Segelfliegen – das stille Abenteuer plagen Nachwuchssorgen

Die Zahl der brevetierten Segelflugpilotinnen und -piloten nimmt laufend ab. Mittlerweile gibt es in der Schweiz nur noch rund 1700 aktive Segelflieger. Wird das stille Abenteuer bald aussterben? «Für die Einwohner von Zweisimmen sind die Segelflugzeuge das Zeichen, dass der Sommer da ist», sagt die Gemeinderätin Claudia Gautschi anlässlich der Begrüssung von rund dreissig Segelflugpiloten im Simmental. Die Mitglieder der Segelfluggruppe Olten führten 1970 erstmals ein Fluglager auf dem ehemaligen Militärflugplatz Zweisimmen durch. Seither kommen sie Jahr für Jahr wieder – und verkünden in Zweisimmen den Sommer. Letztmals vom 17. bis zum 31. Juli 2021.

Keine Geheimniskrämerei
Ist ein Segelfluglager in Zweisimmen überhaupt noch zeitgemäss? Gute Segelflugpiloten können bei günstigem Wetter von Olten aus in die Alpen fliegen. Der langjährige Lagerleiter Ruedi Engeler sieht folgende Vorteile: «Kombination von Flieger- und Familienferien in schöner Umgebung, Pflege der Kameradschaft, tolle Lageratmosphäre, intensives Flugtraining in den Alpen, sehr gutes Einvernehmen mit den ansässigen Fluggruppen und deren Mitgliedern, gute Infrastruktur des Flugplatzes und der Region, Wander- und Bike-Möglichkeiten, kurze Wege.»

Die Lagerteilnehmer bringen ihre Familien mit oder kommen alleine. Sie übernachten in Ferienwohnungen, Hotels, Zimmern, auf dem Campingplatz oder in einer ehemaligen Unterkunft der Rega direkt auf dem Flugplatz. Die Piloten treffen sich täglich um halb zehn zum obligatorischen Briefing. Neben den Oltner Segelfliegern sind Mitglieder der Segelfluggruppen Lenzburg und Obwalden dabei. Diese drei Teams bestreiten gemeinsam zwei des insgesamt sechs Wochen dauernden alpinen Segelfluglagers in Zweisimmen. Die Briefings sind strukturiert. Nach einem kurzen Rückblick auf den Flugbetrieb des Vortags folgen die Ausführungen des Lagermeteorologen Daniel Frey. Er ist ein ausgezeichneter Segelflieger, der in der Praxis stets nachprüft, ob seine Prognosen richtig waren. Am Montag der ersten Lagerwoche fliegt Dani – Segelflieger duzen sich weltweit – mit seinem Segelflugzeug ASH 26E von Zweisimmen nach Meran und zurück (604 Kilometer). Am Dienstag sind es bereits 723 Kilometer. Am Abend lädt Dani seine elektronisch aufgezeichneten Flüge auf die Plattform www.onlinecontest.org. So können die Kollegen Danis Flugtaktik nachvollziehen. Die Zeiten der Geheimniskrämerei sind vorbei.

Der Segelflug ist männlich
Am Briefing wird der Flugdienstleiter und Schlepppilot bestimmt. Es folgt die Verteilung der Gruppenflugzeuge. Regelmässig greift der Lagerleiter Ruedi ein Safety-Thema auf: zum Beispiel das Vorgehen bei einem Startabbruch. Die Zuhörer sind mehrheitlich ältere Herren, Segelfliegerinnen sind seit bald hundert Jahren rar – leider. Immerhin sind ein paar jüngere Gesichter auszumachen. Einige Jungpiloten stammen aus Fliegerfamilien, andere wurden ohne familiären Hintergrund vom Flugvirus infiziert. Zum Beispiel Joshua Müller, der bereits mit 14 Jahren auf dem Flugplatz Olten Gheid seine Ausbildung zum Segelflugpiloten beginnt. Noch vor dem Eintritt in die Kantonsschule Zofingen absolviert er seinen ersten Alleinflug. Während die Mehrheit seiner Klassenkolleginnen und -kollegen über ihre berufliche Zukunft im Unklaren sind, kennt Joshua seine Berufung: Pilot. Kurz nach seinem 16. Geburtstag erhält er das Segelflugbrevet.

Je nach Wetterlage gelingen von Zweisimmen aus Flüge über mehr als 700 Kilometer.
Zum Fliegen braucht es Reife, die Joshua von zu Hause mitbringt und die er auf dem Flugplatz weiterentwickelt. Alleine die Eingliederung in einen fast neunzigjährigen Verein lässt einen Teenager reifen. Die Segelflugausbildung erfordert eine Prise Talent, kombiniert mit grosser Motivation und Leidenschaft. Da der Fortschritt während der Ausbildung nicht immer kontinuierlich verläuft, sind auch Ausdauer und Durchhaltewille gefragt.

Einzelkämpfer und Teamplayer
Am Mittwoch der ersten Lagerwoche startet Jörg Feller um 11 Uhr 02, um als «Winkelried» zu erkunden, ob die Aufwinde schon funktionieren. Er lässt sich auf den Hundsrügg schleppen, wo über der Krete die erste Thermik einsetzt. Der Segelflugpilot ist ein Einzelkämpfer, der in der Luft über die alleinige Entscheidungshoheit verfügt. Doch am Boden ist Teamwork gefragt. Die Vereinsarbeit hat bei jungen Menschen an Attraktivität verloren. Das mag einer der Gründe sein, warum es in der Schweiz nur noch 1700 Segelflug-, aber über 15 000 Gleitschirmpiloten gibt. Jörg kann über dem Hundsrügg seine Höhe halten. Bis zur Mittagspause um 12 Uhr 15 starten möglichst viele weitere Piloten. Wobei langsames Pressieren zur Sicherheit beiträgt. Sobald die Thermik kräftiger geworden ist, gehen die Segelflieger auf Strecke: Sie gleiten von Aufwind zu Aufwind und entfernen sich vom Ausgangspunkt. Je nach Erfahrung, Talent und Lust unterschiedlich weit. Am Abend sind sie zurück; Aussenlandungen sind selten.

Die Anforderungen an die Segelflugpiloten sind aufgrund immer strenger werdender Bestimmungen gestiegen. Matthias Jauslin, Mitglied der Segelfluggruppe Lenzburg, setzt sich dafür ein, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt bei der Reglementierung nicht übertreibt. Er vertritt als Präsident des Aero-Clubs der Schweiz und als Nationalrat damit auch die Interessen der Sportaviatik, der Fallschirmspringer und der Modellflieger. Matthias verbringt einige Tage im Segelfluglager Zweisimmen und geniesst es, losgelöst vom Polit-Alltag durch das Berner Oberland zu schweben. Segelfliegen ist ein Privileg, doch es ist kein elitärer Sport. Es ist auch kein Volkssport, wie ursprünglich geplant. Segelflugpiloten gehören in der Regel der Mittelschicht an und geben für ihre Leidenschaft pro Jahr einen kleinen vierstelligen Betrag aus. Segelflugzeuge sind mehrheitlich im Besitz von Vereinen und werden von den Piloten gemietet. Am Donnerstagabend wird gemeinsam grilliert. Nach einem erfolgreichen Flugtag gibt es genug Gesprächsstoff. Der Abend endet mit einem von den Obwaldner Segelfliegern über dem offenen Feuer aufgesetzten «Cheli». Riecht nach einem alkoholhaltigen Kaffeegetränk.

Das Nachwuchsproblem ist von Segelfluggruppe zu Segelfluggruppe unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Gruppe Olten hat das Glück, in unmittelbarer Stadtnähe Windenstarts durchzuführen. Diese werden von Interessierten wahrgenommen, ohne Uninteressierte in ihrer Ruhe zu stören. Passanten können spontane Schnupperflüge geniessen. Sie wissen dann, ob sie das Segelfliegen vertragen. Der Windenstartbetrieb ermöglicht eine kostengünstige Segelflugausbildung, was Schülern und Lernenden entgegenkommt.

Den Freitag der ersten Woche nutzt Thomas Frey als letzten perfekten Segelflugtag des Lagers für einen längeren Streckenflug. Thomas fliegt von Zweisimmen nach Südfrankreich in das nördliche Département Alpes-Maritimes und wieder zurück. Am Abend schwärmt er vom „Parcours“, auf welchem er über weite Strecken der Krete entlang geradeaus fliegend 1000 Meter an Höhe gewonnen hat. Mit 742 Kilometern ist es die längste Strecke, die an diesem Tag von der Schweiz aus antriebslos zurückgelegt wird. Die zweite Lagerwoche bringt durchzogenes Wetter, das nur noch lokale Segelflüge zulässt. 2022 werden die Segelflugzeuge in Zweisimmen wieder den Sommer verkünden. Quelle: ‚NZZ; neue Zürcher Zeitung‚ (kostenlose Registrierung).

2 Gedanken zu „Segelfliegen – das stille Abenteuer plagen Nachwuchssorgen

  1. Manfred Hartmann

    Hallo Ernst, da steht: …Mittlerweile gibt es in der Schweiz nur noch rund 1700 aktive Segelflieger. Wird das stille Abenteuer bald aussterben? Diese Zahl sagt prinzipiell nichts aus – wie viel Aktive waren es vor her, vor z.B.10 Jahren. Wie stellt sich der Rückgang dar. Das wäre doch auch mal einen Artikel in das Segelfliegen-Magazin wert, oder? Auch hier in Deutschland sind die Zahlen stark rückläufig. Hier in Augsburg, wo ich fliege, waren es mal 5 Vereine. Mittlerweile sind wir nur noch 3.

    Wie könnte man dieser Entwicklung etwas entgegenwirken. Oder anders gefragt: Gibt es da überhaupt noch Möglichkeiten. Ich kann mich erinnern, dass es im Segelfliegen Magazin darüber schon Abhandlungen gegeben hat. Wir befinden uns in einer sehr schnelllebigen Zeit, vielleicht sollte man das Thema einfach wieder mal neu „beleuchten“ und sich die Segelflieger sowie Vereine zusammentun. Mit der „Vereinsmeierei“ haben es die Jungen nicht so, das ist mein Gefühl. Das einfach mal so als Anregung. Liebe Grüße, Manfred.

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    1. admin Beitragsautor

      Hallo Manfred, das muss dieser Bericht aus dem Jahr 2013 gewesen sein:
      https://www.flieger.news/wp-content/uploads/2018/12/Mit_Marketing_zum_Erfolg.pdf
      Da sind verschiedene Massnahmen und Pläne zu finden, wie man aus dem „Downwash“ wieder herausfindet, inzwischen ist Schänis mit einem neuen Marketing-Team und mit der Ausdehnung der Massnahmen auf die social media beim Halten bestehender und dem Gewinnen neuer Mitglieder weiterhin erfolgreich. Die Corona-Krise mit dem Neben-Effekt, zuhause ein sinnvolles Hobby zu finden, statt um die Welt zu reisen, hat dabei tendenziell unterstützt.

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