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Warum boomen Fracht und Hobbyfliegerei?

Christian Pfitzner schaut aus dem Cockpitfenster seines Airbus-Frachters A300. Auf dem Flughafen von Sevilla stehen Paletten zum Einladen bereit, die Luft flirrt in der Nachmittagshitze. „32 Grad“, seufzt Pfitzner. „Zum Glück läuft unsere Klimaanlage.“ Für den 25-jährigen Co-Piloten ist es schon die zweite Airline in dreieinhalb Berufsjahren. „Nach der Insolvenz meiner Gesellschaft hatte ich das Glück, hier zu landen“, berichtet er. „Cargo fliegen ist abwechslungsreich.“ In den vergangenen Wochen pendelte er zwischen Athen und Larnaca auf Zypern, aktuell ist er zwischen Sevilla in Südspanien und Tanger in Marokko unterwegs.

René Ortwein, Airbus-A330-Kapitän beim gleichen Unternehmen, zählt auf: „Pferde, Medikamente, Gefahrgut – wir fliegen praktisch alles.“ Dabei landen die Piloten auch auf Airports abseits der üblichen Passagierstrecken. „Cincinnati in Ohio zum Beispiel ist eine tolle Stadt“, hat Ortwein mittlerweile gelernt. Die meisten Linienpiloten indes können derzeit nur vom Fliegen träumen. Viele waren mehr als ein Jahr lang nicht mehr in der Luft, andere sind arbeitslos. Das Passagieraufkommen ist fernab jeder Normalität, auch das Oster- und das Pfingstgeschäft brachten wenig Belebung. Bis Anfang Mai zählte der deutsche Flughafen-Verband ADV erst etwa 500 000 Passagiere, vor zwei Jahren waren es fast zehnmal so viele.

Ganz anders sieht es dagegen bei der Luftfracht aus. „2020 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Luftfracht vom Krisenfall zum Umsatzbringer wurde“, hatte Tobias Bernecker, Professor für Verkehrspolitik und Verkehrswirtschaft an der Hochschule Heilbronn, bereits im November 2019 im Fachblatt Deutsche Verkehrszeitung prognostiziert. Und so geschah es auch: Die Cargo-Tochter der Lufthansa erzielte 2020 mit 2,76 Millionen Euro Umsatz das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Der Cargo-Bereich machte über 20 Prozent des Konzernumsatzes, mehr als dreimal so viel wie 2019. Alle deutschen Cargo-Airlines zusammen beförderten bis Anfang Mai dieses Jahres etwa 110 500 Tonnen Fracht, gut 37 Prozent mehr als im selben Zeitraum vor zwei Jahren.

Die Luftfracht boomt – auch weil im Internet so viel bestellt wird
Am Flughafen Leipzig-Halle betreibt das Logistik-Unternehmen DHL sein europäisches Drehkreuz, das größte innerhalb des globalen Netzwerks; 655 Millionen Euro flossen bislang nach eigenen Angaben in den Standort. Auch die Cargo-Airline Aerologic, ein Joint Venture von DHL Express und Lufthansa Cargo, ist in Leipzig-Halle beheimatet. Das ausgedehnte Gelände verfügt über zwei parallele Start- und Landebahnen, Allwetterbetrieb und direkte Anbindung an das transeuropäische Autobahn- und Schienennetz, vor allem aber über eine 24-Stunden-Betriebserlaubnis für Frachtflüge. Das Geschäft dort boomt, auch weil mit den vielen Lockdowns in aller Welt die Nachfrage nach Gütern aus dem Internet sprunghaft gestiegen ist. Global agierende Frachtdienstleister wie UPS erwarten, dass dies auch nach einem Ende der Corona-Pandemie anhalten wird. Ähnlich sieht es DHL Express: Der Dienstleister hat bekannt gegeben, in Österreich eine neue Frachtfluggesellschaft für innereuropäische Routen aufbauen zu wollen. Im Gegenzug werde die Tochterfirma DHL Air UK zu einer interkontinentalen Fluggesellschaft ausgebaut.

Auch die Business Aviation, also die Fliegerei mit kleineren Jets für Geschäftsreisende, konnte nach einem Rückgang der Verkehrszahlen zu Beginn der Corona-Krise zuletzt wieder zulegen. Im Gebiet der europäischen Flugsicherheitsorganisation Eurocontrol stiegen die Flugbewegungen von März 2020 bis März 2021 um 24 Prozent. Derzeit macht die Geschäftsfliegerei dort 16 Prozent des gesamten Verkehrs aus. Den größten Anteil stellen mit 37 Prozent die leichten Businessjets, gefolgt von Flugzeugen mit Turboprop-Antrieb.

Nicolas von Mende blickt von seinem Büro aus auf die Jets in der Werft am Bremer Flughafen. Mende ist Chef von Atlas Air Service (AAS), einem Unternehmen, das sich auf Handel, Wartung und Instandhaltung von kleineren Business-Jets spezialisiert hat; zudem betreibt es einen eigenen Flugbetrieb. 250 Mitarbeiter sind an vier deutschen Standorten beschäftigt. „Mit der Krise fielen die klassischen Geschäftsreisen weg“, erklärt von Mende. Dafür machen nun deutlich mehr Kunden Privatreisen mit Businessflugzeugen. „Nicht wenige werden sich später selbst ein Flugzeug anschaffen“, ist er überzeugt.

Die Nachfrage nach kleineren Einsteiger-Jets und Turboprops habe zuletzt enorm zugenommen, sagt Mende. „Im Segment bis fünf Millionen US-Dollar ist die Branche praktisch ausverkauft, wir beobachten Preissteigerungen von bis zu 20 Prozent.“

Kleinere Flugplätze profitieren
Zu den Nutznießern des wachsenden Geschäfts zählen auch viele kleinere Flugplätze wie Mönchengladbach, Schönhagen bei Berlin, der Jade-Weser-Airport in Wilhelmshaven oder der Flughafen Kiel-Holtenau. An einigen dieser Standorte fielen nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie auch noch die letzten verbliebenen Linienverbindungen weg, mit den Business-Jets kehrt nun zumindest etwas Betrieb zurück auf die Flugverkehrsflächen – nicht immer allerdings zur Freude der Anwohner.

Und eine weitere Luftfahrtsparte sorgt weiterhin für Betrieb am Himmel: Piloten müssen regelmäßige Trainingsflüge absolvieren und Simulatorchecks machen; viele junge Flugschüler haben trotz der Krise ihre Verkehrspiloten-Ausbildung nicht abgebrochen. Während Airlines ihren Nachwuchs vertrösten und sogar ihre Flugschulen dichtmachen, läuft der Betrieb andernorts normal weiter. „Wir haben gerade 150 Piloten in der Ausbildung“, erklärt Christian Käufer, Chef des Essener Airline-Trainingsunternehmens TFC. Seine Schule kooperiert unter anderem mit der Hochschule Aachen beim dualen Bachelor-Studiengang Flugbetriebstechnik mit Verkehrspilotenausbildung. Auch er hat festgestellt: „Viele junge Leute zieht es derzeit in die Fracht und zur Business Aviation.“

Und auch bei kleineren Flugschulen, die vor allem Hobbypiloten ausbilden, läuft der Betrieb besser denn je. „Unsere Schülerzahlen sind auf einem Höchststand“, sagt Andreas Künne von der Flugschule Seabirds.de in Oldenburg-Hatten. In der Corona-Krise habe sich das Freizeitverhalten verändert. „Viele entdecken ihr Interesse für die Fliegerei.“ Die Beschäftigung mit ungewohntem Lehrstoff und Erfolgserlebnisse beim Fliegen – all das sei eine Abwechslung vom gewohnten Alltag, sagt Künne: „Jede Stunde in der Luft ohne Handy und Termine macht den Kopf frei.“ Quelle: ‚Süddeutsche Zeitung‚. Bild: ‚MDF, Mitteldeutsche Flughäfen, PortGround GmbH‚.