Der Flug mit Morning Glory war für John Riedl eine eindrucksvolle Erfahrung seines Lebens – ein seltenes, nahezu magisches Erlebnis, das sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt hat. Weltweit haben vermutlich nur 200 bis 250 Menschen dieses Natur-Phänomen aus der Luft erlebt – weniger, als den Gipfel des Everest erreicht haben.
Doch es ist nicht nur die Glory selbst, die dieses Abenteuer so besonders macht. Es ist die gesamte Reise dorthin – durch abgelegene, raue Landschaften im Herzen Australiens, bis hin zur sich entfaltenden Weite des Gulf Country und entlang der Küste Queenslands zurück.

Diese Reise zeigte ein Australien, das vielen Einheimischen verborgen bleibt – ein visuelles Abenteuer mit wechselnden Landschaften, erlebt in niedriger Flughöhe, intensiv und unmittelbar. Wer die Chance bekommt, sollte sie ergreifen.
Für Segelflieger ist das Fliegen mit der Glory ein einmaliger Nervenkitzel – aber auch eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie erfordert akribische Vorbereitung, sowohl des Flugzeugs als auch des Piloten. John Riedl hatte vor dem Flug gerade einmal 120 Stunden Erfahrung und war noch nie allein mit der Stemme unterwegs. Er kehrte als zertifizierter Pilot zurück.

Wo die Reise begann
John Riedls fliegerische Laufbahn begann 1986 mit einem einwöchigen Segelflugkurs in Camden. Sein Fluglehrer war Ray „Rope-Break“ Morton, ein ehemaliger RAF-Pilot mit Hang zum Abenteuer – und zur Anekdote: Seine spätere Partnerin lernte er nach einer unerwarteten Übernachtung am Burrinjuck Damm kennen, verursacht durch ein mysteriöserweise gerissenes Schleppseil.
Unter Mortons Anleitung absolvierte Riedl 19 Flüge in einer ASK13, darunter zwei Allein-Flüge. Danach legte er – bedingt durch berufliche Verpflichtungen – eine 35jährige Flugpause ein. Erst im November 2021 kehrte er zurück in die Luft, um das Segelfliegen über ein inzwischen stark verändertes Camden erneut zu erlernen. Inspiriert von dem Bildband Australia – The Greatest Island, in dem eine Umrundung des Kontinents aus der Luft dokumentiert ist, fasste er den Entschluss, diese Reise zu unternehmen. Im Dezember 2021 erwarb er dafür ein Reisemotorsegelflugzeug vom Typ Stemme S10V.
Die umstrittene Stemme
Das Flugzeug, eine Stemme S10V aus dem Jahr 1995, ist mit 23 Metern Spannweite, Klappflügeln, Einziehfahrwerk und einer beeindruckenden Gleitzahl von 50:1 ausgestattet. Angetrieben wird der einklappbare Verstell-Propeller von einem 2,4-Liter-Limbach-Motor, der über eine Kohlefaserwelle zwischen den Sitzen mit dem Propeller verbunden ist. Der Kraftstoffverbrauch liegt bei 14 Litern pro Stunde, die Reise-Geschwindigkeit bei 85 bis 90 Knoten.
Der Kauf sorgte für Diskussionen – nicht nur in Riedls Umfeld. Mit 77 Jahren galt er als fliegerischer Wiedereinsteiger ohne aktuelle Lizenz. Viele warnten ihn: zu alt, zu riskant, die Stemme sei viel zu anspruchsvoll für ein erstes eigenes Flugzeug. Die Spannweite sei für Seitenwind kritisch, das Handling komplex.
Riedl ließ sich nicht beirren
Er begann mit einer erneuten Ausbildung in einem konventionellen Segelflugzeug – ein Weg, der sich als lang und mühsam erwies. Immer wieder wurde er durch äußere Umstände zurückgeworfen: schlechtes Wetter, Überschwemmungen, Covid-bedingte Unterbrechungen. Nach jeder Pause wartete ein neuer Fluglehrer, der ihn wieder von vorne einwies. Trotz aller Rückschläge hielt Riedl an seinem Traum fest. Seine Geschichte steht sinnbildlich für die Überzeugung: Es ist nie zu spät, neue Wege zu gehen – oder alte Träume Wirklichkeit werden zu lassen.

Re-qualifiziert und startbereit
Bis 2023 hatte John Riedl sämtliche fliegerischen Qualifikationen erneut erworben – von A-, B- und C-Zertifikaten bis hin zu GPC-, DI-, Passagier- und Streckenflugberechtigungen sowie der Zulassung als unabhängiger Betreiber. In dieser Zeit flog er verschiedene Segelflugzeuge wie den PW5, die ASK21, den Duo Discus, die Ximango und die Dimona. Die Stemme S10V, die er bereits 2021 erworben hatte, blieb zunächst am Boden – ein Fluglehrer war Voraussetzung, und nur wenige in Australien waren für dieses Flugzeug qualifiziert. Zudem war die Maschine in Lake Keepit stationiert, da ein geeigneter Hangar für die 23-Meter-Spannweite in Camden unerschwinglich war.
Dank der Unterstützung zahlreicher Helfer konnte Riedl die Stemme Mitte 2023 sicher fliegen – wenngleich noch nicht allein. Am 24. September 2023 begann er schließlich mit Fluglehrer Rob Hanbury die Reise zur Morning Glory. Ziel: 8’000 Kilometer durch Australien, verteilt auf rund 60 Flugstunden.
Aufbruch ins Ungewisse
Die erste Etappe führte über fruchtbares Ackerland und klaren Himmel von Lake Keepit nach Walgett – einer Stadt mit „sichtbaren“ sozialen Problemen und menschenleerer Umgebung. Von dort ging es weiter nach Charleville, wo der Himmel diesiger wurde und das Land zunehmend trockener erschien. Nach kurzem Zwischenstopp erreichten sie Longreach – die historische Heimat von Qantas.

Einsamkeit und Thermik
Die Route führte nun über weite, trostlose Ebenen – flach, trocken, kaum landbar. In 6’500 Fuß Höhe war die Luft kühler, der Flug ruhiger. Der Wechsel zwischen Auf- und Abwinden bestimmte das Tempo: im Steigflug 55 Knoten, im Sinkflug 110 – ein Schnitt von rund 170 km/h. Satellitentelefone und reichlich Wasser an Bord boten ein Gefühl von Sicherheit in einer Region, in der man oft stundenlang kein Anzeichen menschlicher Präsenz entdeckt.

Im Herzen des Outbacks
Longreach beeindruckte mit seinem Qantas-Museum und der schieren Weite – samt Motel-Anlagen und Vogel-Massen am Morgen. Der Weg führte weiter über das sogenannte Kanalland mit entlegenen Viehzuchtstationen, trockenen Flussläufen und verlassenen Minen. 500 Kilometer später erreichten sie Cloncurry – wie üblich mit einem langen Gleitflug zum Abschluss.
Thermik, Hitze und Elefantentanz
Die Temperaturen stiegen am Boden auf über 40 Grad, die Luft war dünn. Der Start verlief schleppend, doch ein starker Aufwind hob das Flugzeug von 500 auf 9’000 Fuß – in kühlere Luft. Die Stemme, schwerfälliger als leichtere Segler, erinnerte im Handling eher an einen tanzenden Elefanten als an ein wendiges Sportflugzeug. Doch an diesem Tag belohnte sie die Crew mit einem ruhigen Steigflug und einem Vario, das bis jenseits der Skala ausschlug.
Trotz der kargen, nahezu lebensfeindlichen Umgebung vermittelte das Land eine stille Erhabenheit. Nur vereinzelt tauchten Rinderstationen auf, bevölkert von zähen Brahman-Rindern – geschaffen für das harsche Klima und widerstandsfähig gegen nordaustralische Zecken.

Im Land der Serpentinen-Flüsse
Im grünen, wasserreichen Gulf Country näherte sich John Riedls Reise einem Höhepunkt. Mit 200 km/h im Gleitflug erreichten er und Rob Hanbury Burketown – Ausgangspunkt ihres Abenteuers zur Morning Glory.
Drei mäandrierende Flüsse prägten hier die Landschaft, schlangen sich durch Watt-Flächen und Mangroven-Wälder, während zahllose Nebenarme wie Adern ins Land griffen. Am Horizont loderten Buschfeuer, und direkt vor ihnen lag Burketown – benannt nach ihrem Entdecker Burke, dessen Expedition hier ihr nördlichstes Ziel erreichte, bevor die Mangroven sie stoppte.
Die selbsternannte „Barramundi-Hauptstadt“ lag an einem Billabong, nur durch eine neu entstandene Flussschleife vom Hauptstrom getrennt. Der Ort selbst war überschaubar: eine Lodge, ein Wohnwagenpark, ein Bäcker, ein Pub – und sonst wenig. Unter den Toilettensitzen lebten Frösche, im Garten wucherten Rohrkröten, und Wallabys huschten mit erstaunlicher Geschwindigkeit vorbei.
Quelle: ‚glidingaustralia‚ Autor: John Riedl
-> 2. Teil von John Riedl’s Reise zur ‚Morning Glory‘ folgt in Kürze.