Der Flug mit der Morning Glory war für John Riedl ein außergewöhnliches Erlebnis – selten, anspruchsvoll und beeindruckend. Die Reise führte durch das entlegene, raue Australien und offenbarte ein Land jenseits bekannter Pfade. Für Segelflieger ist die Glory eine fliegerische Herausforderung.
Am dritten Morgen machten sich die Piloten um 04:15 Uhr im Dunkeln auf zum Flugplatz, quer durch unwegsames Gelände. Die Milchstraße spannte sich leuchtend über den mondlosen Himmel. Per Funk aktivierten sie die Pistenbeleuchtung und bereiteten die Stemme für den Start vor.

Um 06:06 Uhr, bei ersten Lichtstrahlen, stiegen acht Segelflugzeuge dem Horizont entgegen – auf der Suche nach der sagenumwobenen Morning Glory. Einige Piloten trugen Schwimmwesten, andere verließen sich auf ihre Gebete: In Küstennähe tummelten sich 20-Fuß-Salzwasserkrokodile und 12-Fuß-Haie, die den Barramundi nachstellten – und potenziell auch den Piloten.

Riedl und Hanbury flogen 50 Kilometer weit über das Meer hinaus, noch vor Sonnen-Aufgang, begleitet von beruhigenden Spot-Trackern und Notsendern. In 8’000 Fuß Höhe bereiteten sie sich auf den Gleitflug zurück ans Festland oder nach Sweers Island vor – mit dem beruhigenden Wissen um die 50:1-Gleitleistung ihrer Maschine. Der Motor schnurrte. Kein Drama, kein Glück, kein Ruhm, dafür ein langer Endanflug und ein leckerer Barra-Burger in der Konditorei. Die Re-Hydrierung erfolgte dann im Laufe des Tages mit Bier.
Wand aus Wolken
Am nächsten Morgen hatten John Riedl und Rob Hanbury mehr Glück: Die Segelflugzeuge am Flugplatz waren von Tau überzogen – ein verlässliches Zeichen für die bevorstehende Entstehung der Morning Glory. Um 06:16 Uhr hoben sie ab, das Ziel: eine schwache Linie am Horizont, rund 50 Kilometer entfernt.

Jenseits von Bentinck und Sweers Island erstreckte sich die Wolkenformation in voller Pracht – eine mächtige, kumulusartige Welle von Horizont zu Horizont, mit einer Basis bei 500 Fuß und einer Oberkante bei 2’500 Fuß. Ihre steile Vorderkante erhob sich im 75-Grad-Winkel, deutlich größer und weiter entfernt, als zunächst angenommen. Erst nach 15 Minuten erreichten sie die Front.
Mit der Wolkenwand zu ihrer Rechten näherten sie sich vorsichtig dem Aufwind, schalteten den Motor ab, zogen den Propeller ein – ab diesem Moment waren sie im reinen Segelflug unterwegs. Das Vario jammerte zunächst, bis sie in den stärkeren Auftrieb an der Frontkante der Glory einflogen. Mit Wölbklappen auf -10 und 140 Knoten in ruhiger, aufsteigender Luft durchflogen sie die Formation – ein eindrucksvolles Schauspiel, das nach 25 Minuten am Ende der Wolkenwand ausklang.
Die Aufwinde reichten wohl noch weiter, mitunter weit vor der sichtbaren Wolke – doch sie blieben lieber bei dem, was sie sehen konnten.
Wie Skifahren auf Wolken
Nach dem Wendepunkt flogen John Riedl und Rob Hanbury entlang der abgeflachten Vorderkante der Morning Glory – wie auf einem makellosen Skihang. Im dynamischen Aufwind glitten sie knapp über der Wolkenoberfläche, bei 1’000 Fuß, bei 2’500 Fuß mit sanften 60 Knoten – echtes Kamm-Segeln.

Wie ein Skifahrer, der dem Gelände folgt, hielten sie Kurs entlang der Kontur, so nah, dass die Flügelspitze die Wolke streifte oder kurz darin verschwand. Wolkenfetzen ragten senkrecht nach oben – das Gegenteil herabhängender Cumulusreste. Das Segelflugzeug zitterte in der aufgewühlten Luft, das Variometer jubelte, der Rumpf vibrierte, sang, dröhnte – an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit.

Nach sechs energiereichen Durchgängen waren sie über 150 Kilometer von Burketown entfernt, die Sonne stand hoch, das Team am Boden wartete hungrig auf das Frühstück. Die Morning Glory löste sich langsam auf, ihre Energie war erschöpft. Sie glitten weiter zur nächsten Welle in Richtung Küste, nahmen nochmals ein Stück Aufwind mit – dann „Motor an“, Rückflug über unlandbares Gelände, ein letzter 50-Kilometer-Gleitflug.
451 Kilometer in weniger als drei Stunden – und das alles vor dem Frühstück. Ein Erlebnis, das bleibt. Ein stilles Privileg. Und das Gefühl: Es ist gut, am Leben zu sein.
Der Klang der Brolgas
Am zehnten Tag starteten acht Motorsegler bei Morgengrauen. Während das Kondens-Wasser noch von den Tragflächen tropfte, hallte aus dem sumpfigen Gelände hinter dem Flugplatz der Klang von Brolgas – ein vielversprechendes Zeichen für eine bevorstehende Morning Glory. Adler kreisten misstrauisch über den Segelflugzeugen, und als die Sonne die Küstenlinie überflutete, stiegen sie in 3’000 Fuß Höhe in den Tag.
Diese Morning Glory war größer als jede zuvor – ein massives, wolkenweißes Band von Horizont zu Horizont. Mit eingeklapptem Propeller segelten die Piloten an ihrer Krone entlang, 200 km/h schnell, später nah an der Wolkenbasis, getragen von ruhigem Aufwind. Die Piloten hielten Funkkontakt – bei Annäherung mit über 250 Knoten war Sichtkontakt oft nicht genug.
Über einer großen Insel verlor die Wolke an Energie, spaltete sich, hinterließ eine klare, turbulente Brücke. Als sie auf das Land traf, saugte es ihre Kraft auf, ließ sie schrumpfen – Zug um Zug wurde sie kürzer. Zehnmal flogen sie an ihr entlang, doch am Ende blieb nur ein Schatten ihrer einstigen Majestät. Einige dieser Formationen erstrecken sich über 1’000 Kilometer – diese aber war dabei, sich aufzulösen. Im langen Gleitflug kehrten die Piloten zurück nach Burketown – gestartet über einem tintenblauen Meer, gelandet über sonnenverbranntem Land.
Rodeo und Gemeinschaft
Burketown war kaum wiederzuerkennen: Cowboys, Stiere, Pferde – das jährliche Rodeo zog Hunderte an. Weiße und indigene Kinder spielten gemeinsam, frei und ungezwungen. Die Musik war Geschmackssache, das Gemeinschaftsgefühl überragend.

Erfahrene Stiere warfen ihre Reiter souverän ab und trabten von selbst zurück in die Gatter – alte Profis. Die Pferde, weniger kooperativ, machten es ihren Reitern schwerer. Rund um die Bar war dreimal so viel Betrieb wie an der Arena, während sich die Menge in geselliger Trägheit der Hitze und dem Bier hingab.
Die Piloten trafen sich in der besten Adresse der Stadt – einer kleinen Bäckerei, bekannt als das inoffizielle „Wartezimmer der Flieger“. Dort tauschten sie ihre Erlebnisse aus – bei Kaffee, Kuchen und einem Gefühl von echter Zugehörigkeit. Burketown – ein Ort, den man erlebt haben muss.
2 Billionen Tonnen Luft
In der Nacht vor dem elften Tag veränderte sich das Wetter dramatisch. Über der Cape-York-Halbinsel lag eine gewaltige Luftmasse – rund zwei Billionen Tonnen. Als ein Drittel davon durch Sonneneinstrahlung aufstieg, entstand ein Tiefdruckgebiet, das kühle Meeresluft von beiden Seiten ansog. Diese Luftmassen trafen in der Dunkelheit aufeinander, kollidierten frontal und erzeugten eine gigantische atmosphärische Schockwelle – eine Morning Glory von außergewöhnlicher Größe.

Als die Piloten im Morgengrauen starteten, näherte sich die Wolkenwalze bereits bedrohlich – tief, gewaltig, aber überraschend ruhig. Eine zweite, höhere und unruhigere Welle folgte dicht dahinter. Die erste Morning Glory sog den am Boden liegenden Nebel auf – ein atemberaubender Anblick. Die freigesetzte latente Wärme der kondensierenden Feuchtigkeit war der Motor dieser Naturgewalt.
Der perfekte Hang
Für einen Skifahrer wirkte die Szene wie eine himmlische Piste. Mit bis zu 270 km/h glitten die Piloten nahe der strukturellen Belastungsgrenze ihrer Segler, als sie in nur 800 Fuß Höhe auf die stärkste Auftriebszone zusteuerten – tief genug, um unter normalen Bedingungen über eine Landung nachzudenken.

Notstart und Meringue-Wolke
Ein Moment der Ablenkung – ein Videoversuch im Sonnenlicht – brachte sie gefährlich nahe an die Leeseite der Wolke. Bei nur 60 Knoten in schwachem Aufwind verbrauchten sie beinahe ihre gesamte kinetische Energie. Ein Notstart des Motors verhinderte das Absinken, und sie retteten sich knapp über die Kante zurück in den kräftigen Aufwind.
Kurz darauf verschmolz die zweite, turbulente Welle mit der ersten – aus der einst majestätischen, glatten Formation wurde eine chaotische, zerklüftete Masse, die an eine überzuckerte Meringue erinnerte. Der Versuch, sich in ihrer Nähe zu halten, glich einem Flug durch einen Tumbler – sie zogen sich rasch zurück.
Frühstück auf Sweers Island
Nach 400 Kilometern und fünf Etappen in nur zwei Stunden wechselten die Piloten zur sekundären Welle – ohne Erfolg. Die Glory schwächte sich ab, der Aufwind verebbte. Sie verließen die Formation, die seit ihrem Einstieg 80 Kilometer gegen den Wind zurück gelegt hatte, und flogen 110 Kilometer nordwärts nach Sweers Island. Nach einer Seitenwind-Landung auf einer schmalen Schotterpiste erwarteten sie Frühstück, Ruhe – und die nächste Entdeckung.
Richtig groß
Am zwölften Tag starteten zwölf Segelflugzeuge kurz vor Sonnenaufgang – alle mit dem Ziel, eine mächtige Morning Glory zu erwischen, die parallel zur Küste ins Landesinnere zog. Die Feuchtigkeit war extrem, die Flugzeuge beschlagen, der Horizont diffus. Am Himmel zeichnete sich eine Szene wie aus den Rocky Mountains ab: keine glatten Konturen, sondern dramatische, wolkenartige Gebirgsketten.
Südlich davon zeigte sich eine klassische, glatte Morning Glory – gefolgt von zwei weiteren, zunehmend turbulenten Wellen. Es wirkte wie ein rollendes Massiv, das sich langsam, aber unerbittlich über das Land schob. Die Piloten hielten sich an den weniger wilden südlichen Abschnitt und überließen die brodelnden Nordgipfel anderen.
Selbst die vermeintlich glatte Zone war komplex strukturiert und deutlich breiter als üblich – verbunden mit der sekundären Welle und durchzogen von innerer Dynamik. Wer dafür noch Superlative übrig hatte, konnte sie hier verwenden: Diese Formation war schlicht überwältigend.
Ein vorsichtiger Flug
Mit abgeschaltetem Motor und eingefahrenem Propeller suchten sie den stärksten Auftrieb an der vorderen, „blauen“ Linie – tief und stabil, aber nicht mehr spektakulär. Wahrscheinlich entzog die sekundäre Welle der primären etwas Energie. Die Piloten flogen defensiver, tasteten sich dicht an der Oberfläche entlang, folgten der welligen Topografie der Wolken wie Skifahrer einer anspruchsvollen Piste – das Fluggefühl war fließend, beinahe körperlich.
Als sich das Wetter südlich zunehmend verschlechterte und die drei Wellen zu einer chaotischen Struktur verschmolzen, zogen sich die Piloten aus dem unruhigen Bereich zurück.
Letzter Flug, stiller Abschied
Nach vier Nord-Süd-Durchgängen und 370 Kilometern in 2 Stunden und 20 Minuten näherten sie sich Burketown. Dichte Bewölkung zwang sie, unter dem aufziehenden grauen Band durchzufliegen – ein Abstieg als einzige Rückkehr-Möglichkeit.

Vorbei an Wasserlöchern und Rinderherden endete eine eindrucksvolle Serie: 25 Flüge entlang der Morning Glory in nur vier Tagen. Die Rückreise führte über Lizard Island und die Küste Queenslands entlang.
Quelle:‘glidingaustralia.org‚. Autor: John Riedl
Fazit: Was John Riedl auf seiner Reise zur Morning Glory erlebte, war weit mehr als ein Flugabenteuer. Es war eine Begegnung mit Naturgewalten, mit der eigenen Entschlossenheit – und mit einem Australien, das nur wenige kennen. Ein stilles Privileg, getragen von Wind, Mut und der Liebe zum Fliegen.