Isny und der Weg zurück in die Provence

In dieser Artikelserie berichtet Martin Knops auf flieger.news regelmässig über seine Erfahrungen beim und nach dem Kauf seines Traumflugzeuges Jonkers JS 1 sowie über seine erste Saison.

Frühere Berichte der Serie:

Autor Martin Knops

Nach der Landung in Isny gab es anerkennende Glückwünsche der wenigen Eingeweihten und ein freundliches „Hallo“ aller anderen Vereinskameraden. Erst langsam sprach sich herum, woher ich kam, und die Reaktion reichte von Erstaunen bis Unglauben. Man kann sich sicher vorstellen, wie euphorisiert und begeistert ich nach einem traumhaften Flug in traumhaftem Wetter aus dem Cockpit stieg. Typischerweise tauscht man sich nach so einem Tag am Lagerfeuer mit anderen Piloten aus, die Ähnliches erlebt hatten, schnackt über die besten Aufwinde des Tages, die Knackpunkte der Flüge, Geschwindigkeitsrekorde und Beinahe-Außenlandungen. Genau das hatte ich auch an diesem Abend erwartet. In Isny war die Stimmung aber seltsam anders. Es gab niemanden, mit dem ich mich derart austauschen konnte, da niemand an diesem wunderbaren Tag weiter als 50 km vom Flugplatz Isny weggeflogen war. Und das, obwohl durchaus viele gute und ambitionierte Piloten mit der Aussicht auf schöne Streckenflüge in den Alpen mit ins Fliegerlager nach Isny gefahren waren. Diese Konstellation machte meinen Flug in den Augen vieler sicher noch unglaublicher, es war aber vor allem eine irgendwie bizarre, auch ein wenig traurige Situation. Wie konnte das sein? Was war passiert?

Zwischenstopp in Isny

Die Erklärung ist so einfach wie bitter: Isny liegt knapp 30 km nördlich des Alpenrands und 30 km östlich des Bodensees. Während in den Alpen (und auch auf der schwäbischen Alb 60 km nördlich Isny) die Thermik brüllte, rührte sich in Isny in der vom Bodensee eingesickerten Luftmasse kein Lüftchen, gab es dort kaum den Hauch von Thermik. Erst am Nachmittag konnten einige Piloten in schwachen Aufwinden genug Höhe gewinnen, um bis Sonthofen zu fliegen und wurden dort mit dem nächsten Problem konfrontiert: mit fortschreitender Tageszeit wird in den Alpen bodennah immer mehr Luft in Richtung Alpenhauptkamm gesaugt, wo ein lokales Hitzetief entsteht. Dies unterbindet zunehmend die Thermik am Alpenrand, während es in den Alpen selbst fantastische Aufwinde gibt.

Bittere Bilanz: niemand hatte es an diesem traumhaften Tag von Isny aus in die Alpen geschafft! Damit war auch klar, dass am nächsten Morgen für mich der Einstieg in die Alpen der größte Knackpunkt des geplanten Rückflugs nach Serres werden würde. „Das kannst Du vergessen, hier kommst Du nie weg“ schallte es mir von einigen entgegen. Schöne Aussichten. Das hatte ich so nicht erwartet und kurzzeitig zweifelte ich am Gelingen meiner Pläne. Dabei gab es eigentlich keine Alternative zum Rückflug nach Serres. Auto und Anhänger standen 500 km Luftlinie entfernt. 500 km quer durch die Alpen bzw. viel mehr Kilometer um die Alpen herum. Wenn ich jemanden fände, der mich nach Serres fahren würde, – ich hatte vorab niemanden gefragt – dann würde es zwei volle Tage dauern, bis ich mit Anhänger zurück in Isny wäre. Und eine vernünftige Bahnverbindung gab es erst recht nicht. Nein: Es musste einfach klappen – und zum Glück habe ich Optimismus und Selbstvertrauen auch schnell zurückgewonnen. Ich würde mich bis Sonthofen schleppen lassen und von dort würde am Vormittag, lange bevor der Alpenhauptkamm zu sehr absaugt, der Einstieg gelingen!

Nachdem ich mir das so zurechtgelegt hatte und auch der F-Schlepper für den nächsten Morgen organisiert war, konnte ich das Abendessen und ein Bier in geselliger Runde genießen.

Einen Schlafplatz musste ich noch finden. Das zweite Bett im Wohnmobil meines Schwiegervaters war unerwarteterweise noch von meiner Schwiegermutter besetzt, die länger als geplant im idyllischen Isny geblieben war. So zog ich mit Luftmatratze und Schlafsack (alles im Flugzeug mitgebracht) ins Vereinsheim – und von dort weiter in die blitzblank gefegte Flugzeugwerkstatt, da das Vereinsheim selbst zur Schlafenszeit plötzlich von der videospielenden Jugend belegt war. Kein Problem dachte ich. Die Werkstatt war sauber, kühl, leise, mückenfrei. Was willst Du mehr! Ok, den zunächst gewählten Schlafplatz musste ich nochmal wechseln, da er im Sensorfeld des Bewegungsmelders der Beleuchtung lag – unpraktisch. Als ich endlich eingeschlafen war, wurde ich schon bald wieder wach. Das Ventil der Luftmatratze hatte sich geöffnet und direkt auf dem Steinboden schläft es sich schlecht. Dieses Spiel wiederholte sich leider noch zweimal bevor ich auf die Idee kam, die Luftmatratze umzudrehen. Mit dem Ventil Richtung Boden hielt die Luft für den Rest der Nacht. Nun stellte sich allerdings heraus, dass es in dem Raum noch einen zweiten Bewegungsmelder gab. Warum der erst jetzt ansprach, wird auf immer ein Rätsel bleiben. Ich war zu erschöpft, um mir nochmal einen neuen Schlafplatz zu suchen und versuchte es mit „ruhig liegenbleiben und nicht bewegen“ – mäßig erfolgreich. Als ich endlich schlief dauerte es nicht lange, bis ich laute Stimmen aus dem Bad nebenan hörte. Es gab tatsächlich Frühaufsteher, die schon um 5 Uhr den Tag begrüßten!

Nach dieser Nacht war ich leicht gerädert. Aber eine ausgiebige Dusche, ein starker Kaffee und ein ebenso starker Wille bewirken Wunder!

Während des ausführlichen Frühstücks in der angenehm Wärme spendenden Augustsonne musste ich länger mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) telefonieren. Natürlich hatte die diensthabende Mitarbeiterin andere Vorstellungen von einem ordentlichen Flugplan als der Kollege am Vortag und folgerichtig hatte sie meinen ersten Entwurf in der Luft zerrissen. Es war zum Mäusemelken.

Das nächste Malheur ließ nicht lange auf sich warten: Für den Heckkuller der JS1 war im Cockpit leider kein Platz und so musste ich den Schwanz anheben, um den Flieger aus der Parkbucht auszurangieren und in die richtige Position für den anschließenden Schlepp zur Startstelle zu drehen. Bei dieser Aktion war leider nur ein Flächenende besetzt – Personalmangel allerorten heutzutage 😀. Plötzlich gab es ein unschönes Geräusch… das Winglet der rechten Fläche hatte die Bespannung am Falken aufgeschlitzt und dabei selbst ein paar Kratzer abbekommen. Der Tag fing richtig gut an!

Endlich am Start hieß es erstmal Warten; erst auf den F-Schlepppiloten, dann auf auf einen Freiflieger. Sorry Luca, dass ich dann schon vor deiner dritten Landung selbst gestartet bin! Ich wurde einfach langsam ungeduldig. Über Isny rührte sich zwar wie erwartet kein Lüftchen, aber in den Alpen zeigten sich schon seit mindestens einer Stunde wunderbare Thermikwolken. Langsam sollte ich in die Luft kommen, auch wenn es außer mir scheinbar niemanden aus Isny Richtung Berge zog.

Wie geplant ließ ich mich durch die tote Luft bis kurz hinter Sonthofen auf 2’200 m MSL schleppen, immerhin 1’500 m über Flugplatzniveau. Einen solchen Rockefeller-Schlepp hatte ich noch nie zuvor gemacht, aber ich denke, jeder Euro war gut investiert 😀.

Meine Idee war, auf der Ostseite des Nebelhorns Anschluss an die hochreichende Thermik zu finden. Die Basis der vereinzelten Culumus-Wolken lockte aus geschätzten 3’000 m Höhe.

Ich glitt also auf die Rückseite des Nebelhorns und kreiste direkt neben dem Gipfelkreuz ein, als perfektes Fotomotiv für die zahlreichen Bergwanderer 😀. Leider entwickelte sich der kurzzeitige Vario-Ausschlag nicht zum erhofft starken Aufwind, und anstatt den Blicken der Ausflügler zügig nach oben zu entschwinden, flog ich den ganzen Grat mehrfach ohne nennenswerten Höhengewinn ab, machte hier einen Kreis und flog dort eine Acht.

So schnell wollte ich meinen Plan nicht aufgeben, vor dem Einflug in das zerklüftete Relief der Allgäuer Alpen bis an die Basis zu steigen. Letztlich musste ich aber nach etlichen vergeblichen Suchschleifen einsehen, dass ich hier nur Zeit vergeudete und tauchte schließlich Richtung Südosten hinter einem Almsattel ab und verschwand auf diesem Weg ohne weiteren Höhengewinn aus dem Blickfeld der zahlreichen Beobachter.

Ganz so bequem wie gedacht funktionierte der Einstieg in die Alpen also schon mal nicht. Immerhin konnte ich beim Weiterflug entlang der sonnenbeschienenen Bergflanken die Höhe halten. Ich war überzeugt, auf diesem Weg früher oder später in einen kräftigen Aufwind zu stolpern und schließlich wurde meine Geduld am Ramstallkopf belohnt. Hier stieg ich zum ersten Mal aus dem Gelände heraus und erreichte wenig später an der Rotnase (so heißt der Berg tatsächlich 😀) endlich die Basis. Damit war der Einstieg, um den ich mir im Vorfeld so viele Gedanken gemacht hatte, endgültig geschafft.

Nun ging es zügig über Wetterspitze und das Stanzertal nach Kappl im Paznauntal. Hier kletterte ich auf über 3’400 m, und von diesem Sprungbrett konnte ich direkt ins Unterengadin springen. Nun war ich wieder voll im Flow und es begann zu rennen, ganz ähnlich wie am Vortag.

Anstatt bis St. Moritz im Engadin zu bleiben, bog ich bereits am Piz Vadret, kurz hinter Zernez nach Westen ab. Es sah auch in dieser Richtung gut aus! Allerdings war die Basis insgesamt deutlich niedriger als am Mittwoch und so wurde jeder Grat zunächst zu einer Barriere, die es zu überspringen galt. Alternative Flugwege und Schlüsselberge dieses Streckenabschnitts war ich im Vorfeld wieder und wieder durchgegangen und so fühlte ich mich gar nicht in unbekanntem Gelände, obwohl ich zum ersten Mal hier unterwegs war.

Ich befand mich jetzt auf der „Königsdorfer Route“ während -wie ich mittlerweile weiß – „die Ohlstädter“ typischerweise das Engadin ganz hinauf fliegen, sogar über den Malojapass nach Italien springen und dann durch das Tessin queren.

Es gibt also immer Alternativen. Dass sich diese „lokalen“ Favoriten herausgebildet haben, ist auf den ersten Blick erstaunlich, eigentlich aber natürlich. Einer macht es vor, es klappt. Er selbst probiert es bei nächster Gelegenheit genauso – hatte ja auch beim ersten Mal funktioniert. Nun ist es schon „der Weg“. Die anderen Flieger am Platz schauen es sich ab „and here we are“: alle Ohlstädter fliegen so und alle Königsdorfer eben anders.

Ich ließ das Lenzer Horn rechts liegen und flog direkt den Piz Mitgel an. Von hier ging es weiter ins Hinterrheintal. Obwohl meine ganze Aufmerksamkeit dem weiteren Flugweg und dem Finden des nächsten Aufwinds galt, genoss ich bewusst die herrliche Landschaft und schoss einige Fotos.

Blick nach Westen zum Rheinwaldhorn. Ein wenig höher hätte die Basis schon sein können.

Der westliche Talabschluss des Hinterrheins baute sich nun als unüberwindbare Wand vor mir auf. Mir musste es gelingen, an der nördlichen Bergkette bis an die Wolkenfetzen heranzusteigen. Nur dann könnte ich am Gipfel des Rheinwaldhorns vorbei schlüpfen und direkt auf Kurs weiterfliegen. Tatsächlich gelang es, in schwachem Steigen ausreichend Höhe zu gewinnen und knapp über den Grat zu springen. Ich hatte nun den Flugplatz Münster im oberen Rhônetal als Zwischenziel einprogrammiert und flog ab hier fast auf der gleichen Spur wie am Vortag: an Ambri vorbei, über den Gotthardpass hinweg. Langsam rückte der Furkapass in Reichweite, allerdings sah ich ihn – wie eben schon den Gotthardpass- eher von der Seite als von oben. Hätte die Basis nicht einfach wenige hundert Meter höher sein können? Das war mir leider nicht vergönnt, aber irgendwie fand sich ein Weg zwischen den Felsen hindurch und plötzlich lag das Rhônetal offen vor mir.

Seen am Grimselpass. Gefühlt schon fast heimatliche Gefilde

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war zwar noch 300 km von Serres entfernt und hatte damit sogar den größeren Teil der Strecke noch vor mir. Aber ab hier kannte ich mich aus, ich fühlte mich hier fast schon zu Hause. Zudem war es erst Viertel nach Zwei, unglaublich früh am Tag eigentlich. Was sollte jetzt noch schief gehen? Dachte ich… und entschied mich wieder für die nördliche Talseite. Jetzt stieg es immerhin auf 3’500 m. Nicht allzu üppig für die bald anstehende Querung ins Mattertal, aber reichen sollte es wohl.

Ich wollte unbedingt vermeiden, wie zwei Tage zuvor tief bei Zermatt um Anschluss kämpfen zu müssen und hatte mir entsprechend Gedanken um die optimale Querung des Rhônetals gemacht – und dann ging doch alles schief. Man glaubt es kaum, aber ich habe tatsächlich das Saastal mit dem Mattertal verwechselt und entsprechend die Weisshorngruppe mit dem Dom. So ein Mist! Als ich meinen Fehler bemerkte, hatte ich bereits eine schöne Wolke und den dazugehörigen Aufwind links liegen lassen, weil er vermeintlich am östlichen Eingang des Saastals und damit weit ab vom Kurs stand. Außerdem hatte ich mir eine völlig unnötige Querung des Mattertals eingefangen und fand mich genau da wieder, wo ich nie wieder hinwollte: tief am Fuß des Doms. Noch ein paar hundert Meter tiefer als 48 Stunden vorher.

Ich haderte wirklich mit mir, als ich auf Höhe der Europahütte ein paar Suchkreise flog und dann eine Scharte weiter zur Kinhütte wechselte. Zum zweiten Mal an diesem Tag versuchte ich, im direkten Blickfeld zahlreicher Bergwanderer, auf Augenhöhe mit Ihnen und fast zum Anfassen nah, Höhe zu gewinnen.

Fühlte ich mich dabei am Nebelhorn noch wie ein Adler, der majestätisch seine Kreise zieht, so war meine Gefühlslage nun eine völlig andere. Fast glaubte ich die Gespräche der Alpinisten im Cockpit zu hören: „Was macht der denn da? Soll das so sein?“ – „Das sieht nicht gut aus! Er gewinnt gar keine Höhe.“ – „Hoffentlich touchiert er nicht gleich einen Felsen!“ -„Dann wäre hier aber was los!“

Es dauerte geschlagene zehn Minuten, bis ich mich aus der Umklammerung der Scharte lösen konnte und endlich Höhe gewann. Zehn endlose Minuten, die sich mindestens wie eine halbe Stunde anfühlten. Glücklicherweise entwickelte sich aus dem zähen Nullschieber letztlich doch noch ein brauchbarer Bart, in dem ich auf fast 4’000 m klettern konnte. Ein letzter Blick nach unten – hier hatte ich gerade noch Achten fliegend an den Felsen gekratzt – dann richtete ich den Flieger auf und nahm direkt Kurs auf den Theodulpass, den fast 3’300 m hohen Übergang nach Italien zwischen Breithorn und Matterhorn. Kurz vorher nochmals etwas Höhe gewinnen – und dann hatte ich es mit Überfahrt über den Grat geschafft.

Zurück im Mattertal

Nun hatte ich etwas Muße, um den Vorbeiflug am Matterhorn zu genießen – zum Vierten und letzten Mal in diesem Urlaub. Ciao und hoffentlich bis zum nächsten Jahr!

Das Sperrgebiet um Aosta umflog ich – den Ärger von Dienstag brauchte ich nicht nochmal. Flugplan hin oder her. Der weitere Heimflug über die bekannte Route durch Vanoise, Maurienne und Briançonais verlief maximal entspannt und unspektakulär. Beim Blick nach Westen und Osten dämmerte mir allerdings, was für ein Wetterglück ich hatte. Zwischen Grenoble und Lyon sowie an der Grenze zum Turiner Becken standen schwere Gewitter, aber die Schneise dazwischen war extra für mich offengelassen worden – wenn Engel reisen 😀.

Bereits um zwanzig vor sechs rolle ich in Serres aus und werde von Thomas Reuß freudig begrüßt samt Finisher-Foto im Cockpit. Ein unglaubliches Erlebnis liegt gerade hinter mir.

Ein glücklicher Heimkehrer

Ich war einfach glücklich und hatte doch noch gar nicht verarbeitet, was da eben passiert war. Ein halbes Jahr später beim Schreiben dieser Zeilen bin ich immer noch restlos begeistert! Noch weiß ich nicht, ob die doppelte Alpentraverse für mich ein einmaliges Abenteuer bleibt oder nur der Auftakt zu einer Reihe spektakulärer Wandersegelflüge sein wird. Appetit auf mehr hat es auf jeden Fall gemacht!

Fortsetzung folgt.
Im nächsten Bericht schaue ich mir den Segelflugzeug-Markt etwas genauer an.

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