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Bitte einmal Wolken impfen

Georg Vogl hat als Pilot der Hagelabwehr in der Luft schon viel erlebt – auch ausfallende Motoren und eine Notlandung. Er fliegt dennoch weiterhin mitten in die Gewitterfront. Warum er und seine Kollegen sich das antun. Zum vereinbarten Treffen kommt Georg Vogl natürlich mit Käthi angeflogen, fünf Minuten überpünktlich setzt die Partenavia-Maschine auf der Landebahn in Vogtareuth nördlich von Rosenheim auf. Wären Passagiere an Bord, sie hätten bei der sanften Landung wahrscheinlich geklatscht – sieben Sitze bietet der Propellerflieger – aber an Bord ist Vogl in der Regel alleine. Vielleicht liegt es an den Orten, die er mit Käthi ansteuert: immer die Stellen, wo andere Flugzeuge lieber einen Bogen drumherum fliegen, immer direkt in die unterste Schicht von Gewitter- und Unwetterwolken.

Vogl ist Pilot und Leiter der Rosenheimer Hagelabwehr, er erzählt von einem seiner letzten Einsätze: „Da waren die Turbulenzen so stark, dass der Flieger überall hingeflogen ist, nur nicht dahin, wo man hingelenkt hat.“ Trotzdem sei jener Samstag ein ganz normaler, ein „typischer“ Einsatz gewesen. Vogl hat schon viel gefährlichere Situationen in der Luft erlebt, oder besser: überlebt. Seit Anfang der 1980er Jahre fliegt Vogl schon für die Hagelabwehr, mehr als 2000 Einsatzstunden habe er in der Luft verbracht, sagt er. Vor vielen Jahren kreiste er mit einer einmotorigen Maschine, einer Vorgängerin der jetzigen Flugzeuge, über dem Ebersberger Forst. Während eines Übungsflugs fiel plötzlich der Motor aus. Bei einer einmotorigen Maschine – noch dazu in den Unwetterwinden. „Das war das einzige Mal, dass ich einen Notfall ausgerufen habe“, sagt Vogl mit jener Ruhe in der Stimme, die man wahrscheinlich in so einer Situation braucht.

Der Fluglotse, mit dem er auf seinen Notfall-Funk hin gesprochen habe, sperrte erst mal großzügig den Luftraum. „Da habe ich gemerkt, wie fit die Lotsen wirklich sind.“ Er bugsierte das antriebslose Flugzeug zum Flughafen München-Riem. „Mit dem letzten Rest der Batterie hab ich dann das Fahrwerk rausgelassen.“ Vogl landete sicher. Als es dann darum ging, neue Flugzeuge für die Hagelabwehr anzuschaffen, „gab es dann den Spruch: Wir lassen den Fallschirm weg und nehmen dafür einen zweiten Motor.“ Bei Käthi dreht sich links und rechts der Kabine je ein Propeller. Falls doch mal was sein sollte, vertraut Vogl auf die geringe Wahrscheinlichkeit, dass beide Motoren und damit auch Propeller gleichzeitig defekt sind: „Der rechte Motor weiß schließlich nicht, dass der linke ausgefallen ist.“

Die beiden Propellermaschinen der Hagelabwehr – neben Käthi steht noch Hannelore in der Vogtareuther Garage – fliegen in der Saison um die 25 Mal ins Gewitter. Sie waren zum Beispiel bei den starken Unwettern Ende Juni über Ebersberg im Einsatz. Damals hagelte es stellenweise und es prasselten bis zu 35 Liter pro Quadratmeter in einer Viertelstunde hinab. Da kann dann auch Vogl nicht mehr viel machen. Denn den Niederschlag selbst verhindert die Hagelabwehr nicht. Im besten Falle prasseln aber keine Hagelkörner, sondern nur Regentropfen auf die Maisfelder und Autodächer.

Die Spuren der Hageleinschläge sieht man auch an den Flugzeugen. An der vorderen Seite der Tragfläche ist Käthis Festgummi zerbeult, Hannelores Schnauze hat auch schon was abbekommen. Zum Glück seien sie „gutmütige Flugzeuge“, die einiges verzeihen, sagt Vogl. Das müssen sie auch, wenn man bedenkt, wo Vogl seine Flugzeuge hinsteuert. Direkt hinein in die Gewitterfront.

Um zu verstehen, warum die Piloten sich das und ihren Flugzeugen antun, hilft ein kleiner Exkurs in die Meteorologie. „Bei jeder Wolke wird die Feuchtigkeit von unten in die Höhe gezogen“, sagt Vogl. Dafür muss es unten warm sein, die Thermik transportiert dann die Luft mitsamt Wassertröpfchen nach oben. Bei Hagelwolken besonders stark, bis zu 13 Kilometer trägt der Aufwind die Wolkentropfen in die Höhe. „Da können Sie auch einen Ziegelstein fallen lassen und der fliegt nach oben“, sagt Vogl halb ernst, halb im Scherz. Je höher es die Luft trägt, desto kälter wird es. Kalte Luft kann nicht so viel Feuchtigkeit binden wie warme Luft. Es entstehen Wolken. Geht man noch höher, gefriert manches Wassertröpfchen, an die Spitzen der Eiskristalle hängen sich die nicht gefrorenen Wolkentröpfchen dran, vier Millionen davon bilden einen normalgroßen Regentropfen. Ist der Aufwind stark genug, treibt es die Tropfen auch in Höhen, wo sie gefrieren: Es entstehen Hagelkörner.

Aber selbst die stärksten Aufwinde reichen irgendwann nicht mehr aus, um die größer und größer gewordenen Hagelkörner und Regentropfen in der Höhe zu halten. Die Gravitation zieht die Eis-Wasser-Tropfen nach unten. Auf diesem Weg zum Boden entscheidet sich, ob Eis oder Wasser im Garten ankommt. Denn oft schmelzen die Eiskörner beim Fallen noch. Nur wenn sie dafür zu groß sind, kommen unten Hagelkörner an. Und da setzt die Hagelabwehr an. Ziel ist es, den Wassertropfen möglichst viele Partikel in der Wolke bereitzustellen, so dass sie sich auf Tropfen verteilen können. Die einzelnen Eiskörner bleiben auf diese Weise so klein, dass sie beim Fallen schmelzen. Aber: „Die Menge Wasser bleibt gleich“, erklärt Vogl. Wahrscheinlich ist das wie bei einem Zehn-Liter-Bierfass: Ob es für die Feier ausreicht, hängt von der Gästezahl ab, auf die es sich verteilt.

Das Kernstück der Hagelabwehr hängt wenig aufsehenerregend an den Enden der Tragflächen. Auf den ersten Blick ist es nur ein etwa anderthalb Meter langes, silbernes Rohr. In der Mitte des Rohres ist ein Tank für etwa 15 Liter, darin: Silberjodid. Eine Mischung aus Aceton, das mit sechs Prozent Silber versetzt wurde. Im Flug verbrennt das Gemisch mit Temperaturen von bis zu 1200 Grad. Am Ende des Rohrs kommt der Rauch raus, wie beim Auspuff. Damit die Rauchpartikel dort ankommen, wo die Wolkentröpfchen zu Regen und Hagel werden, muss Vogl direkt zur Wolkenbasis fliegen. Etwa 500 bis 2500 Meter über dem Boden. Der Rauch steigt also mit der Feuchtigkeit auf. Die Wolke bekommt so „künstliche Kondensationskeime“, erklärt Vogl. Die „Wolken impfen“, nennen sie das. Quelle: ‚Süddeutsche Zeitung‘.

Manchmal schüttelt es schon kräftig

Wo andere einen weiten Bogen machen oder gleich zusehen, dass sie zurück an den Boden kommen, hebt Julia Rexroth erst ab: Die 37-jährige Pilotin aus Albstadt, Mitglied und Fluglehrerin im Luftsportverein (LSV) Degerfeld, arbeitet als Hagelabwehr-Fliegerin. In dieser Saison ist sie im Schwarzwald, in der Ortenau und im Rheintal im Einsatz. Wenn das endgültige „Go“ von den Meteorologen von Südwest-Wetter aus Karlsruhe kommt, muss es schnell gehen. Julia Rexroth, blond und vielleicht 1,65 Meter groß, kontrolliert noch einmal ihre Maschine und vor allem die beiden Generatoren sowie die beiden Fackel-Batterien am Rumpf der Cessna 182. Dann lässt sie das 230 PS starke Sechs-Zylinder-Triebwerk an und rollt los zur Startbahn.

Der Wetterdienst schickt ihr Radarbilder und Karten auf den Tablet-Computer direkt ins Cockpit, damit sie weiß, wo ihr Einsatzgebiet genau liegt. Rund 30 Mal ist sie in dieser Saison schon losgeflogen, die von Ende April bis Mitte Oktober dauert. Ihr Gebiet liegt zwischen der Ortenau und Freudenstadt bis hoch nach Karlsruhe. Der Auftrag: eine Gewitterzelle mit Hagel-Potenzial anzufliegen, den mächtigen Aufwindkern der Gewitterwolke zu suchen und dann die Generatoren und Fackelbatterien zu zünden. Abgegeben wird dabei ein Silberiodid-Aceton-Gemisch. Das Aceton verbrenne vollständig, für die Umwelt sei die Impfaktion unschädlich. Der Theorie zufolge zieht die Wolke die Partikel ein wie ein Staubsauger. An den sogenannten Kondensationskernen bilden sich aus dem Wasserdampf Tröpfchen, die dann abregnen, anstatt in der kilometerhohen Wolke aufzusteigen, irgendwann zu vereisen und dann als zerstörerischer Hagel niederzuprasseln.

Hagelabwehr-Flieger starten frühzeitig und sind bemüht, die Gewitterwolken vor ihrem „Reifestadium“ zu erwischen, also bevor es knallt. „Je früher, desto besser“, sagt die Pilotin. Ob es ein Einsatztag oder ein freier ist, bekommt die dreifache Mutter meist früh mit. Um 7 Uhr erhalten sie und ihre Kollegen die ersten Wetterdaten des Tages zugeschickt. Ist die Warnstufe „grün“, kann sie zu Hause bleiben. Bei Einsatzbereitschaft „rot“ setzt sie sich ins Auto und fährt nach Offenburg, wo die Maschine normalerweise stationiert ist. Dann macht sie die robuste Cessna startklar, während sich ihr Mann um den Nachwuchs kümmert. Er ist, wie Julia Rexroth, Pilot und ehrenamtlicher Segelfluglehrer des LSV Degerfeld.

Für den Job als Hagelabwehr-Fliegerin in Teilzeit hat Julia Rexroth sich beworben. Denn die 37-Jährige hat zwar eine Berufspilotenlizenz, Einstellungsvoraussetzung für die Hagelabwehr, sie ist jedoch vor allem als Hebamme tätig. In Offenburg sind zwei der insgesamt sieben Hagelabwehr-Flugzeuge der Firma FK Aviation GmbH mit Sitz in Gärtringen bei Herrenberg stationiert. Von dort aus fliegen die beiden Cessnas im Auftrag von Versicherungen und der Landwirtschaft. Weitere Unternehmen in Baden-Württemberg bieten Hagelabwehr mit Kleinflugzeugen an.

Versicherungen übernehmen Flugkosten
Nicht alle Wetterkundler sind von der Wirkung überzeugt. Laut Rexroth werde das Prinzip an Hochschulen erforscht, im Laborversuch habe es geklappt. Aus ihrer fliegerischen Praxis sei sie überzeugt davon, dass die Methode funktioniert: „Wir beobachten immer wieder Gewitterzellen, die sich nach dem Einfluss des Silberiodids abschwächen und kein oder nur sehr kleiner Hagel den Boden erreicht“, sagt sie. Nach Abzug der Flugzeuge verstärkten sich die Gewitter oft wieder und entwickelten außerhalb der Abwehrgebiete nicht selten wieder Hagel am Boden. Sie habe schon im Rheintal Wolken „geimpft“, die abgeregnet seien, während „ungeimpfte“ Wolken an den Vogesen direkt daneben Hagel abgelassen hätten, erzählt sie. Die Versicherungen sind jedenfalls bereit, die Flüge zu bezahlen.

Bei ihren Einsätzen sei es unerlässlich, hellwach zu sein, erzählt Rexroth. „Man muss schon wissen, was man tut. Das ist nichts für Draufgänger“. Den Steigkern einer Wolke zu finden, ist für die Segelfliegerin Routine. Allerdings seien Gewitterzellen noch mal etwas anderes als eine harmlose Haufenwolke, unter denen sich die Thermikjäger für gewöhnlich tummeln.

In den Auf- und Abwindzonen schüttele es die 1,3 Tonnen schwere Maschine schon mal kräftig durch. Deshalb versuche sie stets, die Zelle von vorne anzufliegen und rasch an ihren Steigkern zu kommen. „Aber man muss schon aufpassen mit so einer kleinen Kiste“, sagt sie und lacht. Abwindzonen, in denen die Kaltluft aus der Wolke wie ein Wasserfall Richtung Erde stürzt, meide sie. Angst habe sie bei den Einsätzen keine. Als Segelfliegerin sei sie die Rüttelei gewöhnt. Manchmal sei sie vier Stunden am Stück in der Luft, fliege von einer Zelle zur nächsten, so lange der Treibstoff reiche. Beim Flug sei sie ständig mit einem Meteorologen im Kontakt. Ihre Saisonbilanz fällt bislang positiv aus. Kein Starkhagel-Ereignis ihn ihrem Einsatzgebiet. „Ich habe schon den Eindruck, dass solche Ereignisse weniger werden, seit wir in der Luft sind“, sagt Rexroth. Quelle: ‚Schwarzwälder Bote‚.

Verhindern Hagelflieger Hagel?

Früher versuchte man, das Ungetüm mit Gebeten, Glockengeläut und anderem Lärm zu verjagen, seit einigen Jahrzehnten nun sind Raketen und kleine Motorflieger im Einsatz gegen dunkle Wolkentürme. Hagelabwehr nennt sich dieser Versuch der Wetterbeeinflussung, und sie breitet sich in Süddeutschland immer weiter aus. Die Mission besteht darin, das Entstehen schwerer Hagelkörner in Gewitterwolken zu verhindern. Mit kleinen Flugzeugen sollen Gewitter »geimpft« werden, so der Fachjargon. In der Theorie scheint die Methode plausibel. Das Silberjodid-Azeton-Gemisch, das Hagelflieger in die Wolke einbringen, zerstäubt in Billionen von Kriställchen, die wunderbar als Eiskeim wirken. Sie setzen sich an die feinen Wassertröpfchen und binden viel Feuchtigkeit. So bilden sich zwar mehr Hagelkörner, dafür aber kleinere, die auf dem Flug zum Boden häufig tauen. Auf diese Weise sollen große, bedrohliche Eisklumpen verhindert werden. So weit die Theorie. Doch ob die Methode wirklich wirkt, ist stark umstritten. Die Befürworter berufen sich auf Studien, die eine Reduzierung von Schadensfällen angeblich fundiert belegten. Kritiker sind von der Wirksamkeit hingegen keineswegs überzeugt. Quelle: ‚Spektrum.de

Dürftige Beweislage für Hagelflieger-Wirksamkeit

Nichts fürchten Landwirte mehr als Hagel. Das Impfen der Wolken mit Chemikalien soll sie vor schweren Schäden schützen. Doch ob die Methode wirklich wirkt, ist stark umstritten. Ebenfalls seit der Antike versucht der Mensch, aufziehende Gewitter zu bekämpfen. Nur die Methoden haben sich geändert: Früher versuchte man, das Ungetüm mit Gebeten, Glockengeläut und anderem Lärm zu verjagen, seit einigen Jahrzehnten nun sind sogar Raketen und kleine Motorflieger im Einsatz gegen dunkle Wolkentürme. Hagelabwehr nennt sich dieser Versuch der Wetterbeeinflussung, und es breitet sich in Süddeutschland immer weiter aus – jetzt gibt es auch eine Hagelabwehr in Südbaden. Die Mission besteht darin, das Entstehen schwerer Hagelkörner in Gewitterwolken zu verhindern. Mit Hagelfliegern sollen Gewitter geimpft werden, so der Fachjargon. Quelle: ‚Badische Zeitung‚.