Perfekte Tage für Wandersegelflug 2017 – endlich schaffen wir es nach Slowenien
Dass es uns in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, die im Grunde lächerliche Flugdistanz von Schänis nach Slowenien zu erfliegen, ist ja inzwischen bekannt. Dieses Jahr können wir allen faulen Sprüchen nun definitiv ein Ende setzen. Erledigt. Wir waren da. Also fast. Naja, mit einem Flügel im Luftraum. Oder mindestens in der Nähe. Nur ein paar Kilometer zu kurz. Aber wenigstens in Kärnten. Genauer: in Nötsch. Das zählt ja unter den Hardcore-FPÖ-Mitgliedern aus dem Bärental eigentlich fast schon dazu. Eigentlich richtig. Immer schon. Zu Österreich.
Wandersegelflug_Österreich_Dolomiten_drei_Zinnen.
Kärnten von seiner besten Seite
Also für uns zählt der Luftraum ‚hinter Kärnten‘ weiterhin zu Slowenien. Und wir sind bestenfalls in der Thermik-Partei. Die ist schon ziemlich freiheitlich. Aber bis wir da waren! Was für eine Plackerei. Der Nordwind. Die schwache Thermik. Ein schwerer Flieger. Schwere Piloten. Die langen Talsprünge. Überhaupt – ein Wunder, dass wir unser erstes Tagesziel Nötsch in Kärnten erreicht haben.
Wandersegelflug macht einen ‘schlanken Fuss’.
Aiaiaiai: Kärnten ist so weit weg!
Danach sieht es zumindest am Anfang unserer drei Wander-Segelflug-Tage aus. Wir schleichen uns über den klassischen Sommerweg (Tsiger-Highway) davon. Der Arcus-M-Motor bringt uns nach einem Start, der sich anfühlt, als sei eine Ente mit Drillingen schwanger und werde vom Fuchs in die Luft gescheucht, an den Gufelstock auf 2‘800 m.ü.M. Jaa, richtig. Höher konnte man an dem Tag fast nicht eigenstarten, sonst hätte man am Horizont Afrika erkennen können. Aber es war bitter nötig. Die Luft. Tot. Nur an einer einzigen Stelle nordöstlich der Weissenberge empfängt uns ein schwaches ‚Uufwindli‘ und lässt unseren 800-kg-Vogel die Höhe halten, bzw. grosszügig 80 Meter dazugewinnen. Das schafft Zeit. Zum Nachdenken. Was man denn allgemein so nützt im Leben. Im Speziellen jetzt gerade. Zum Philosophieren. Über die Geduld, die man so bräuchte. Zum Beispiel jetzt gerade.
Thermisch nahezu inaktive Luftmasse über dem Glarnerland – jetzt nichts wie weg hier…
Denn wir sind früh genug gestartet. Schon der Thermikbaum in Schänis bewegte sich nicht von der Stelle. Vermutlich hat er das Thermikbuch noch nicht gelesen und weiss noch gar nicht, was er hauptberuflich tun müsste. Wir wollen schnellstmöglich aus der schwierigen Luft in den Glarner Alpen weg. Wenn man nämlich hier die schneeweissen Berge in gleissender, glasklarer, trockener Luft sieht, ist thermisch erfahrungsgemäss nicht viel los.
Heute müssen uns die Prättigauer retten.
Peter und ich flüchten schnurstracks aus dem Glarner Sernftal an den Prättigauer Vilan. In der Hoffnung, dass dort etwas bessere Luft sei. Am Vilan bewegt sich die Luft an den üblicherweise verdächtigen Stellen zwar leicht aufwärts, aber mit unserem heute schwer beladenen Dickschiff kann ich kaum etwas ausrichten. In jeder Kurve vernichte ich mehr Höhe, als ich im Geradeausflug gewinne. Das ist ein schlechtes Konzept. Wie Heinz Brem richtigerweise früh erkannt hat. Er klingt mir in den Ohren, als ich nüchtern auf dem Höhenmesser eine Zahl sehe, die unter 1‘700 m.ü.M. sinkt. Jetzt hilft nur noch ganz isolierte Luft. Zuhinterst in den ‚Prättigauer Chrächen‘. Über einem Absatz direkt vor der Schesaplana kann ich mit viel Mühe die Höhe halten und langsam etwas Reserve aufbauen. Nur, um sie beim ersten Fluchtversuch wieder zu verspielen. Es wird langsam etwas warm im Cockpit. Ich bin komplett falsch angezogen für diese Höhen und Temperaturen. Unter dem linken Bein heizt Peters Plastiksack mit seinen Habseligkeiten meine Wade. Unter meinem rechten Bein ist es mit meinem Plastiksack und meinen Habseligkeiten etwas besser, aber der Schweiss läuft mir auch da in die hohen Bergschuhe.
Eigentlich sehe ich die Schesaplana am Eingang des Prättigaus lieber aus grösserer Höhe – heute kommen wir nur mit Mühe aus den ‘Prättigauer Chrächen’ in die Höhe.
Zäh wie Honig.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich unseren Plastikvogel endlich ein paar Hundert Meter in die Höhe bringen kann. Peter macht das dann etwas später wesentlich besser. Er fliegt nach der Wachtablösung einfach in einen ersten guten Aufwind und bugsiert uns damit westlich der Sassauna ‘zurück ins Geschäft‘. Nach zwei Stunden Luftkampf sind wir endlich eingangs Flüela-Tal auf Abflughöhe in den Nationalpark.
Dieser Nordwind!
Ich war anfangs Woche im Einsitzer unterwegs und hatte schon da Mühe mit dem Nordwind. Er versetzt die Aufwinde aus den sonnenbeschienenen Wänden auf den Nordseiten der Täler irgendwohin in deren Mitte. Ich kann mir heute auf unserem Flug durch den Schweizer Nationalpark schlicht nicht vorstellen, wo die Aufwinde, die etwa in einem 45°-Winkel geknickt werden, ihre eigentliche Quelle haben. Entsprechend schwierig gestaltet sich das Finden und Zentrieren eines brauchbaren Aufwindes. Denn über den sonnenüberfluteten Nordseiten der Täler geht’s richtig den Bach runter. Mit vier bis fünf Metern pro Sekunde. Da hilft nur eines: sofort die Talseite wechseln. Und so versuche ich über den schattigen (!) Südseiten der Täler Aufwinde zu finden, die von irgendwo her auf der anderen Talseite kommen. So, wie sich das liest, fliegt sich das dann auch. Wie auf einer gross geratenen Achterbahn. Wir beobachten aus dem Augenwinkel einen anderen Segler, der hoch über uns aus Südosten wegzieht und den sonnenbeschienenen Nordseiten folgt… Kurz darauf dreht er unter uns in einen ebenso vermeintlichen Aufwind auf der anderen Talseite ein. Alles reine Nervensache heute!
Kein einziger Kreis im Aufwind
Diese Art Fliegerei bringt mich regelmässig fast zur Verzweiflung. Rettung bringt heute (eigentlich zufällig) ein Aufwind aus der Mitte des Tales. Zufällig deshalb, weil ich mir bei der Aufwindsuche lediglich überlege, die Wirkung von Wind und Sonne kombinieren zu müssen. Wo diese theoretische Kombination praktisch nutzbare Aufwinde auslösen sollte, muss ich erst mühevoll ‚ertasten‘. Das gelingt dann endlich nicht schlecht und wir gelangen mit viel Geduld am Westende der Stauseen von Bormio auf eine vernünftige Abflughöhe ins Vinschgau. Auf astronomisch anmutenden 3‘500 m.ü.M. legen wir über der Ortschaft Sulden endlich los und starten nach Osten. Aber diese Höhe werden wir noch bitter nötig brauchen.
Der Bär brummt heute nicht im Vinschgau
Die Wetter-Optik verbessert sich zwar geringfügig. Es stehen erste Flusen am stahlblauen Himmel. Immerhin. Jetzt müsste ich darunter bloss noch Aufwinde finden. Das gelingt nicht wirklich – eigentlich verwalte ich die am Ortler gewonnene Höhe bis über Meran hinaus. Die Optionen sind nicht gerade ‚amächelig‘. Mitten über den Sarntaler Alpen beobachten wir seit längerer Zeit einen sich immer wieder teilweise auflösenden Wolkenfetzen. Die gute Nachricht ist, dass er immer wieder entsteht, wenn auch an verschiedenen Orten. Nach längerer Diskussion fliege ich einfach von Norden nach Süden die wahrscheinlichsten Aufwindquellen ab. Und habe Glück dabei. Nach einem kräftigen Durchsacker im Lee des weitherum höchsten Gipfels stürchle ich in einen Aufwind, der endlich einmal die Variometer-Nadel kreisrund im positiven Bereich zu halten vermag. Damit ist der Druck von der Leitung, eine wichtige erste Etappe ist geschafft, wir sind unserem Ziel Slowenien näher denn je.
Zwei endlos lange Gleitstrecken bis in die Dolomiten
Wieder einmal sind wir für die ausgezeichneten Gleitflug-Eigenschaften des Arcus M dankbar. Sie tragen uns auf vernünftigen Höhen – eigentlich ohne richtige Aufwinde und nur mit dem Nutzen etwas besser tragender Zonen – aus dem Vinschgau mitten in die Sarntaler Alpen und von dort aus im eben beschriebenen, geschenkten Aufwind auch hinüber in die Dolomiten. Das sind schon auf der Landkarte zweimal rund 40 Kilometer und die fühlen sich auch in der Luft endlos an.
Endlich: die Dolomiten kommen in Reichweite.
In den Dolomiten finden wir erstmals eine andere Luftmasse
Peter zirkelt den Arcus M an der westlichsten Felsenecke über St. Maddalena um die Kalkzinnen der Dolomiten-Ausläufer und hält die Maschine trotz spürbarem Nordwind-Einfluss und vielen drohenden Lee-Fallen mit Geduld und dem Auskreisen enger Aufwinde, die hier aus den steilen, engen ‚Chrächen‘ der Dolomiten in die Höhe schiessen, auf einer vernünftigen Höhe. Eines der schönsten Bergmassive der Alpen rückt nun in Griffweite: die drei Zinnen. Ich bin immer wieder fasziniert von diesen endlosen Kalkzinnen, den senkrechten Wänden und der einzigartigen, relativ flachen Landschaft, auf der sie in die Höhe wachsen. Eigentlich würde ich seit Jahren einmal gerne hier zum Skilaufen hinfahren – wenn denn Zeit und Geld einmal gemeinsam vorhanden sind.
Steil, steiler, Dolomiten. So steil die Kalkwände hier sind, so eng sind die Aufwinde.
‚Dobrodošel‘ – oder doch lieber ‚Habe die Ehre‘?
In der deutlich labileren Luft klettert Peter am Nord-Eingang des Lesachtales vor den Lienzer Dolomiten nun mühelos auf Endanflughöhe ins kärtnerische Nötsch direkt an der Grenze zu Slowenien. Auf dem Flug durch das Lesach– und Gailtal überlegen wir immer wieder, ob wir wirklich noch über die Karawanken nach Slowenien fliegen sollen, die Flughöhe dazu wäre in wenigen Minuten zu ersteigen, immer wieder durchfliegen wir, jetzt, da wir sie nicht mehr wirklich brauchen, starke Aufwinde. Letztlich entscheiden wir uns für den Flugplatz Nötsch in Kärnten als Nachtquartier. Nicht zuletzt deshalb, wie uns die Kameraden, die im Frühling da jeweils hinreisen, von den Restaurants und der ausgezeichneten Verpflegung vorgeschwärmt haben.
Diesmal nächtigt der Arcus M am Fusse des Dobratsch.
Seitwärts-rückwärts parkieren
Der Betriebsleiter am Flugplatz empfiehlt uns eine Landung – im leichten Rückenwind. Ich überlege lange, ob ich seiner Empfehlung folgen soll. Aber angesichts der Flugplatzlänge und der weichen Graspiste überwiegt am Ende die Bequemlichkeit und ich setze den Flieger erst nach Pistenmitte ins Gras, um nach einem kurzen Bremsweg direkt seitwärts zum nächtlichen Parkplatz auszurollen. Peter wölbt sofort nach dem Aufsetzen die Klappen um, das Flugzeug bleibt auch im leichten Rückenwind bis zuletzt perfekt steuerbar. Mit der anderen Pistenrichtung hätten wir unseren Flieger über die Graspiste zurückschieben müssen, zu zweit nicht das leichteste aller Vergnügen.
Peter macht sich bei den hier anwesenden Segelflug-Urlaubern auf die Jagd nach Verzurr-Material. Nachdem wir den Arcus M festgebunden und gereinigt haben, genehmigen wir unseren durstigen Kehlen im Vereinsheim ein Weizenbier oder zwei. Das ist immer eine gute Gelegenheit, eine vernünftige Unterkunft zu finden, die lokalen Piloten kennen die Region am besten.
Gemütlicher Abschluss des ersten Wandersegelflug-Tages im Vereinsheim auf dem Flugplatz Nötsch.
Auf dem nackten, hartem Boden
Nach einigen Telefonaten müssen wir uns geistig vom Genuss einer ganz speziellen Suppe (hat beim Entscheid, hierher zu kommen, eine Nebenrolle gespielt), die es in einem leider ausgebuchten Hotel namens Marko angeblich gegeben hätte, verabschieden. Dafür kutschiert uns einer der Piloten in die kleine Ortschaft Feistritz an der Gail. Letzteres ist das Flüsschen, das hier durchfliesst. Nicht, ohne uns vorher drauf hinzuweisen, dass die letzten Wandersegelflug-Gäste aus Deutschland direkt auf dem Boden und unter dem Flügel genächtigt hätten. Mir fliegen alleine beim Gedanken daran die Bandscheiben reihenweise aus der Wirbelsäule. Das sind noch wahre Sportsmänner! Ich glaube hingegen, ich käme nach einer Nacht auf dem harten Kärntner Boden mit freiem Blick auf das Triglav-Massiv tagelang gar nicht mehr über die hohe Bordwand ins Cockpit des Arcus M.
Bärenhunger und Festbeleuchtung
Mir hängt inzwischen der Magen knurrend in den Kniekehlen. Ausser den beiden Weizenbieren habe ich heute seit dem Frühstück in Schwanden keine anderen Grundnahrungsmittel mehr zu mir genommen, sieht man vom Trinkwasser während des Fliegens ab. Irgendwie hatte ich dafür weder Lust noch Zeit (und im Flugzeug auch keinen Platz für eine anständige Brettl-Jause). Also vertilgen wir beide im Gasthof Alte Post in Feistritz gleich eine Knödl-Suppe, ein Filetpfandl und eine weitere Garnitur Weizenbiere. Auffällig sind die Preise. Aus Schweizer Sicht und mit der Euro-Abwertung fast unglaublich günstig. Daheim dasselbe zu bekommen, ist gefühlt beinahe doppelt so teuer. Dafür sind hier die Gaststätten proppenvoll und bei uns fast leer, weil sich das niemand mehr leisten will (oder kann).
Bevor wir uns aufs Ohr legen, wollen wir noch einen Verdauungs-Spazierung durch’s Dorf geniessen. Wir drehen aber schon nach ein paar Dutzend Meter um – zappenduster, wie es hier ist. Irgendwie scheint der Gemeinde für eine nächtliche Beleuchtung und Glühbirnen in den Strassenlampen das Geld zu fehlen. Und weil im Dunkeln nur die Katzen gut sehen, tigern wir unverrichteter Dinge zurück in Richtung unseres Schlafgemaches.
Peter im Ausguck
Das wiederum ist ein sogenanntes Ersatzzimmer. Ich glaube, da war alles ausgebucht in der Alten Post in Feistritz. Und wir haben nun ein zweigeschossiges Zimmer bekommen. Vermutlich das letzte freie Zimmer überhaupt. Jedenfalls klettert Peter über eine steile Treppe hinauf unters Dach in den Ausguck. So verpassen wir bestimmt morgen früh das Einsetzen der ersten Thermik nicht. Und geschnarcht wird so erst noch zweigeschossig. Ersatzzimmer haben auch Vorteile. Ich hoffe einfach, dass es ihn nicht nächtens die steile Stiege hinunterschlägt, sollte er im Dunkeln nach all den Weizenbieren plötzlich auf die Toilette gedrängt werden.
Neue Balkan-Route?
Anderntags fährt uns der slowenische Kellner nach einem reichhaltigen Frühstück eigenhändig zum Flugplatz und macht erst mal grosse Augen, als er uns vor einem Segelflieger ausladen muss. Erst jetzt dämmert ihm, warum wir beide mit etwas seltsamem Reisegepäck eingecheckt haben: mit nur zwei Plastiksäcken mit all unseren Habseligkeiten darin. Als würden wir als gut genährte Flüchtlinge auf einer neuen Balkan-Route nach Zentral-Europa einreisen.
Weiter quer durch Österreich
Wie und wohin die luftige Österreich-Rundfahrt uns an diesem und dem darauf folgenden Tag führt, lesen Sie hier demnächst im kommenden Blog-Eintrag… Servus – und bis bald!
Hier finden Sie die Bilder-Galerie.
Und hier alle Flugdetails aus dem Online-Contest.
Das erinnert mich an manche Flüge in Omarama, auf der südlichen Insel von Neu-Seeland, mit Gavin Wills im Duo-Diskus. Allerdings hatten wir keinen Motor. Die Alpen dort sehen ähnlich aus.