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In eisiger Höhe froren seine Augen ein

Der Amerikaner Rudolph William Schroeder stieg 1920 als erster Mensch mit einem Motorflugzeug auf eine Höhe von mehr als 10.000 Meter. Dann aber machte der Pilot einen Fehler, der ihn fast das Leben gekostet hätte. In genau 10.093 Meter Höhe beging er einen folgenschweren Fehler. Rudolph William Schroeder (1885–1952) nahm seine Schutzbrille ab, um die Sauerstoffversorgung zu überprüfen. Sofort gefror in dem offenen Cockpit bei unter minus 50 Grad Celsius der Feuchtigkeitsfilm auf seinen Augäpfeln. Dann wurde Schroeder in der dünnen Luft bewusstlos. Sein LUSAC-11-Doppeldecker stürzte in die Tiefe. Zwei Minuten befand sich das Motorflugzeug im freien Fall, bis der Pilot nur 600 Meter über dem Boden wieder zu Bewusstsein kam. Fast blind, konnte Schroeder den Sturzflug der Maschine doch noch auffangen – und landete sicher auf dem Militärflugplatz McCook Field in Dayton im US-Bundesstaat Ohio.

Damit war der Weltrekord am Morgen des 27. Februar 1920 aufgestellt: Nie zuvor hatte es ein Mensch geschafft, höher als 10.000 Meter in einem Motorflugzeug mit Turbolader in die Luft zu steigen. Schroeder reihte sich damit hinter Draufgängern wie Otto Lilienthal und den Brüdern Wright ein: Pioniere, die bereit gewesen waren, für ihren Traum vom Fliegen alles zu riskieren – was manche von ihnen mit dem Leben bezahlen mussten. Schroeder hatte Glück und überlebte. Aber zufrieden mit seiner Leistung war er nicht, denn sein Ziel waren 12.000 Meter Höhe gewesen. Noch auf dem Feld musste er von herbeieilenden Helfern medizinisch notversorgt werden, kam wegen eines Schocks und der teilweisen Erblindung in ein Militärkrankenhaus. Seine Sehkraft sollte für Wochen eingeschränkt bleiben. Auf dem Feldbett berichtete Schroeder Reportern der „New York Times“ von der Nahtod-Erfahrung in eisiger Höhe: „Plötzlich hörte der Sauerstoff auf zu fließen. Dann, ganz plötzlich, fühlte es sich an, als würde mein Kopf explodieren. Meine Augen taten weh, ich konnte sie nicht öffnen. Ich habe gemerkt, dass ich falle.“ Daraus zog er auf dem Krankenbett den kühnen Schluss, dass er möglichst bald wieder fliegen wolle.

Rudolph William Schroeder wurde 1885 als Sohn deutsch-irischer Eltern in Chicago geboren. Er war technisch begabt, experimentierte schon früh mit eigenen Segelflugzeugentwürfen. Als Mechaniker lernte er ab 1910 bei Otto Brodie, der Schauflüge absolvierte, selbst das Fliegen. Sein Arbeitgeber soll ihm den berühmten Spitznamen „Shorty“ gegeben haben – Schroeder war 1,93 Meter groß.

Piloten riskierten zu jener Zeit oft genug ihr Leben. So hatte beispielsweise der Farman-Doppeldecker, den Brodie flog, keine Bremsen: Zum Landen mussten die Flieger die Leistung des 50-PS-Gnome-Rotationsmotors mit dem sogenannten „Blip“-Schalter drosseln und eine Stelle auf dem Boden ansteuern, wo sie so weit rollen konnten, bis das Flugzeug im Gras zum Stillstand kam. Im April 1913 verlor Brodie bei einem Routine-Testflug die Kontrolle über seine Maschine. Im Sturzflug löste sich der Motor aus der Halterung und zerquetschte ihn. Auch ein weiterer Flieger, dem sich Schroeder als Mechaniker angeschlossen hatte, kam kurz danach ums Leben. 1916 trat er der Flugabteilung des U.S. Army Signal Corps bei und wurde leitender Testpilot auf dem McCook Field in Dayton. Wohl beeinflusst durch die jüngsten Unglücke, konzentrierte sich Schroeder verstärkt auf die Flugsicherheit: So soll er der erste Militärflieger gewesen sein, der einen der von James Floyd Smith entwickelten Fallschirme trug. Außerdem eröffnete er eine Nachtflugschule für die militärische Ausbildung.

Während des Ersten Weltkrieges begann die US-Armee, Testflüge in großer Höhe durchzuführen. In den nächsten Jahren erreichte Schroeder immer neue Rekorde. Nach dem denkwürdigen 27. Februar 1920 jedoch war seine Zeit der Höhenflüge vorbei – auch wenn Schroeder ein begeisterter Pilot blieb: Noch im selben Jahr nahm er an einem Wettfliegen in Paris teil, kam wegen eines Motorschadens jedoch nicht ins Ziel. 1925 war er als Testflieger bei einer Tochterfirma von Ford der Erste, der das dreimotorige Passagierflugzeug Stout 3-AT flog, 1926 dann eine Ford Trimotor, Typ Ford 4-AT. 1940 wurde Schroeder Vizepräsident für Sicherheit bei der US-amerikanischen Linienfluggesellschaft United Airlines. Er starb am 29. Dezember 1952 im Alter von 67 Jahren. Die „Chicago Tribune“ schrieb anlässlich seines Todes: „Sein Leben als Erwachsener umspannte die gesamte Periode der kommerziellen und militärischen Luftfahrt, zu der er unter hohen persönlichen Kosten einen großen Beitrag leistete.“ Die Faszination für das Fliegen hatte er dabei nie verloren: Selbst nach einem Schlaganfall 1941 soll er noch aus dem Bett heraus weiter an Luftfahrtprojekten gearbeitet haben. Quelle: ‚Die Welt‘.