Wellenflug in Sondrio

Ein Bericht von Jörg Maier über seine Flüge im Osterurlaub (2012).

Schon lange hatte ich mir gewünscht, einmal in den Alpen mit einem Segelflugzeug Steigwerte zu erreichen, von denen wir in Südwestdeutschland nur zu träumen wagen. Wohl hatte ich vor Jahren schon Gelegenheit in den Abruzzen am Grand Sasso d´Italia vom Flugplatz l`Aquila aus Gebirgssegelflug durchführen zu können, aber was die Kollegen aus den Alpen immer berichteten, lockte mich sehr. In einer Welle fliegen zu können hatte ich in den 30 Jahren, in denen ich im Segelflug tätig bin, nie erlebt.

Meine beiden Segelfluglehrer S.Blöchle und U.Karrais, die beide schon seit Jahren bei der Flugschule Oerlinghausen immer im Frühjahr in Sondrio als Gastfluglehrer tätig sind, berichteten Verlockendes. Sondrio mit dem Flugplatz Caiolo liegt im Addatal, östlich des Comer Sees auf ca. 270 m NN. Eingerahmt im Südosten von der Brenta, im Osten vom Ortler, der die Grenze ins Etschtal markiert und im Norden vom Bernina Massiv mit knapp über 4000 m eine der höchsten Berggruppen in den Alpen. Zu Ostern 2012 konnte ich noch Fliegerkamerad V.Schütz animieren und wir fuhren mit der vereinseigenen ASK 21 nach Italien. Nach dem täglichen, intensiven Briefing stand ein obligatorischer Einweisungsflug an, denn außer wenigen Außenlandefeldern gibt es in den teilweise schroffen und tiefen Seitentälern keine Möglichkeit, außenzulanden. Andererseit erfordert die Geografie, der allernächste Berg steht immerhin sofort mit 2200 m NN an, einen abweichenden Flugstil zum gewohnten „Flachland“.

Die sehr nostalgische Schleppmaschine, eine Cessna Bird Dog, verrichtet gute Dienste, überrascht wird man sofort von den erfahrenen Piloten, natürlich nützen auch sie die Steigmöglichkeiten, die wir Segelflieger nutzen. Gemeinsames Hangwindfliegen geht mit nur wenigen Dutzend Metern Abstand vom Hang, es wird in Täler eingeflogen, wo man sich fragt, ob der Schleppzug wenden kann. Im Addatal muss teilweise 1000-1600 m über Platz geschleppt werden, um an die begehrte Thermik zu kommen. Bei einem Einweisungsflug lernt man u.a. auch weitere Aspekte vom Theoriefach HPL (human performance und limits). Nicht nur das Thema Sauerstoff, vielmehr optische Dinge, denn beim Flug in Tälern fehlt der sonst gewohnte flache Horizont. Der steile Horizont verursacht beim an einen flachen Horizont gewohnten Piloten Fahrtschwankungen beim Kurven am Hang.

Das durften wir beide leibhaftig erleben, Karfreitag war ein termisch gut nutzbarer Tag. Nach einem F-Schlepp auf 1300 m, der einer Karusellfahrt glich, kam der Haushang an der Sarsella. Hangwind und Thermin sind vermischt. Es ist erforderlich, in 50m Abstand am Hang entlang zu fliegen, um an kleinen, exponierten Vorsprüngen oder Graten thermisch ausgelöste Steigwerte von 5m/s zu bekommen. Das heißt, schön brav mit 20 km/h mehr als gewohnt zu fliegen, denn teilweise fühlt man sich eher in einer Waschmaschine als im Flugzeug.

So erreichten wir nach einem 1,5 h „Kampf“ am Haushang knapp 2200 m, um den Sprung über das Val Malenco, einem tief eingeschnittenen, schroffen Tal, an die sog. „Glatze“ zu wagen. Denn, wo es mit 5 m/s raufgeht, geht´s an anderen Stellen genauso schnell und ruppig nach unten. Wohl bekamen wir an der „Glatze“ weiteres gutes Steigen, das uns beim Einflug in´s Val Malenco leider nicht so treu blieb. So passierten wir den frisch verschneiten Scalino-Grat direkt unter den Wolken und konnten noch die Motta sehen, ein lokales, in der Jahreszeit noch aktives Skigebiet. Um wieder in den Trichter des Flugplatzes zu kommen, entschlossen wir uns, am Haushang der Sarsella noch den jetzt aktiven Hangwind auszufliegen… schon beeindruckend, in 50 m Abstand an den Balkonen der Bergdörfer vorbeizuschweben. Diesen Tag konnten wir nach drei Flugstunden und vielen neuen Eindrücken abschließen.

Unser für eine Woche geplanter Aufenthalt drohte, beinahe zerregnet zu werden, doch für Ostersonntag gab es eine Vorhersage, die nicht nur „fliegbar“ hieß, sonder, evtl. sogar eine Welle versprach. So entschlossen wir uns, die Rückfahrt auf die Nacht zu verschieben, um diesen fliegbaren Tag zu nutzen. Wir wurden belohnt. Bereits das morgendliche Briefing kündigte 75kt Wind FL 150 aus NNO an. Genau die Wetterlage, die es braucht, um im Süden des Piz Bernina Leewellen zu erzeugen. Wir wunderten uns, dass in der Flugschule die Parole ausgegeben wurde, dass selbst Scheininhaber auf den Flugzeugen der Schule an diesem Tag nur mit Lehrer fliegen durften… später am Tag sollten wir erfahren, warum.

Wenn ich berichtete, dass Tage zuvor im F-Schlepp und am Hang „Waschmaschine“ angesagt war, in der man schon mit Ruder-Vollausschlägen agieren musste, dann war das damals der Schonwaschgang. Der aktuelle Tag sollte dann zur „Kochwäsche“ werden. Zuerst wunderten wir uns, dass uns die Schleppmaschine an der südlichen Talseite bereits in 1000 m nötigte, sie zu verlassen. Das Vario, das wir bis dato vor lauter Konzentration auf die vor uns tanzende Schleppmaschine außer Acht gelassen hatten, zeigte bereits Endanschlag nach oben. Also ließen wir uns überreden und erreichten im Hangwind nach kurzer Zeit schon 2500 m. Es vermischte sich bereits der Hangwind mit der Thermik und nach wenigen Kreisen stand am Höhenmesser bereits knapp 3000 m.

Also ab quer über´s Tal, wie uns die Kollegen geraten hatten, an die bereits in Talmitte stehenden, sichtbaren Rotoren. Hier war die „Kochwäsche“ fertig uns wir kamen ins Schleuderprogramm. Rotor heißt nun mal Rotor, und die wurden ihrem Namen an dem Tag gerecht. Das Vario kam gar nicht mehr mit, es kannte nur noch zwei Stellungen abwechselnd zwischen den beiden Endanschlägen hin und her im Sekundenabstand. Auf der Luvseite des Rotors trafen wir wie erwartet Steigen, alles unter 3 m war schon fast langweilig. Spätestens jetzt aktivierten wir die Sauerstoffanlage. So war deren mühsame Organisation doch nicht umsonst, denn am Höhenmesser waren wir jetzt schon bei 3800 m angelangt.

Wie angekündigt und morgens beim Briefing erwartet, begann das laminare Steigen bei knapp unter 4000m knapp nördlich des Tales. Jetzt genossen wir ein umfassendes Panorama, der Blick reichte bis in die Poebene. Den Blick, wenn wir ihn denn hatten, gefror doch die Luftfeuchtigkeit unseres Atems innen an der Haube und wir hatten alle Handschuhe voll zu tun um „sichtbar“ zu bleiben, immerhin war es draußen bereits –28°C.

In 4500 m stoppten wir das Steigen, leider, denn wir hatten bereits den Anflugsektor von Milano Malpensa erreicht. Immerhin konnten wir noch eine Sightseeing Tour an den Comer See machen, aus der Höhe sieht der schon recht klein aus. Das Bernina-Massiv versteckte sich bereits im Dunstschleier des Nordstaus, dessen Wolken schwapten herüber. Aber das Beste sollte uns noch erwarten, der Abstieg. Man glaubt es kaum, es ging kaum mehr nach unten. Erst der gezielte Einflug in Abwindbereiche und Leezonen hinter den Bergen, Bremsklappen und Slippen brachte uns nach unten. Der inzwischen bis auf den Talgrund durchgeschlagene Wind verursachte Rotoren bis auf die Landebahn. Man hatte inzwischen den F-Schlepp eingestellt, das Risiko, bei der Turbulenz das Seil und damit das Schleppflugzeug in geringer Höhe und fast unlandbarem Gelände zu verlieren, war zu groß.

Jetzt wuchs bei uns das Verständnis, warum an diesem Tag alle Teilnehmer der Flugschule nur mit Lehrer fliegen durften… der Wind am Talgrund war geschätzte 30 bis 35 Knoten stark und wehte aufgrund des Rotorcharakters am Bahnbeginn vielleicht noch frontal entgegen, in Bahnmitte genau 90° cross und am Bahnende von hinten. Da hilft nur eines… mehr Fahrt, unter 130 km/h erscheint alles zu langsam. Eine Erkenntnis war, dass die Bahn 1000 m lang ist und wo wir darauf landen, ist eigentlich egal, Hauptsache die Landung ist gut. Nach der erfolgreichen Landung stellten wir überglücklich in Anbetracht des erlebnisreichen Fluges fest, dass unsere Fußsohlen derart eingefroren waren. Das Aussteigen fiel entsprechend schwer, bzw. zuerst waren Auftaumaßnahmen notwendig, um den festen Boden unter den Füße wieder zu spüren.

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