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Nicht fit = nicht ins Cockpit

Schnupfen, Magenverstimmung, ein schwerer Kopf, Sorgen – kein guter Tag. Heute fliegen? Noch schnell eine Ibuprofen-Tablette? Bei der Entscheidung go/no go ist es wichtig, Situationen, Umstände und Gefühle realistisch einzuschätzen. Wir sollten uns vor jedem Flug fragen, was auf dem Spiel steht, wenn man nicht fit ins Cockpit steigt. I’MSAFE ist für diesen Fall genau die richtige Orientierungshilfe. Ähnlich wie eine Checkliste vor dem Flug, mit der du kritische Teile deines Flugzeugs überprüfst, sollten Piloten auch die I’MSAFE-Checkliste anwenden, um die eigene persönliche Flugtauglichkeit zu beurteilen. Die Checkliste ist so konzipiert, dass sie sechs Schlüsselbereiche abdeckt:

Illness
Fühle ich mich heute krank? Wenn die Antwort ja lautet, ist es wahrscheinlich kein guter Tag zum Fliegen oder gar zum Fahren.

Medication
Nehme ich rezeptpflichtige oder rezeptfreie Medikamente ein, die meine Flugtauglichkeit beeinträchtigen könnten? Viele Medikamente raten davon ab, “Maschinen” zu bedienen. Flugzeuge sind sicherlich komplexe Maschinen.

Stress
Stehe ich heute unter ungewöhnlichem Stress? Wenn wir unter mässigem bis starkem Stress stehen, ist unsere Leistung nicht optimal, und es kann sogar gefährlich werden.

Alcohol
Habe ich in den letzten vierundzwanzig Stunden Alkohol zu mir genommen? Die Regel besagt acht Stunden, aber die Auswirkungen können noch anhalten. Mit “0%” seit 24 Stunden bist du auf der sicheren Seite.

Fatigue (Erschöpfung)
Bin ich ausreichend ausgeruht? Habe ich die notwendige Energie für einen Flug oder könnte ich während des Fluges müde werden?

Emotion (mentale Fitness)
Bin ich emotional wirklich fit und habe eine klaren Kopf für diesen Flug? Zu diesem Punkt möchten wir gerne noch ein bisschen ausführen. Wir sagen gerne, dass wir unsere Probleme auf dem Boden lassen, wenn wir fliegen, aber für die meisten von uns stimmt das nur bedingt. Wenn wir uns Sorgen machen oder sogar sehr glücklich über etwas sind, kann es sein, dass wir uns auf Kosten unserer Flugaufgaben mit dem Thema beschäftigen oder dass unsere Entscheidungsfindung im Cockpit beeinträchtigt wird. Hierzu ein gutes Video der FAA.

Ausserdem: Habe ich genug gegessen und getrunken? Die richtige Ernährung vor einem Flug ist sehr wichtig. Die Wahrscheinlichkeit, dass du während des Fluges nämlich „flugkrank“ wirst, ohne etwas zuvor gegessen zu haben, ist relativ gross. Das Fliegen eines Flugzeugs ist energetisch gesehen anspruchsvoll, sowohl für den Körper als auch den Kopf. Es benötigt genügend (Brain-)Power. Ausserdem ist eine gute Flüssigkeitszufuhr ebenfalls wichtig. Insbesondere im Sommer und im heissen Cockpit kann die Dehydrierung mit zunehmender Höhe schnell eintreten.

Fazit:
Versuche nicht, dich selbst zu betrügen und das System zu umgehen. Falls du Zweifel an oder Fragen zu deiner Gesundheit hast, kann dich der Fliegerarzt (AME) dich beraten und weiss genau was zu tun ist. Zum Thema Medikamente: Bei der Einnahme gewisser Medikamente muss sogar der AME vorgängig informiert werden. Deshalb heisst es: Ich fliege nur, wenn ich fit bin! Quelle: ‚BAZL, Staysafe‚.

Unter Druck richtig entscheiden

Philip Keil zeigte beim „Wissensforum“ in Gießen, was jeder von Piloten für den Alltag lernen kann, und gab seinen Zuschauern im Livestream eine Profi-Checkliste als „Roten Faden“ an die Hand. Den 24. Februar 2009 wird Philip Keil sicherlich nie mehr in seinem Leben vergessen. Genauso wenig wie die über 200 Passagiere des Flugzeugs, an dessen Steuerknüppel der Berufspilot zu jenem Zeitpunkt saß. Kurz nach dem Start im ägyptischen Ferienort Hurghada traf eine sogenannte Windscherung die Maschine. Dadurch riss der Auftrieb ab und das Flugzeug stürzte in die Tiefe. Erst rund 150 Meter über dem Boden gelang es Keil, den Sturzflug des Ferienfliegers zu beenden und ihn zurück auf eine sichere Flughöhe zu bringen. „Der freie Fall dauerte nur zwei Sekunden. In erster Linie ging es in dem Moment darum, überhaupt eine Entscheidung zu treffen“, schilderte er im Livestream beim „Gießener Wissensforum“ die damaligen Ereignisse. Anhand dieses Beispiels und anderer kritischer Situationen von Flugzeugführern zeigte Keil seinen Zuschauern, was jeder von Piloten für den Alltag lernen kann, um gerade in Drucksituationen die vorhandenen Potenziale abzurufen.

In den Mittelpunkt seines Vortrags stellte der Referent die Notwasserung eines Airbus A320 auf dem Hudson River in New York, die Mitte Januar 2009, also nur wenige Wochen vor Keils Rettungstat, den US-Piloten Chesley B. Sullenberger („Sully“) weltweit berühmt gemacht hatte. Mehr als 150 Passagiere waren damals mit dem Schrecken davongekommen. Mittels einer Computersimulation und des originalen Funkverkehrs zwischen Cockpit und Fluglotse vermittelte Keil einen Eindruck davon, „wie cool die Jungs dabei geblieben sind“. Sullenberger habe das später damit begründet, sich „völlig sicher“ gewesen zu sein, dass ihm die Wasserlandung, die erstmalige mit einem solchen Airbus-Flugzeugtyp überhaupt, gelingen würde.

„Außerhalb der Komfortzone“
Vom Zusammenstoß mit einem Vogelschwarm, wodurch alle Turbinen lahmgelegt wurden, bis hin zum Aufsetzen auf dem Fluss durchlief der US-Pilot mehrere richtungsweisende Momente, die Philip Keil als „Decision Points“, also Entscheidungspunkte, beschrieb. Dabei griff auch „Sully“ auf die sogenannte FORDEC-Checkliste zurück, eine Methode zur strukturierten Entscheidungsfindung, die sich Piloten zu eigen gemacht haben und die laut Keil jedem in schwierigen Situationen als „Roter Faden“ dienen kann. Das „F“ stehe hierbei für „Fakten“ („Facts“): „Gerade unter Stress sehen wir nur einen Teil des Gesamtbildes“, weiß er aus eigener Erfahrung. Daher gelte es, sich auf die grundsätzlichen, bekannten Fakten zu konzentrieren, um sich als nächsten Schritt zu überlegen, welche „Möglichkeiten“ („Options“) sich daraus ergeben. Deren Abwägung als „Risiken und Vorteile“ („Risks and Benefits“) komme als Nächstes. Wobei der Sachbuchautor („Du bist der Pilot – Wie Sie selbstbewusst Ihre Ziele im Leben erreichen“) zu bedenken gab, dass „wir im Alltag dazu tendieren, unseren Blick eher auf die Risiken zu richten“; das aber sollte vermieden werden. Wie ebenso der häufig gemachte Fehler, bei der „Entscheidung“ („Decision“, wofür in der Liste das „D“ steht) „den Blick zurück zu richten“, statt gleich nach vorne. Als letzte Punkte auf der Checkliste, die der Referent auch als „mentale Warteschleife“ beschrieb, folgen dann noch „Ausführung“ („Execution“) und „Prüfen“ („Check“); Letzteres, um herauszufinden, ob eventuell noch Nachbesserungen notwendig sind.

Darüber hinaus erfordere es „Vertrauen“, in sich selbst und genauso in seine Fähigkeiten, um in einer Drucksituation des Alltags bestehen zu können, ergänzte Philip Keil. „Vertrauen ist der Treibstoff des Erfolgs.“ Zudem sei darin der Begriff „sich trauen“ enthalten, müsse also überhaupt erst einmal der Mut dafür aufgebracht werden. Deshalb aber kritischen Situationen gleich aus dem Weg zu gehen, sei falsch. „Das persönliche Wachsen findet immer außerhalb der eigenen Komfortzone statt“, betonte er.

Eine weitere Piloten-Geschichte, die Keil erzählte, war die von Robert „Bob“ Hoover, einem US-amerikanischen Testpiloten, der laut dem Wikipedia-Eintrag ein Wegbereiter des modernen Kunstflugs gewesen sein soll. Jener Hoover sei einmal bei einem Flug in große Schwierigkeiten geraten, als sich herausstellte, dass ein Mann von der Bodencrew die Maschine mit dem falschen Treibstoff betankt hatte. Was zu gewaltigen technischen Problemen in der Luft führte, und fast zu einem Absturz. Nach seiner Landung habe Hoover dennoch darauf bestanden, dass künftig nur noch dieser Boden-Mitarbeiter seine Flugzeuge betankt. Aus einem einfachen Grund: „Dem Mann wird dieser Fehler niemals wieder passieren“, schilderte der Referent. „Daher ist auch jeder Fehler, der einem wirklich wehtut, ein ‚Decision Point'“. Problematisch sei jedoch zumeist weniger der einzelne Fehler als eine ganze Fehlerkette, wenn also ein Team versagt. „Holen Sie sich Menschen an Bord, die Ihnen sagen, was Sie hören sollten, und nicht das, was Sie hören wollen“, legte Philip Keil insbesondere Führungskräften in Unternehmen ans Herz. Im Übrigen gelte wie im Berufsleben auch im Privaten: „Wer seine Ziele erreichen will, muss die Menschen erreichen.“ Quelle: Frank O.Docter im ‚Giessener Anzeiger‚.