Nach Südfrankreich ‘auf einer Backe’? – nicht immer!

Die Wandersegelflug-Daten für dieses Jahr und die Wetterbedingungen sind diesen Sommer gut aufeinander abgestimmt: nach einem ersten Rundflug nach Südfrankreich, das Zentralmassiv, den Jura und die Schweizer Voralpen dürfen wir erneut im Arcus-M-Cockpit für einen Kurztrip durch die französischen Alpen Platz nehmen. Diesmal erwischen wir auf einigen Strecken-Abschnitten auf dem Weg von Schänis in die Haute Provence hervorragende Segelflug-Bedingungen mit einer Wolkenbasis von 5’500 m.ü.M. Das führt zu neuen Herausforderungen.

Psychologischer Vorteil: der Motor

Anfangs will unser Vorhaben, von Schänis aus in eines der südfranzösischen Segelflug-Zentren zu reisen, nicht recht vorwärts kommen. In unserem Abfluggebiet, den Glarner Alpen, hängt den ganzen Vormittag über die Feuchtigkeit an allen Bergflanken. An ein Wegkommen aus diesem Dampf ist ‘aus eigener Kraft’ nicht zu denken. Dank unseres modernen Eigenstarters können wir aber den Ort und die Höhe, auf der wir den Motor ‘verpacken’ sorgfältig selber wählen. Soweit unser Plan. Ich steure den Arcus M also mitten in die Glarner Hochalpen. Auf Augenhöhe mit dem Piz Segnes stoppe ich die Maschine und gleite im schwachen Hangwind den nach Norden ausgerichteten Bergflanken entlang über den Vorab-Gletscher – und von dort direkt zu den tief gelegenen Thermik-Einstiegspunkten am Piz Mundaun auf der anderen Seite des Vorder-Rheintales. Mir fällt während des Gleitfluges auf, dass der Nordwind für die heutige, flache Druckverteilung erstaunliche Kräfte entwickelt. Das Abwindfeld am Grap Sogn Gion ist beeindruckend – nichts wie weg auf die andere Talseite! Diesen Schritt würde ich offen gestanden ohne den eingebauten Motor kaum wagen. Denn man muss daran glauben, dass die feuchten Wattefetzen knapp über den Kreten des Lugnez brauchbare Aufwinde markieren.

Streckenweise treffen wir auf diesem Flug von Schänis in die Haute-Provence auf die besten thermischen Verhältnisse, an die ich mich in über 30 Jahren erinnern kann – aber wir müssen uns dieses Segelflieger-Paradies mit einem zählen Beginn verdienen.

Wir kommen nicht vom Fleck

Die ersten Lupfer über dem Val Lumnezia sind wie erwartet zaghaft – aber es hat wenigstens welche! Ich zirkle zwischen dem deutlich spürbaren Versatz durch den Nordwind und den Aufwindfeldern die nach Westen ansteigende Krete zum Piz Nadéls hinauf. Richtig gut geht das nicht, auf Kretenhöhe ‘rinnen’ mir die Aufwinde jeweils wieder ‘zwischen den Fingern’ hindurch. Hätte ich doch nur mal richtig fliegen gelernt! Die Lage wird auch am deutlich zerklüfteteren Piz Medel nicht besser. Am Ende muss Peter die Sache retten und zaubert auf der Westseite des Val Medel erstmals eine ‘3’ auf die erste Stelle der Höhenmesser-Anzeige. Nichts ist geschenkt heute. Auch er mogelt sich den Kreten entlang am Andermatter Gemsstock vorbei an die Furka. Dort kriechen wir mehr über den hohen Pass als wir fliegen.

Das Oberwallis aus der Nähe betrachtet

Dann wird unsere Reise etwas zur Nervensache. Keines der vermuteten Aufwindfelder im Oberwallis will uns richtig tragen bzw. durch mindestens eines rausche ich im Übermut auch noch hindurch. Aber der ‘Hätte’, der ‘Könnte’ und der ‘Würde’ sind die am meisten erwähnten Weltmeister! Ich fliege tief, aber wenigstens gezielt weiter über den Flugplatz Münster. Wenn wir sonst schon nichts (Höhe) haben, wir kennen zumindest einen Plan,! Langsam werde ich nervös. Wenn ich hier nichts finde, müssen wir den Motor zu Hilfe nehmen (was mit der Hartbelagpiste unter uns jedoch zu verantworten wäre). Der Segelflieger, der nun auf der Nordseite des Tales (in der Lee-Thermik) aus einer Runse im Wald nach oben steigt, hilft psychologisch auch nicht weiter. Erneut muss ich ehrlicherweise zugeben, dass ich ohne die 65 PS im Rücken schon gar nicht auf die Idee käme, ins Oberwallis einzufliegen.

Aus der ‘Runse zur letzten Hoffnung’…

In der ‘Runse zur letzten Hoffnung’ zwischen Blitzingen und Reckingen bewegt sich aber die Luft um uns herum endlich und in die gewünschte Richtung. Das Variometer klettert endlich auf brauchbare Werte und ich kann nahe am Gelände mit voller Konzentration und ständigem Schielen auf den Fahrtmesser einen wirbligen Aufwind packen. «So, jetzt kommen wir endlich wieder ins Geschäft!» Das war jetzt richtig knapp, nur wenige Höhenmeter haben noch gefehlt, bis ich den Motor gestartet hätte.

…direkt zum Zischen der Sauerstoff-Anlage

Mehr als 1’000 Meter kann ich unsere temporäre, fliegende Wohngemeinschaft in die Höhe ziehen. Über dem Binntal sehen wir erstmals am heutigen Flugtag die Welt aus einer normalen Segelflug-Optik. Nun ist auch das stetige, beruhigende Zischen von Peter’s Sauerstoffanlage erstmals im Cockpit zu hören – ein sicheres Zeichen, dass wir uns in einem komfortableren Höhenband als bisher bewegen.

Nicht wie sonst

Nun kommt etwas Bewegung in unser Projekt. Denn Peter kann mit ausreichend Geduld über den schotterigen Skipisten von Grächen erneut entscheidende Höhenmeter aus einem verwirbelten Aufwind zaubern. Dieser entsteht erstaunlicherweise nicht wie häufig über dem zackigen Granitgrat des Seetal- und Gabelhorns, sondern versetzt aus den sonnenbeschienenen Talflanken heraus. Da dürfte der Talwind sowie der unvermindert spürbare Nordwind, die zusammen durch das Vispertal hinauf streichen, eine Rolle spielen.

Der Entscheid, weiter nach Südwesten weiter zu fliegen, fällt uns angesichts dieser pröchtigen Aussicht leicht.

Vorwärts-, nicht zurück-schauen!

Wie auch immer – wir spielen ab sofort in einer anderen Liga und stehen vor dem Entscheid, was wir mit unserer bisher höchsten, erreichen Flughöhe unternehmen wollen. Die Schweizer Luftwaffe ist heute im Dienst, damit ist auf 3’900 m.ü.M. die Maximalhöhe erreicht, auch wenn ich sicherheitshalber bei Geneva Information noch um eine Höhen-Freigabe nachfrage. Im Südwesten sieht die Wetteroptik über dem Gran Paradiso verlockend aus. Zurück will keiner von uns – also los!

Gegenverkehr

Als erstes fädeln wir mit ausreichend Abstand zum bestimmt vorhandenen Abwindgebiet südöstlich der Dent Hérens ins Valpelline ein. Da ist allerhand Plastik in der Luft, aus Südwesten schiesst uns auf verschiedenen Höhen mindestens ein Dutzend Segelflugzeug mit Kurs ‘Matterhorn’ entgegen. Wir diskutieren einen Moment unsere weitere Flugroute. Die auf den ersten Blick naheliegendere Variante ohne lange Talquerung zur Grivola, die uns via Petit St.-Bernard nach Süden führt, gewinnt am Ende. Wir sind danach beide überrascht, wie stark und grossflächig die Abwindgebiete sind, die südöstlich des Grand Combin sowie der hohen Gipfel-Kette zwischen Mont Dolent und Mont Blanc entstehen.

Die Nordseite des Aostatales hält heute eine unerwartete Überraschung in Form saftiger Abwindfelder für uns bereit. Nach dem Höhenflug im Wallis bewegen wir wieder deutlich tiefer durch die Landschaft.

Starke Abwindfelder

Entsprechend schnell bewegen wir uns wieder in einem wesentlich tieferen Höhenband. Abhilfe schafft am Ende nur die schnelle Flucht nach La Thuile am Petit St.-Bernard. Dort schlägt der Nordwind erstens kanalisiert auf einen Berghang, zweitens hoffen wir, da auf Thermik und Talwind aus dem engen Talg der ‘Dora Baltea’ zu stossen, die hinunter nach Aosta fliesst.

Wir können es kaum glauben, aber der Aufwind über Val d’Isère dreht hinauf bis 5’5’00 m.ü.M.

Und der Aufwind des Tages – alles am Anschlag

Peter dreht die HB-2480 dort in engen Kreisen geduldig wieder in komfortablere Höhen. Sie ermöglichen uns den direkten Anflug zur Grande Sassière bei Val d’Isère. Dort erwartet uns der Aufwind des Tages. Wir können es kaum glauben. Die Wolken-Untergrenzen liegen hier weit über 5’000 m.ü.M. Der Aufwind ist stark und regelmässig. Genau betrachtet ist zeitweise alles am Anschlag und der Höhenmesser dreht sich wie der Sekundenzeiger einer Armbanduhr.

Das Zischen der Sauerstoff-Anlage ist jetzt dauernd zu hören. Blöd nur, dass ich meinen Anschluss im Cockpit der ASW-20-B zuhause gelassen habe. Dort nützt er gerade nicht so viel. Und wir müssen unseren Steigflug deswegen früher als gewollt unterbrechen.

Der Rest des Fluges ist damit schnell erzählt. Denn mit unserer komfortablen Höhe ist es sicher, dass wir nahezu jedes südfranzösische Segelflug-Zentrum locker erreichen werden. Es geht nun dementsprechend lange geradeaus. Nur über Briançon kann ich einem starken Aufwind nicht widerstehen und klettere nochmals zum Spass ein paar Hundert Meter höher – auch wenn wir damit nichts mehr anfangen können. Hier liegt die Wolken-Untergrenze auf 5’600 m.ü.M. Sowas habe ich in 30 Jahren Südfrankreich-Fliegen noch nie erlebt!

Wir treffen über den französischen Alpen auf perfekte thermische Bedingungen. Die Aufwinde sind verbreitet stärker als 5 m/sec. Die Wolken-Untergrenze liegt weit über 5’000 m.ü.M. Sowas habe ich in dreissig Jahren noch nicht erlebt.

Lufträume! Lufträume!

Die heutige fliegerische Herausforderung besteht nun plötzlich nicht mehr im Finden von Aufwinden, sondern im korrekten Umgang mit den Luftraum-Beschränkungen Südfrankreichs. Denn unsere ungewohnte Flughöhe ist selbst mit Maximal-Speed kaum reduzierbar, weil ‚gefühlt‘ DIE Luftmasse über den französischen Alpen kräftig aufwärts strömt. Ich versuche noch, Freigaben zu bekommen, kann aber auf keiner der dafür zuständigen Frequenzen eine Antwort bekommen. So hilft nur ‘Slalom’-Fliegen’ um ungewolltes Einfliegen in die ‘metallhaltigen’ Durchflugstrecken der Linienflieger zwischen Lyon und Nizza zu vermeiden. Eine nächste Herausforderung ist ausserdem, aus der Fülle möglicher Zielorte einen für uns geeigneten Flugplatz herauszufiltern.

Gesucht: altersgerechte Unterkunft

Es ist unverändert unser Ziel, nicht in einer staubfreien Hangarecke auf irgendeiner dünnen Unterlage zu ‚übernachten‘ und womöglich einen Hexenschuss einzufangen. Wir mögen es inzwischen lieber komfortabler. So ein Bett z.B. wäre eine praktische Sache. Oder etwa eine Dusche. Und dann wenn möglich noch etwas Feines für die Glättung der heute beim Fliegen während der unvermeidlichen Fastenzeit entstandenen Falten am Bauch zwischen die Beisserchen zu bekommen.

‘Call-Center’ wird neu definiert

Über die bekannten Flugplatz-Frequenzen können wir lange keine vernünftige Auskunft erhalten, ob eine Übernachtung möglich sei. Ausser in St.-Auban. Da meldet sich subito eine kompetente Auskunftsperson am Funk. Wäre es organisatorisch möglich, hätte er uns vermutlich gleich den Zimmerschlüssel hochgereicht! Das hört sich ja an wie ein Musterbeispiel für professionelles Gäste-Management! Das war es dann am Ende auch. Wir sind hoch willkommen.

Im Wandersegelflieger-Paradies

Wir treffen in St.-Auban auf eine Art voll ausgestattetes ‘Wander-Segelflieger-Paradies’. Erstens ist da ein Hangar-Platz frei (gegen eine geringe Miete von EUR 15.-/Tag). Zweitens ist die Unterkunft direkt am Platz. Drittens besteht die Möglichkeit, den Benzinvorrat zu ergänzen. Viertens findet abends eine ‘Grill-Party’ für die anwesenden, internationalen Gäste, statt. Und fünftens betreibt der Flugplatz einen Pool! Es geht nicht lange, und wir hüpfen genau da vergnügt hinein. Das ist angesichts der hier gemessenen Temperaturen ein wahres Vergnügen. Das Thermometer kletterte in St.-Auban nämlich auf 43° Celsius. Das ist eine brutale Hitze, auch wenn man sich in dieser Gegend hohe Temperaturen durchaus gewohnt ist.

Der Arcus M findet im Hangar von St.-Auban auch eine passende Bleibe für die Nacht.

Unsere Nachbarn sind schon da.

Interessant ist auch das Publikum in St.-Auban. Die japanische Segelflug-Nationalmannschaft trainiert für die nächsten Meisterschaften. Eine Anzahl israelischer Piloten geniesst hier die Vorteile weltmeisterlicher Fluglehrer und den relativ freien Luftraum (verglichen mit jenem über Israel bestimmt paradiesisch frei) – sowie Fritz Tresch, Daniel Künzler und Alfred Hörler vom Flugplatz Mollis. Der ist keine 20 Kilometer von unserem Schweizer Heimatflugplatz entfernt. Was für ein Zufall! Wir geniessen einen gemütlichen Abend zusammen und lassen uns das Nachtessen vom Grill mit ausreichend flüssiger Nahrung schmecken.

Peter kämpft entschlossen an diesem Tag mit Temperaturen über 40° C gegen die drohende Dehydrierung .

Horizont-Erweiterung

Was für ein toller Tag! Der Arcus M hat heute wieder gezeigt, wie man mit einem Eigenstarter-System seinen fliegerischen Horizont erweitert. Ohne Motor hätte ich heute zweimal abgebrochen. Aber mit ihm sitzen wir nun gemütlich unter den schattigen Bäumen des Flugplatzes St.-Auban und unsere einzige Sorge ist, wie man die Nacht in einem ziemlich aufgeheizten Gebäude schlau übersteht. Aber davon dann mehr im nächsten Bericht über unsere Rückreise in die Schweiz.

Das französische Segelflug-Ausbildungs-Zentrum in St.-Auban zeigt sich bei unserem Besuch von seiner freundlichsten Seite. Nach dem Pool-Besuch dürfen wir uns gleich bei der Grillparty anmelden.

Die Details des Fluges finden Sie hier.

2 Gedanken zu „Nach Südfrankreich ‘auf einer Backe’? – nicht immer!

  1. Peter Schmid

    Danke Ernst, für den erneut super verfassten Bericht. Immer wieder ein schöne Erinnerung an den tollen Ausflug. Es bleibt noch viel zu entdecken, ich freue mich auf weitere tolle Ausflüge.

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