Nachlese zu Vinon 2018

Ein Gastbeitrag von Dr. Hans Reis.

Hans Reis, der Frankreich aus seiner mehrere Jahre dauernden Berufstätigkeit als Pariser Wirtschaftskorrespondent der NZZ, Neuen Zürcher Zeitung, kennt – und in Vinon fast während der ganzen Saison als Übersetzer beim täglichen Briefing amtet – beschreibt diesmal als Gastautor im Fliegerblog die Saison 2018 (die zur Illustration in den Text eingefügten Links und Fotos wurden von mir nachträglich eingebaut).

Die berühmten Lavendelfelder des Plateau Valensole nahe Vinon sur Verdon.

Vinon 2018 war anders als die Jahre zuvor. Der Juli war nach den nassen Monaten Mai und Juni segelfliegerisch ein sehr guter Monat. Ab Puimoisson, wo ich die ersten beiden Wochen war, unternahmen einige Kollegen ausgedehnte Flüge bis an die Furka, Brig oder Zermatt. Der Monat August war demgegenüber ein feuchter und gewittriger Monat. Gerade die letzte meiner sechs Wochen legte davon Zeugnis ab. Der letzte Flug fand am Montag, 18. August, statt – wegen Gewittern nur bis 16:08 Uhr –, und die folgenden Tage bis und mit Donnerstag erlebte die Region jeden Tag Gewitter oder Niederschläge, ab 15:00 Uhr oder etwas später. In Vinon selber blieb es am Donnerstag dann trocken. Die Tage vorher hielten sich die Niederschläge allerdings im Rahmen (keine Sintflut). Das Zeitfenster zum Fliegen wäre an diesen Tagen vielleicht drei Stunden gewesen – mit dem Risiko, von Gewittern überrascht zu werden. Grössere Strecken waren nicht empfehlenswert.

A propos Gewitter: Am Montag, 20. August waren für die zweite Nachmittagshälfte heftige Gewitter angesagt. Schon früh bildete sich im Norden eine entsprechende Front, die sich von St. André des Alpes bis Forcalquier erstreckte und allmählich gegen Süden zog. Es wurde im Norden immer immer dunkler. Kommt sie bis zum Flugplatz Vinon? Im Zweifel landen, hiess die Devise. Luberon, 2’000 m.ü.M., Bremsen betätigt, Direktanflug auf den Flugplatz, Landung um 16:08 Uhr auf der Hilfspiste 28, Punktlandung, konnte Flugzeug alleine parkieren und einpacken, Vordach am Wohnwagen herunterlassen und Autoscheiben schliessen – und schon setzte das Gewitter ein.

Unmittelbar nach der Landung ein richtiges Landefest, zum Glück war Piste 28 die beste. Sonst wäre wohl ein Chaos ausgebrochen. Schon wir waren zu dritt im Downwind, einer allerdings für die reguläre Piste 28. Ein Kollege landete bei uns auf dem Bauch, trotz Feuchtigkeit eine Staubwolke nach sich ziehend und ein Pilot der AAVA landete in der Nähe von Cereste in einem Sonnenblumenfeld, ein deutscher Kollege in Cereste selber – mit anschliessendem Strassentransport nach Vinon. Die Landung im Sonnenblumenfeld war am Dienstag am Briefing das «Bild des Tages». Die Landestrecke hat maximal 15 m betragen, der Chefpilot sprach von 10 m. Der Pilot blieb unverletzt, das Flugzeug wurde in den Tagen darauf genau überprüft, der Landschaden war erheblich. Entsprechend werde der Bauer entschädigt, meinte der Chefpilot. Einmal mehr hatte ich den Eindruck, dass einigen Piloten der Umgang mit nahenden Gewittern etwas fremd ist.

Der Flugplatz Vinon sur Verdon.

Anders als in der Schweiz erlebte die Provence diesen Sommer sehr feuchte Monate, und die Franzosen sprechen zu Recht von der «Provence verte». Jacques Tavernier, ein alt eingesessener Segelflieger, der mindestens 75 ist, sagte, er hätte das zeitlebens noch nie so erlebt. Das Gegenteil schon, extreme Dürre, z. B. in den 1970er-Jahren, als viele Kulturen kaputt gingen und die Bauern vom Staat spezielle Unterstützung erhielten. Wer also bereits Mitte August oder kurz danach abgereist ist, hat segelfliegerisch nicht viel verpasst. Für mich war die letzte Woche «une semaine de repos», ich habe auch die anderen sportlichen Aktivitäten reduziert betrieben. Nach über 100 Flugstunden hier in dieser Region zieht es mich wieder nach Hause, an sich ein gutes Zeichen. Man geht gerne weg und freut sich auf die «Homebase».

«Le Planeur» als positive Überraschung

Das Restaurant ‚Le Planeur‘ bei seinem Umzug zum Kreisel vor dem Flugplatz Vinon.

Die letzte Woche, nachdem das exklusive «Chez Heidy» geschlossen war, wurde ich Stammgast im «Le Planeur», obwohl ich beabsichtigte, verschiedene Restaurants zu besuchen. Der wichtigste Grund: Christine kocht gut und hatte jeden Tag ein leckeres Menü bereit. Dazu einige Beispiele: Quiche au Thon (war ausgezeichnet) mit Gemüse; Kalbsvoressen mit Nudeln an feiner Sauce; Piccata milanese mit Auberginengratin und Tomates provencales (im Ofen, mit Knoblauch gemacht). Der zweite Grund ist die freundliche Bedienung – fühlte mich sehr zu Hause – und als drittes die Erreichbarkeit mit dem Velo oder zu Fuss. Und zuletzt die Preise: Wie man das zu diesen tiefen Preisen anbieten kann und dabei noch etwas verdient, ist mir allerdings ein Rätsel. Die Menüs kosteten 11 Euros.

Dazu ein vollständiges Preisbeispiel: Das Piccata-Menü mit einem Pichet (2,5 dl) Rotwein und (ausnahmsweise) einer Kugel Mocca-Glace mit Rahm: 16 Euro und erst noch ein Limoncello als Geste geschenkt! Für mich aus dem Raum Zürich und als Ökonom einfach nicht nachvollziehbar. Stimmig sind auch die Sonnenuntergänge von dort aus betrachtet, sofern es solche gibt.

Christine hat mir auch erzählt, dass Sie das Restaurant Ende Juni eröffnet hat. Es ist also noch sehr jung und ist sicher noch verbesserungsfähig. Es wird das ganze Jahr geöffnet sein, ausser in der Weihnachtswoche und die ersten zwei Wochen im Januar. Im Winter wird ausschliesslich im geheizten Chalet serviert, das im Unterschied zu früher am alten Standort jetzt auch einen gepflegten Parkettboden hat. Es könne hier durchaus minus 10° C werden. Sie hat die Investition in das Restaurant getätigt. Der Flugplatz oder die AAVA ist in keiner Weise beteiligt. Am Samstag öffnet sie erst am Abend und am Sonntag erst nach dem Briefing um 10:30 Uhr. Ihre Arbeitstage sind lange, meist bis gegen Mitternacht. Serge und Jean-Luc helfen ihr beim Service. Jean-Luc jeweils von Mitte Vormittag bis 14:00 Uhr. Am Wochenende engagiert sich normalerweise auch Lorena dort.

Ich bin überzeugt, dass sie Erfolg haben wird und mag es ihr von Herzen gönnen. Das braucht Mut. Sie ist ja nicht mehr die jüngste Person. Abends assen immer mindestens 15 Leute dort, unter ihnen auch Gilles Navas oder gelegentlich der «Herbaud-Clan», am Mittag eher mehr. Es kämen etliche Angestellte und Handwerker aus der Region zum Mittagessen, sicher auch dank der guten Parkmöglichkeiten, sagte mir Serge. Diese Woche war der Parkplatz über Mittag immer gut besetzt. Einmal war das Restaurant am Abend punkto Salat jeglicher Art «ausgeschossen». Am Mittag hätte es einen richtigen Run gegeben.

Die Gardiane de taureau», eine Spezialität aus der Camargue.

Am letzten Abend, am Samstag, 25. August, offerierte sie das Menü: «Gardiane de taureau», eine Spezialität aus der Camargue, für 12 Euro. Es ist Fleisch vom Stier, das vermutlich sehr lange eingelegt war und entsprechend zart und ausgezeichnet gewürzt ist. Serge meinte am Vorabend, es sei zarter als Kalbsvoressen, und er hatte recht. Zusammen mit den hausgemachten Nudeln war es ausgezeichnet. Die beiden Französinnen (aus Vinon) neben mir nannten es dem Servierpersonal gegenüber «excellent», und sie hatten recht. Man hätte das auch in einem Viersternhotel servieren können. Die beiden Damen sagten, die Zubereitung sei nicht ganz einfach und «Gardiane» müsse gut sein, sonst sei es ein «Ablöscher». Eine Alternative an diesem Abend wäre ein mariniertes Pouletfilet gewesen.

Als wir (Heidy, René, Rosmarie und Karl) einmal dort waren, ging es relativ lange, bis das Essen kam. Bei mir war es diese Woche gerade umgekehrt. Es ging immer sehr zügig und ich war überrascht. Darauf angesprochen, meinte Serge: Wenn man früh, d.h. zwischen 19:00 und 20:00 Uhr komme, gehe es immer speditiv. Später, vor allem bei vielen Besuchern, brauche es dann mehr Zeit, weil ihre Kapazitäten im Moment noch limitiert seien.

Bis auf vier Stühle war das Chalet mit 21 Gästen voll besetzt. Der „HerbaudClan“ war mit acht Personen anwesend. Sie warteten nach der Bestellung knapp 20 Minuten, bis alle bedient waren. Erstmals half auch eine sehr sympathische Dame aus, die in Vinon wohnt. Sie stellte sich mit dem Kurznamen «FAT» vor.

Pont de Manosque

Le nouveau ‚Pont de Manosque‘

Die Zeitung «La Provence» überrascht immer wieder mit sehr professionellen und lesenswerten Recherchen und Hintergrundberichten, so z.B. über das «Brot und die Franzosen» oder den Zustand der Brücken nach dem Einsturz einer solchen in Genua. Bei der Brückenreportage erhielt auch die «Pont de Manosque» spezielle Aufmerksamkeit. Auch sie sei sanierungsbedürftig, weshalb daneben eine neue Brücke gebaut werde (mit grossem Bild in der Zeitung). Wie wir richtig gesehen haben, ist das eine definitive Brücke und kein Provisorium. Die Eröffnung der 215 m langen, neuen Brücke ist für Juli 2019 geplant, wie wir ebenfalls richtig eingeschätzt haben (noch ein Jahr Bauzeit). Das Departement des Alpes-de Haute-Provence hat 1’238 Brücken, 21 Tunnels und 500’000 m2 Stützmauern o.ä., um Strassen zu schützen. Die am meisten benützte Brücke ist die uns allen bekannte «Pont de Manosque», die von rund 17’000 Fahrzeugen täglich befahren wird. Nicht nur wegen der Verkehrssicherheit, sondern auch um die Brücke zu schonen, sei die Geschwindigkeit auf 50 km/h limitiert worden – un „Radar double sens est installé – und das Maximalgewicht eines Fahrzeugs darf 40 Tonnen nicht übersteigen. Schwer- und Spezialtransporte sind verboten.

Die Brücke wurde 1939 gebaut, während des 2. Weltkriegs aber kurz darauf bombardiert und beschädigt, was aufwendige Reparaturen nach sich zog. Seit 2012 wird sie besonders überwacht und es stellte sich heraus, dass ein Neubau die ökonomisch und verkehrstechnisch beste Lösung ist.

Die Franzosen, das Baguette und das Brot

Eine doppelseitige Reportage in «La Provence» war dem Thema «Die Franzosen und ihr Brot» gewidmet. Auch in Frankreich ist der Brotkonsum rückläufig, Brot ist aber immer noch sehr beliebt. 55 % der Franzosen essen täglich Brot und das Baguette schwingt punkto Beliebtheit obenaus. Pro Sekunde werden in Frankreich durchschnittlich 320 Baguettes verzehrt. Die Zeitung rechnete aus, dass seit dem 1. Januar in Frankreich 6 Milliarden (kein Verschrieb) Baguettes gegessen wurden! Das Cliché: Baguette unter dem Arm, Béret auf dem Kopf u.a. täuscht allerdings. Frankreich punkto Brot nur auf das Baguette als Brotsorte zu reduzieren, ist falsch. Das Land kennt heute eine grosse Vielfalt an Brotsorten, vor allem auch dunkle Brote. Im Artikel wird die Zahl von 80 hiesigen Brotsorten genannt.

Gerade die Region Paca, in der sich auch Vinon befindet, hat eine spezielle Brotgeschichte. Mit 1’200 Bäckereien steht die Region sehr gut da und kennt diverse «spécialités panaires» (Brotspezialitäten). Es werden dann verschiedene Brotsorten erwähnt, auf die ich hier nicht näher eintreten will. Übrigens war es die Provence und Marseille, wo die Windmühlen erstmals eingeführt wurden.

In diesem Dossier wird auch die Geschichte des Brotes beleuchtet. Dänische und britische Forscher hätten eben eine Untersuchung publiziert, wonach sie zeigen konnten, dass in Syrien vor 14’400 Jahren Brot gegessen wurde, 4’000 Jahre vor dem Beginn der eigentlichen Agrikultur. Das sei eine sensationelle Entdeckung. Nach Frankreich kam es dann viel später: Julius Cäsar (100 bis 44 v. Chr, ermordet) erlaubte es den Galliern, Brot zu backen.

Interessant ist auch, was Steven Kaplan – ein Historiker mit Spezialgebiet Brot und etlichen Publikationen dazu – zu berichten weiss: Früher war das weisse Brot, «le pain du seigneur», das «Brot Gottes», das Symbol der Reinheit. Das dunkle Brot war jenes der Bauern, das «aus der Erde kam». Heute sei es gerade umgekehrt. Besser gestellte soziale Schichten essen heute vermehrt dunkles Brot mit mehr Nährwerten, «les classes sociales en difficultés» hingegen mehr weisses Brot, weil es vor allem auch billiger ist. Für Frankreich sei das erwiesen.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Brotkonsum in Frankreich rückläufig, das ist nach Kaplan «une realité». Heute isst der Franzose pro Tag durchschnittlich 110g Brot. Das ist dreimal (!) weniger als in den 1950er-Jahren, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, von dem Frankreich natürlich stark betroffen war. Brot liefert nicht mehr 90% des täglichen Kalorienbedarfs, was es einmal machte, aber Brot ist immer noch ein «marqueur collectif» und stiftet eine gewisse französische Identität. Viele Franzosen glauben, dass vor allem Ausländer das Baguette direkt mit Frankreich verbinden. Trotz rückläufigem Konsum ist Brot auch hierzulande immer noch sehr beliebt.

Ein Interview mit einem langjährigen Bäcker in Marseille und Marie-Claude Mandonato, der Inhaberin einer dortigen Bäckerei, die mangels Nachfolge jetzt geschlossen werden muss, wird gezeigt, dass es ein «très beau metier» ist, «mais c’est difficile». Um 3 Uhr in der Früh Aufstehen sei nicht jedermanns Sache, auch das Familienleben könne darunter leiden. Sie hatte seit mehr als 10 Jahren keine Ferien mehr gemacht ist über die Schliessung ihres Geschäfts und die fehlende Nachfolge sehr traurig.

Vinon/Adliswil, 1. September 2018 / H.R.


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