Vaeridion will Elektro-Flugzeug bauen

Zwei Münchener Start-up-Unternehmer wollen klimafreundliche Kleinflugzeuge bauen. Bisher haben Ivor van Dartel (38) und Sebastian Seemann (39) die Pläne ihres Start-ups Vaeridion geheim gehalten. Jetzt sagt van Dartel: „In ein paar Jahren sind wir die größte E-Flugzeug-Firma in Europa.“ Die beiden Luft- und Raumfahrttechniker haben erst im September ihre Jobs gekündigt: Van Dartel beim Flugzeughersteller Airbus, Seemann beim Autozulieferer ZF Friedrichshafen. Seither haben sie ihre Firma gegründet, 3,2 Millionen Euro Risikokapital eingeworben und sind gerade dabei, ihre ersten 15 Mitarbeitenden einzustellen. Das Klimaabkommen von Paris, der „Green Deal“ der EU, aber auch Gerichtsentscheidungen und Gesetze setzen die Luftfahrtbranche unter Druck. Die ersten Gesetze greifen zwar erst ab 2030, aber „acht Jahre sind nichts in der Luftfahrt“, sagt Ivor van Dartel. Und aus Sicht der Gründer sind Kurzstreckenflüge schon jetzt massiv in Gefahr. Sie sind, gemessen am Passagierkilometer, die größten Umweltverschmutzer. „Wenn jetzt nichts unternommen wird, wird man Kurzstrecken- und Inlandsflüge verbieten oder massiv besteuern müssen.“ Die Gründer haben jedoch einen anderen Plan. In Nordeuropa sind kurze Inlandsflüge für viele Bürger unverzichtbar, weil andere Verkehrsverbindungen wie Bahnstrecken fehlen. Die Regierungen von Finnland, Norwegen, Schweden und Dänemark haben deshalb längst reagiert und den Fluggesellschaften Vorgaben gemacht, eine ehrgeiziger als die andere.

Regierungen in Nordeuropa pushen die Innovation
In Finnland sollen Inlandsflüge bis 2045 emissionsfrei sein. Norwegen will das bis 2040 erreichen. Und in Schweden und Dänemark sind fossile Brennstoffe auf Inlandsflügen sogar schon ab 2030 verboten. Es gibt also Bedarf an grüneren Flugzeugen. Weltweit haben das auch schon mehrere andere Firmen erkannt und arbeiten an elektrischen Fliegern und hybriden Konzepten. Auch Airbus hat zeitweise an einem Hybrid-Elektroflugzeug-Demonstrator gearbeitet. Van Dartel und Seemann, der vor seiner ZF-Station ebenfalls bei Airbus war, haben an dem sogenannten E-Fan X mitgearbeitet. Vollelektrisches Fliegen scheint für die Großfliegerei noch in weiter Ferne zu sein. Doch für Kleinflugzeuge sehen die Vaeridion-Gründer eine Chance: „Nicht alle Probleme der Welt können von traditionellen Unternehmen gelöst werden“, sagt van Dartel. Die Start-up-Unternehmer glauben, dass bis 2030 global bereits 1000 bis 2000 elektrische Flugzeuge auf dem Markt sein könnten, das würde nach ihren Schätzungen einen Umsatz von fünf bis zehn Milliarden Euro bedeuten. Und sie sind überzeugt, dass ihr Konzept dafür eines der besten sein könnte. Was die beiden im Sinn haben, ist ein Microliner mit elektrischem Antriebsstrang, eine Art Riesenmotorsegler. Zwei Piloten und neun Passagiere sollen darin Platz finden. Anders als bei den teilweise umstrittenen Luft-Taxi-Konzepten soll er starten und landen wie ein gewöhnliches Flugzeug.

Flugkonzept funktioniert mit marktgängigen Batterien
Für eine Reichweite von 400 Kilometern plus Reserve wären nach Meinung der Luftfahrtexperten schon heute marktgängige Batterien leistungsstark genug – wenn die Maschine aerodynamisch optimiert wird. „Batterien können die Energiedichte von Kerosin nicht liefern“, sagt Seemann, der bei Vaeridion für die Technik zuständig ist. Das sei aber auch nicht notwendig. „Man muss nur das richtige Fluggerät designen, um mit weniger Energie klarzukommen.“

Weltweit arbeiten auch Hunderte von Flugtaxi-Start-ups an grüneren Konzepten für die Luftfahrt. Bei den senkrecht startenden Fluggeräten stellen Experten teilweise aber weiterhin die technische Machbarkeit infrage: Unternehmen wie Lilium aus der Nähe von München setzen auf Batterien, die erst noch entwickelt werden müssen. Einen weiteren Vorteil für ihr Konzept sehen die Vaeridion-Gründer im Zulassungsprozess. Zwar würden Flugsicherheitsbehörden wie die europäische EASA bei ihrem elektrischen Antriebsstrang sicherlich genau hingucken. Aber: „Wir haben bewusst gesagt: Außer der perfekten Batterie-Flügel-Kombination machen wir nichts Neues“, sagt Seemann.

Diese Ansicht teilt auch Ivan Terekhov, Direktor für Forschung und Entwicklung am Lufthansa Innovation Hub. Elektroflugzeuge seien „grundsätzlich weiter in der Erlangung von Sicherheits- und Zulassungszertifikaten“ als die Flugtaxen, die oft auch eVTOL genannt werden (ein Akronym für electric Vertical Take-Off and Landing aircraft).

Luftfahrt-Experte hält 2030er-Ziel für realistisch
Terekhov hält es für durchaus realistisch, dass Kleinkabinen-Elektroflugzeuge bis 2030 auf ausgewählten Ultra-Kurzstrecken kommerziell marktfähig werden. „Hier sehen wir insgesamt deutlich größere Chancen der mittelfristigen Anwendung als bei Lufttaxen.“ Den Markt wollen auch andere Anbieter besetzen. Als Pionier gilt das in Israel gegründete Eviation Alice, das sich derzeit auf den Testflug vorbereitet. Der Elektroflieger soll genauso viele Passagiere transportieren können wie das Modell von Vaeridion. Die Münchener wetten aber, dass ihnen die Batterie-Integration besser gelingt. Weitere Wettbewerber für Vaeridion sind die US-Firma Bye Aerospace, das schwedische Start-up Heart Aerospace und der brasilianische Flugzeugbauer Embraer. Aus Sicht der Flugzeughersteller wird der Markt für die elektrischen Flieger deutlich größer sein als der Bedarf in Nordeuropa. Vaeridion und seine Anteilseigner wetten, dass ihr Flieger etwa für bestimmte Strecken in Deutschland ein interessantes Angebot sein könnte. „Die Hälfte der Zielkombinationen in Deutschland sind mit einer theoretischen Flugverbindung per Elektroflugzeug schneller zu bereisen als mit Bus, Bahn, Auto oder Großflugzeug“, sagt Ivor van Dartel.

Bamberg-Friedrichshafen und Hamburg-Sylt: Diese Strecken könnte Vaeridion in Deutschland fliegen
Noch ist Vaeridion nicht auf ein Geschäftsmodell festgelegt: Das Start-up könnte sowohl Flugzeugbauer als auch Fluggesellschaft werden. So oder so: Mit ihrem Riesenmotor-Segler ließen sich allein in Deutschland 300 Flughäfen zum Preis eines flexiblen Erste-Klasse-Tickets bei der Deutschen Bahn anbieten, glauben die Gründer. Ein Angebot für Geschäftsreisende und wohlhabende Privatleute. Weil das Start-up-Fluggerät nach aktuellen Berechnungen nur 650 Meter Landebahn braucht, ist die Liste der theoretischen Vaeridion-Verbindungen lang: Hamburg-Dresden, Bamberg- Friedrichshafen, Memmingen-Leipzig – und auch Hamburg-Sylt.

Bei solchen Fantasien ist Ivan Terekhov vom Lufthansa Innovation Hub allerdings vorsichtig. Die Marktdurchdringung von Elektroflugzeugen werde „mindestens ein Jahrzehnt“ dauern. Er verweist auch auf eine bisher geringe Investmentaktivität in dem Bereich: „Wagniskapitalinvestitionen in Start-ups rund um elektrische Flugzeuge sind bis dato verschwindend gering.“ Die aggregierten Risikokapital-Investitionen im Jahr 2021 beliefen sich auf nur 59 Millionen US-Dollar, weniger als ein Prozent der Gesamtinvestitionen in den Reise- und Mobilitätsmarkt im vergangenen Jahr. Die Münchener Risikokapitalfirma Vsquared Ventures, der Berliner Frühphaseninvestor Project A und Investor Andreas Kupke haben sich dennoch für eine Beteiligung an Vaeridion entschieden. Vsquared-Partner Herbert Mangesius sagt: „Die Auswirkungen eines solchen kurzfristig verfügbaren und bald skalierbaren Mobilitätsdienstes können kaum überschätzt werden.“ Quelle: ‚Handelsblatt‚.

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