Verlauf des Unfalls
Am 17. Oktober 2021 um 13:22 Uhr starteten die Flugschülerin, die auf dem linken Pilotensitz sass, und der rechts von ihr sitzende Fluglehrer mit dem Motorsegler SF 25C «Falke», eingetragen als D-KDEU, auf der Piste 25 des Sonderflugplatzes Dierdorf (EDRW). Der Fluglehrer führte alle Steuerorgane 1 und kommentierte dabei seine Rudereingaben, die Flugschülerin fühlte am Steuerknüppel und den Seitenruder-Pedalen mit.
Gemäss Fluglehrer erfolgte der Startlauf bei Windstille und war bis auf Höhe der Flugplatzgebäude unauffällig. Nach rund 245 m Rollstrecke scherte der Motorsegler nach rechts auf den an die Hartbelagpiste angrenzenden Grünstreifen aus. Das Flugzeug habe in diesem Moment nicht unmittelbar auf die Steuereingaben reagiert. Der Fluglehrer vermutete, dass die Flugschülerin den Steuerknüppel oder die Seitenruder-Pedale fixierte, und sagte deshalb zu ihr, sie solle diese loslassen. Die Flugschülerin gab an, sie habe keine der Steuer festgehalten und den Fluglehrer in diesem Moment «Querruder, Querruder» rufen gehört. Der Motorsegler hob anschliessend nach rund 335 m Rollstrecke ab und nahm flach über dem Boden fliegend Fahrt auf, was der Fluglehrer als normal und von ihm kontrolliert gesteuert wahrnahm. Das Flugzeug flog dabei in eine Richtung, die etwa 30° nach rechts von der Pistenachse abwich und in der das Gelände leicht abfallend war.
Augenzeugen, die den Startlauf beobachteten, sahen den Motorsegler mit «gesenkter Nase», das heisst mit einer in dieser Phase ungewöhnlichen, negativen Längsneigung auf der Piste rollen, bevor er nach rechts ausbrach und abhob. Im Flug habe das Flugzeug diese negative Längsneigung beibehalten.
Rund 125 m nach dem Abheben setzte der Motorsegler erstmals und für die Besatzung unerwartet mit dem Fahrwerk im Wiesland auf und hob kurz darauf wieder ab. Der Fluglehrer war bis zu diesem Moment überzeugt, dass der Motorsegler normal fliegen würde und nur noch etwas Geschwindigkeit aufnehmen müsse. Das Gelände in Flugrichtung war abfallend und habe deshalb einen problemlosen Weiterflug ermöglicht. Ein Startabbruch hingegen hätte unweigerlich zu einer Kollision mit vorausliegenden Gehölzen geführt, weshalb der Fluglehrer den Gedanken an einen Startabbruch augenblicklich wieder verwarf.
Nachdem der Motorsegler wieder in der Luft war, senkte sich abermals die Flugzeugnase und der Motorsegler touchierte ein zweites Mal mit dem Fahrwerk das Wiesland. Gleichzeitig steuerte das Flugzeug auf einen Baum zu, der sich neben einem vorausliegenden Feldweg befand. In dieser Phase realisierte der Fluglehrer, dass irgendetwas nicht stimmte und er die Kontrolle über den Motorsegler verloren hatte. Er habe versucht, mit vollen Steuerausschlägen dem vorausliegenden Baum auszuweichen.
In der Folge schlug der Motorsegler erneut und dieses Mal sehr heftig im Wiesland auf. Dabei berührten die Propellerspitzen den Boden und brachen ab. Die rechte Tragfläche kollidierte nachfolgend mit dem Baum, wodurch der rechte Aussenflügel abgetrennt wurde. Der Motorsegler drehte sich anschliessend um 180° um die Hochachse nach rechts und kam auf dem Hauptfahrwerk rutschend auf dem Feldweg zum Stillstand. Bei diesem Manöver wurde der linke Aussenflügel abgetrennt und das Flugzeug erlitt starke Beschädigungen an Leitwerk und Rumpf.
Steuerorgane und Steuergestänge
Der Motorsegler SF 25C «Falke» ist für beide Besatzungsmitglieder mit je einem Steuerknüppel, Seitenruderpedalen und einem Bremsklappenhebel, mit dem auch die Radbremse betätigt wird, ausgerüstet. Die Bedienung des Motors erfolgt zentral über einen Leistungshebel sowie einen Hebel für die Vergaservorwärmung und den Choke. Die Steuerknüppel befinden sich zentral vor den beiden Sitzen und bestehen aus zusammengeschweissten Stahlrohren. Jeder Steuerknüppel ist frei beweglich über ein Festlager (vgl. Abbildung 3, rot-gestrichelte Kreise) mit der Rumpf-Stahlrohrkonstruktion verbunden. Am unteren Ende der Steuerknüppel befinden sich die Übertragungs-Gelenke (blau-gestrichelte Kreise), die über das Verbindungsrohr miteinander verbunden sind. Über den Zwischenhebel, der frei gelagert am Verbindungsrohr befestigt ist, und den vorderen Schwinger wird das Torsionsrohr bewegt, über das die Quer- und Höhenruder angesteuert werden.
Gemäss Herstellerzeichnung wurden bei der D-KDEU die Steuerorgane aus nahtlosen zugblanken Rohren aus Baustahl St 35 4 hergestellt. Dieser Stahl ist gut schweissund umformbar, weist aber ohne Oberflächenschutz eine geringe Korrosionsbeständigkeit auf. Um die Korrosionsbeständigkeit bei diesem Stahl zu erhöhen, sind Massnahmen wie z.B. Beschichtungsverfahren notwendig.
Technische Befunde
Die Untersuchung des Motorseglers ergab folgende Feststellungen betreffend die Steuerorgane und das Steuergestänge:
- Der rechte Steuerknüppel war oberhalb der Schweissnaht beim Übertragungsgelenk gebrochen.
- Die Bruchstelle (Bruch und Gegenbruch) war deutlich sichtbar korrodiert.
- Im Innern des gebrochenen Stahlrohrs (Rohrinnenoberfläche) des Steuerknüp-
pels war ein starker Korrosionsangriff erkennbar.
Motorsegler SF 25 «Falke»
Der Motorsegler SF 25 «Falke» wird seit 1963 bis heute in Gemischtbauweise hergestellt. Der Rumpf besteht aus einem mit Tuch bespannten Stahlrohrgestell, die Tragflächen sind in Sperrholzbauweise ausgeführt und ebenfalls mit Tuch bespannt. Die Steuerorgane und das Steuergestänge bestehen aus Stahlrohren. Bislang hat der Hersteller des Motorseglers SF 25 «Falke» keine Technischen Mitteilungen publiziert, welche die beim vorliegenden Unfall aufgetretenen Alterungserscheinungen an den Steuerorganen oder dem Steuergestänge des Luftfahrzeuges adressieren würden.
Instandhaltung und Prüfung älterer Luftfahrzeuge
In einer Bekanntmachung über die Instandhaltung und Prüfung älterer Luftfahrzeuge, welche die Deutsche Flugsicherung im Auftrag des Luftfahrt-Bundesamtes am 12. Januar 2012 publizierte6, werden die erhöhten Alterungserscheinungen von insbesondere älteren Luftfahrzeugen, unabhängig von ihrer Bauweise, thematisiert. Diese entstehen in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen, den Betriebsbedingungen und dem allgemeinen Wartungszustand und betreffen insbesondere Korrosion, Verrottung, Versprödung, Ermüdung und Verschleiss.
Bei Fehlen eines adäquaten Kontroll- und Prüfprogrammes des Herstellers für die Zustandsüberwachung bei Alterung der Luftfahrzeuge soll diesem Umstand bei der Jahresnachprüfung besonders Rechnung getragen werden. Als ältere Luftfahrzeuge gelten dabei Luftfahrzeuge in Holz- oder Holzgemischtbauweise, wenn diese älter als 12 Jahre sind, resp. Luftfahrzeuge in Metall- oder Faserverbundkunststoff-Bauweise, wenn diese älter als 25 Jahre sind.
Betreffend die Steuerorgane und Steuergestänge sollten mindestens die Stossstangen der Steuerung und deren Lagerböcke sowie Aufhängungspunkte und alle Steuerseile und Umlenkrollen einer besonders sorgfältigen Zustands- und Funktionsüberprüfung unterzogen werden. Detaillierte Angaben zum Vorgehen bei einer solchen Kontrolle wie beispielsweise zur Prüfung auf Riss- oder Korrosionsbildung oder Unversehrtheit des Korrosionsschutzes beinhaltet dieses Dokument nicht.
Steuerorgane und Steuergestänge
Der rechte Steuerknüppel der D-KDEU war direkt oberhalb der Schweissnaht beim Übertragungsgelenk gebrochen (vgl. Abbildung 3) und deshalb nur noch am Festlager befestigt. Dies führte dazu, dass der Fluglehrer, der auf dem rechten Sitz sass, zwar den Steuerknüppel noch bewegen, aber keine Steuereingaben für Quer- und Höhenruder mehr tätigen konnte. Mit dem linken Steuerknüppel, an dem die Flugschülerin während des Startlaufs mitfühlte, liess sich das Querruder noch bewegen. Aufgrund der Konstruktion des Steuergestänges war aber das Höhenruder auch mit diesem Steuerknüppel nicht mehr ansteuerbar.
Die Steuerorgane wurden gemäss Herstellerzeichnung beim Bau des Motorseglers aus dem Baustahl St 35 (heute E235) hergestellt, der gut schweiss- und umformbar ist. Der Nachteil liegt bei diesem Stahl in einer geringen Korrosionsbeständigkeit. Ein Oberflächenschutz im Innern wie auch auf der Aussenseite der Stahlrohre ist deshalb notwendig.
Das Stahlrohr des rechten Steuerknüppels war auf der Innenseite stark korrodiert, was augenscheinlich zu einer Schwächung des Rohrs führte. Der Bruch des Rohrs erfolgte in diesem stark korrodierten Bereich. Die betroffenen Steuerorgane und Steuergestänge werden metallkundlich weiter untersucht. Die entsprechenden Details werden im Schlussbericht enthalten sein.
In der «Wartungsliste für das Flugwerk» und dem «Prüfprogramm für ältere Luftfahrzeuge, älter als 12 Jahre (25 Jahre)», die bei der D-KDEU für die Instandhaltungsarbeiten und Prüfung zur Anwendung kamen, finden sich keine Anweisungen für eine detaillierte Kontrolle der Steuerorgane und Steuergestänge in Bezug auf Riss- oder Korrosionsbildung oder Unversehrtheit des Korrosionsschutzes. Da die Enden des gebrochenen Stahlrohres des rechten Steuerknüppels zugeschweisst waren, konnte die Innenseite des Rohres nicht auf Korrosion überprüft werden. Es ist deshalb naheliegend, dass die Korrosionsbildung im Innern des Stahlrohres bei keiner der Instandhaltungsarbeiten aufgefallen war.
Die Kontrolle und Prüfung eines solchen Stahlrohres setzt eine klar definierte Prüfmethode voraus, wie beispielsweise eine Rissprüfung oder eine Inspektion mittels Borescope. Da die vorliegenden, für alle Baumuster der SF 25 geltenden Instandhaltungsanweisungen aber keine solchen detaillierten Vorgehensweisen beinhalten, ist davon auszugehen, dass ähnliche Korrosionserscheinungen bei weiteren Flugzeugen des Musters SF 25 bestehen. Aus diesem Grund spricht die SUST eine entsprechende Sicherheitsempfehlung aus.
Sicherheitsempfehlung
Die Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (European Union Aviation Safety Agency – EASA) sollte in Zusammenarbeit mit dem Luftfahrzeughersteller Scheibe Aircraft GmbH Massnahmen ergreifen, die sicherstellen, dass Motorsegler des Musters SF 25 nur betrieben werden, wenn keine derartigen Korrosionserscheinungen an deren Steuerorgane und Steuergestänge bestehen. Quelle / vollständiger Bericht: ‚SUST, Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle‚.