Wie der Segelflug die Winglet-Entwicklung beeinflusste

Heute sieht man bei den meisten Verkehrsflugzeugen nach oben gebogenen Flügelspitzen, auch andere Formen, in denen Flügel enden, Winglets. Wie moderne Werkstoffe, so wurden vermutlich auch diese zuerst im Segelflug eingeführt. Aber ganz genau kann man das nicht sagen, denn es gibt und gab zu viele verschiedene Formen, die man allerdings nicht immer als Winglets im heutigen Sinne ansehen kann. Es begann wohl mit einfachen Scheiben an den Flügelenden, dann folgten auch Keulen (bei Jet-Fightern auch als Zusatztanks genutzt). Aber wozu dienen Winglets? Auch das ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. In den Chatrooms gibt es eine Fülle von Erklärungen, teils reine Phantasie, teils offenbar bewusste Fake News. Die spaßigste und gar nicht so seltene, trotzdem abwegige Deutung ist, dass die Fluggesellschaften mit dem Anblick der eleganten Winglets ihre Passagiere erfreuen wollen.

Für Kurzstrecke anders als für Langstrecke
Da muss natürlich jede Gesellschaft eigene Winglets haben! In der Tat ist es erstaunlich, dass die Vielfalt der Wingletformen darauf hindeutet, dass ein Vorteil für die Flugeigenschaften nicht eindeutig auszumachen ist, jedenfalls nicht für alle möglichen Flugzustände gleichzeitig. Manche seien für die jeweils vorwiegenden, häufigsten Betriebsarten optimiert. Für Flugzeuge, die für den Kurzstreckenbetrieb bestimmt sind, sollen sie anders geformt sein, als für typische Langstreckenmaschinen.

Bei der Kurzstrecke sind Starts und Landungen, bezogen auf die geflogenen Strecken, häufiger. Größere Fluganteile entfallen auf den Langsamflug, während die Langstrecke die überwiegende Zeit im Schnellflug zurückgelegt wird. Aber so eindeutig kann man es den verschiedenen Wigletformen nicht ansehen. So hat beispielsweise der Airbus A380-800 Winglets, die 2,3 Meter hoch sind, während die Boeing 767-300 ER es sogar auf 3,45 Meter bringt, letztere wohl die größten Winglets überhaupt.

Geringere Sinkraten
Eindeutig scheint nur der Vorteil von Winglets für den Segelflug zu sein. Und neuerdings sieht man Windräderflügel mit Winglets. Die Windradflügel sind ja auch dem Segelflug entlehnt. So ist es kein Wunder, dass man auch hier Vorteile sieht. Im Segelflug findet man zwar auch unterschiedliche Formen. Das kann aber nur bedeuten, dass Winglets in jedem Fall verbesserte Flugeigenschaften bringen.

Betrachtet man die jeweiligen Geschwindigkeitspolaren, so stellt man fest, dass Winglets immer im unteren Geschwindigkeitsbereich zu geringeren Sinkraten führen. Solche Polaren sind graphische Darstellungen des Eigensinkens des Flugzeuges (in ruhiger Luft) über den nutzbaren Geschwindigkeitsbereich. Und für das geringere Sinken im Langsamflug mit Winglets gegenüber ohne diese gibt es eine Erklärung. Man muss sich dazu nur vergegenwärtigen, dass der Auftrieb am Flügel angenähert zu einem Drittel durch den Druck, das Anblasen der Unterseite des Flügels, der ja im Luftstrom leicht angestellt ist, bewirkt wird, und zu etwa zwei Drittel durch den Sog an der Flügeloberseite.

Erinnerung an Bernoulli
In einer laminaren, nicht turbulenten Strömung entsteht immer quer zur Strömung eine Sog. Auf der Unterseite ist die Strömung durch Stau langsamer, auf der Oberseite durch den längeren Weg über das nach oben gewölbte Profil schneller. Mehr Sog also oben! Am Flügelende trifft der Druck von unten auf den Sog von oben. Das versucht sich auszugleichen. Es entstehen Randwirbel, die Energie kosten und damit größeres Sinken bewirken, denn bekanntlich kann ein Segelflugzeug nur aus dem Eigensinken gegenüber der Umgebungsluft seine Energie für den Vortrieb, also das Fliegen nehmen.

Die Randwirbel verursachen den sogenannten induzierten Widerstand. Im Langsamflug, zum Beispiel in der Thermik, fliegt man mit dem größten Anstellwinkel, um möglichst viel Auftrieb zu haben. Da ist also der Druck-Sog-Unterschied am größten. Und da wirken Winglets am stärksten. Schon der typisch lange schlanke Flügel von Segelflugzeugen ist notwendig, um am schmal auslaufenden Flügelende den Druckunterschied und damit den induzierten Widerstand möglichst klein zu machen. Motorflugzeuge mit ihren aus praktischen Gründen meist kurzen, tiefen Flügel, zum Beispiel zwecks Platzeinsparung im Hangar, machen den großen induzierten Widerstand durch einen Teil der Motorkraft, also höheren Spritverbrauch wett. Die langen dünnen Segelflugzeugflügel erfordern hohe konstruktive Anstrengungen, bedeuten hohe Lasten an der Rumpfaufhängung und machen Segelflugzeuge am Boden unhandlich.

Zusätzlicher Widerstand
Das führt zu der einfachsten Erklärung der Wirksamkeit von Winglets, sie verlängern den Flügel und verringern dadurch den induzierten Widerstand, ohne die Spannweite und damit die Last auf die Verankerung am Rumpf zu vergrößern! Das gilt also ebenso für den Windradflügel. Den leichten Vorteil im Langsamflug kann man durch Berechnungen, durch Messungen im Windkanal, oder durch Vergleichsflüge belegen.

Bei näherem Hinsehen sieht das Ganze aber komplexer aus. Nehmen wir zunächst einmal die einigermaßen plötzlich nach oben gebogenen Winglets. Sie scheinen nichts zum Auftrieb beizutragen, bedeuten aber zusätzlichen Widerstand, einmal abgesehen von dem größeren konstruktiven Aufwand. Der Schein trügt aber auch hier etwas. Man stelle sich die Verteilung des Auftriebes über den gesamten Flügel vor, speziell den Anteil, der an der Oberseite erzeugt wird, den Sog.

Diverse Mischformen
Dieser ist in Rumpfnähe am stärksten, weil hier die Flügeltiefe am größten ist, nimmt also zur Flügelspitze hin ab. Dadurch wird aber die den Flügel überströmende Luft auch leicht zum Rumpf hin, also leicht quer zur Flugrichtung angesaugt. Das kostet unnötigerweise Energie. Diesem Sog zum Rumpf hin wirkt nun der am senkrecht gestellten Winglet erzeugte Sog entgegen und verbessert daher die Strömungsverhältnisse. Selbst ein solches Winglet trägt also zum Auftrieb bei. Bei den anderen, nicht so abrupt nach oben abgeknickten Wingletformen liegt offensichtlich eine Mischform vor, oder ein allmählicherer Übergang vom Tragflügel zum Winglet. Einige Segelflug-Piloten meinen im übrigen einen positiven Effekt der Winglets auf das Flugverhalten, besonders auch in der Thermik zu empfinden. Eine größere Seitenwindempfindlichkeit wird von Verkehrspiloten beschrieben. Verständlich, wenn man an Winglethöhen wie oben beschrieben denkt.

Vergnügen beim Anblick von Winglets
Wie die Hersteller zu Ihren unterschiedlichen Wingletformen kommen, mag dahingestellt bleiben. Ästhetisch machen die Winglets den Flügel zweifellos für die meisten Piloten interessant, wobei es Geschmackssache ist, welche Form im Einzelnen einen mehr anspricht. Man erkennt das daran, dass heute fast nur noch die für den Leistungsflug beschaffte Segelflugzeuge mit Winglets ausgestattet sind. Auch das größere Flugvergnügen beim Anblick von Winglets trägt so möglicherweise auch noch etwas zur Leistungssteigerung bei. Sollten vielleicht doch die Fluggesellschaften mit Winglets an ihren Ferienfliegern mehr Fluggäste anziehen? Quelle: ‚Aerotelegraf / Ulf Rosenow‚.

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