im Cockpit wachsen exponentiell. Den entscheidenden Hinweis, die Situation zu erkennen, liefern Wolken-Girlanden, die unter einer unerreichbar hoch scheinenden Wolkenbasis scheinbar planlos in der Luft hängen. Offenbar drängt hier die schwerere, kalte Atlantikluft unter die heisse Luftmasse über dem Kontinent und hebt sie an. Das muss der untere Rand der Konfluenz sein. Nichts wie hin!
Jetzt bloss keinen Fehler machen, wir müssen hier unbedingt Aufwind finden…
Theorie und Praxis
Ich spüre der Puls beim Eindrehen unter dem ersten Wolkenfetzen bis in die Halsschlagader. Hier kann man nirgendwo vernünftig landen, wenn wir diesen Aufwind nicht erwischen. Der hält aber, was ich mir verspreche. Jetzt bloss nicht rausfallen! Sorgfältig zirkle ich den Arcus so steil ich kann durch den stärker werdenden Aufwind und versuche, keinen unnötigen km auf dem Fahrtmesser zu verschwenden. Nach quälenden zehn Minuten konzentrierten Kreisens zeigt der Höhenmesser wieder 4’500 Höhenmeter an. Wir sind wieder im Rennen. Da wir unseren ersten Wendepunkt am Mittag weit nach Nordosten gelegt haben (Farmland), bleibt uns bei der säuberlich kalkulierten Wende nordwestlich der Maltahöhe nur noch ein überschaubarer Endanflug, den Peter wie schon beim ersten Mal souverän mit zwei Aufwinden sauber zusammenbaut.
Imposanter Schauer beim Durchfliegen einer Gewitterlinie.
Knapp und knapper. Ob es reicht?
Letztlich kalkuliert unser wieder zum Leben erwachter Bordrechner 100 km vor dem Ziel eine Flugdistanz von 998 km bis Bitterwasser. Das darf jetzt aber nicht wahr sein! Wir wollen keine unnötigen JoJos einbauen, sondern ein sauberes Dreieck in die Landschaft fliegen. Bei der letzten Wende bin ich sicherheitshalber noch 10 km zu weit geflogen. Nun verschwinden die mysteriöserweise wieder. Während des ganzen Endanfluges fehlen uns dann die zwei Kilometer. Erst beim Überfliegen der Bitterwasser-Pfanne löst sich das Rätsel auf. In der Bordrechner-Datenbank sind mehrere «Bitterwassers» eingegeben, eines davon zwei km weiter östlich. D.h., auch der zweite Tausender von Peter ist in trockenen Tüchern. Mit 1’002 km geflogener Distanz passt letztlich alles «tout juste» zusammen. Man muss es ja nicht übertreiben. Tausend bleibt tausend.
Wir verlassen die letzten hochreichenden Aufwinde über der Küstenregion. Jetzt geht’s nur noch 120 km geradeaus.
Den Rest des Abendprogrammes kennen Sie inzwischen: Schnupftabak und Merlot in ausreichenden Dosen.
Eine Übersicht über die meteorologischen Rahmenbedingungen finden Sie in einer ausführlichen Beschreibung von Bernd Goretzki hier. Etwas nachdenklich macht mich vor der Abreise folgende Passage:
«Gemütlich die Wolken anfliegen ist hier nicht. Die starken Bärte sind oft schon verpufft, wenn man dort ankommt. Hier ist alles viel kurzlebiger, es gibt keine Dauerbärte. Die Energie wird schneller umgesetzt und die Zyklen sind auf Grund hoher Vertikalgeschwindigkeiten kürzer. Was genauso geht, wie in Europa, sind die dicken Cumulus-Congestus-Wolken. Bei den kleinen Cumulanten kommt man aber oft zu spät an.»
Nicht immer erwischen wir unter den dicken Cumulus auf Anhieb die besten Aufwindzonen.
Diese Schilderung beschreibt die Verhältnisse treffend. Am zuverlässigsten ziehen die «dickeren Dinger». Auf einem der Flüge verzweifeln Heinz und ich aber beim Finden der Aufwinde darunter beinahe und entwickeln phantastische Theorien. Tests, ob die Congestus auf der Luv- oder Sonnenseite besser ziehen, misslingen völlig. Wir finden überhaupt nichts, obwohl über uns eine grosse Cumulus-Wolke mit mehreren Aufwind Zentren steht. Womöglich waren die einfach schon «beim Feierabendbier», wie von Bernd Goretzki beschrieben.
Aufwindqualität. Zuverlässigkeit.
Darüber hinaus finden wir auf den meisten Streckenflügen verbreitet Aufwinde über 3 m/sec., immer mal wieder welche mit 4 bis 5 m/sec. während ein paar Minuten und selten welche mit 6 m/sec. über mehrere Vollkreise hinaus. Manche fühlen sich «brachial» an, sie werden mir in Erinnerung bleiben. Auf einem der langen Flüge falle ich wie weiter oben erwähnt auf gerade noch 800 m GND in einen länger anhaltenden 5-m/sec.-Aufwind. Nach anderthalb Minuten sind wir bereits 500 m höher, kurz darauf wieder in etwas schwächerem Steigen auf beruhigenden 4’000 m ü. M. Wir versuchen, über dem meistens schwer landbarem Gelände hochzubleiben. So wird man zwar nicht schnell(er), dafür schont man sein Nervenkostüm.
Hochbleiben ist nervenschonend(er).
Der Regen kommt nie zu Boden. Wirklich? Die Meinung, dass die trocken-heisse Luftmasse Namibias Schauer meistens austrocknet, bevor sie den Erdboden erreichen, kann ich nicht vollumfänglich teilen. Sind die Gewitterzellen ausreichend mächtig, treiben sie anfangs wie ein gigantischer Schneepflug mit einer Sand- und Staubwalze alles vor sich her, was nicht fix am Boden verzurrt ist. Windgeschwindigkeit bis ca. 80 km/h am Boden sind dabei keine Seltenheit und kommen Aussagen Einheimischer zufolge in der Thermiksaison auch etwa einmal monatlich vor. Dass man auch damit umgehen kann, beweisen die beiden französischen Piloten Thierry Boilley und Barthelemy Gras in einem der Arcus M. Sie landen kurz nach einer Sandwalze professionell, schnell, steil und sicher mitten in die sich drehenden Winde in die Pfanne Bitterwassers, ohne den kleinsten Kratzer zu verursachen. Trotzdem sind alle erleichtert, die Crew unbeschadet zurück am Boden zu wissen.
Vor der SandwalzeJetzt ist die Sandwalze daStaubsturm in der Palmenallee
Zweimal haben wir nördlich Bitterwassers grosse Gewitter mit einem Durchmesser von ca. 100 km umflogen und haben zum Glück frühzeitig den Abgang und eine Sicherheitslandung gewählt. Die Zellen entwickeln ihre Macht schnell. Besser, man geht ihnen aus dem Weg. Die darin eingebetteten Schauer müssen den Boden auf jeden Fall erreicht haben, denn am Tag unserer Rückreise war die Wüstenlandschaft südlich Windhoeks wie von Zauberhand mit grüner Farbe eingefärbt. Diese Mini-Regenzeit reicht offenbar, um alles Leben in die Trockenheit zurückzubringen.
Die Besten
Auf der Rückreise in die kühlere Nord-Hemisphäre sind wir uns einig. Es war ein Abenteuer, das mit dem Adjektiv «unbeschreiblich» am besten eingefangen wird. Ob’s ein weiteres Bitterwasser in unserem Segelflieger-Leben gibt? Ich weiss es nicht. Schön wär’s schon.
Aber auch wenn die Reise einmalig bleiben sollte, blicke ich dankbar auf eine unvergleichliche Zeit in bestmöglicher Gesellschaft zurück. Ich werde diese Expedition jedenfalls nie vergessen.
Mein persönliches Dankeschön geht an alle, welche sie ermöglicht haben. Vor allem an meine Brigitte, die zuhause trotz gesundheitlicher Probleme die «Fahne hochgehalten hat», an Peter als smarten und schwungvollen Treiber hinter dem Projekt sowie an Heinz und Sigi, die mit ihrem staubtrockenen Humor und einem endlosen Technik-Know How einer Expedition wie dieser bestmögliche Sicherheit verleihen.
Der November ließ sich eher etwas sparsam an – was die Wolken betraf. Die Wege, um zu den Wolken zu gelangen, waren zunächst relativ lang. Aber dafür konnte recht weit nach Norden geflogen werden. Da ging es um die Wendepunkte Gobabis oder Witvlei, dann Epukiro und weiter nach Norden auch noch Otjinene. Z. T. konnte man weit über 300 km von Pokweni aus nach Norden fliegen. Spannend wurde es an den Tagen, an denen sich im Osten eine Wolkenaufreihung nach Südosten (Richtung Lendepas oder Mata Mata) bildete. An dieser Wolkenkante bildete sich eine Konvergenz mit den üblichen Erscheinungen: weiter im Osten standen Schauer und man düste am besten an der vorderen Kante entlang, oft ohne einen Kreis zu machen für mehrere 100 km. Bisweilen war große Vorsicht geboten, weil anscheinend auch alle anderen Piloten in Namibia diese Linie entdeckt hatten und das FLARM ständig Arbeit hatte. Die Steigwerte wurden bisweilen extrem stark – im Geradeausflug noch 5 – 6 m/s. Da galt es auch immer wieder, auf den Abstand zu den Wolken zu achten. Aber ein tolles Fliegen!
Anfang Dezember gab es dann auch die lang ersehnte Möglichkeit nach Westen bzw. Nordwesten an das Escarpment heranzufliegen und dort nach Süden Richtung Helmeringhausen bzw. zum Brukkaros zu fliegen, zunächst nur vereinzelt, aber das ist einfach landschaftlich so reizvoll, dass da jeder Flug etwas Besonderes ist. Ansonsten gab es in den folgenden Wochen mehr Abwechslung, aber immer noch ging es auch in den Nordosten. Ende des Monats wurde es zunehmend feuchter und so ereilte es Pokweni auch bei einem heftigen Schauer. Das freute dann die Marabus, die in großen Scharen an der nassen Pfanne erschienen. Der Flugbetrieb ging natürlich trotzdem weiter auf der langen Bahn.
Der Spitzenmonat war der Januar, wo es relativ viele gute Tage an der Abrisskante gab. Der beste Tag war mit Abstand der 12. 1. Da wurde zunächst möglichst weit in den Norden geflogen, über Hefner, weiter an die Grenze des Segelfluggebietes bzw. darüber hinaus, allerdings dann mit der Einschränkung auf eine Höhe unter FL 145. Morgens war das meist kein Problem, weil die Basis eh noch anstieg und man da quasi von selbst drunter blieb. Der Weg nach Süden (Richtung Helmeringhausen) ging mitunter sehr zügig und so ließ sich auch der Rückweg relativ schnell erledigen. Und wieder ging es hoch in den Norden. Glücklicherweise gab es wenig Überent-wicklungen und so konnte quasi die gleiche Wende noch einmal genommen werden wie am Morgen. Es blieb noch Zeit für eine kleine Strecke gen Süden und anschließend heimwärts nach Pokweni. Auch auf dem Rückweg gab es noch Steigen und so konnte ein bisschen nach Osten verlängert werden. Bei allen Pilotinnen gab es an dem Tag ein vierstelliges Ergebnis. Ganz besonders war der Flug von Markus Langemann mit über 1300 km.
Ein bisschen Statistik: 36 Pilotinnen flogen bei 345 Flügen 253.311 km zusammen. Es gab 55 Flüge über 1000 km. Aber wichtiger als die Zahlen ist, dass alle viel Freude beim Fliegen hatten und vor allem alles unfallfrei vonstatten gegangen ist. Das lief in allen Situationen sehr umsichtig und versiert ab. Super! Da freuen sich alle schon auf die nächste Saison… Quelle: ‘Pokweni-Website‘.
Womit man die neblige und kühle Jahreszeit auch verbringen kann, zeigen Stefan langer und Jonathan Steinhoff in diesem Video über das Segelfliegen in Namibia. Quelle: ‘Youtube‘.
“Komm in die Wüste haben sie gesagt… Kann man gut segelfliegen, haben sie gesagt… Da regnet es nie… Willkommen im Wassersportparadies Pokweni!” Bild: Markus Frank auf facebook.
Seit anfangs November werden von den namibischen Segelflugzentren aus wieder täglich weite Streckenflüge jenseits der Tausender-Marke geflogen – für einmal hat die Segelflug-Saison im Süden Afrikas sehr früh begonnen.