Das deutsche Lufttaxi-Projekt Lilium hat einen kühnen Plan entwickelt, um an der Börse frisches Kapital zu sammeln. Der Wettbewerb um Technologie und Geld wird härter. Deshalb wagt die Firma gleich eine spektakuläre Ankündigung. Doch die sorgt für Skepsis. Deutschlands ambitioniertestes Lufttaxiprojekt Lilium holt sich über einen Gang an die US-Technologiebörse Nasdaq frisches Geld in die Kasse. Das erst vor sechs Jahren gegründete Unternehmen fusioniert dazu mit einem bereits börsennotierten Finanzvehikel (Spac) und kommt so schneller als bei einem langwierigen Börsenzulassungsverfahren an neues Kapital. Für diese Finanzierungsstrategie teilte Lilium jetzt den Zusammenschluss mit der US-Gesellschaft Quell Acquisition Corp. mit, die künftig in Lilium umbenannt wird.
Zugleich wurde die Entwicklung eines elektrisch startenden und landenden Jets für nunmehr sechs Passagiere plus Pilot verkündet, der 2024 im Einsatz sein soll. Lilium will sich nach eigenen Angaben als Weltmarktführer im Bereich des regionalen elektrischen Luftverkehrs positionieren. Der Lilium-US-Börsenplan folgt nur einen Monat nach der Ankündigung des großen US-Konkurrenten Joby Aviation, ebenfalls über ein Finanzvehikel an die US-Börse zu gehen. In Joby hat beispielsweise Toyota schon über 720 Millionen Dollar investiert. Während Joby jetzt von einer Bewertung von 6,6 Milliarden Dollar spricht, wird die Bewertung des fusionierten Lilium-Unternehmens mit 3,3 Milliarden Dollar beziffert. Alle Lufttaxiunternehmen benötigen noch hohe Millionenbeträge oder sogar Milliarden, um ihren Geschäftsbetrieb aufzubauen. Ganz gleich, ob für Flugeinsätze im Umfeld von Metropolen oder über längere Strecken als „Flugshuttle Service“, wie sich Lilium positioniert.
Es gilt als offenes Geheimnis der Branche, dass nur ein Bruchteil der weltweit über 100 Projekte letztendlich langfristig wirtschaftlich überleben kann. Derzeit setzen die Flugtaxianbieter noch auf einer Art Goldgräberstimmung. Manche Modelle sind bereits im Einsatz, wie beispielsweise vom chinesischen Anbieter EHang, der in Hongkong bereits autonome Touristenflüge anbietet, oder in einem weiter fortgeschrittenem Zulassungsstadium, wie vom deutschen Lufttaxi-Unternehmen Volocopter.
Bisher gab es nur einen Fünfsitzer, nun soll ein Siebensitzer dazukommen
Obwohl bei Lilium nach dem Brand eines unbemannten Demonstrators seit rund einem Jahr bislang kein weiterer Flug stattgefunden hat und der Konkurrent Joby fleißig weiter testet, wagt sich das Unternehmen mit inzwischen über 600 Beschäftigten mit kühnen Vorhersagen an die Börse. Bisher haben Finanzinvestoren bereits über 400 Millionen Euro in das Unternehmen vor den Toren Münchens gesteckt. Während zunächst von einem fünfsitzigen Demonstrator gesprochen wurde, kündigt Lilium jetzt ein siebensitziges Serienmodell mit 282 km/h Reisegeschwindigkeit auf gut 3000 Meter Flughöhe und einer Reichweite von mehr als 250 Kilometer an.
Lilium verweist auf eine fünfjährige Technologieentwicklung über vier Generationen mit Technologiedemonstratoren. Anfangs wurde nur über einen Fünfsitzer – ein Pilot plus vier Passagiere – berichtet. Erst in jüngster Zeit räumte der 35-jährige Unternehmenschef Daniel Wiegand ein, dass Lilium auch an größeren Modellen arbeitet. Die Besonderheit der Lilium-Jets sind die eigenentwickelten ummantelten elektrischen Strahltriebwerke. Beim fünfsitzigen Demonstrator war von 36 E-Triebwerken die Rede. Auch das siebensitzige Modell – Pilot plus sechs Passagiere – hat 36 Motoren und soll sowohl in Europa als auch in den USA zugelassen werden. Das ungewöhnliche Lilium-Technologiekonzept sorgt seit jeher für Diskussionen in der Branche. Kritiker werfen Lilium vor, über geschicktes Marketing und wechselnde Versprechungen hohe Erwartungen aufzubauen, ohne tatsächlich nachprüfbare Fakten zu liefern. Es fehle an Transparenz. So hieß es im Januar, dass bereits Ende 2023, also in drei Jahren, der erste Serienflieger für einen Piloten plus vier Passagiere zugelassen sein soll. Nun wird der kommerzielle Betrieb des Siebensitzers für 2024 in Aussicht gestellt.
Auch eine Kapitalerhöhung geplant
Je mehr Lilium-Chef Wiegand Zukunftsphantasien entwickelt, desto mehr Zweifel weckt er. Etwa beim Luftfahrtexperten Professor Mirko Hornung von der TU München. Kritiker sprechen von einer großen Ankündigungsblase, die womöglich platzen könnte, weil weltweit an Lufttaximodellen gearbeitet wird, aber sicher nicht alle Erfolg haben werden. Um Zweifel zu zerstreuen, verweist Lilium auf renommierte Branchenexperten in Schlüsselpositionen, etwa von Airbus. So gehört inzwischen auch Ex-Airbus-Chef Tom Enders dem Verwaltungsrat an. In dem Top-Gremium sind auch der schwedische Milliardär, Softwarespezialist und Skype-Gründer Niklas Zennström, der deutsche Unternehmer und Technologieinvestor Frank Thelen und David Wallerstein, Technologie-Schlüsselmanager beim chinesischen Technologiekonzern Tencent, der auch in Lilium investiert hat, vertreten.
In den vergangenen drei Jahren hat Lilium bereits gut 400 Millionen Euro bei diversen Investoren eingesammelt. Die Fusion von Lilium mit dem Börsenvehikel Quell Acquisition Corp. soll 830 Millionen Dollar in die Kasse spülen, einschließlich einer Kapitalerhöhung um 450 Millionen Dollar in Form einer PIPE (Private Investment in Public Equity), woran sich alte, aber auch neue Investoren beteiligen sollen. An der Spitze von Quell Acquisition steht der Ex-Präsident von General Motors Nordamerika, Barry Engle, der nun auch in den Verwaltungsrat von Lilium einziehen soll. Quelle: ‚Die Welt‚.