Urs geht in die Luft.

Frühlingsflug und aviatische Wiederbelebung. Gemütliche Reise im Duo Discus durch Erinnerungen, das Prättigau und Vorarlberg.

Donnerstag, 25. April 2013. Urs kenne ich schon so lange, dass ich mich fast nicht mehr erinnern mag, wann ich ihn eigentlich das erste Mal getroffen habe. War das jetzt bei seiner legendären Aussenlandung mit dem Glasflügel 304 ‚BA‘ in der Adda? Oder als Federico für ihn über dem Monte Ubione (San Pellegrino) für einen Tag einen geschützten Luftraum eingerichtet hat, damit er endlich  ungestört kreisen kann? Möglicherweise war es auch jener unvergessliche Abend, als er der vollen Schänner Flugplatzbeiz den Urknall erklärte? Mit Lampenschirmen als Planeten und dem Getränke-Kühler als schwarzes Loch hantierend? In Frage kommen auch noch Ostertage mit Endlos-Kirchen-Glocken-Geläut in Roncola bei Valbrembo, wo wir jede Nacht gewürfelt haben. Was Federico jeweils nicht dran gehindert hat, morgens beim ersten Sonnenlicht mit seiner ASH-25 über das Hotel auf dem südlichsten Bergrücken der Bergamasker Alpen pfeifend in den Nordföhn zu starten. Vielleicht war’s aber doch die siebenstündige Kupplungs-Stecker-Reparatur bei 40° Celsius auf offener Wiese in Vinon – sozusagen der beste vorstellbare Platz für eine nifelige Kabel-Salat-Reparatur. Da weiss ich nur noch, dass ich einen ganzen Satz Autosicherungen durägröschtet ha. Auf der Liste besonderer Erlebnisse mit Urs findet man auch den Versuch, bei minus 15° einen grossen, aber leider steif gefrorenen Kieshaufen am Arbeitssamstag auf dem Anhängerplatz von Schänis zu verteilen. Geht natürlich so nicht, ausser man dreht eine grosse Schraube in den Kieshaufen und zieht ihn am Stück an den Bestimmungsort… Wenn man ihn aber dort verteilen will, hilft nur eine geniale Idee des Physikers: den Haufen mit fliessendem Wasser auftauen. Um halb zwei haben wir dann diesen Event nach einem Kopfstand des Baggerlis auf dem gefrorenen Kieshaufen und einer Reihe geplatzer Gartenschläuche komplett durchnässt, bzw. steif gefroren, abgebrochen und den Kieshaufen an einem wärmeren Tag verteilt – ging wesentlich besser. Da wäre auch noch ein drei Wochen dauernder Segelflug-Abenteuer-Urlaub mit Urs und Federico zu erzählen. Der geht aber quer durch Europa und ist so kompliziert, dass man eine Zeichnung dazu machen muss, um die seltsamen Ereignisse rund herum zu begreifen – das erzählen wir ein andermal.

Die Reihenfolge dieser speziellen Urs-Events ist mir mit der verklärenden Erinnerung zusammen offenbar etwas durcheinandergeraten, aber ich mag mich wenigstens 30 Jahre später noch an jedes Detail erinnern. Und auch an manchen fröhlichen Abend mit schlegeltiggä Zigarrenrauch-Wolken, etwas Jacuzzi, deutlich mehr Alkohol, verzweifelnden ehemaligen und späteren Gattinnen und einer Überdosis kulinarischer Höhepunkte – was man uns beiden bis heute haltschunuch etwas ansieht.

zwischen Berufsleben und Rollator

Urs fliegt heute das erste Mal seit einem Jahrzehnt wieder, sorgfältig plazieren wir ihn nach einem regulären Büro-Vormittag fast schon mitten am Nachmittag auf dem vorderen Sitz unseres DuoDiscus HB-3193. Ausstaffiert mit dem in unserem Alter üblichen Komfort-Steigerungs-Paket: Kissen, ausreichend Kägi-Fret, einer Kurpackung Stugerol und genug Flüssigem. Urs ist ein paar Tage älter als ich und schwärmt angesichts des bevorstehenden Vergnügens von der besten Zeit des Lebens: jener zwischen dem Ende des Berufslebens und dem Rollator.

Krawall wie in einer Einmot

Mit einem solcherart schweren Rucksack beladen setzen wir uns an diesem gleissenden Frühlingstag in Schänis in den ältesten DuoDiscus, den wir da noch haben. Der HB-3193 kommt langsam etwas in die pubertären Jahre – da entwickelt bekantlich Manches ein paar Eigenwilligkeiten. Kaum abgehoben, stelle ich einen gänzlich ungewohnten Lärm hinten links fest. Es ist, als sässe ich auf dem hinteren Sitz in einer Einmotorigen mit defekten Auspuff. Vorn scheint es besser zu sein. Urs hört nichts Verdächtiges. Eine erste Analyse vermutet ein loses Abdeck-Teflon-Klebeband beim Fahrwerk. Blöd ist, dass ich ab einer Speed von 110 km/h kaum etwas von den Instrumenten höre und auch Urs nicht immer verstehe – okay – das ist mir auch schon in ruhigerer Umgebung so gegangen, aber diesmal sind es ausschliesslich akkustische Gründe.

Trotzdem ist Urs guter Dinge, lässt sich nix anmerken und freut sich über seine offensichtlich nicht verloren gegangenen Flug-Künste. Er steuert den Duo hinter unserem PS-Monster her, als hätte er das gerade gestern das letzte Mal gemacht.

Bald einmal sausen wir im Geradeausflug den Churfirsten entlang, nehmen am Gonzen zusammen mit René Pomey, der einen Discus spazieren fliegt, ein paar Meter dazu und queren ins Prättigau. Am Falknis wickeln wir den Duo in einem herrlich starken und engen Frühlings-Aufwind auf fast 3’000 Meter hinauf. Etwas Wasser im Heck wäre auch heute nicht schlecht gewesen. Das Prättigau können wir mit dieser Höhe trotzdem sorglos erobern. Die Stimmung an Bord ist bestens, Urs steuert uns noch bis an den Arlberg, um dort der hohen Schneehaufen und der fortgeschrittenen Zeit wegen um 17.00 Uhr zu wenden. Das Licht wird etwas flacher. Die Luft scheint nun etwas stabiler. Seiner Heimat Appenzell möchte er aber noch einen Besuch abstatten.

Durch das Montafon

Dieses Unterfangen brechen wir dann in immer stabiler werdender Luft in der Region Bludenz ab und flüchten uns schon deutlich tiefer im Gelände wieder in die Berge zurück. In Schruns hilft dann alles nichts mehr, wir müssen nach ergebnislosem Suchen am Itonskopf und an allen Sonnenhängen tief an den Hang des Hochjochs. Da kommen Talwind und Sonne zusammen. Wie uns das Federico schon vor dreissig Jahren fein säuberlich erklärt hat. Immer die zum Talwind querstehenden Geländerippen anfliegen, die auch noch an der Sonne liegen und eine lange Einstrahlungsfläche haben. Schönes rundes, starkes Steigen lässt uns in wenigen Minuten die Welt wieder aus deutlich höherer Optik bewundern. Die Gespräche werden wieder etwas munterer – eine Zeitlang war’s im Cockpit bis auf den ‚Motor‘ hinten links verdächtig ruhig geworden. Das wär ga nuch der Bescht gsii, wämmer hättet mösä usselande!

Baden in Erinnerungen

Appenzell rückt dann auf dem Heimweg durch das Prättigau und den Churfirsten wieder in Reichweite. Mindestens den Säntis und den wunderschönen Gräppelensee oberhalb Wildhaus (der soll jetzt einem bösen Gerücht zufolge voller ‚Terror-Blutegel‘ sein, die sogar ‚durch Socken beissen‘) will Urs zur Pflege alter Erinnerungen nochmals überfliegen. Machen wir gerne – bevor wir abends um sieben in ruhiger Luft in Schänis landen. Auch das kann Urs noch so gut wie früher. Unsere Gspänli haben um die Zeit schon fast alle Flieger eingeräumt. Ein erster Kontrollblick unter den Flieger lässt mich nach der Landung staunen. Da hängt ein kurzer Fetzen Klebeband vom Flügel-/Rumpf-Übergang herunter. Das also muss der Übeltäter mit dem ‚Motorenlärm‘ gewesen sein…

Vor lauter Aufregung hat Urs gar keine Zeit für eine allenfalls aufkommende Seekrankheit gehabt und die Kurpackung Stugerol landet ungebraucht wieder im Rollkoffer.

Bevor der Glarner Güggel chräht

Wir haben uns lange nicht gesehen und eine Menge Geschichten zu erzählen, Erinnerungen aufzufrischen, den Urknall und die Quanten-Mechanik zu streifen (nützt bei mir nichts mehr, bevor ich das oberkomplizierte Thema amigs nur schon buchstabieren kann, vergesse ich auch schon alles wieder). Doch das Alter?

Wie von früher gewohnt, wird es auch diesmal bei uns zuhause wieder sehr spät. Der Wein-Vorrat wird geringfügig dezimiert, der vorhandene Grappa danach zusammen mit ein paar Zigärli fast völlig vernichtet. Und kurz bevor der erste Hahn kräht (die Glarner Güggel sind ja bekannt für spätes Aufstehen), kriechen wir für eine viel zu kurze Nacht-Restzeit noch unter die Daunendecken – bevor es anderntags wieder in den Stollen geht (jedenfalls für mich). Wird wohl ein harter Tag im Büro.

War ein tolles Erlebnis mit Dir, Urs – und den Rollator verschieben wir nochmals ein paar Wochen, gell!

Foto-Galerie.
Flugdaten.

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