«Ja, und wir sind eine CTR»!

Am dritten Tag unseres Wandersegelfluges wollen wir mit dem Arcus M vom westlichen Ende des Jurabogens nach Nordosten in den Schwarzwald – oder wenn es sehr gut laufen würde, für einen Flug bis nördlich der Vogesen reisen. Aber es kommt ganz anders heraus.

Zahlenhaufen zum Frühstück

Vom hinteren Taxi-Sitz aus verfolge ich auf der Fahrt zum Flugplatz eine interessante Lektion in Betriebswirtschaft. Ausgelöst hat sie der fröhliche Chauffeur, der uns mit allerhand Verspätung im Hotel abholt (nachdem wir erneut ein Dutzend Anrufe benötigten, um an diesem heissen Samstagmorgen überhaupt ein Taxi zu finden). Neugierig, wie Peter nun mal ist, erkundigt er sich nach dem Gang der Taxigeschäfte. Diese seien ganz gut, vor allem seine Fahrten mit Handicapierten in die Schweiz seien eine gute Geschäftsgrundlage… Jetzt will es Peter aber genau wissen. Was man denn für einen solchen Transport von hier nach Bern und zurück aufwenden müsste? Naja, etwa EUR 350.- seien es für diesen Tagesausflug nun mal. Ich kann beinahe greifen, wie in Peters Kopf die virtuelle Tabellenkalkulation die Benzinkosten, Autobahngebühren, Fahrzeug-Amortisation, Fahrer-Lohn und Arbeitsstunden gegen den erwähnten Fahrpreis aufrechnet. Dann rattert er dem verdutzten Fahrer einen vollständigen Betriebsabrechnungsbogen herunter (in Französisch, wohlgemerkt…). An dessen unterster Zeile steht eine glasklar begründete, 50%ige Fahrpreis-Erhöhung. Am Ende verlassen nach einer angeregten Diskussion zwei fröhliche Fahrgäste einen etwas nachdenklicheren Taxifahrer vor dem Flugplatz-Tower von Bourg-en-Bresse. Ich bin mir sicher, dass die früheren Discount-Angebote dieses kongolesischen Einwanderers noch in der Folgewoche die Rhône hinunter gespült wurden!

Auch Bourg-en-Bresse kennt Landegebühren

Auch wir werden kurz durchgespült. Bei unserem unschuldigen Versuch, ins gesicherte Flugplatz-Gelände zu gelangen, begrüssen wir freundlich den heute Morgen schon früh werktätigen Mitarbeiter des Towers. Einer der Segelflieger hat gestern eine ebenso selbstsichere wie abfällige Bemerkung gemacht, dass wir bestimmt keine Landetaxen bezahlen müssten… Glücklicherweise hören wir solche Bemerkungen inzwischen mit einer gewissen Sensibilität und fragen nach – die wenigen Euro, die wir danach abliefern, sind auf jeden Fall der geringere Aufwand, als z.B. von der ‘Run-up-Postion’ mit unserem am Boden etwas unhandlichen Vogel wieder zurück zum Tower zu rollen, um die Flughafengebühren zu begleichen.

Die einheimischen Segelflugpiloten starten nie vor 14:00 Uhr. Jetzt wissen auch wir, warum man um 10:30 noch viel zu früh dran ist.

Verschlafene Segelflieger

Sobald sich erste Thermikzeichen am Himmel südwestlich von Genf zeigen, starten wir auf der grossen Hartbelagpiste in Bourg und fliegen nach Nordosten. Der Plan ist, die Thermik am Jura zu nutzen und zügig in die Region Basel zu kommen. Die einheimischen Segelflieger haben uns gestern noch freimütig erklärt, dass sie keineswegs vor 14:00 Uhr an einen Start denken würden. Vorher sei hier in der Region nichts zu machen… Nicht, dass wir Ratschläge Einheimischer grundsätzlich missachten würden. Aber selbstbewusst, wie wir sind, können wir kaum glauben, dass man an so einem Ort dann überhaupt Segelflieger ist… Die verschlafen ja die meiste thermische Zeit zuhause beim Frühstück!

Im Steigflug von Bourg-en-Bresse über die ersten Juraketten in Richtung Genf. Sogar der Propeller verbiegt sich heute.

Kopfvoran in die kontrollierten Lufträume

In den ersten Aufwinden dämmert mir dann, dass heute keine ‘brüllende’ Thermik zugange ist. Müde schaukle ich den Arcus unter den ersten Wolkenfetzen nahe an der Genfer CTR-Grenze umher. Für 30-cm-Aufwinde ist dieser grosse, schwere Vogel nicht ideal. Und die besten Aufwinde stehen natürlich im kontrollierten Luftraum gleich nebenan. Der Genfer Lotse lässt sich aber angesichts der eintreffenden RyanAirs und EasyJets keinesfalls zu einer Freigabe überreden, auch wenn unser Transponder einwandfrei sendet und ich mich an die Höhenfreigaben halten würde.

Ich kriege ja auch sonst meine Thermikkreise nicht immer ins Zentrum des Geschehens. Heute ist alles noch schwieriger, weil ich die wenige Thermik, die aus dem kontrollierten Luftraum heraus-schwappt, jeweils bis 50 m vor der unsichtbaren doppelten Sicherheitslinie der CTR Genf in einem Viertelkreis mitnehmen muss, wenn wir überhaupt irgendwie steigen wollen. Nicht einfach, sage ich Ihnen!

Zum Glück fliegt dieser Vogel so gut

Es geht mehr schlecht als recht aufwärts. Wir bewegen uns maximal auf 5’500 Fuss. Und die ewig langen Sprung-Distanzen zum nächsten ‚Fumulus‚ (Cumulus im Embrio-Stadium) machen die Aufgabe nicht einfacher. Dank der ausgezeichneten Gleit-Leistungen des Arcus M kommen wir dennoch langsam in die Region Lausanne. In den Schweizer Voralpen liegen die Cumulus im Gelände auf. Aber da hat es wenigstens welche. Auf unserem geplanten Kurs ist alles trocken und blau, kaum Anzeichen möglicher Aufwinde. Erste Zweifel machen sich breit, wo wir hinfliegen sollen. Am liebsten würde ich schon hier den Blinker nach rechts setzen und in die Waadtländer Alpen queren. Das ist bei unserer tiefen Ausgangshöhe aber auch keine vernünftige Idee. Als wursteln wir uns unter erster Zuhilfenahme des Motors weiter Richtung Neuenburg. Die schwachen Aufwinde stehen trotz kaum vorhandenem Wind weit neben ihren ‘Markierungen’, die durchsichtigen Wolken zerfallen meistens, wenn man unter ihnen eindrehen will.

Genug vom Jura

Kurz vor La-Chaux-de-Fonds verlieren wir beide die Geduld. Wir entschliessen uns entgegen der ursprünglichen Pläne, hier die vorhandene Höhe für eine Querung des Schweizer Mittellandes zu nutzen und planen, den Militärflugplatz Payerne zu queren und exakt da drüber den Motor zu starten, um die Fribourger Alpen zu erreichen.

Wie mitten im Meer

Ich kümmere mich um die Freigabe, welche der Lotse unkompliziert erteilt. Mit der Bewilligung in der Tasche, mich über Payerne zu melden, quere ich tief den Neuenburgersee. Der ist ziemlich gross, wenn man ihn in einem Segelflugzeug aus 1’300 m.ü.M. betrachtet, wird er noch etwas grösser. Bis Mitte See ist die Welt bestens in Ordnung.

Divert to Yverdon!’

Doch dann traue ich meinen Ohren nicht. Der Fluglotse schickt mich wegen eines Anfluges nach Südwesten, nach Yverdon. Das ist so ziemlich entlang der Längsachse des Sees und an eine Notlandung ist da nirgendwo zu denken, die Ufer sind zu steil.

Denkwürdiger Funkverkehr mit der Militärbasis Payerne

Aufgrund unserer gestrigen Erfahrung mit einer Lotsin aus Lyon, der wir am Funkgerät das Prinzip des Segelfluges erklärten und die Unmöglichkeit begründeten, damit eine bestimmte Flughöhe zu halten, wage ich vorsichtig, den Lotsen in Payerne darauf hinzuweisen, dass wir ein Segelflugzeug seien: ‘Payerne Tower – HB-2480 – roger, will divert to Yverdon due to trafic – but for your information, we’re a glider and continuously descending…’. Die Antwort kommt postwendend. ‘… and for your information, and we’re a CTR’! Ich kann mir einen lauten Lacher nicht verkneifen. Der Mann hat natürlich nicht nur Recht, sondern zeigt noch Humor bei der Arbeit!

Brav fliege ich – damit ausreichend ausgestattet – weiter in den grossen See hinaus und harre der Dinge, die da hoffentlich bald kommen werden.

Irgendwann auf etwa 400 Meter über Wasser zeigt der Lotse dann doch Erbarmen mit uns und wiederholt seine frühere Freigabe. Bevor er es sich erneut anders überlegt, ändere ich den Kurs – und wir starten wie geplant, tief, aber über der grossen, sicheren Piste problemlos den Motor.

Eine sichere Bank beim Starten des Motors: die endlos lange Piste der Militärbasis von Payerne.

Pampige Voralpen

In den Fribourger Voralpen treffen wir wieder auf schön zeichnende Cumulus-Wolken. Darunter sind die bisher besten Aufwinde – aber auch sie ‘ziehen’ nicht durchgängig schön aufwärts. Es ist aber ein Gerücht, dass sich die Simmentaler Rinder wegen der heute wieder mal tief fliegenden Arcusse beim obersten Rindvieh-Rat beschwert hätten. Aber wir sind schon nahe dran gewesen.

Die Schönheiten des Simmentals haben wir heute mal wieder aus unerwarteter Nähe betrachtet.

Die Temperatursonde wird das und auch die Fliegerei entlang der Voralpen-Kämme nach Osten abends erklären. Wir fliegen in ziemlich stabilen Verhältnissen! Das aufbauende Hoch dämpft mit seiner einfliessenden Warmluft jede vernünftige Thermik-Entwicklung. Aus der Distanz betrachtet, versinkt fast die ganze Jurakette im blauen Dunst, allein über dem Schwarzwald entwickeln sich schöne Wolken. Aber da wären wir wohl nie hingekommen.

Erstaunlich, dass man mit dieser Temperatur-Verteilung überhaupt segelfliegen kann.

Gefangen im Kessel von Schwyz

Anfangs komme ich über dem Simmental nur nach langem K(r)ampf mühsam auf Kretenhöhe, später kämpft sich Peter zwischen Thunersee und Vierwaldstättersee mühsam der Schrattenfluh und dem Glaubenbergpass entlang ostwärts. Teilweise schlagen wir beim Kreisen im vermeintlichen ‘Aufwind’ die Köpfe an die Haube. Am Ende sind wir – weil wir einfach keine anständige Operationshöhe erfliegen können, im Schwyzer Talkessel gefangen und geben uns nach langem Kampf geschlagen. Da muss eben der Motor nochmals ran. Das ist der grosse Vorteil dieses Eigenstarter-Systems, man kann sich damit und wenn man sie richtig verwendet, auch mal in Regionen wagen, in die man üblicherweise bei den herrschenden Bedingungen gar nicht einfliegen würde.

Zum Glück habe ich gestern Abend ausreichend Benzin dazugekauft – einen Teil davon verwenden wir nun für einen letzten Motor-Einsatz über dem Aussenlandefeld am Lauerzersee, der uns dann in wenigen Minuten auf Endanflughöhe von Schänis bringt.

Wir wechseln unser Flugziel ‚Elsass‘ zurück auf ‚Schänis und fliegen in pampiger Warmluft den Voralpen entlang nach Osten – hier über dem Thunersee.

Das Toggenburg ist das schönere Elsass

Da erklären wir dann unseren neugierigen Fliegerkameraden, dass wir mal wieder das Toggenburg mit dem Elsass verwechselt hätten und nun eben bereits etwas früher als geplant wieder zuhause seien. Aber der folgende Tag, den wir für einen schönen, wenn auch mit einigen Tiefpunkten versehenen Rundflug ins Engadin, Veltlin, Tessin und zurück nach Schänis via Lukmanier-Pass nutzen können, zeigt, dass wir mit unserer Flugplanung am Ende doch nicht so verkehrt lagen und mit dem vorhandenen Wetter tolle Flugtage geniessen konnten.

Immer wieder erstaunlich ist dabei, dass selbst bei flacher Druckverteilung – etwa an unserem ersten Flugtag nach Südfrankreich – grossflächig starke Winde entstehen können. Und ebenso erstaunlich ist die Wirkung absinkender Warmluft. Die fühlt sich an, als würde die Thermik im Leim kleben bleiben. Aber von derlei Ungemach lassen wir uns nicht aufhalten.

Besuch unserer Molliser Segelflieger-Nachbarn – in Frankreich

Unsere nächste Reise wird uns erneut nach Südfrankreich führen. Das Wetter war eben gerade da wieder am idealsten. Diesmal besuchen wir unsere Nachbarn vom Flugplatz Mollis – im französischen Segelflug-Ausbildungs-Zentrum Château Arnoux St.-Auban… Wie das beim Wander-Segelflug so sein kann, eher zufällig und auch der Weg dahin führte nicht nur abwärts… Demnächst geht’s hier weiter. Bleiben Sie vorsichtig.

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