„Wie oft warst Du schon an der Furka?“ – Leider noch nie.

In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.

Frühere Berichte der Serie:

Autor Martin Knops

Oder war da sogar noch viel mehr drin als „nur“ zur Furka zu fliegen? Schon lange träumte ich vom Wandersegelflug in den Alpen. Anstatt abends wieder nach Serres zurückzukommen, wollte ich möglichst weit in die Ostalpen fliegen und am nächsten oder übernächsten Tag wieder zurück.

Das waren aber lange Zeit Hirngespinste. Wie sollte ich das schaffen? Wie sollte das funktionieren, wo ich doch selbst propagierte, dass man sich ein Terrain wie die Alpen Stück für Stück erarbeiten muss. Bislang kannte ich die Welt nur bis zum nördlichen Ausgang des Mattertals. Der größte Teil der Alpen war für mich damit immer noch «Terra incognita».

Doch Rettung nahte aus einer völlig unerwarteten Ecke. Wir alle haben während der Covidkrise gelernt, die Möglichkeiten der online-Vernetzung wesentlich intensiver als Kommunikations-Mittel zu nutzen. So kam im Spätherbst 2020 auch eine Truppe aus Königsdorf um Matthias Schunk und Benjamin Bachmaier auf die Idee, das winterliche Alpenflug-Briefing des Vereins als Zoom-Meeting durchzuführen und für alle Interessierten zu öffnen. Was für eine grandiose Idee! „Late Night Soaring“ war geboren und entwickelte sich rasant schnell. Im zweiwöchentlichen Rhythmus teilen die Cracks des Alpensegelflugs die Essenz ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, berichten von den optimalen Routen, lokalen Hotspots, Aussenlandemöglichkeiten und Gefahren, teilen alle Tipps und Tricks. Für mich war und ist dies eine unglaublich bereichernde Fundgrube. Was ich mir sonst in vielen Jahren selbst hätte erarbeiten müssen, konnte ich jetzt in Stunden aufsaugen und verinnerlichen. Jede Session ein Puzzlestück, das sich mit den anderen Elementen zusehends zu einem Gesamt-Kunstwerk formte.

Natürlich kann ein derartiges virtuelles Training niemals die eigene praktische Erfahrung ersetzen. Hier muss man sehr vorsichtig sein! Ganz so grün hinter den Ohren war ich mit meinen vielen hundert Stunden Flugerfahrung in den Westalpen aber auch nicht mehr. Und so reifte über den Winter der Plan für den – für mich und meine Maßstäbe – ganz großen Coup: Während meines nächsten Fliegerurlaubs in Serres im August 2021 wollte ich versuchen, aus der Haute Provence über Savoyen, Matterhorn und Furka, Gotthard, Engadin, Paznauntal und Arlberg vorbei an Nebelhorn und Oberstdorf nach Isny im Allgäu zu fliegen – und – die aufmerksamen Leser werden es ahnen – am nächsten Tag zurück!

Gut vorbereitet fühlte ich mich irgendwann und doch weihte ich kaum jemanden in meine Planungen ein. Viel zu unsicher schien mir die Realisierung. Schließlich hatte ich nur ein Zeitfenster von einer Woche und die Wetterlagen, die über mehrere Tage ausreichend homogene Bedingungen entlang des ganzen Alpenbogens gewährleisten, sind rar gesät. Kurz vor meiner Abreise nach Südfrankreich wurde ich dann aber deutlich optimistischer. Die Mittelfrist-Vorhersagen legten nahe, dass sich in der zweiten Hälfte meiner „Serres-Woche“ ein Fenster öffnen könnte… und so verfolgte ich die Wetterberichte noch aufmerksamer als sonst und bat im morgendlichen Briefing immer mal wieder, die Alpenkarte auf zu zoomen und auch die Prognosen für die Nord- und Ostalpen zu besprechen. Das war schon verdächtig und bald ließ sich nicht mehr verheimlichen, was ich da vorhatte.

Zunächst wollte ich mich aber wieder an das Fliegen in den Bergen gewöhnen. Ich brauche doch immer ein bis zwei Tage, bevor ich mich auch tief am Hang wieder pudelwohl fühle. Diesmal kam das immer noch neue Flugzeug als Faktor hinzu. Sicheres Fliegen im Gebirge setzt voraus, dass man das eigene Flugzeug intuitiv beherrscht, dass man mit ihm verwachsen ist, weiß, wie und mit welcher Verzögerung es auf Ruderausschläge reagiert. Viele hundert Stunden Gebirgsflugerfahrung auf einem anderen Muster zu haben, kann in bestimmten Situationen sogar problematisch sein. So ertappte ich mich gleich zweimal dabei, dass ich beim Achtern und Kreisen am Fels unterbewusst eben doch mit der überragenden Wendigkeit der LS6 „rechnete“ und dann den Steinen ungewollt nahe kam – immer noch sicher dank eingeplanter Reserven, aber doch ein Adrenalinstoß, auf den ich gerne verzichtet hätte.

Am Dienstag sollte das Wetter erstmals einen Flug bis zum Furkapass ermöglichen. Noch weiter im Osten drohten allerdings großräumig Gewitter – nicht gerade ideal für die Realisierung meines Plans. Mittwoch und Donnerstag versprachen dagegen, homogen fliegbar zu werden, mit nur vereinzelten Gewittern am Donnerstag-Nachmittag in den französischen Ecrins. Nicht schön, aber hier kannte ich mich aus und ein Umfliegen wäre im Zweifelsfall sicherlich möglich.

Mittwoch sollte es also losgehen… langsam wurde es ernst und ich wusste nicht, ob ich nervös oder einfach nur voll freudiger Erwartung war. So oder so wollte ich den Dienstag nutzen, um mich ins unbekannte Terrain jenseits des Mattertals vorzutasten und damit zumindest einen weiteren Teilabschnitt des Weges nach Isny zu erkunden.
Nach dem Start um kurz vor 12:00 ging es zügig über Pic de Bure und den Pas de la Cavale, Briançon, Bardonnecchia und das Modanetal in die Vanoise, über das Aostatal, durch das Valpelline weiter zum Matterhorn, das noch vor 14:30 erreicht war. Es lief wie am Schnürchen.

Pic de Bure

Am Dom, mit über 4’500 m der höchste Berg im Mattertal, ging es auf über 4’000 m hinauf und mit dieser Höhe entlang des Alpenhauptkammes, der in dieser Gegend die Grenze zwischen der Schweiz und Italien markiert, nach Osten. Hier herrschte ein starker Westwind, die Wolken waren deutlich niedriger und rotorhaft zerfasert. Nach Norden öffnete sich der Blick zum Aletschgletscher auf der gegenüberliegenden Seite des Rhonetals, auf Jungfrau und Mönch dahinter – atemberaubend!

Auch die Aletsch-Arena, das Skigebiet um Riederalp, Bettmeralp und Fiescheralp lagen mit ihren nun saftig grünen Pisten in meinem Blickfeld. Hier war ich mit meiner Familie noch im April die Hänge hinuntergewedelt und hatte nebenbei und etwas verstohlen auch den Flugweg durchs Rhonetal ausgekundschaftet. Meine Aufmerksamkeit galt nun eher der Strecke voraus. Fordernd genug! Und doch hatte ich auch noch genug Muße für die Schönheit der Hochgebirgslandschaft – und technische Kuriositäten wie Windenergieanlagen in über 2500 m Höhe. Unfassbar!

Aber in dieser Höhe gibt es Stauseen, gibt es Turbinen zur Stromerzeugung, gibt es Hochspannungsleitungen als Verbindung zur Zivilisation. Wind über den Pass gibt es auch fast immer. Was liegt also näher, als hier ein paar Windenergieanlagen zu bauen? Dass der Wind meist von schräg unten statt von vorne weht, dass die Luftdichte gering, die Turbulenz dafür aber umso größer ist, dass Vereisung alltäglich und die Logistik wahnwitzig sind… alles Herausforderungen und keine Hindernisse… kopfschüttelnd und fasziniert zugleich saß ich im Cockpit und schoss ein paar Fotos, während ich in der turbulenten Thermik um zusätzliche Höhenmeter kämpfte.

Wer genau hinschaut erkennt die Windenergieanlagen – mitten im Hochgebirge

Keine 30 min nach dem Vorbeiflug am Matterhorn und nach mehr als 300 km Strecke durch atemberaubende Szenerie erreichte ich um 15:00 Uhr den Furkapass. Ich konnte mich gar nicht sattsehen an dieser Landschaft, an Gletschern, Pässen und Hochtälern. Und doch war es Zeit, zu wenden und sich wieder gen Heimat zu orientieren. Im Moment der Umkehr ging der Blick nochmal noch Osten Richtung Horizont, versuchte ich zwischen den tiefhängenden Wolken den weiteren Weg ins Engadin auszumachen. Hier wollte ich morgen wieder vorbeikommen, bis hierhin würde ich mich dann schon auskennen – etwas wenigstens. Und dann läge die gleiche Strecke noch einmal vor mir. Weitere 300 km, sicherlich schwieriger, alles unbekannte Landschaft, vorbereitet nur durch Karten, Videos, Google-Earth.

Ich fühlte mich ein wenig wie bei einer Mount-Everest-Expedition. Hier am Furkapass hatte ich gerade das Höhenlager aufgeschlagen. Nun sollte es zurück ins Basislager gehen, zurück nach Serres, von wo aus am Folgetag der Angriff auf den Gipfel starten würde; mit dem Höhenlager Furkapass als wichtigem Zwischenziel.

Der Rückflug vom Furkapass „ins Basislager“ Serres gestaltete sich trotz kräftigen Gegenwindes zunächst ähnlich problemlos wie der Hinflug. Zurück im Mattertal gab es allerdings die erste negative Überraschung. Ich flog die sonnenbeschienene Ostflanke des mächtigen Dom-Massivs ab und war mir sicher, hier irgendwo auf einen kräftigen Aufwind zu stoßen.

Niente, nichts oder zumindest nichts, was ein Einkreisen gelohnt hätte. Immer tiefer glitt ich das Bergmassiv mit seinen ausladenden Querrippen hinab. Sehr beeindruckend, wenn man fast 2’000 Meter Fels, Schnee und Eis über sich hat, aber andererseits auch noch mehr als 1’000 m über dem Talgrund fliegt.

Sehr beeindruckend, aber genießen konnte ich den Augenblick kaum. Zu sehr kreisten meine Gedanken um die Fragen „Wohin? Wo könnte es hoch gehen? Doch umdrehen?“

Schließlich wechselte ich auf die westliche Talseite. Hier sind auf Höhe von Zermatt die Bergrücken weniger schroff, nicht vergletschert. Hier hatte ich schon in der Vergangenheit gute Aufwinde gefunden. Und auch diesmal wurden meine Hoffnungen nicht enttäuscht, musste die letzte Option, kleinlaut umzudrehen und aus dem Mattertal wieder nach Norden auszufliegen, nicht gezogen werden. Stattdessen ging es nach einigen Suchkreisen zügig aus dem Keller zurück ins Obergeschoss. Meine Anspannung wich schlagartig und schon einen der ersten Kreise im Steigen nutzte ich für ein recht beeindruckendes Foto des Matterhorns: von so weit unten wollte ich es aus einem Segelflugzeug nie wieder sehen! Da ahnte ich noch nicht, dass ich mich nur zwei Tage später in ganz ähnlicher Lage wiederfinden würde. Als hätte ich doch Spaß daran, das Mattertal im Tiefflug zu erkunden.

Matterhorn von Norden

Nun ging es aber erstmal weiter, vorbei am Monte Rosa und dem kleinen Matterhorn über den Pass nach Italien und durch den Valpelline Richtung Aosta. Alles in komfortabler Höhe und so ahnte ich nicht, dass der zweite Tiefpunkt meines Fluges nicht weit war.

Um zu erklären, wie es zu diesem Absetzer kommen konnte, muss ich etwas weiter ausholen: Am Flughafen Aosta sind Fallschirmspringer beheimatet und so gibt es um den Flugplatz eine kleine Sperrzone, die bei Bedarf aktiviert wird, um die Springer zu schützen. Es ist tatsächlich schon passiert, dass ein Springer im freien Fall eine Tragfläche durchschlagen hat. So eine temporäre Sperrzone macht also Sinn.

Dummerweise führt der direkte Weg aus dem Valpelline in die Vanoise genau über den Flugplatz Aosta und somit durch diese Sperrzone. Einen Umweg wollte ich nicht fliegen und so fragte ich unschuldig auf der Flugplatzfrequenz, ob Fallschirmsprungbetrieb stattfände oder nicht. Statt der erwarteten kurzen Antwort folgte der längste und aufreibendste Funkverkehr meiner Karriere… Ich merkte sofort, dass ich den Lotsen regelrecht aufgeschreckt hatte. Er wollte nicht nur genau wissen, wo ich war, wie hoch ich war und wohin genau ich wollte, sondern auch wo ich herkam, wie ich heiße, und und und. Immerhin erkannte ich schnell, warum der Lotse so nervös war, kreuzte doch auf exakt meiner Höhe ein größerer Learjet meinen Flugweg mit Ziel Mont Blanc; offensichtlich ein Sightseeing-Flug.

Hatte ich etwas falsch gemacht? Eigentlich nicht, ausser… ich befand mich auf einem grenzüberschreitenden Flug. Aus Frankreich durch Italien in die Schweiz und wieder zurück. Für einen solchen Flug muss man einen Flugplan aufgeben, was ich nicht getan hatte. Kein Segelflieger dieser Welt gibt einen Flugplan auf, wenn er plant, wieder auf dem Startplatz zu landen. Und auch die Luftaufsichtsbehörden wollen nicht täglich hunderte Flugpläne von Segelfliegern bekommen und administrieren.

Bei der Nachbesprechung in Serres haben mich viele ungläubig angeschaut. Wie könne man nur so blauäugig sein und Aosta anfunken. Das kann nur Ärger geben… Diese Einstellung macht mich fast wütend, zumindest trotzig! Und tatsächlich kam nichts hinterher, kein Bußgeld wegen fehlendem Flugplan oder Ähnliches.

Den Einstieg in die Vanoise hatte mir die Aktion aber auf jeden Fall verdorben. Während ich in einem ruppigen Bart an der Grivola um genau diesen Einstieg kämpfte, schlug ich mich im Funk noch immer mit dem Lotsen von Aosta herum. Das lenkte nicht nur ab und nervte, vielmehr verspürte ich auch den starken Drang, möglichst schnell möglichst weit weg zu kommen und buchstäblich hinter den sieben Bergen zu verschwinden. Das tat ich dann auch und stieg hierfür flugs aus dem widerspenstigen Aufwind aus. Ab in den «Funkschatten».

Allerdings ist es nie und nirgendwo eine gute Idee, tief ins ansteigende Gelände zu fliegen. Der Talgrund kam immer näher, die Bergflanken links von mir wurden immer höher und der Pass voraus am südlichen Talabschluss schlicht unüberwindbar. So ein Mist!

Ich entschied mich, das Tal zu queren und in das Hochtal Richtung Col de Nivolet einzufliegen. Hier würde der Osthang durch den kräftigen Westwind frei angeblasen werden – es konnte dort nur hoch gehen. Frohgemut bog ich um die Ecke und landete in fünf Meter pro Sekunde Fallen! Hier stimmte etwas nicht! Offensichtlich lag ich mit meinem Windmodell massiv daneben! Also flugs umdrehen und zurück zu der Querrippe, an der ich zuletzt durch schwaches Steigen geflogen war. Hier war jetzt echte Bodenakrobatik angesagt.

In solchen Momenten muss man alle Gedanken an den weiteren Flugweg nach Hause weit von sich schieben. Genauso wenig darf man darüber grübeln, was einen in diese bescheidene Lage gebracht hat. Alle Konzentration gilt dem Hier und Jetzt, dem sauberen Achten fliegen am Hang, dem bestmöglichen Ausnutzen des mageren Aufwinds. Und tatsächlich: die Mühe wurde belohnt. Kaum 20 min später schaue ich wieder zu den Gipfeln hinab anstatt herauf, wird der Flugweg jenseits des eben noch unüberwindlichen Passes geplant. Von hier sind es noch knapp 150 km nach Hause, aber aus 4’000 m Höhe ist es fast schon ein gestreckter Endanflug und so lande ich schon eine gute Stunde später voller Eindrücke und auch ein wenig erschöpft in Serres. Erschöpft, aber glücklich.

Später erfuhr ich, dass ich es an diesem Tag als Einziger bis zur Furka geschafft hatte. Ein wenig stolz war ich schon.

Fortsetzung folgt.
Im nächsten Bericht fliege ich aus Südfrankreich ins Allgäu und anderntags zurück.

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