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Schlussbericht zum Unfall der Remos GX, HB-WYI

Die am 27. Juni 2019 verunfallte Pilotin wollte im Frühsommer 2019 mit zwei weiteren Piloten, bei denen es sich um den Vater und den Bruder der Pilotin handelte, zusammen eine zweitägige Flugreise durch die Schweiz mit Zwischenlandungen auf verschiedenen Flugplätzen durchführen. Die Pilotin hatte ihre Flugausbildung im Jahr 2017 durchlaufen, im selben Jahr die Privatpilotenlizenz erlangt und bis zum Unfallflug rund 70 Flugstunden absolviert. Sie plante, mit einem einmotorigen Leichtflugzeug des Musters Remos GX vom Flugplatz Mollis (LSZM) aus zu starten. Die beiden anderen Piloten, die beide erfahren waren und mit je einem eigenen Flugzeug fliegen wollten, wollte sie auf deren Heimatflugplatz Triengen (LSPN) treffen. Alle drei sollten von dort aus die Flugreise zusammen weiterführen.

Die drei Piloten führten die Vorbereitung für diese Reise im Vorfeld gemeinsam und detailliert durch. Die Liste der anzufliegenden Flugplätze wurde Monate vorher festgelegt. Die Piloten besprachen insbesondere die An- und Abflugrouten der einzelnen Flugplätze, dies auch im Bewusstsein um die geringe Flugerfahrung der später verunfallten Pilotin.

Rund eine Woche vor der Flugreise legten die Piloten fest, dass sie den Flug am 27. und 28. Juni 2019 durchführen wollten, da an diesen Tagen gute Wetterbedingungen vorhergesagt waren.

Die Pilotin reiste am Abend des 26. Juni 2019 mit einem Passagier, der keine Flugerfahrung besass, nach Mollis und übernachtete dort im Hotel. Am nächsten Morgen führte die Pilotin mit dem vollgetankten Motorflugzeug des Musters Remos GX, eingetragen als HB-WYI, alleine an Bord einen kurzen Flug zwischen 7:18 Uhr und 7:30 Uhr mit zweimaligem Aufsetzen und Durchstarten (touch-and-go) und einer Abschlusslandung auf dem Flugplatz Mollis durch.

Anschliessend starteten die Pilotin und der Passagier um 8:12 Uhr mit der HB-WYI in Mollis und flogen zum Flugplatz Triengen (LSPN), wo die beiden anderen Piloten, die je ein Motorflugzeug des Musters Piper Cub flogen, warteten. Nach einer Pause von rund 45 Minuten erfolgte kurz nach 9:30 Uhr der Start der drei Flugzeuge in Triengen. Während des Abfluges über den Gegenanflug der Piste 15 nahmen die drei Flugzeuge in einer Flughöhe von rund 3000 ft AMSL 3 eine lockere Pfeilformation mit der HB-WYI als Führerflugzeug und den beiden Piper Cub als Flügelmänner seitlich versetzt links resp. rechts dahinter ein. Die drei Flugzeuge sanken in der Folge in Richtung der Ortschaft Reitnau (AG) wieder ab und flogen über dem Wohnsitz der Eltern des Passagiers einen Vollkreis nach links, der gegen den Hang des Chrüzberges gerichtet war. Dabei näherten sich die Flugzeuge dem Boden bis auf eine Höhe von rund 260 ft über Grund.

Die Flugreise führte im lockeren Verbandsflug nach Zwischenlandungen auf den Flugplätzen Courtelary (LSZJ) und Môtiers (LSTO) weiter bis nach Gruyères (LSGT), wo die HB-WYI um 12:42 Uhr aufsetzte und die drei Besatzungen eine längere Mittagspause einlegten. Hier besprachen sie die geplante Flugroute zum Flugplatz Bex (LSGB), die in Richtung Château d’Oex und weiter über den Col de Sonlomont führen sollte. Das geplante spätere Tagesziel war der Flugplatz Münster (LSPU).

Flugweg und Flughöhen der HB-WYI (blau, aus Aufzeichnungen des Flarm) und der beiden Piper Cub über dem Col de Sonlomont (rot). Quelle der Basiskarte: Bundesamt für Landestopografie.

Flugverlauf

Die Pilotin, die auf dem linken Sitz sass, und der Passagier, der rechts Platz genommen hatte, starteten um 14:56 Uhr mit dem einmotorigen Leichtflugzeug des Musters Remos GX, eingetragen als HB-WYI, als erstes der drei Flugzeuge auf der Piste 35 in Gruyères. Die HB-WYI stieg anschliessend mit einer durchschnittlichen Steigrate von 475 ft/min in einer weiten Linkskurve über den Lac de la Gruyère und erreichte über der Ortschaft Bulle eine Flughöhe von etwa 4700 ft AMSL. Anschliessend flog die HB-WYI mit reduzierter Motorleistung in südlicher Richtung, dabei mehrmals leicht sinkend und wieder steigend, und erreichte während eines Vollkreises bei Montbovon eine maximale Flughöhe von rund 5100 ft AMSL. Die beiden Piper Cub, die im Vergleich zur Remos GX eine geringere Reisegeschwindigkeit aufweisen, schlossen hier zur HB-WYI auf.Anschliessend flogen die drei Flugzeuge nach Osten in Richtung des Pays d’Enhaut, wobei über Flugfunk besprochen wurde, dass die beiden Piper Cub die Führung übernehmen würden und die HB-WYI hinter diesen herfliegen solle. Zu diesem Zweck leitete die Pilotin eine Linkskurve zur Nordseite des Tals ein, und liess die beiden Piper Cub, die in Richtung des Col de Sonlomont flogen, rechts von sich passieren. Die beiden Piper Cub überquerten um 15:12:16 Uhr in einer Flughöhe von rund 5300 ft AMSL in südlicher Flugrichtung den Col de Sonlomont, der sich auf 1487 m/M (4879 ft AMSL) befindet.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die HB-WYI gerade in einer Rechtskurve in das Tal zum Col de Sonlomont eingedreht und befand sich auf einer Flughöhe von 4806 ft AMSL. Der Einflug in das Tal erfolgte östlich (d.h. links) der Talmitte. Der Abstand zum Col de Sonlomont und den voranfliegenden beiden Flugzeugen betrug rund 2.3 km. Die Motorleistung war nach wie vor reduziert und die angezeigte Fluggeschwindigkeit (Indicated Airspeed – IAS) lag bei 61 kt.

Nachdem die HB-WYI bis auf eine Flughöhe von 4724 ft AMSL abgesunken war, erhöhte sich zwischen 15:12:26 Uhr und 15:12:36 Uhr die Motorleistung auf maximale Leistung. Gleichzeitig verringerte sich die IAS von 64 kt auf 55 kt.

Flugweg und Flughöhe der HB-WYI gemäss der höhenkorrigierten Daten des Flarm während der letzten Flugminute vor dem Unfall, dargestellt in Google Earth. Die Sichthöhe dieser Darstellung entspricht der Höhe des Col de Sonlomont.

In den nachfolgenden 30 Sekunden flog die HB-WYI mit maximaler Motorleistung talaufwärts gegen ansteigendes Gelände weiter. Die IAS nahm dabei weiter leicht ab, ohne dass das Flugzeug deutlich an Höhe gewann. Um 15:12:56 Uhr befand sich die HB-WYI rund 0.9 km vom Col de Sonlomont entfernt und immer noch 76 ft (23 m) unterhalb der Passhöhe. Die IAS betrug 53 kt, der Längsneigungswinkel (pitch attitude) des Flugzeuges 13.4°.

Anschliessend flog die HB-WYI eine Kurve nach links gegen den Hang. Der Motor gab in dieser Phase weiterhin Maximalleistung ab. Nach einer Richtungsänderung von über 90 Grad befand sich das Flugzeug um 15:13:06 Uhr in einer Flughöhe von 4810 ft AMSL, was an diesem Ort rund 75 m über Grund entspricht. Die IAS betrug zu diesem Zeitpunkt noch 38 kt und die Querlage nach links 37°.

Linkskurve der HB-WYI gemäss Daten des Flarm und Lage des Wracks,
Angaben der Zeiten in UTC, dargestellt in Google Earth

In einer lateralen Entfernung von rund 90 m vom letzten, um 15:13:10 Uhr aufgezeichneten Datenpunkt stürzte die HB-WYI annähernd vertikal in einen steilen, bewaldeten Hang. Unmittelbar vor dem Aufprall in die Waldkrone löste die Besatzung das Gesamtrettungssystem des Flugzeuges manuell aus. Die Rakete zog den Rettungs-Fallschirm wie vorgesehen aus der Flugzeugzelle. Aufgrund der geringen verbleibenden Höhe über Grund öffnete sich der Fallschirm aber nicht vollständig.

Beim Aufprall in die Bäume und auf den Boden wurden die beiden Tragflächen vom Flugzeug abgetrennt und blieben unmittelbar neben dem Rumpf liegen. Der Rumpf mit Motor und Leitwerken wurde beim Aufprall zerstört. Es brach kein Feuer aus. Die beiden Insassen erlitten beim Aufprall tödliche Verletzungen.

Die Besatzungen der beiden Piper Cub versuchten nach dem Überfliegen des Col de Sonlomont, mit der Besatzung der HB-WYI über Funk Kontakt aufzunehmen. Nachdem dies und auch eine eigene Suche aus der Luft erfolglos blieben, landeten sie wieder in Gruyères und meldeten die HB-WYI um 16:01 Uhr als vermisst.

Es wurde kein Signal des ausgelösten automatischen Notsenders (Emergency Locator Transmitter – ELT) empfangen, da das Kabel zur Antenne des ELT beim ELT-Gerät abgerissen war. Ein Suchhelikopter der Schweizer Luftwaffe fand um 18:05 Uhr das Wrack des Flugzeuges.

Webcam

Auf einer Webcam oberhalb von Château-d’Oex ist die Aufzeichnung dargestellt, aus der die zum Zeitpunkt des Unfalls herrschenden Wetter- und Sichtverhältnisse ersichtlich sind.

Angaben zur Pilotin – Ausbildung und Werdegang

Die Pilotin besuchte im April 2017 auf dem Flugplatz Lommis (LSZT) einen zweiwöchigen SPHAIR 8-Kurs. Dabei führte sie auf einem einmotorigen Leichtflugzeug des Musters Robin DR 400 insgesamt 12 Schulungsflüge mit einer Gesamtflugzeit von knapp 11 Stunden und total 15 Landungen durch.

Im Mai 2017 setzte die Pilotin ihre Flugausbildung auf dem Flugplatz Mollis (LSZM) auf dem Flugzeugmuster Remos GX fort. Der erste Alleinflug erfolgte am 1. Juni 2017 nach weiteren 9 Flügen und einer Gesamtflugzeit von 15:24 h. Am 13. Juni 2017 führte die Pilotin mit einem Fluglehrer einen Gebirgsflug nach Locarno (LSZL) durch und am 21. Juni 2017 einen weiteren Gebirgsflug nach Münster (LSPU) 9. Die übrigen während der Schulung durchgeführten Navigationsflüge führten alle zu Flugplätzen im schweizerischen Mittelland.

Am 29. August 2017 erlangte die Pilotin die Privatpilotenlizenz für Flugzeuge (Private Pilot Licence Aeroplane – PPL(A)). Sie wies zu diesem Zeitpunkt eine Gesamtflugerfahrung von 48:00 h und 106 Landungen auf.

Trainingsstand

Nach Abschluss der Ausbildung führte die Pilotin im gleichen Jahr bis Mitte November 2017 sieben weitere Flüge mit einer Gesamtflugzeit von 8:37 h durch.
Zwischen April und November 2018 flog die Pilotin 9:18 h bei insgesamt 11 Flügen. Diese Flüge erfolgten alle lokal um den Flugplatz Mollis oder führten ins Mittelland
nach Wangen-Lachen und Lommis.

Nach einer Flugpause von über 7 Monaten erneuerte die Pilotin am 14. Juni 2019, also rund 2 Wochen vor dem Unfallflug, ihre Klassenberechtigung (class rating) für
einmotorige Flugzeuge mit Kolbenmotor (Single Engine Piston (land) – SEP (land)). Dieser Trainingsflug mit Fluglehrer wurde auf der HB-WYI von Mollis aus durchgeführt. Im Anschluss daran flog die Pilotin zu Trainingszwecken alleine an Bord 4 weitere Platzrunden. Vor dem Tag des Unfalls betrug die Gesamtflugerfahrung der Pilotin 67:35 h mit 156 Landungen.

Medizinische und pathologische Feststellungen

Die beiden Insassen des verunfallten Flugzeuges wurden einer Autopsie unterzogen. In beiden Fällen fanden sich als unmittelbare Todesursache polytraumatische Verletzungen an Kopf und Rumpf, die zum sofortigen Tod führten. Bei der Pilotin fanden sich keine vorbestehenden medizinischen Befunde, welche die sichere Führung eines Luftfahrzeuges hätten beeinflussen können. Die pharmakologisch-toxikologische Untersuchung ergab keine Hinweise für eine Beeinträchtigung der Pilotin durch Alkohol, Arzneistoffe, Betäubungsmittel oder Kohlenmonoxid.

Schlussfolgerungen

Technische Aspekte

Die Untersuchung ergab keine Anhaltspunkte für vorbestehende, technische Mängel, die den Unfall hätten verursachen oder beeinflussen können.
Der Notsender (Emergency Locator Transmitter – ELT) wurde ausgelöst. Die Antenne des ELT riss beim Aufprall vom Sender ab.

Flugverlauf

Die Remos GX, eingetragen als HB-WYI, startete am 27. Juni 2019 um 14:56 Uhr vom Flugplatz Gruyères (LSGT).

  • Der Einflug in das Tal zum Col de Sonlomont erfolgte auf einer Flughöhe 73 ft unterhalb der Passhöhe.
  • Das Flugzeug gewann mit maximaler Motorleistung kaum an Höhe. Die angezeigte Geschwindigkeit sank bis auf unter 53 kt.
  • Kurz vor dem Pass und in geringer Höhe über Grund flog das Flugzeug eine enger werdende Umkehrkurve nach links gegen den Hang.
  • Dabei erlitt das Flugzeug einen Strömungsabriss und stürzte in einen steilen, bewaldeten Hang ab.
  • Kurz vor dem Aufprall wurde das Gesamtrettungssystem manuell ausgelöst. Aufgrund der geringen verbleibenden Höhe über Grund öffnete sich der Fallschirm nicht vollständig.

Rahmenbedingungen

Es herrschte schönes Sommerwetter mit hohen Aussentemperaturen.

Ursachen

Eine Sicherheitsuntersuchungsstelle muss sich zum Erreichen ihres Präventionszwecks zu Risiken und Gefahren äussern, die sich im untersuchten Zwischenfall ausgewirkt haben und die künftig vermieden werden sollten. In diesem Sinne sind die nachstehend verwendeten Begriffe und Formulierungen ausschliesslich aus Sicht der Prävention zu verstehen. Die Bestimmung von Ursachen und beitragenden Faktoren bedeutet damit in keiner Weise eine Zuweisung von Schuld oder die Bestimmung von verwaltungsrechtlicher, zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Haftung.

Der Unfall, bei dem das Flugzeug während einer Umkehrkurve einen Strömungsabriss erfuhr und in einen steilen, bewaldeten Hang abstürzte, ist darauf zurückzuführen, dass die Grundprinzipien einer sicheren Gebirgsflugtaktik nicht beachtet wurden. Quelle:‘sust.admin.ch‚.