„You are cleared to 6000 Meters… Next report: Oberalp.“

In den vergangenen 20 Jahren habe ich es selten bis gar nie erlebt, dass mich Skyguide ohne Transponder über die Standard-Höhen hinauf hat steigen lassen. Heute war das anders. Erstmals seit Jahren sind wir über dem Kanton Graubünden zwischen Zernez und dem Oberalppass mal wieder auf 6’000 Meter oben gesegelt. Ein königliches Gefühl. Und das Ganze auch noch bei Südföhn. Normalerweise ist da südlich der Glarner Alpen alles zugestaut.

Peter Schmid, der mir dieses Jahr während dieses Fluges auch gleich den (etwas ausführlichen) Jahres-Checkflug abgenommen hat, berichtet für einmal als Gast an dieser Stelle über den herrlichen Wellenflug.

Mit diesem e-Mail am Montag, 9. April haben die Ereignisse ihren Lauf genommen. ‚Ja, aber‘, war die spontane Antwort von Ernst. Kurze telefonische Absprache, wir sind uns einig, der Föhn reicht vermutlich nicht weit genug nach Österreich, für einen Weitschuss. Damit einigen wir uns, Treffpunkt 09:00 in Schänis zum regulären Briefing.

Die Strategie, die Strategie…

Wie so oft, haben wir auch heute eine perfekte Strategie. Diese sieht vor, dass wir uns um 09:00 unseren beinahe neuen Arcus T schnappen. Danach Start in die Föhnwellen und einen tollen, unbeschwerten Föhnflug geniessen. Alles klar soweit. Leider auch wie so oft, erfährt unsere Strategie unangenehme Störungen. Dies beginnen schon damit, dass der Arcus bereits seit 07:00 in der Luft ist. Die lapidaren Kommentare unserer Kollegen, „Ihr müsst früher aufstehen“. Vielen Dank an dieser Stelle, das haben wir gerade noch gebraucht.  Somit müssen wir uns wohl oder übel mit einem Duo Discus X begnügen. Zugegeben, das ist klagen auf sehr hohem Niveau.

Warme Kleider angezogen, Material im Flieger verstaut und um 10:06 zieht uns unsere zuverlässige Fox Juliet in Richtung Ziegelbrücke. Den Flachlandflieger wird’s zwar schütteln, wir entscheiden uns aber trotzdem für eine unsportliche Klinkhöhe von komfortablen 2’500 m. Danach Standardprozedere, Leistchamm, Südseite der Churfirsten. Erste Zweifel machen sich im Cockpit breit. Der Walensee kräuselt, die Churfirsten tragen aber eher schlecht als recht. Mutig fliegen wir vor. Die Theorie ist uns bestens bekannt und eine Strategie haben wir auch. In diesem Fall haben wir sogar beide dieselbe Strategie, was auch schon anders war.

Nächster Halt: Sichelchamm. Selbst der mag heute nur enttäuschen. Die Frühaufsteher im Arcus melden sich vom Gonzen. Kurz gerechnet, es ist jetzt 10:40, gestartet ist die Familie Straub um 7:17 – Frühaufsteher eben – , d.h. 3 Std.23 Min. und doch erst am Gonzen. Wir sehen uns in unserer Analyse des Vortages bestätigt, „der Föhn baut erst im Verlaufe des Tages auf und reicht deshalb nicht für einen Weitschuss“.

Der Falknis ist ein Rein-Fall.

Zumindest bestätigt uns die SX Besatzung, dass der Gonzen von ganz unten weg funktioniert. Diese Information lässt uns an unserer Strategie, nämlich vorzufliegen, festhalten. Mittlerweile können wir bestätigen, der Gonzen hat funktioniert und dies ab 1’400 m. Föhnartig, mit Steigwerten um die 5 m/sec haben wir uns schnell auf Kretenhöhe hochgearbeitet. Feinfühlig wie ein Kardiologe arbeitet Ernst uns auf eine nahezu komfortable Höhe von 2’400 m. Wiederum sind wir uns einig, wir fliegen weiter an den Falknis. Dieser belohnt unsere Abenteuerlust mit einem freien Fall über einige hundert Meter. Weiter an den Vilan. Unser brutaler Absturz verlangsamt sich deutlich. Knapp 900 m unter unserer Abflughöhe am Gonzen finden wir uns auf gut 1’500 m am Vilan. Mit Achten und Kreisen und Achten und noch mehr Kreisen, gelingt es uns etwas Höhe zu gewinnen, diese wird aber auch kurz darauf wieder vernichtet. Während ich mich vorne auf sauberes fliegen am Hang konzentriere meint Ernst ganz trocken: „Heinz (Brem – Anm. der Redaktion) sagt immer, die Höhe, die im Geradeausflug am Hang gewonnen wird, sollte möglichst nicht in der Kurve wieder vernichtet werden.“

Gratis-Parkplatz an Vilan und Gonzen.

Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag! Nach ewig lang erscheinendem, erfolglosen Pickeln, kündigen wir dem Vilan unsere Liebe und fliegen zurück an den Gonzen. Aus 1’300 m geht’s wieder im Lift hoch. Guter Rat ist teuer. Wir fliegen entlang der Alvier-Krete zurück zum Sichelchamm. Immer noch keine Bewegung, zumindest keine positive. Nochmals zurück an den Rettungsanker namens Gonzen. Wieder steigen wir auf Kretenhöhe. Wir einigen uns, dass man den Gonzen unbedingt erhöhen sollte. Irgendeine Konstruktion, welche noch ca. 700-1’000 m in die Höhe reicht. Vielleicht sollte man einen Künstlerwettbewerb ausschreiben. Dem geneigten Lester, der jetzt auf Sauerstoffmangel tippt, versichere ich, daran hat’s nicht gelegen.

Wie weiter aus dieser Misere?

Die Lenti’s im Prättigau sehen verlockend aus. Das höchste der Gefühle liegt aber im Moment auf 2’200 m. Trotzdem fliegen wir los. Und siehe da, über dem Geschiebe-Rechen von Fläsch fällt Ernst in eine hauchdünne Mini-Welle. Diese bringt uns auf gut 2’500 m. Damit sichern wir uns den Weg ins Rhätikon. Trotz haarscharfer Analyse aller verfügbaren Parameter – Windrichtung, Windgeschwindigkeit – das Rhätikon trägt einfach schlecht. Wir können gerade knapp die Höhe halten. Endlich gelingt es uns, an der Sulzfluh auf komfortable 2’700 m zu steigen. Jetzt beginnt’s uns langsam zu gefallen. Weiter geht’s über Madrisa an den Älpeltli-Spitz eingangs Montbiel. Zuverlässig wie eine Schweizer Uhr steigt’s hier richtig gut. In Richtung Silvretta-Gletscher trampeln wir in eine Welle. Um ja keine Luftraumverletzung zu begehen, fragen wir rechtzeitig bei Zürich Info für eine Clearance um höher als 3’900 m in den Luftraum Charlie zu steigen. Da unsere Steuergelder gerade an der Arbeit sind – sprich Militärflieger – kann unserem Ansinnen nicht statt gegeben werden.

Auch die beste Armee muss mal üben.

Also halten wir uns an die 3’900 m Obergrenze und fliegen weiter über den Flüela Richtung Zernez. Jetzt sind die Rotoren deutlich gezeichnet und es fällt leicht, diesen Aufwindbändern zu folgen. Das Vinschgau lockt, allerdings erkennen wir die Föhn Strukturen nicht mehr so genau. Deshalb drehen wir an der Nuna um und fliegen wieder westwärts. Am Flüela steigen wir wieder, Zeit für eine erneute Anfrage für weiteres Steigen. Wieder wird unserem Ansinnen nicht stattgegeben.

Steter Tropfen höhlt den Stein.

Etwas später am Jakobshorn erneute Anfrage, leider auch diesmal abgelehnt. Wir entschliessen uns, der Föhnwurst entlang über Arosa Richtung Chur zu fliegen. Wir fühlen uns wie in einem Jet. Ein herrliches Gefühl, mit 180 km/h und 1.5 m steigen der Wolke entlang zu zischen. Selbst im Schnellen Geradeausflug kommen wir dem Luftraum Charlie immer näher. Wer weiss, vielleicht ist den Armeefliegern mittlerweile der Sprit ausgegangen, sicherheitshalber fragen wir bei Zürich Info nochmals an. Der freundliche Controller fragt uns, auf welche Höhe wir denn zu steigen beabsichtigen.

Step by Step cleared to 6’000.

Werden wir mal nicht überheblich und fragen für bescheidene 4’600 m an. Nach einem kurzen „Stand by“ kommt schon sehr bald die Bewilligung auf 4’600 zu steigen. Dies gelingt uns in der Region zwischen Langwies und Tschiertschen.  Viel zu schnell erreichen wir 4’500 m. Schnell angefragt, ob einer weiteren Bewilligung auf 5’000 m statt gegeben werden kann. Die Bewilligung kommt umgehend. Mittlerweile sind wir in der Region Tschiertschen. Das Steigen nimmt auch bei 4’900 nicht ab, deshalb fragen wir in unserer unverwechselbaren Bescheidenheit für 5’500 m an. Auch dieser Anfrage wird unkompliziert und prompt zugestimmt. Der aufmerksame Leser vermutet es bereits, bei 5’400 m das Spiel nochmals. Wir erhalten eine Clearance bis auf 6’000 m. Welch erhebendes Gefühl. „Uns gehört die Welt. Le roi c’est moi.“ und weitere emotionale Ausdrücke durchfluten das Cockpit. Diesmal könnte es tatsächlich Sauerstoffmangel gewesen sein. 😉 ACHTUNG, dies ist nur ein Witz. Selbstverständlich hat es nicht am Sauerstoff, bzw. an Ermangelung desselben gelegen, sondern an diesem wunderbaren Gefühl auf 6’000 m dahin zu schweben.

Der Rest des Fluges ist schnell erzählt. Wie ein Airliner pfeilen wir auf 6’000 m Richtung Oberalp. Wir versprechen dem Controller hoch und heilig (Letzteres sind wir im Gegensatz zu Ersterem nicht), dass wir nicht in den Alfa 9 einfliegen werden. Ausserhalb der Luftrstrasse wenden wir und nehmen wieder Kurs Ost. Mittlerweile gefriert unser Capot immer mal wieder zu. Ernst fühlt sich wie in einer Eishöhle. Mit der Sonne im Rücken sitzt Ernst im Rücksitz im wahrsten Sinne des Wortes nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Selten habe ich diesen zähen Kerl dermassen jammern hören. Evtl. mit Ausnahme der Skitour 2011. Mein Verdacht, dass ich es mit einer Memme zu tun haben, hat der Blick auf das Thermometer mit einer Anzeige von -27 Grand schnell entkräftet. Ernst, ich entschuldige mich dafür, dass ich, wenn auch nur für einen kurzen Moment, an dir gezweifelt habe.  Über die Silvretta, Bielerhöhe nehmen wir immer noch auf 6’000 m Kurs Richtung Schänis.

Schwieriges Absinken in den äh – Walensee –
‚merci vielmal‘ an die Skyguide-Controller.

Die Frage des Controllers, wo wir gedenken, aus dem Luftraum Charlie auszufliegen, hat unsere mittlerweile gefrorenen Hirnzellen nochmals ordentlich in Schwingung gebracht. „Äh“, – ist übrigens ein Anfang, welcher in der Sache nicht unbedingt vertrauensbildend wirkt – „Äh, we intend to fall below 3’900 m in the area of Walensee“. Controller: „OK, next report when falling below 3’900 m“. Wir müssen uns ordentlich anstrengen, aus unserer Position Bielerhöhe 6’000 m bis zum Walensee auf 3’900 m abzusinken. Höflich verabschieden wir uns von Zürich-Info. Wir wurden heute sehr gut bedient. Auch an dieser Stelle nochmals ein herzliches Dankeschön an die freundlichen Controller von Zürich-Info.

Zum Checkflug gehört selbstverständlich eine einwandfreie Landung. Ernst hat diese Abschlussaufgabe mit Bravour gemeistert. Trotz orkanartigem Föhnsturm hat er den Sierra Golf butterweich auf der Piste 16 aufgesetzt.

Altersturnen.

Während Segelflug insgesamt ein sehr dynamischer Sport ist, fiel unser Aussteigen nach 7 Std. 20 Min. eher in die Kategorie ‚träg‘ und ‚ungelenkig‘. Und übrigens – all jene die sich fragen, ob Ernst den Checkflug bestanden hat, kann ich bestätigen, jawohl, mit Bravour. Auch wenn wir an diesem Tag nicht die meisten Kilometer gefressen haben, so war’s ein herrlicher Flug, der uns wieder einmal die vielen Facetten unseres faszinierenden Sportes aufzeigte.   

Hier noch die Wetter-Informationen zum heutigen Flugtag:

Flugstrecken-Aufzeichnung des GPS-Trackers.

Wind auf 2’600 Meter, um 12.00 mittags

und dann noch die Isobaren dazu.

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