Wie können wir Segelflug-Wettbewerbe sicherer machen?

Autor: Alfred Ultsch

Mit der Teilnahme an einem Segelflugwettbewerb gehen wir ein erhöhtes Risiko ein. Für zentralisierte Wettbewerbe, spätestens ab dem Niveau Landes-Meisterschaft oder Internationaler Wettkampf, wissen wir, dass sich das Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Unfall und dafür im Wettbewerb zu Tode zu kommen, erheblich erhöht. Je nach Rechnung ist das Risiko im Vergleich zum sonstigen Segelfliegen* mindestens um Faktor 10 erhöht. Zu internationalen Wettbewerben nimmt man, den neuesten Zahlen der IGC zur Folge, am besten einen dunklen Anzug mit, da man bei jedem zehnten Wettbewerb auf eine Beerdigung gehen muss.

Bild 1: Risiken im Nichtalpinen-, Alpinen- und Wettbewerbs- Segelflug

* Die Aussagen dieses Beitrags, Zitate und Zahlenangaben sind durch Veröffentlichungen belegbar. Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, wurden die Literaturhinweise entfernt. Sie können beim Autor bezogen werden.

Das Risiko, in einem Segelflugwettbewerb mitzufliegen, liegt somit in einem untragbaren Bereich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie beginnen bei der Persönlichkeits-Struktur von Wettbewerbs-PilotInnen und reichen bis zu Wettbewerbs-Rregularien, die wichtige Sicherheitsmethoden außer Acht lassen. Klar ist, dass bei Wettbewerben das Eingehen von Risiken oft mit besseren Plätzen belohnt wird.

Da in der Regel Wetter und Technik als Unfallursache praktisch keine Rolle mehr spielen, ist das Verhalten der TeilnehmerInnen der entscheidende Faktor. Das Verhalten teilnehmender Piloten wird jedoch durch die Wettbewerbs-Regeln bestimmt.

Sind diese Regeln gut für die Sicherheit?
Die Wettbewerbs-Ordnung der FAI und IGC*, von dem auch das Reglement für Wettbewerbe (SWO) abgeleitet ist, befindet sich nicht auf dem heutigen Stand der Flugsicherheit, wie sie für die Luftfahrt weltweit vorgeschrieben ist. Derzeit bestehen die in den Regeln verankerten Sicherheits-Prozeduren praktisch ausschließlich aus statischen (reaktiven) Methoden. D.h. aus Unfällen oder Vorfällen der Vergangenheit wird immer wieder eine Verbesserung der Regeln entwickelt. Den ganzen Bereich der dynamischen (proaktiven) Flugsicherheit lassen unsere derzeitigen Sport-Regularien bedauerlicherweise aus. Sie geben nicht vor, wie ein Wettbewerb täglich und vor Ort die Sicherheit aktiv verbessern kann, ohne dass zuvor ein Unfall passiert ist. Ein passives Warten auf sicherheitsbezogene Beschwerden (reaktive Sicherheit) funktioniert in der Praxis nicht.

Können wir mit besseren Regeln mehr Sicherheit schaffen?
Klare Antwort: Ja. In der modernen Sicherheits-Wissenschaft (Safety Science) wird davon ausgegangen, dass wir akzeptieren müssen, dass Menschen, d.h. alle Piloten, Wettbewerbs-Organisatoren, Schlepppiloten, Starthelfer, Flächenhalter, u.s.w. also alle, die am Wettbewerb beteiligt sind, unvermeidlich Fehler machen werden. Dies ist nicht verhinderbar und somit aktiv zu behandeln. Unter den geeigneten Umständen, insbesondere, wenn nicht aktiv mit geeigneten Sicherheitsmethoden vorgebeugt wird, können sich selbst einzelne Fehler zu Unfällen entwickeln. Wenn man dieses weiss und akzeptiert, dann ergibt sich aus der Optik der Sicherheit ein klarer Auftrag an die Wettbewerbs-Organisation: ein Safety Management System (SMS) einrichten und kompetent betreiben.  

Eine Wettbewerbs-Ordnung, die hinsichtlich Flugsicherheit auf der Höhe der Zeit wäre, sollte organisatorische und personelle Vorkehrungen für ein SMS im Wettbewerb verbindlich vorgeben. Sie sollte dafür sorgen, dass Wettbewerbsleitungen und ihre Helfer in moderner Flugsicherheit ausgebildet sind. Insbesondere der in der in den IGC/FAI Dokumenten für Wettbewerbe erwähne Safety Officer, hier „Safety Coach“ genannt, sollte eine solche Ausbildung erhalten haben, welche mindestens die von der ICAO vorgegebenen Flugsicherheitsmethoden – angepasst auf unsere Segelflugvereine- umfasst. Vorherige Tätigkeiten als Testpilot, ATPL-Pilot, Behördenmitarbeiter, Flug-Unfall-Untersucher oder Erfahrungen als Wettbewerbs-TeilnehmerInnen bzw. -OrganisatorInnen, sind dazu nicht ausreichend.

Was ist ein Safety Management System (SMS) für einen Wettbewerb?
Um dies zu verstehen, kann man das Schweizer-Käse-Modell von James Reason verwenden. Damit verhindert werden kann, dass sich einzelne Fehler oder Probleme (Pfeile im Reason-Modell) zu Unfällen entwickeln können, wird eine Reihe von Sicherheits-Netzen (Käsescheiben) hintereinander geschichtet. Diese sollen verhindern, dass sich Fehler zu Unfällen entwickeln.  Nur im hoffentlich seltenen Spezialfall, dass alle Löcher genau passend hintereinander angeordnet sind, kann es dann noch zu einem Unfall kommen. Leider sind die Käsescheiben keine undurchlässigen Gruyere-Scheiben, sondern sozusagen Emmentaler. D.h. in den Sicherheitsnetzen gibt es Lücken = Löcher in den Käsescheiben. Leider sind diese Löcher aber nicht ohne weiteres sichtbar. Sie müssen aktiv gesucht werden. Wenn man von einem typischen Segelflug-Wwettbewerb mit etwa 200 Starts und den üblichen 6 Scheiben (siehe Bild 2) ausgeht, dann kann man statistisch errechnen, dass die TeilnehmerInnen in diesem Käsescheiben-Stapel, wenn nichts getan wird, statistisch 4’800 Löcher (!) antreffen.

Safety Management ist nichts anderes als eine geplante, aktive und professionell durchgeführte Suche nach möglichst vielen Löchern in diesen Sicherheitsnetzen.  Management von Sicherheit ist also eine organisierte und kompetente Suche nach Löchern in den Käsescheiben. Weiter braucht es einen ausgebildeten Fachmann für Sicherheit (Safety Coach). Dieser weiss, wie man die Suche organisiert, und wie er aus den gefundenen sicherheitsrelevanten Beobachtungen methodisch Maßnahmen ableiten kann, welche den Wettbewerb sicherer machen werden. Solche Methoden, wie z.B. das in der OSTIV bekannte TAO2M*, werden in guten Ausbildungen zum Safety Coach gelernt. Um im Reason Modell zu bleiben, müssen „Deckelchen“ entwickelt werden, welche die Löcher in den Käsescheiben abdichten können.

Damit ist die Aufgabe des Safety Coaches noch nicht zu Ende. Er muss auch dafür sorgen, dass die Wettbewerbs- Leitung geeignete Maßnahmen umsetzt und auch messen, ob sie mehr Sicherheit erbracht haben.

Bild 2: Unfallverhinderung im Schweizer Käse Modell von J. Reason

Ein wertvoller Nebeneffekt dieses Ansatzes ist, dass die Sicherheit eines Wettbewerbs gemessen werden kann. Aus Erfahrung wissen wir, dass während der ersten drei Tage des Wettbewerbs die TeilnehmerInnen und ihre Helfer in der Lage sind, mindestens sechs sicherheitsrelevante Beobachtungen (Löcher) zu finden. In der Regel lassen sich daraus ca. 30 praktische und konkrete Maßnahmen entwickeln, welche die Wettbewerbs-Leitung umsetzen kann. Die Sicherheit eines Wettbewerbs kann somit an der Anzahl gefundener Löcher, und der Anzahl der umgesetzten Sicherheits-Mmaßnahmen gemessen werden. Hieraus kann man ein Sicherheits-Barometer analog des bekannten Trainingsbarometers entwickeln. Bild 3 zeigt dieses Sicherheits-Barometer und gelb unterlegt die Ergebnisse in Königsdorf (Bayern).

Hat dies schon mal funktioniert?
Bei dem Anfang Mai 2022 stattgefundenen Königsdorfer Vergleichsfliegen (Bayern, DE) haben die ca. 30 TeilnehmerInnen unter Anleitung eines gut ausgebildeten und erfahrenen Safety Coaches nach sicherheitsrelevanten Beobachtungen gesucht. Ziel war es, dass jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin mindestens sechs Käsescheiben-Löcher in den ersten Tagen des Wettbewerbs finden soll. Von den idealerweise 6 x 30 = 180 Löchern wurden in der Tat 176 gefunden. Dies entspricht einem gemessenen Sicherheitsniveau von 98%. Der Safety Coach konnte mit der TAO2M Methode jeden Tag der Wettbewerbs-Leitung ca. zehn Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Wettbewerbs vorschlagen. Insgesamt wurden an den ersten drei Flugtagen täglich jeweils zwischen fünf und zehn Maßnahmen in die Praxis umgesetzt. Beispiele für solche Maßnahmen sind: bessere Startverfahren, bessere Abflugverfahren, bessere Schlepprouten, spezielle Briefings, technische Verbesserungen, Kennzeichnungen,  u.a.m.

Bild 3: Messung von Sicherheit für einen Wettbewerb

Warum hat das funktioniert und wie kompliziert ist das in der Praxis?
Mehr Sicherheit bei einem Wettbewerb gibt es nicht ohne Aufwand. Dieser besteht dabei darin, die Beteiligten, insbesondere Organisatoren des Wettbewerbs und natürlich insbesondere den Safety Coach des Wettbewerbs in moderner, organisations-basierter Flugsicherheit auszubilden. Als Resultat dieser Ausbildungen konnten alle TeilnehmerInnen in Königsdorf das 98% Sicherheitsniveau erreichen. Dies war die „Ernte“ einer Reihe von Ausbildungen, die im Vorfeld des Wettbewerbs stattgefunden haben:

  1. Der Verein, der den Wettbewerb ausgerichtet hat, wurde in den Jahren vorher trainiert eine LAUF (Lerne-aus-Fehlern)-Fehlerkultur einzusetzen.
  2. Die Wettbewerbsleitung und alle am Wettbewerb Beteiligten wurde vor dem Wettbewerb in modernen Sicherheitsverfahren ausgebildet.
  3. Ein umfassend in moderner Sicherheit ausgebildeter Safety Coach hat die Suche nach den sicherheitsrelevanten Beobachtungen organisiert, die Ableitung von Maßnahmen vorgenommen und die Wettbewerbsleitung in Sicherheit beraten. Für die teilnehmenden Piloten und ihre Helfer bedeuteten diese dynamischen Sicherheitsmethoden einen „Aufwand“ von 10 Minuten für die Sicherheit beim täglichen Briefing.

Vertrauliche Probleme der TeilnehmerInnen, PartnerInnen, Helfer und Schlepppiloten wurden durch eine u.a. bei der Stiftung MAYDAY* ausgebildete Spezialistin (Barbara Hofer) betreut.

In Summe wurde dieser Wettbewerb täglich sicherer. Die erzielten 176 sicherheits-relevanten Beobachtungen (Löcher) dienten nicht nur dazu, die Sicherheit dieses Wettbewerbs täglich zu verbessern. Sie können von den Veranstaltern auch genutzt werden, um künftige Wettbewerbe sicherer durchzuführen. Selbstverständlich wurden die gemachten Beobachtungen vor einer Weiterleitung an die Wettbewerbs-Leitung vollständig anonymisiert.

Wie kann man Safety Management lernen?
Die für die Luftfahrt im allgemeinen beste Quelle für SMS ist ICAO Annex 19 und die davon abgeleitete Vielfalt von Dokumenten, von denen etliche praktische Anleitungen geben. Da diese Dokumente zunächst für die kommerzielle Luftfahrt mit „Kunden“ und industriellen Prozessen verfasst wurden, müssen die darin enthaltenen Methoden in die Organisationsform Segelflugwettberb mit i.d.R. ehrenamtlichen Helfern übertragen werden. Hierfür kann man sich Ausbildungen, Organisationshinweise und praktische Anleitungen beschaffen*.

Zusammenfassung:
Veranstalter von Segelflugwettbewerben, die gar kein oder ein Safety Management im Wettbewerb nicht so betreiben, wie es für die Luftfahrt weltweit verbindlich vorgesehen ist, könnten sich dem Vorwurf aussetzen, nicht alles getan zu haben, um die Sicherheit für die Teilnehmer des Wettbewerbs nach den gegenwärtig vorauszusetzenden Standards zu gewährleisten. Daher ist allen Veranstaltern von Segelflug-Wettbewerben anzuraten, sich das entsprechende Wissen und Können anzueignen. Wettbewerbs-Leitungen, sollten zumindest eine Grundausbildung in dynamischer Flugsicherheit besitzen. Der in den Wettbewerbs-Regularien der FAI/IGC geforderte „Safety Officer“ (alias Safety Coach, Sicherheitstrainer, etc.) sollte die organisations-basierten Sicherheitsmethoden sehr gut kennen und diese auch in der Praxis anwenden können.

Hinterbliebene oder bei einem Wettbewerb Geschädigte werden es als grob fahrlässig empfinden, wenn Wettbewerbsleitungen im Wettbewerb Sicherheitsmethoden nicht einsetzen, welche in der Luftfahrt und auch gerade im Segelflug nachweislich hoch wirksam sind. Die Wettbewerbsregularien sollten in Bezug auf moderne, dynamische, proaktive Sicherheit auf den aktuellen Stand der einzusetzenden Sicherheitsmethoden gebracht werden. Insbesondere sollten Schulungen in organisations-basierter Flugsicherheit für Veranstalter und Safety Coaches zur Voraussetzung für eine Durchführung eines zentralen Wettbewerbs gemacht werden.

Mein persönliches Fazit:
Wir Segelflieger sollten bei keinem Wettbewerb mehr teilnehmen, der kein SMS hat oder ein solches SMS nicht kompetent betreibt.

Danke
Der Autor dankt Tobias Zilkens, SSV Ludwigshafen und Thomas Kurz, Flugplatz Schwarze Heide, sowie Barbara Hofer, SO  für die Durchsicht und konstruktive Anmerkungen.

3 Gedanken zu „Wie können wir Segelflug-Wettbewerbe sicherer machen?

  1. Max und Moritz

    Der Segelflug und gerade der Wettbewerb ist viel zu individuell, letztendlich Freizeit und Sport, um Sicherheit wie in Organisationen aus Luftfahrt, Kernkraft, Medizin usw. „organisatorisch“ zu etablieren. Dort in der Industrie findet auch ein 24/7 Monitoring und Abgleich mit fortwährende Datenanalysen statt. Ein gemeinsames Gebet am Morgen mit wahrscheinlich immer wieder gleichen Beobachtungen um die angeblichen Löcher im Käse zu stopfen kann da nicht mithalten – suggeriert vielleicht aber dann eine Sicherheit, die gar nicht vorhanden ist. Kann hier dann wirklich der selbe Erfolg wie in der Industrie erreicht werden?

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  2. Takayoshi

    Hallo,
    vielen Dank für diesen wichtigen Artikel!
    Nachdem ich selbst gerade auf der Suche bin – gibt es irgendwo Informationen, welche Vereine die erwähnte Sicherheitskultur aktiv pflegen/leben/umsetzen?
    Viele Grüße
    Takayoshi

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