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Bei einem Unfall besser die Aussage verweigern

Als Pilot oder Fluglehrer steht man bei einem Unfall mit Personenschäden oder grossen Sachschäden naturgemäss im „Fadenkreuz“ der Ermittlungsbehörden. Die am 7. Januar 2025 in der Schweiz in Kraft tretende Revision der Verordnung über Sicherheits-Untersuchungen bei Zwischenfällen im Verkehrswesen (VSZV) beinhaltet Anpassungen, die von der jahrzehntelangen Zielsetzung, die Unfallursachen als Prävention für Wiederholungen herauszufinden, tritt in den Hintergrund. Wichtiger ist es nun, „Schuldige zu finden“. Kaum ausdenken mag man sich die künftigen Folgen bei Fahrlässigkeit oder mangelnder Sorgfalt.

Hintergrund der Revision
Die bisherige VSZV blieb 70 Jahre unangetastet, was eine Revision durchaus rechtfertigt. Die Anpassungen treffen die Erwartungen der Luftfahrtbranche aber nicht. Mit wenigen Ausnahmen sind sie oberflächlich und bei der Lösung grundlegender Probleme der Flugunfalluntersuchung unwirksam. Mehrere Neuerungen dürften sich leider sogar kontraproduktiv auswirken.

Hier sind die wichtigen Punkte der revidierten Verordnung über Sicherheitsuntersuchungen von Zwischenfällen zusammengefasst:

  • Anpassungen im Meldeverfahren
    Vorberichte werden nicht mehr direkt an die Strafverfolgungs-Behörden weitergeleitet. Mitarbeitende der SUST sind im Sinne der „Just Culture“ von ihrer personalrechtlichen Anzeige-Pflicht entbunden.
  • Öffentliche Zugänglichkeit: Abschlussberichte sind auf der Webseite der SUST öffentlich zugänglich, auch für Strafverfolgungsbehörden. Obwohl diese Anpassungen auf den ersten Blick positiv scheinen, werden sie wenig Nutzen bringen. Vorberichte enthalten meistens nur allgemein bekannte Informationen. Hauptressource für rechtliche Verfahren bleiben die Schlussberichte.
  • Umstrittene Regelungen
    Verkürzte Begutachtungsfrist: Die Frist für Stellungnahmen zu Abschlussberichten wurde von 60 Tagen auf 30 Tage reduziert. Abschaffung von Artikel 40: Diese Änderung hebt die Pflicht der SUST auf, betroffene Personen über ihr Aussage-Verweigerungsrecht zu informieren. Ohne klare Hinweise auf ihre Rechte könnten Betroffene versucht sein, irreführende Aussagen zu machen, was ihre rechtliche Ausgangslage verschlechtern kann und den ursprünglichen Gedanken der Flugunfall-Untersuchungen, Ursachen herauszufinden, um künftig ähnliche Vorfälle zu vermeiden, zunichte macht.
  • Unfall-Prävention
    Die Idee einer generellen Aussagepflicht gegenüber der SUST, wie sie in anderen ICAO-Mitgliedstaaten diskutiert wird, ist in der Schweiz aufgrund ihrer besonderen Praxis nicht umsetzbar. Die Schweiz hat unter ICAO-Anhang 13 einen weitreichenden Vorbehalt eingebracht, der es ermöglicht, den Strafbehörden nicht nur Abschlussberichte, sondern auch alle Flugunfall-Untersuchungsakten zugänglich zu machen. Ausgenommen sind Befragungs-Protokolle. Dies führt jedoch in den meisten Fällen zu einem nur scheinbar wirksamen Schutz.
  • Praktische Herausforderungen
    Zwar dürfen Befragungs-Protokolle und daraus gewonnene Erkenntnisse in Straf-Verfahren wie bisher nicht verwendet werden, jedoch ist eine Trennung zwischen Erkenntnissen der SUST und denen, die auf Befragungen beruhen, schwer nachvollziehbar. Dadurch können Piloten in juristische Schwierigkeiten geraten.

Empfehlungen für Piloten:
Um diese neuen Herausforderungen zu meistern, sollen Luftsportler

  • Erst einmal keine Aussagen machen: Bei ersten Befragungen durch SUST oder Polizei sollten Piloten aber ihre Bereitschaft erklären, später Informationen zu geben.
  • Spezialisierte Rechtsberatung einholen: Besonders bei Vorfällen mit Verletzten, Todesfällen oder erheblichem Sachschaden sollten Piloten einen auf Luftfahrtrecht spezialisierten Anwalt konsultieren.
  • Eine frühzeitige juristische Vertretung, insbesondere vor formellen Befragungen, ist wichtig, um Risiken im Zusammenhang mit Vorwürfen von Fahrlässigkeit oder Gefährdung zu minimieren.

Fazit
Die revidierte VSZV bringt verfahrensrechtliche Änderungen mit sich, aber Vieles bleibt weit hinter den Erwartungen der Luftfahrtbranche zurück. Die Abschaffung von Artikel 40 und die Verkürzung der Begutachtungsfrist müssen zu höherer Wachsamkeit bei Piloten und juristischen Beratern führen. Besonders bei Unfällen mit Personenschäden oder grossen Sachschaden müssen Luftsportler die rechtlichen Schutzmechanismen im eigenen Interesse wahren und früh juristische Experten beiziehen.

Höhenruder nicht angeschlossen

Kurzdarstellung

Beim morgendlichen Aufrüsten des Segelflugzeugs wurde die Höhenrudersteuerung nicht angeschlossen. Daher konnte der Pilot die Längsneigung und den Steigwinkel beim Windenstart nicht steuern. Nachdem sich das Windenseil in ca. 90 m AGL aus der Schwerpunkt-Schleppkupplung löste, ging das Segelflugzeug in einen nach rechts gerichteten Bahnneigungsflugüber, kollidierte mit Bäumen am Flugplatzrand und prallte auf den Boden.

Sachverhalt: Ereignisse und Flugverlauf

Nach dem gemeinsamen Frühstück und morgendlichen Briefing der Oldtimer-Flugwoche an seinem Heimatflugplatz Gelnhausen (03.-10.09.2022) transportierte der Pilot laut Zeugen ab ca. 9:30 Uhr mit einem Vereinskameraden das Segelflugzeug Olympia-Meise im Anhänger von Großenhausen nach Gelnhausen. Währenddessen bauten einige Teilnehmende den Startwagen, die Winde und eines der Segelflugzeuge (Ka 2 b) auf. Ab ca. 10 Uhr habe der Pilot zusammen mit mindestens 5 weiteren, wechselnden Teilnehmenden (ortsfremde und am Platz ansässige Segelflugpiloten
und Helfer des Vereins) parallel beide Segelflugzeuge westlich vom Segelflughangar an der Startstelle zur Piste 25 für den Flugbetrieb aufgerüstet. Dabei entstanden bei den am Aufrüstprozess Beteiligten mehrmalige Unterbrechungen bzw. Ablenkungen.

Laut Startliste des Flugplatzes fand der erste Windenstart am Ereignistag um 12:18 Uhr statt. Die Winde funktionierte ohne Probleme. Nachdem um 12:40 Uhr die Ka 2 b gelandet war, boten deren Piloten nach eigenen Angaben dem Piloten der Olympia-Meise an, als nächstes zu starten. Der Pilot der Olympia-Meise habe zunächst ebenfalls den Vortritt gewähren wollen, nahm dann jedoch das Angebot an, machte sich startbereit und stieg ein. Nachdem laut Zeugenaussagen 2 Helfer die Haube aufgesetzt und das Windenseil an der Schwerpunktkupplung eingeklinkt hatten, signalisierte der Pilot der Olympia-Meise die Startbereitschaft. Der Startleiter beobachtete in dieser Phase Ausschläge an den Querrudern. Um 13:03 Uhr startete die Olympia-Meise auf der Piste 25.

Aussagen von sachkundigen Zeugen zufolge ging die Olympia-Meise nach dem Abheben in einen normalen bis flachen Anfangssteigflug über. Der Pilot habe dabei nicht in den Wind vorgehalten, sodass der südwestliche Wind das Segelflugzeug in Flugrichtung leicht nach rechts (Richtung Norden) versetzte. Im weiteren Verlauf sei die Längsneigung flacher als üblich gewesen. Laut dem Windenfahrer „hängte sich das Segelflugzeug nicht richtig an die Winde“, sodass sich die Drehzahl der Winde stetig erhöhte. Der Start sei fortgesetzt worden bis sich das Segelflugzeug ca. 80-100 m über dem Boden befand. Da die Längsneigung nicht weiter zunahm, habe er die Drehzahl allmählich bis auf Leerlauf reduziert. Daraufhin habe sich das Windenseil aus der Schwerpunkt-Schleppkupplung der Olympia-Meise gelöst, der Seilfallschirm habe sich entfaltet und das Windenseil verzögert.

Danach habe das Segelflugzeug laut Zeugen die bereits eingenommene, geringe
Querneigung beibehalten, weiter die Nase gesenkt und sei gleichmäßig in den Gleitflug übergegangen. Dabei habe es etwas beschleunigt und sei mit geringer rechter Querneigung weiter in Richtung der den Flugplatz begrenzenden Bäume geflogen. In einer konstanten Rechtskurve sei die Olympia-Meise dann in die querab der Winde stehenden Bäume eingeflogen. Nach dem Abheben bis zum Aufprall auf dem Boden habe niemand „weitere Reaktionen“ des Piloten wie Funksprüche oder „Ruderausschläge“ wahrgenommen.

Angaben zu Personen: Luftfahrzeugführer

Der 81-jährige Luftfahrzeugführer war jeweils seit 18.02.2014 im Besitz zweier Piloten-Lizenzen der Europäischen Union; eine für Leichtluftfahrzeuge (LAPL(A)) und eine für Segelflugzeuge (LAPL(S)). Die Ausbildung zum Privatluftfahrzeugführer schloss er im Jahre 1971 ab. Laut seiner Ehefrau begann er das Segelfliegen bereits mit 14 Jahren.
Auf dem betroffenen Muster flog der Pilot laut seinem seit 27.05.2014 geführten Segelflug-Flugbuch insgesamt ca. 11 h bei 4 Windenstarts am 26.08.2019, am 25.08.2020, am 15.05.2022 und am 19.05.2022. Da er Zeugen zufolge bereits auf der Olympia-Meise Erfahrung sammelte, bevor der Verein sie verkaufte und später wiedererwarb, wurde er kürzlich nicht noch einmal eingewiesen. Bei dem schwülheißen Sonnenwetter am Ereignistag habe er eine Schirmmütze getragen sowie fit und gesund gewirkt. Aufgrund seines Alters habe der Pilot körperlich schwere Arbeiten, wie den Flügel heben, nicht mehr gut durchführen können, aber habe sonst überall im Verein engagiert mitgeholfen und sei ein zuverlässiger Flugzeugschlepppilot gewesen.

Start-Windenfahrer

Der 67-jährige Startwinden-Fahrer war seit dem 09.07.2016 im Besitz eines bis auf Widerruf gültigen Ausweises als Startwindenfahrer und Mitglied des Vereins. Laut Zeugenaussagen war er sehr erfahren im Segelflug (auch auf Oldtimern) und auf der Winde. Er schleppe regelmäßig mehrmals im Monat und sei sehr bedächtig.

Angaben zum Luftfahrzeug

Das Segelflugzeug Olympia-Meise ist ein einsitziger, freitragender Schulterdecker in Holzbauweise mit Landekufen und Kreuzleitwerk in Schalenbauweise, den die Deutsche Forschungs-anstalt für Segelflug (DFS) 1938 entwickelte. Die Tragflächen (15 m Spannweite) enthielten nach oben und unten ausfahrbare Bremsklappen. Das in Deutschland zum Verkehr zugelassene Segelflugzeug wurde von einem Luftsportverein betrieben, dessen Zweck die Betriebserhaltung historischer Luftfahrzeuge war. Dem Bordbuch und den Vereinsangaben zufolge betrieb der Verein die Olympia-Meise vom 01.10.1989 bis zum 24.02.2002 in Gelnhausen, bevor er sie verkaufte und später wiedererwarb. Laut Vereinsangaben, Lebenslaufakte und Bordbuch wurde das
Segelflugzeug 2011 aufgrund von Leimablösungen an den Tragflächen vom Verkehr abgemeldet. Bis der aktuelle Halter das Segelflugzeug wieder übernahm, wurde es ca. 1 664 h geflogen (3 728 Landungen). Nach einer Grundüberholung bescheinigte das Luftfahrt-Bundesamt erneut am 25.11.2017 erneut die Lufttüchtigkeit und stellte am 12.07.2018 die Verkehrszulassung aus. Die letzte Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (ARC), am 02.04.2022 ausgestellt, galt bis zum 08.04.2023. Laut letzter Wägung vom 02.04.2022 betrug die Leermasse des Segelflugzeugs 203,3 kg, daraus ergab sich die maximale Zuladung von 86,7 kg. Für den Unfallflug berechnete die BFU eine Flugmasse von ca. 298 kg. Seit dem letzten Flug am 20.05.2022 bei der Oldtimer-Flugwoche in Reutte-Höfen (14.-21.05.2022), stand es abgerüstet im Anhänger in einer abgeschlossenen Lagerhalle.

Das Segelflugzeug war mit einem Kollisionswarngerät FLARM3 sowie mit Bug- und Schwerpunktschleppkupplung ausgestattet. Laut Datenschild und Flughandbuch lag die zulässige Geschwindigkeit für Windenstarts bei maximal 80 km/h.

Funkverkehr

Laut der Startleitung bestand während des Starts eine Funkverbindung zwischen dem Segelflugzeugführer, dem Windenfahrer und dem Startleiter. Nach dem Start habe kein weiterer Funkverkehr stattgefunden. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Verkehrslandeplatz Gelnhausen (EDFG) befindet sich ca. 1,5 km (0,8 NM) südwestlich der Stadt Gelnhausen in 126 m (413 ft) AMSL. Das Fluggelände verfügte über eine 840 m lange und 25 m breite Graspiste mit der Ausrichtung 072°/252° (Piste 07/25). Zur Zeit des Unfalls war die Piste 25 in Betrieb und es herrschte Segel- und Motorflugbetrieb mit geringem Verkehrsaufkommen. Die Platzrunde für Segelflugzeuge befand sich im Norden des Platzes.

Flugdatenaufzeichnung

Der BFU standen die GPS-Daten aus dem FLARM-Gerät des Segelflugzeugs zur Verfügung. Dieses verzeichnete jedoch zum Unfallflug lediglich einen Datenpunkt um 13:03:14 Uhr in ca. 10 m über dem Boden bei einer Geschwindigkeit von 9,0 m/s (32,4 km/h). Danach endete die Aufzeichnung, sodass der Flugverlauf hauptsächlich anhand von Zeugenaussagen nachvollzogen wurde.

Überlebensaspekte

Das Cockpit wurde zerstört und bot keinen Schutz. Aufgrund der beim Aufprall aufgetretenen Kräfte und entstandenen Verletzungen war der Flugunfall für den angeschnallten Segelflugzeugführer nicht überlebbar. Der noch geschlossene 4-Punkt-Anschnallgurt war aus der Verankerung gerissen, ohne den Piloten zurückzuhalten. Der Pilot trug beim Unfall einen Fallschirm. Quelle und vollständiger Bericht: ‚BFU Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung‚.