„Ordentlich auf die Schnauze gefallen“

Diese Frau gibt bis heute Rätsel auf. Aber Mut und Humor hatte Marga von Etzdorf zweifellos, selbst in desaströsen Momenten. Etwa 1932, als sie über Bangkok abstürzte. Der Motor ihres knallgelben Flugzeugs „Kiek in die Welt“ hatte in 80 Meter Höhe ausgesetzt. „Daß ein menschliches Wesen den Trümmern meines armen ›Kiek in die Welt‹ auch nur halbwegs lebendig entsteigen konnte, wollte keiner glauben, der den Bruch oder die Bilder davon gesehen hat“, schrieb sie in einem Brief. Dann scherzte die deutsche Pilotin über ihre schweren Verletzungen, die sie für Monate ans Krankenbett fesselten: „Ein Rückenwirbel ist vor Schreck ausgerutscht und liegt fast 2 cm neben den anderen, außerdem Rückgratverstauchungen, Nierenquetschung, Bluterguß an der Wirbelsäule, Beule am Kopf, Loch im Bein und ich wünschte, ich hätte so viele Taler wie blaue Flecken.“

Mit mädchenhafter Fröhlichkeit erzählte Marga von Etzdorf einem Radioreporter auch von einer Notlandung in der kirgisischen Steppe. In Felle gehüllte Kirgisen staunten, als sie den Motor reparierte und „wie ein geölter Blitz hin- und herschießen“ musste zwischen Cockpit und Propeller. Zum Start winkte sie „die guten Kirgisen“ zur Seite, die aufs Dach einer Lehmhütte kletterten. „Da erschien zu allem Überfluss noch eine wilde Pferdeherde mit einem Hirten, die ich auch erst noch vertreiben musste.“ Bloß schnell weiter, denn sie wollte noch bis nach Japan: jeden Tag gut 1000 Kilometer und zehn Stunden Flug in ihrer kleinen Junkers A 50 Junior, ungeschützt vor Unwetter und Regen im offenen Cockpit mit bald sonnenverbranntem Gesicht. Am 18. August 1931 war Marga von Etzdorf, 24, in Berlin gestartet. Elf Tage später wollte sie Tokio erreichen. Keiner Frau war ein Alleinflug von Europa nach Japan bis dahin gelungen.

„Die hat sich was getraut“.
Zwischen dem Start in der Steppe 1931 und dem Absturz in Bangkok 1932 lagen nur Monate, doch sie waren bezeichnend für das Leben der Ausnahmepilotin: Bei Marga von Etzdorf folgten auf Triumphe mit grausamer Regelmäßigkeit Tragödien – bis zu ihrem Suizid 1933: In Aleppo schoss sie sich nach missglückter Landung mit einer Maschinenpistole in die linke Schläfe. „Das kann ich nicht in Einklang bringen“, sagt Isolde Wördehoff, „als wären es zwei unterschiedliche Personen.“ Hier das fröhliche Plaudern, da tiefe Ernsthaftigkeit. Aber Selbstmord? Isolde Wördehoff, 79, war lange selbst passionierte Fliegerin und Wettbewerbspilotin. Wie Etzdorf setzte sie sich in der von Männern dominierten Fliegerwelt durch und wurde 1991 als erste Frau in den Vorstand des Aero-Clubs gewählt. 1959 flog sie zum ersten Mal, erst vor zwei Jahren hörte sie auf – „eine rationale Altersentscheidung, die fürchterlich weh tat“.

Seit Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Marga von Etzdorf, in der sie sich manchmal selbst wiedererkennt: „Die hat sich was getraut, sie war wagemutig, vielleicht sogar kaltschnäuzig. Sie wollte die Welt sehen, etwas bewegen, war erlebnishungrig, wissbegierig und sehr unkonventionell.“ Schon in jungen Jahren begeisterte sich Etzdorf für Technik. Das widersprach dem Frauenbild ihrer Zeit. „Eine grandiose Pioniertat“. Einst als eine der weltbesten Fliegerinnen verehrt, stand Marga von Etzdorf später lange im Schatten einstiger Rivalinnen wie Elly Beinhorn. Für ihre Reisememoiren „Kiek in die Welt“ und den Nachlass im Archiv des Deutschen Museums in München interessierten sich lange nur Fachleute.

Dabei war ihr Flug nach Tokio „eine unvorstellbare psychische und physische Leistung, eine grandiose, spektakuläre Pioniertat“, sagt Isolde Wördehoff. „Nach heutigen Maßstäben ist das unvorstellbar: ungenaue Karten, kein Funk in ihrer kleinen Maschine. Dann musste sie jeden Tag Stunden im offenen Cockpit den Motorenlärm ertragen.“ Schon die Vorbereitung war eine logistische Mammutaufgabe. Etzdorf musste teure Überflugrechte organisieren und finanziell „ganz genau rechnen“, wie sie schrieb. Die begrenzte Treibstoffmenge zwang sie, mehrmals täglich aufzutanken. Jede Zwischenlandung aber barg das Risiko einer Panne, die ihr Abenteuer beenden könnte. So wie bei ihrer britischen Konkurrentin Amy Johnson, die 1930 durch ihren Alleinflug von London nach Australien zu Weltruhm kam. Auch Johnson wollte 1931 nach Tokio fliegen, stürzte aber über Warschau ab. Fast zeitgleich mit Etzdorf wagte sie einen zweiten Versuch, allerdings nur in Begleitung ihres Flugmechanikers.

Allein, aber nicht einsam
Die Deutsche dagegen flog allein, navigierte mit Karte und Kompass, orientierte sich an Flussläufen und Bahnlinien. Mitunter war sie so übermüdet, dass sie Doppelbilder sah und Wege für Gleise hielt. In ihrem Reisebericht verwendet sie die „Wir“-Form: ihr Begleiter war ihr Flugzeug. In der Luft war Etzdorf glücklich – wie schon bei ihrem allerersten Flug: Ein Freund hatte einen Rundflug-Gutschein gewonnen, den er ihr schenkte. „An diesem Tag hat es mich gepackt, um mich nie wieder loszulassen“, schrieb sie später. Nur beim Fliegen erlebe man „dieses Gefühl der unendlichen, dreidimensionalen Freiheit“. Davon wollte sie mehr. Mit 19 erwarb sie 1927 als erst zweite deutsche Pilotin nach dem Krieg eine Fluglizenz, wurde kurz darauf die erste Co-Pilotin der Lufthansa und erblickte beim Bewerbungsgespräch „etwas erstaunte Gesichter bei den Herren“. Sie überzeugte mit unterwürfigem Charme; als Co-Pilotin könne „ja selbst eine Frau kein Unglück anrichten“. Bedankten sich Passagiere nach der Landung bei den „Herren Piloten“, ließ Marga von Etzdorf ihnen diese Illusion. Sie schwieg – und verbeugte sich wie ein Mann.

Triumph in Tokio
1930 kaufte sie sich mithilfe ihrer Großeltern eine eigene Maschine und löste sich von solchen Zwängen. Mit „Kiek in die Welt“ unternahm sie erst Loopings und Reklameflüge, dann machte sie dem Namen alle Ehre: Sie flog nach Istanbul. Nach Madrid. Und von dort auf die Kanaren, ein spektakulärer Erfolg. Auf dem Rückweg aber musste sie wegen eines Unwetters auf Sizilien notlanden und streifte beim Start tags darauf auf rutschiger Wiese eine Mauer. Ihre Maschine wurde per Bahn zurücktransportiert. Es war eine erste Kränkung. Das wollte sie ein Jahr später beim Japan-Flug unbedingt vermeiden. Am 29. August 1931 gelang ihr tatsächlich der große Triumph: Marga von Etzdorf landete in Tokio, umjubelt von Tausenden Schaulustigen. Es regnete Glückwunschtelegramme für den „schneidigen Flug“, auch japanische Zeitungen feierten ihre „glänzende Leistung“. Sechs Wochen lang genoss sie den Ruhm, erkundete Japan, besichtigte Tempel, bestieg Berge. „Das war mit die glücklichste Zeit in ihrem Leben“, sagt Isolde Wördehoff. Auf den Fotos strahlte die Pilotin. Oft dabei, etwa beim gemeinsamen Schwimmen: ihr nur wenig älterer Onkel Hasso von Etzdorf, damals Attaché an der Botschaft in Tokio. „Es wirkt auf mich so, als habe sie ihn angehimmelt ohne Ende.“ Ob es mehr war, ist ungewiss.

„Den Cocktail schätzte sie gar sehr“
Ein besonderes Reisebuch im Nachlass gibt Einblicke in Etzdorfs Gefühlsleben. Die launigen Einträge stammen von Freunden und Gästen, die Fliegerin garnierte sie mit selbst ausgeschnittenen Fotos. So heißt es über „Hasso von der Deutschen Botschaft“, er habe sich ganz dem Besuch der Pilotin gewidmet, mit der er schon lange „intim“ verbunden sei. Und unter einem Foto der beiden: „Man sieht sie hier zusammen flüstern.“ „In Tokyo und Yokohama hat man getrunken auf ihr Wohl den allerbesten Alkohol“, steht in Reimform neben einem Foto ausgetrunkener Flaschen. „Den Cocktail schätzte sie gar sehr, kein Wunder, daß sie schließlich matt, den ganzen Rummel hatte satt und Sehnsucht kriegte nach dem Meer.“ In Kamakura an der malerischen Sagami-Bucht erholte sich Marga von Etzdorf im Oktober 1931. Bald darauf endete ihr Glück. Eigentlich wollte Etzdorf auf ihrem Rückflug von Japan in Bangkok Elly Beinhorn treffen, die gerade die Welt umrundete. Doch sie steckte monatelang in China fest, das sich im Bürgerkrieg befand und mit Japan um die Mandschurei rang. Beinhorn war daher längst weg, als Marga von Etzdorf in Bangkok abstürzte. „Ich bin ganz ordentlich auf die Schnauze gefallen, auf gut Deutsch gesagt“, spielte sie 1932 im gemeinsamen Radiointerview mit Beinhorn den Unfall herunter. „Ich habe die anderen beruhigt, die sich viel mehr aufgeregt haben wie ich.“

„Pakt mit dem Teufel“
Und doch galt Etzdorf nun als Pechvogel, dabei brauchte sie eine neue Maschine und Sponsoren; Sprit und Überflugrechte waren teuer. So ging sie 1933 einen „Pakt mit dem Teufel“ ein, wie Wördehoff sagt. Die Nationalsozialisten waren gerade erst an der Macht, als Etzdorf am 27. Mai 1933 zum Alleinflug nach Australien aufbrach. Mit an Bord: eine Maschinenpistole, 100 Patronen sowie Waffenkataloge und Preislisten. Ihr Fliegerehrgeiz hatte die unpolitische Pilotin zur Waffenhändlerin der Nazis gemacht, die damit Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags brach. Jahrzehnte war dieser Deal unbekannt, bis zu einem Aktenfund der Historikerin Evelyn Crellin 2006. Entlarvend der Brief eines ehemaligen Fliegeroffiziers: Als Kontaktmann der NSDAP zum Waffenhersteller Haenel, der Etzdorfs Maschine stellte, bat er das „gnädige Fräulein“, „irgendwo auf dem Fluge … Geschäfte mit dieser Waffe“ einzuleiten. „Ganz selbstverständlich“ werde sie am Gewinn beteiligt. Am 28. Mai 1933 unterlief Marga von Etzdorf ein Landefehler bei Aleppo, damals unter französischer Verwaltung. Ihre Maschine war reparabel – doch dabei hätten die Franzosen die brisante Fracht entdeckt. Kurz nach der Landung erschoss sich die Deutsche im Gästezimmer des Flughafengebäudes.

Der heimliche Skandal
Warum? Vielleicht aus Verzweiflung, da der Skandal ihre Karriere beendet hätte. Vielleicht war sie enttäuscht wegen der erneuten Bruchlandung. Die Nazis schlachteten ihren Tod propagandistisch aus; SA- und SS-Männer hielten bei der Aufbahrung Ehrenwache. Offiziell war die Pilotin tödlich verunglückt. Als ihr Suizid bekannt wurde, bemühten die Zeitungen ihren „Schwermut“ und die Rivalität mit Elly Beinhorn. Die französischen Behörden hielten überraschenderweise still. Vielleicht zeugt dieses Schweigen von Respekt für eine große Fliegerin. Oder auch von einer möglichen Teilschuld der französischen Flughafenleitung, wie Isolde Wördehoff vermutet: Denn das Landekreuz war bei Etzdorfs letzter Landung teils von Sand zugeweht. Quelle: ‚Christoph Gunkel im Spiegel‚.

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