Nasse Flächen, zuviel Power und unerfahren.

Ereignisse und Flugverlauf
Während des Anfangssteigfluges geriet das Ultraleichtflugzeug in eine unkontrollierte Fluglage und prallte auf den Boden. Der Start auf der Piste 25 des Flugplatzes Gießen-Lützellinden erfolgte um 14:25 Uhr 1. Zeugen gaben an, dass in der Beschleunigungs-Phase beim Startlauf das Bugrad entlastet worden war. Unmittelbar nach dem Abheben sei das Ultraleichtflugzeug nach links um die Längsachse gerollt und in südliche Richtung gedreht. Die Fluggeschwindigkeit wurde als gering eingeschätzt. Kurz danach sei es aus ca. 20 m Höhe nach vorn abgekippt und auf den Boden geprallt.

Der hinten im Luftfahrzeug sitzende Fluglehrer gab zu diesem Start an, dass er vor dem Start den Piloten noch auf die nassen Tragflächen hingewiesen habe und ihm sagte, dass er deshalb mit einer längeren Startstrecke rechnen solle. Anrollen, Abheben und Steigflug hätten dem vorherigen geähnelt. Als er korrigierend eingreifen wollte, sei das Ultraleichtflugzeug schon im überzogenen Zustand gewesen. Er habe noch wahrgenommen, wie es in Rückenlage rollte und nahezu senkrecht auf den Boden prallte.

Historie des Ultraleichtflugzeuges
Der Pilot hatte das Luftfahrzeug als Bausatz gekauft und es in der Slowakei zum Verkehr zugelassen. Das Luftfahrzeug war ursprünglich mit dem Triebwerk Rotax 912 ULS und einem Dreiblatt-PowerMax-Propeller ausgerüstet. Es wurde am 24.03.2020 vom Kithersteller umgerüstet und dabei mit einem Edge Performance 912 Sti-Triebwerk und einem DuoMax-Propeller ausgestattet. Das Rotax 912 ULS-Triebwerk hat eine Leistung von 100 PS, das Edge Performance 912 Sti-Triebwerk 154 PS. Laut Flughandbuch betrug die Überziehgeschwindigkeit mit voll ausgefahrenen Landeklappen 46 KIAS, wobei die Überziehgeschwindigkeit ohne Klappen (VS) bei 59 KIAS lag. Die höchstzulässige Fluggeschwindigkeit in ruhiger Luft (VNE) lag bei 185 KIAS in beiden Varianten. Die maximale Manövergeschwindigkeit betrug in der ursprünglichen Ausstattung 96 KIAS und nach der Umrüstung 105 KIAS. Die Testpiloten des Kitherstellers gaben an, dass sich nach der Triebwerksumrüstung das Startverhalten des Luftfahrzeuges deutlich geändert hat. So seien der Startlauf und das Abheben nur mit reduzierter Leistung möglich, da andernfalls das Luftfahrzeug nach links wegdrehen würde. Nach Angaben des Herstellers befand sich die TL Stream innerhalb der Beladungs- und Schwerpunktgrenzen.

Der Propeller-Torque-Effekt
Unter dem Propeller Torque Effect (Propellerdrehmoment-Effekt) versteht man den Einfluss des Propellerdrehmoments auf die Flugzeugbewegung und -steuerung. Er
zeigt sich bei propellergetriebenen Flugzeugen mit nur einem Propeller in einer Linksdrehtendenz bzw. Rechtsdrehtendenz bei Rotaxmotoren mit Getriebe. Zusätzlich ist bei Startläufen der P-Faktor zu beachten. Er beschreibt eine asymmetrische Propellerbelastung, die bei einem hohen Anstellwinkel das Flugzeug je nach Lauf des Propellers zusätzlich nach rechts bzw. links drehen lässt. Plötzliche Leistungsstei gerungen können durch das veränderte Drehmoment daher einen Verlust der Richtungsstabilität bewirken.

Betriebliche Aspekte
Die Mitnahme eines Sicherheitspiloten belegt, dass der Pilot Schwierigkeiten hatte die deutlich erhöhte Startleistung des Ultraleichtflugzeugs zu beherrschen. Aufgrund der Zeugenaussagen ist es sehr wahrscheinlich, dass der Start auf dem Flugplatz Gießen-Lützellinden mit ähnlichen Leistungsparametern durchgeführt wurde, als der am 05.06.2020.

Durch die noch regennassen Tragflächen wurde die Mindestgeschwindigkeit zusätzlich erhöht und der Auftrieb gestört. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das Abkippen des UL für den mit dem Start überforderten Piloten unerwartet kam. Die Zulassungsauflagen, das Ultraleichtflugzeug nur im unkontrollierten Luftraum zu
betreiben, ignorierte der Pilot. Der Ansatz einen Sicherheitspiloten mitzunehmen, war nach Auffassung der BFU eine gute Entscheidung, um mit dem Ultraleichtflugzeug besser vertraut zu werden. Dass seine Hinweise und Ratschläge dann letztlich nicht angenommen wurden, belegt die Selbstüberschätzung des Piloten in seine Fähigkeiten zum Führen des UL.

Technische Aspekte
Mit der Umrüstung auf das Edge Performance 912 STi Triebwerk mit DuoMax Propeller änderten sich die Leistungsdaten erheblich. Die Aussage des Testpiloten des Kitherstellers, dass das UL mit voller Triebwerksleistung im Startlauf schwer kontrollierbar war und deshalb empfohlen wird, mit reduzierter Leistung zu starten, stand nicht im Widerspruch zu den Angaben des Herstellers im POH. Das POH des Ultraleicht-Flugzeuges enthielt Vorgaben, die entsprechend den Umweltbedingungen und der Erfahrung des Piloten anzugleichen waren. Zum Beispiel sind die Geschwindigkeiten bei Regen entsprechend zu erhöhen und der Startlauf anzupassen, um einen sicheren Start zu gewährleisten. Die Beladung des UL war nahe der maximalen Abflugmasse. Durch die Beladung im hinteren Gepäckfach war der Schwerpunkt in einer leicht rückwärtigen Lage und begünstigte die rasche Zunahme des Anfangsteigwinkels.

Schlussfolgerungen
Der Unfall ist auf das Unterschreiten der Mindestfluggeschwindigkeit in der Startphase zurückzuführen. Zum Flugunfall beigetragen haben die regennassen Tragflächen, die leicht rückwärtige Schwerpunktlage und die geringe Erfahrung des Piloten mit dem umgerüsteten Ultraleichtflugzeug. Quelle: ‚BFU, Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung‚.

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