Pilotentraum in den USA

In der Heimat bleibt Ingo Nehls eine Karriere als Pilot versagt. Mit 33 wandert er aus, erreicht sein Ziel. Doch dann kommt Corona. Der Bargteheider Ingo Nehls hat es geschafft. Mit 33 Jahren kündigte der Programmierer seinen sicheren Job in Hamburg, um seinen Jugendtraum zu verwirklichen. Schon von klein auf hatte er davon geträumt, Pilot zu werden. Dass er dazu in die Vereinigten Staaten auswandern musste, nahm Nehls in Kauf. Inzwischen arbeitet er in einem der anspruchsvollsten Jobs in der Flugbranche: Ingo Nehls ist als Rettungshubschrauber-Pilot im Gebiet um Albuquerque, einer Großstadt in New Mexico, im Einsatz.

Bei der Musterung wurde sein Wunsch abgelehnt
Dabei hatte es anfangs so gar nicht danach ausgesehen, dass er überhaupt jemals als Berufspilot im Cockpit sitzen würde. Nehls sagt: „Als ich 18 Jahre alt war, gab es noch die Wehrpflicht. Schon bei der Musterung habe ich gesagt, dass ich gern fliegen würde.“ Doch was er darauf zu hören bekommen habe, sei alles andere als motivierend gewesen. Die knappe Ansage: „Nee, das wird nichts.“ Nehls erinnert sich: „Es hieß: Du fliegst nie.“ Der Grund: Nehls ist Brillenträger. Der junge Mann entschied sich für den Zivildienst, absolvierte ihn beim Blutspendedienst in Lütjensee. Manchmal konnte er Hubschrauber beobachten, die dort landeten, um Blutpräparate abzuholen. Die technischen Möglichkeiten beeindruckten den Bargteheider schwer. Nehls: „Hubschrauber können schweben, vor- und rückwärts fliegen, senkrecht starten und brauchen keinen Landeplatz.“ Seine allgemeines Interesse für Flugzeuge wandelte sich zu einem ganz spezifischen für Helikopter.

Ein Kindheitserlebnis löste die Leidenschaft aus
Beruflich wandte er sich zunächst dem IT-Bereich zu, arbeitete als Programmierer bei einer Hamburger Werbeagentur. Doch die Faszination am Fliegen blieb. Auslöser war ein Kindheitserlebnis. Als Nehls elf Jahre alt war, durfte er mit dem Flugzeug zu seinen Großeltern in Süddeutschland reisen. „Nach dem Start bekam ich ein aufblasbares Flugzeug“, berichtet er. Und einen besonderen Service. „Die Flugbetreuung fragte mich: ,Hey, kleiner Ingo, willst du mal ins Cockpit gehen?‘“ Dort erlebte er etwas Einmaliges: „Wir sind aus den Wolken aufgetaucht und in den Sonnenaufgang hineingeflogen.“ Die Szene löst heute noch Begeisterung bei Ingo Nehls aus. „Das ist im Gedächtnis hängengeblieben und hat die Sehnsucht geweckt.“ Irgendwann meldete diese sich bei dem Programmierer zurück. „Ich habe damals gedacht: Ist IT wirklich alles, was ich machen will?“, erinnert sich Nehls. Er entschloss sich, den medizinischen Test fürs kommerzielle Fliegen zu absolvieren. Das Ergebnis fiel wegen seiner Augen negativ aus.

Ausbildung kostete Ingo Nehls 70.000 Dollar
Was genau das Problem war, erschloss sich ihm nicht. „Die haben mit Zahlen um sich geworfen, die ich noch nie gehört habe.“ Eine private Ausbildung in Deutschland war jedoch teuer. Da erhielt er aus seinem Bekanntenkreis den Tipp, es in den USA zu versuchen. Er recherchierte und fand heraus: „In Amerika gibt es einen Realtest. Solange ich alles lesen und sehen und die Fehlsichtigkeit auf normales Maß reduziert werden kann, sind die Anforderungen erfüllt.“ Nach einem Mitflug in einem Helikopter stand sein Plan: Übersiedeln in die USA, dort den Pilotenschein machen und dann als Pilot arbeiten. Das Vorhaben finanzierte er mit seinem Ersparten und einen Zuschuss der Großeltern.

2008 begann er in Oregon mit der Ausbildung. Nach 15 Monaten und 70.000 Dollar Kosten hatte Nehls fünf Hubschrauber-Fluglizenzen in der Tasche, darunter die für Berufspiloten und für Fluglehrer. Ein Riesenerfolg – doch die Jobsuche erwies sich als schwierig. Nehls sagt: „Zu dem Zeitpunkt war die Wirtschaftslage schlecht. Niemand hat irgendwelche Leute eingestellt.“

Er berichtet auf Blog von seinen Erfahrungen
So blieb nur der Weg in die Selbstständigkeit. Mit einem Freund gründete er die Firma Konect Aviation, leaste einen Helikopter, bot Rundflüge über die Weingüter im Willamette Valley und um Portland herum an. „Wir haben Flugschüler, die bei uns ihre Helikopterpiloten-Ausbildung machen“, schrieb er auf seinem Blog ingo.nehls.name, auf dem er über sein Leben in Amerika berichtet. Das war 2010, das Jahr, in dem er die freiberufliche Buchhalterin Holly kennenlernte. Als sein Freund das Unternehmen verließ, stieg sie ein. Die beiden heirateten 2012, bauten die Firma auf.

Zuletzt leiteten sie den Flughafen von McMinnville/Oregon, hatten diverse Angestellte, drei weitere Flugzeuge. „Bis 2017 lief alles richtig gut“, so Nehls. Doch dann das Aus: Der Hubschrauber sollte überholt werden. Zeitgleich schloss die Stadt den Flughafen, um die Landebahn zu erneuern. „Wir hatten kein Einkommen mehr und mussten die Firma verkaufen.“ Bei einem Urlaub in Las Vegas bewarb er sich bei Sundance Helicopters, einem Unternehmen, das Touristenflüge über die Stadt und den Grand Canyon anbot. Er wurde genommen, auch seine Frau fand Arbeit in der Metropole. Das Paar zog nach Las Vegas. „Las Vegas ist das brüllende Leben“, sagt der Bargteheider, der dort seinen Traumjob gefunden und bei jedem Flug ein unvergleichliches Panorama vor Augen hatte.

Durch die Pandemie verlor das Paar seine Jobs
Doch Corona unterbricht das Glück jäh. Die Touristen bleiben aus, Las Vegas verwandelt sich in eine Geisterstadt. Nehls und auch seine Frau verlieren ihre Jobs. Der Pilot arbeitet nun als Lebensmittelpacker für die Großmarktkette Cosco. Doch er gibt nicht auf, sucht nach Stellen für Rettungsflieger. Die werden gebraucht. Als er ein Jobangebot aus New Mexico bekommt, nimmt er an. Seit Oktober ist er in Roswell stationiert. Von der Kleinstadt aus, die etwa eine Flugstunde von Albuquerque entfernt ist, bricht er mit einem Team aus Arzt und Krankenpfleger zu den Zwölf-Stunden-Schichten auf. „Es ist etwas schwieriger, weil man teilweise an Plätzen landet, die nicht für Hubschrauber gedacht sind“, erläutert er. Doch Angst habe er nicht, sagt Nehls auf Nachfrage. Als Pilot sei er für solche Situationen trainiert. Demnächst steht der Umzug nach Roswell an. Wo er wohnt, ist für das Glück von Ingo Nehls nicht ausschlaggebend. Dazu zählen nur seine Frau und dass er weiterhin fliegen kann. Quelle: ‚Hamburger Abendblatt‚.

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