Bayreuth Tag 5 – oder: die Letzten werden die Ersten sein

Autor Martin Knops.

Während ich diese Zeilen schreibe, stürmt und regnet es draußen. Wir haben Anfang August und über Mitteleuropa jagt seit bald zwei Wochen ein Tief das andere. Praktisch ohne Atempause, ohne vernünftige Rückseite, nur mit kurzen Regenpausen. In Wacken werden die Festivalbesucher nicht mehr auf das Gelände gelassen, da sie oder ihre Autos im Schlamm versinken würden und bei verschiedenen laufenden Wettbewerben versuchen die Ausrichter verzweifelt und meist vergeblich, den Unbilden der Natur den einen oder anderen Wertungstag abzuringen.

In Bayreuth hatten wir andere Sorgen. Tag 5 stand an. Einschließlich Trainingstagen drohte der 7. Flugtag in Folge und es war kein Ende abzusehen. Längst wurde ausgiebig diskutiert, welchen Vorwand für einen – von einigen Teilnehmern dringend eingeforderten – Pausentag die Sportleitung finden könnte. Und viele meinten, dieser 2. Juni würde sich perfekt anbieten.

Muss man bei solchem Wetter tatsächlich fliegen? Wie immer herrschte strammer Ostwind, diesmal unter einer kräftigen Inversion in niedriger Höhe. Diese Inversion würde aber bei Erreichen von 20 Grad am Boden durchbrochen werden und dann sollte es richtig losgehen – so wurde uns versprochen. Dummerweise blieb das Thermometer aber bei 19,5 Grad festgefroren und im Ausklinkraum dicht über den Wipfeln sammelten sich die Flieger, kämpften im Pulk mit vollen Wassertanks ums Obenbleiben. Im Funk ging es heiss her. Die Sportleitung bekam ihr Fett weg, Heiko verteidigte sich wiederholt damit, dass am Feuerstein die alten Herren schon auf Strecke seien und es jeden Moment auch bei uns losgehen müsste. Es gäbe wohl ungünstige lokale Effekte im Lee des Fichtelgebirges… Außerdem, könne man ja nicht nur bei Hammerwetter fliegen und ein paar mehr Aussenlander beziehungsweise Motorzünder wären gar nicht so schlecht.

Nun ja. Der Wunsch sollte mit insgesamt 39 Aussenlandungen / Motorzündern an diesem Tag in Erfüllung gehen.

Zunächst aber gelang den meisten Piloten die Flucht aus dem Lee in eine einigermaßen gute Abflug-Position. Und so ging es doch noch guten Mutes mit 1700 m MSL nach Westen auf Strecke. Doch schon bald befanden sich alle in mehr oder weniger großen Schwierigkeiten. Die Inversion im Blauen fiel auf gerade noch 800 m über Grund, die Steigwerte waren mehr als kümmerlich und ich selbst hatte zudem größte Mühe, hinter Conrad und den Konkurrenten her zu kommen. Ich stieg einfach nicht vernünftig und baute von Aufwindchen zu Aufwindchen ein immer größeres Höhendefizit auf. Die Kennzeichen der anderen Flieger konnte ich so schon lange nicht mehr am Leitwerk, sondern nur noch auf der Flügelunterseite ablesen und irgendwann musste ich komplett abreißen lassen. So ein Mist! Was war bloß los mit mir? Oder lag es am Flugzeug?

Erst bei der Nachlese des Tages verstand ich, dass ich mit immer noch vollen Tragflächen zu langsam gekreist hatte. Nicht 105 bis 110 km/h, sondern mindestens 115 km/h sind mit dem hohen Gewicht auch und gerade in schwachen Aufwinden angesagt.

In der Situation selbst fehlte es mir allerdings an freien Ressourcen für derartige Analysen. Ich bin weiß Gott kein „Hinterherflieger“, aber wenn man den Pulk und den Teampartner nach „vorne oben“ entschwinden lassen muss und sich selbst alleine in 400 m über Grund im Blauen ohne klare Perspektive, ohne klaren Plan wiederfindet… dann steigt der Stress im Cockpit auf ein unangenehmes Level.

Wind, Bebauung, Bodenbeschaffenheit, Bewuchs, Abreisskanten… es gelang mir tatsächlich, einen ordentlichen Bart auszugraben. Langsam konnte ich wieder entspannen und während ich mit bombastischen 1,4 m/s der Invasion entgegen stieg, sah ich weit vor mir in Ameisenkniehöhe den Pulk kreisen – im Nullschieber und teilweise nur 150 m hoch.

Wenige Minuten später glitt ich an den Kollegen vorbei und beobachtete das Schauspiel von oben – so schnell kann sich das Blatt wenden.

Vor mir lockte nun eine erste vielversprechende Wolke und dahinter noch viel mehr von der Sorte. Sollte ich den Anschluss an die Wolkenthermik schaffen, läge der schwierigste Teil des Fluges hinter mir, würde der Rest zum Kinderspiel – so mein Kalkül.

Noch zögerte ich mit dem zügigigen Vorflug. Ich würde in nur 300 m Höhe ankommen, die Wolke war ausladend, der Ursprung des Aufwindes am Boden nicht klar auszumachen. Aber es musste klappen, es sah einfach zu gut aus und es gab auch keine echte Alternative. An der prognostizierten Stelle lupfte es dann tatsächlich. Natürlich drehte ich zu früh ein, verlor unnötig Zeit bei der Suche nach dem Kern des Aufwinds. Aber es war geschafft! Mit 2 m/Sec. ging es 900 Höhenmeter am Stück nach oben – was für eine Erleichterung! Und die anderen kämpften immer noch an alter Stelle um ausreichend Höhe für den Sprung…

Was dann folgte, passte leider gar nicht zu meinen Planspielen und auch nicht zur Wetteroptik. Ich erwartete zuverlässiges gutes Steigen, gestrecktes Gleiten unter Wolkenstrassen und zügiges, problemloses Vorankommen.

Geboten wurde nichts von alldem. Stattdessen immer wieder tiefes Abgleiten, Thermiksuche querab vom Kurs, rettende Aufwinde kurz vorm Motorzünden – und für 39 Wettbewerber in allen Klassen schließlich: (virtuelle) Aussenlandung!

Für mich dagegen endete der Tag bestmöglich: Überflug über die Ziellinie, 88 km/h, Platz 3 – und all das, nachdem der Pulk mich schon abgehängt hatte.

Ich war wirklich überwältigt, glücklich, beseelt – und doch: Nach all den Strapazen hätte nun auch ich nichts mehr gegen einen Pausentag gehabt. 🙂

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