Schwerelosigkeit für alle

Benjamin Bachmaier war schon Tausende von Kilometern im Segelflugzeug unterwegs. Heute gibt er seine Expertise in Königsdorf an junge Leute weiter. Er will zeigen, dass der Sport nicht elitär ist – und auch etwas für Frauen, die im Cockpit noch unterrepräsentiert sind.

Drei Müsliriegel, zwei Semmeln, zwei Stück Traubenzucker, ein Urinalkondom und drei Liter Wasser: Benjamin Bachmaier hat genug Erfahrung, um zu wissen, wie viel Proviant er für einen etwa zehnstündigen Langstreckenflug braucht. Die Wasserversorgung ist dabei am allerwichtigsten. Denn wer mehrere Stunden am Stück völlig isoliert im Cockpit durch die Alpen segelt und dürstet, wird schnell unkonzentriert – und das kann fatale Folgen haben. Mentale und körperliche Fitness sei nämlich wichtiger als handwerkliches Geschick beim Steuern, sagt Bachmaier. Etwa drei Entscheidungen trifft ein Pilot pro Minute. Zeit zum Entspannen bleibt wenig. Die meiste Zeit verbringt man damit, das motorlose Flugzeug in der Luft zu halten.

Segelfliegen sei eine anspruchsvolle Sportart, die viel Entscheidungs- und Willenskraft abverlange, schwärmt Bachmaier. Der 30-Jährige muss es wissen, schließlich steuert er schon sein halbes Leben lang Segelflieger. In seiner Jugend, am Segelflugzentrum Königsdorf, erwarb Bachmaier den Segelflugschein – und entwickelte eine Leidenschaft für den schwerelosen Sport. Er beschloss, dass das Fliegen in seinem Leben das wichtigste sein sollte und stellte alle anderen Bereiche hintan. Er habe deshalb viel verpasst, was die Gleichaltrigen so erleben, sei nie mit Freunden wandern oder am See gewesen, erzählt er. Und auch die ein oder andere Beziehung sei wegen der Fliegerei in die Brüche gegangen. Bachmaier blieb zum Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in München, weil das Gebirge zum Segeln aufregender ist als das Flachland, „dreidimensionaler“, sagt er – wegen der Geländestruktur. Er verdingte sich als Sportsoldat, was es ihm ermöglichte, durch die Welt zu touren, Segelflugcamps zu besuchen, in Schweden und Australien etwa. Heute entwickelt er Autopiloten-Software für Vermessungsdrohnen – und ist wieder zum Segelflugplatz Königsdorf zurück gekehrt, um ehrenamtlich als Fluglehrer zu arbeiten – und um zu fliegen.

Den Großteil seiner Freizeit verbringt Bachmaier nach wie vor am Flugplatz und in der Luft. Der Zeitfaktor ist aber oft ein Problem, wenn es darum geht, Nachwuchs zu rekrutieren. Viele Flugschüler springen in der Ausbildung ab, weil sie nicht bereit seien, dem Fliegen so viel Platz in ihrem Leben einzuräumen, erzählt er. Viele gingen noch zur Schule und wollten sich lieber auf Ausbildung und Studium konzentrieren. Dafür habe er Verständnis, sagt Bachmaier. Aber auch: „Segelflieger sind Idealisten. Man muss schon dranbleiben, um alles zeitlich zusammenzuhalten.“ Heute ist er mit einer Segelfliegerin zusammen. Irgendwann sei das die einzige Möglichkeit, sagt er und lacht. „Man versteht das Gegenüber und die Leidenschaft fürs Fliegen einfach besser – und warum man so viel Zeit reininvestiert.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Segelflugvereinen in Europa hält sich die Zahl der Interessierten in Königsdorf konstant. Das könnte mit dem Einzugsgebiet München zu tun haben, mutmaßt Bachmaier – oder daran liegen, dass der Segelflugzentrum Königsdorf bereits viele junge Mitglieder hat und deshalb ansprechender ist. Die Hälfte der Vereinsmitglieder hätten Familien mit Flughintergrund. Dabei sei Segelfliegen kein Sport, der wohlhabenden Familien vorbehalten und von Generation zu Generation weitervererbt werde. Was viele nicht wüssten: Fliegen sei nicht teuer, sagt Bachmaier. Etwa 1500 Euro koste der Sport im Jahr. Das zu vermitteln, sei eine der Herausforderungen für die Vereine.

Mit dem weiblichen Nachwuchs tun sich die Königsdorfer aber noch schwer – hier reihen sie sich in den internationalen Vergleich ein. Viele Frauen beginnen den Segelflugschein, ohne ihn dann abzuschließen. Warum, kann sich Bachmaier nicht erklären. „Wir haben ein Diversitätsproblem ohne konkrete Lösungen“, sagt er. Auch eine Frauenbeauftragte im Verein als Ansprechpartnerin konnte die Situation nicht verändern: Fliegen ist nach wie vor männlich dominiert, auch in Königsdorf. Bachmaier vermutet, dass der Sport zwar keine Frage des Geschlechts, wohl aber immer noch eine Frage der Sozialisation ist.

Dabei ist der 30-Jährige überzeugt davon, dass Segelfliegen zeitgemäß, sogar zukunftsträchtig ist. Da wäre zum einen der Faktor Umwelt: Die Klimabilanz des Segelfliegers sei unschlagbar, sagt Bachmaier. Zum Outdoor- und Abenteuerfaktor kämen die unbeschreiblichen Erlebnisse in der Luft, die den Sport so besonders machten. Wer den Flieger durchs Gebirge steuere, treffe ab und zu auf Steinadler, sagt Bachmaier. Die starteten oft Scheinangriffe auf das Segelflugzeug, unbeeindruckt von der Spannweite des Fliegers, um ihr Revier zu verteidigen. Als Pilot erweise man den Greifvögeln dann Respekt und verlasse ihr Revier. Mit anderen Vögeln fliege es sich ohnehin harmonischer: Störche etwa suchten wie die Segelflieger auch die Thermik. Man fliege dann einfach zusammen. Quelle: ‚Süddeutsche Zeitung‚.

Ein Gedanke zu „Schwerelosigkeit für alle

  1. Sonja Fischer

    Vielen herzlichen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
    Ich fühle mich als Segelfliegerin sehr angesprochen und bin absolut Benjamins Meinung!
    Ich bin eine Frau die den Schein fertig hat und diesen Sport genau so wertschätzt und zelebriert!
    Herzliche Grüße Sonja

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