(Teil 2 von «Himmelfahrt im Erdgeschoss»).
Hier finden Sie den ersten Teil unseres Wandersegelfluges.
Vom Charme eines reichhaltigen Frühstück-Buffets
Eigentlich mag ich kleine Hotels lieber als grosse. Sie sind oft weniger «uniform». Hotelketten haben indes den Vorteil, dass man sich auf bestimmte Standards verlassen darf. Gestern Abend sind wir nach einem Innenstadt-Ausflug zu «Münchener Schnitel» und ausreichend Hopfentee müde in die Daunen des Park-Inn Radisson gefallen. Und heute Morgen habe ich meinen Peter kaum mehr davon weggebracht. Er mag ausgedehnte Frühstücke mit Auswahl und Vielfalt. Nach ausgiebigem Tafeln sind wir beide der Meinung, dass unser heutiges Hotel eigentlich als Muster für Nachahmer in anderen Regionen dienen sollte. Etwa für unsere auch schon erduldeten französischen Versuche, mit einem abgezählten Mini-Croissant und einem Alu-Töpfchen Konfitüre und einer Kaffee-ähnlichen dunklen Brühe so etwas wie ein «Contintenal Breakfast» hinzubekommen. Damals ist der Spruch zur Ähnlichkeit von «französischem Kaffee» und «Sex in einem Kanu» entstanden. Beiden gemeinsam sei eben, dass sie «fucking close to water» seien.
Laaange Startstrecke
Ob sich unser heutiges, ergiebiges Frühstück auf die Startrollstrecke des Arcus M auf der Piste von Neumarkt in der Oberpfalz nachteilig auswirkte, werden wir nicht mehr herausfinden. Ich bin der Meinung, dass unsere zurückgelegte Wanderstrecke gestern Abend und heute Morgen, die zu uns genommenen Kalorien gut kompensieren müsste. Sicher ist aber, dass wir ohne Wasserballast in der Heckflosse das Flugzeug heute kopflastig bewegen. Jedenfalls fällt mir die Nase schon auf den ersten Pisten-Metern auf das vordere, kleine Bugrad. Bis ich das Flugzeug wieder ausbalanciert bzw. Seitenwind-sicher auf dem Heckrad bewegen kann, rutschen die ersten 50 m Asphalt schon mal unter dem Hauptrad weg. Es ist schon so, nichts ist beim Abheben unnützer als die Runway hinter dem Flugzeug, die Luft über dem Cockpit oder das Benzin in der Tank-Säule. Während das Pistenende immer näher rückt, kann ich den gut beladenen Arcus M dann aber doch noch von rechtzeitigem Abheben «überzeugen».
Wir wollen heute mit einer Flugreise dem Bayerischen Wald und dem Donautal entlang für uns neue segelfliegerische Horizonte erkunden, um auf einem netten Platz in den Ostalpen die Nacht zu verbringen. Als grobes Ziel stellen wir uns einen Ort wie Mariazell, Kapfenberg oder Niederöblarn vor. Wenn möglich ein Platz mit einer gewissen Infrastruktur, idealerweise eine Hartbelags-Piste oder einen Ort mit Übernachtungsmöglichkeiten in der Nähe.
Anfangs zirkeln wir uns um den Luftraum um den Flugplatz Hohenfels herum, wo die schönsten Cumulus natürlich gerade durch die Luftraumgrenze festgehalten werden. Irgendwann werden die Aufwinde etwas zuverlässiger und tragen uns um Regensburg und Straubing herum, wo wir auf die südlichste Krete des Bayerischen Waldes einfädeln.
Läuft nicht immer «wie geschmiert»
Immer mal wieder laufen nun die Wolken breit, die angetroffenen Aufwinde rollen uns die Kniesocken keineswegs bis zum Knöchel hinunter. Aber immerhin, wir kommen vorwärts, wenn auch nicht so elegant wie gewünscht. Bei Passau sehen wir uns den Zusammenfluss von Inn und Donau etwas genauer als gewünscht an, weil ich zu wenig Geduld aufbringe, schwache Aufwinde auszukreisen. Irgendwann sind wir gerade noch auf 900 m ü.M., wo mir nichts anderes mehr übrig bleibt, als irgendwo im Hirn einen Funken Geduld hervorzuklauben und endlich einmal einen Aufwind bis ganz oben auszudrehen. Entscheidend besser wird unsere Gesamt-Situation damit nicht, sieht man davon ab, dass wir nun etwas mehr Übersicht über die Ausbreitungen gewinnen und wieder ein paar Kilometer weiterwandern können.
Bei der Tiefflugübung bei Passau beschäftigt mich die eigentlich gefährliche Lage der Stadt. Wie bereits in der Region von Deggendorf liegen die bewohnten Zohnen nahe an den mächtigen Flüssen. Ob man hier sicher wohnen könne, frage ich mich einen Moment. Die Antwort darauf liefert ein paar «Monsun»-Wochen später die Natur. Man kann nicht. Die Lage ist sehr exponiert. Fällt längere Zeit starker Dauerregen, schwellen nahe an diesem «riesigen Badewannen-Abfluss» die Wasserpegel über die Dammkronen und verwüsten alles, was tiefer liegt.
Linz im Parterre
Tief geht auch für uns die Reise weiter. Die nördliche Umrundung der TMA Linz will nicht recht in die Gänge kommen, wir sind immer wieder tief im Gelände. Wir teilen unsere Kräfte auf. Einer navigiert und bedient das Funkgerät, damit wir nötigenfalls Linz Ost problemlos anfliegen können (einen Eigenstart mit unserem schweren Gerät stelle ich mir am Grasplatz an der Donau aber lieber nicht vor). Und der andere versucht, unser Fluggerät auf Höhe zu halten oder zu bringen. Teilweise kriechen wir unter den Kreten durch die Gegend mit zahlreichen teuren Villen, während über uns stolze Sende-Masten thronen, die man aus üblichen Flughöhen wohl kaum erkennen würde. Endlich trägt uns ein Aufwind kräftiger nach oben. Zum Glück waren wir schon mit dem Linzer Tower verbunden und mit einem Transponder-Code erhalten wir nun sogar eine Freigabe, in die TMA hineinzusteigen. Die höchste Höhe erreichen wir dann knapp ausserhalt der TMA.
Nun stehen wir vor zwei möglichen Routen für den Weiterflug. Eine führt knapp entlang der Linzer TMA direkt nach Süden. Vorteil: etwas näher nach Niederöblarn. Nachteil: pampige Luftmasse. Die zweite Route führt zunächst weiter nach Südosten dem Donautal entlang und dann nach Süden, war für ein abendliches Ziel wie Mariazell passt. Nachteil: ebenfalls (etwas weniger) pampige Luftmasse. Vorteil: das Donautal zu queren wird einfacher, weil weniger weit.
Insgesamt schleicht sich der Eindruck ins Cockpit, dass wir nicht wirklich schnell unterwegs sind und uns mit der vorhandenen Thermik nicht so gut zurechtfinden, bzw. sie teilweise kaum finden. Interessanterweise sollte dieses Wochenende noch eines der besseren der ganzen Saison bleiben, und wer in diesen Tagen etwas weiter flog, war in der Region unseres Wanderflug-Gebietes unterwegs.
Breites Donautal
Für die bevorstehende Querung des Donautales sind wir auf jeden gewonnenen Höhenmeter angewiesen, darum nehmen wir auch alles mit, was wir herauskreisen können. Dann starten wir die «Fahrt ins Blaue» und queren die Ebene des Donautales in Richtung Süden. In der Ferne tauchen im Grau des Horizontes erste Voralpen-Schatten auf. Peter nimmt einen Aufwind, der sich mitten in dieses thermisch scheintoten Gebiet verirrt hat, noch mit, bevor wir in die hügeligen «Eisenwurzen» eintauchen.
«Bucklige Wööld»
Je näher wir den Voralpen kommen, umso klarer wird erkennbar, woher die Region ihren Namen «Bucklige Welt» herhat. Hier schein kein Quadratmeter waagrecht zu stehen und die Strassen kennen nur Kurven und keine Geraden. Hier dürfte sicheres aussenlanden unmöglich sein. Wir machen ein paar Versuche, um irgendwo einen Fetzen Thermik zu erwischen, stellen aber ernüchtert fest, dass wir immer tiefer INS Gelände rutschen. Entscheide sind gefragt.
Wir überlegen, dass es bestimmt sicherer ist, mit einem intakten Fluchtweg zurück in die Ebene noch ÜBER den zahllosen Kreten einen Motorstart zu wagen als später irgendwo IM Gelände über unlandbaren Gipfeln und Tälern dasselbe tun zu müssen. Nördlich des Ötscher, dem höchsten Geländepunkt der Region, steigen wir auf sichere Anflughöhe für den Flugplatz Mariazell.
Pilger und Wallfahrten
Mariazell hat heute bei einer umfassenden Meinungs-Umfrage im Cockpit klar das oberste «Stockerl» erklommen. Nicht, weil Mariazell ein bekannter Wallfahrtsort ist, aber auch deswegen. Pilger brauchen Hotels. Viele Pilger brauchen viele Hotels. Und dass der Flugplatz eine Asphaltpiste hat und nahe am schmucken Städtchen liegt, hat alle Teilnehmer der Umfrage sofort überzeugt. Niederöblarn wäre auch in Frage gekommen, aber dahin wären es noch ein paar Kilometer mehr gewesen und ausserdem beherbergt der Platz in diesen Tagen eine Meisterschaft. Und die Meister wollen wir natürlich bei ihrer wichtigen Tätigkeit nicht stören.
Wir können den Arcus prominent auf der Wiese am Vorfeld parkieren und werden netterweise vom heute diensthabenden Flugdienstleiter-Ehepaar und ihrem ebenfalls segelfliegenden Sohn ein Stück weit mitgenommen. Die ersten Versuche, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden, scheitern allerdings an den zahlreichen Wallfahrern. Denn «Himmelfahrt» ist ein hoch geschätztes Wallfahrts-Wochenende, wir wir sofort lernen. D.h., da ist manches ausgebucht oder mindestens gut besetzt.
Smartphone sei Dank
Nach einem kurzen Spaziergang erreichen wir nahe an der Basilika von Mariazell unser soeben via Smartphone gefundenes, schmuckes Hotel. Jetzt aber erstmal duschen und dann einen Hopfentee geniessen!
Also erst mal hinsetzen, nachdenken, Smartphone zücken und telefonieren. Peter kennt sich gut damit aus, auf dem Bildschirm seines Mäusekinos tolle und preiswerte Hotels, Bewertungen, Reservations-System und Dergleichen zu bedienen. Ich brauche da schon eine gute Lesebrille und vor allem einen Stift. Denn sonst drücke ich gleichzeitig auf sämtliche Buttons, deren Beschriftungen einem Sehtest ähnlich sind und die ich sowieso niemals mehr werde erkennen können. Wollen wir aber nicht, ein Zimmer reicht völlig aus, wir brauchen nicht gleich fünfe davon.
Peter in der Basilika
Dann passiert so etwas wie ein kleines Wunder. Peter ist nicht als ausgesprochen religiöser Mensch bekannt. Er lässt sich aber tatsächlich dazu überreden, die gotisch-barocke Basilika nicht nur von aussen, sondern auch von innen zu besichtigen. Ähnlich wie in der Klosterkirche Einsiedeln finden wir am Alter eine Marien-Statue. Auch sonst ist die Basilika ein eindrucksvolles Gebäude.
Im Oktober strahlt der ORF eine Sendung zum bedeutendsten österreichischen Wallfahrtsort und seiner Verbindung zur österreichischen Herrscherfamilie aus. Erst da wird mir klar, welch «heiligen» Boden wir heute bei unserer Landung im Mariazeller Land berührt haben.
Einigermassen beeindruckt machen wir uns abends über ein ausgiebiges Nachtessen mit heimischen Spezialitäten her, bevor wir unter dem göttlich-kaiserlichen Schutzmantel Mariazells tief und fest durchschlafen.