Im Flugzeug zum Matterhorn

In einer Cessna erleben wir an diesem traumhaft schönen Spätsommertag die Schweizer Alpen aus der Vogelperspektive. Schnell gewinnt die Maschine an Höhe, unter uns liegt eine Bilderbuchlandschaft aus grünen Hügeln mit Dörfern, Weilern, Wäldern, Weiden und Badeseen. Alles wirkt aufgeräumt, von oben vielleicht noch mehr als von unten. Die Schweiz, wie sie viele kennen und schätzen.

Schnell überqueren wir den nahegelegenen Sempacher See, kurz danach glänzt rechter Hand der Thunersee mit Spiez, wo die Herberger-Elf 1954 ihr Quartier hatte. Die anfangs liebliche Landschaft ändert sich von Minute zu Minute. Wir passieren die ersten Berggipfel, und schon halten wir Kurs auf die Riesen des Berner Oberlands mit dem Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Eine abweisende Wand aus Fels, Schnee und Eis, bäumt sich auf, die Eiger-Nordwand. Rund 1800 Meter türmt sich der Fels dort drohend nach oben, selbst beim Vorbeifliegen läuft einem schier ein Schauder über den Rücken angesichts der kalten, dunklem Gesteins, in dessen Wand alpine Geschichte mit all ihren Dramen geschrieben wurde und auch heute noch geschrieben wird. Der Pilot findet irgendwie eine Lücke, über das Aletschhorn gleiten wir auf das Rhonetal zu. Wir schauen auf die Dächer von Brig und das Visp-Tal, das sich zwischen bewaldeten Hängen nach Saas Almagell schlängelt, und von dem auch die Straße nach Zermatt abzweigt.

Das Wallis rückt näher. Vor uns öffnet sich ein Meer aus Drei- und Viertausendern mit markanten Gipfeln, steil abfallenden Wänden, langen Graten und zahlreichen Schneeflächen. Eine einzigartige Gebirgslandschaft, die das Herz jedes Bergliebhabers höher schlagen lässt. Eine Augenweide, die auch demütig macht vor der Schöpfung. Inzwischen haben wir eine Flughöhe von 13.500 Fuß erreicht. Nur noch ein paar Kurven, dann öffnet sich die Gebirgslandschaft und gibt die Sicht frei auf eine Felspyramide, die einfach nur staunen lässt: das Matterhorn, Ziel unseres Rundflugs. Unsere Blicke bleiben an diesem Berg hängen, der die Betrachter mit seinem markanten Profil von allen Seiten in seinen Bann zieht. Schon der Hörnligrat, über den der Normalweg verläuft, führt aus dieser Perspektive fast so scharf wie eine Messerschneide nach oben, rechts davon die furchteinflößende Nordwand, eine der drei großen Nordwände der Alpen neben dem Eiger und der Grandes Jorasses . Wer diesen steil aufragenden Berg von oben aus sieht, kann auch heute noch gut nachvollziehen, dass das Matterhorn lange Zeit als unbesteigbar galt. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen verspürten die Alpinisten zahlreicher Länder den Drang, diesen Berg doch zu bezwingen. Und als dies dem Briten Edward Whymper 1865 mit drei Bergführern und drei weiteren Engländern gelang, ereignete sich beim Abstieg ein Drama, als vier Menschen in den Tod stürzten. Die Schuldfrage sorgt bis heute immer wieder für Gesprächsstoff.

Und mittlerweile scheint es, dass sich die Geschichte an diesem Schicksalsberg zum Teil wiederholt, und dass dem Matterhorn deswegen womöglich ein neues, ruhigeres Schicksal beschieden sein könnte. Nach allein zwei tödlichen Unfällen dort in diesem Sommer haben die Bergführer in Zermatt ein Zeichen gesetzt. Wegen des durch die warmen Temperaturen tauenden Schnees auf dem Gipfelplateau und der dadurch zunehmenden Steinschlaggefahr rieten die Bergführer von einer Besteigung des Matterhorns ab und führten vorübergehend auch keine Gäste mehr auf den Gipfel. Weiß glitzert im Gegensatz zum Matterhorn auf der anderen Seite von Zermatt die Schneelandschaft des Monte-Rosa-Massivs mit dem höchsten Schweizer Gipfel, der 4634 Meter hohen Dufourspitze. Wir haben Traumsicht auf das gesamte Wallis, bis zum Grand Combin ganz im Westen, dessen drei Gipfel aus der Ferne wie drei kleine Hüte wirken. Unter uns sehen wir gestochen scharf die Wanderwege, die durch die Kare zu den Schutzhütten führen, und wir sehen die Serpentinen des Nufenenpasses, der den Kanton Wallis mit dem Kanton Tessin verbindet.

Unser Pilot André Guiot hält auf den Aletschgletscher zu. Guiot, der aus der Region Luzern stammt und dort wohnt, kennt die Gegend genau. Aus eigener Erfahrung schildert der heute 75-jährige, der seit 25 Jahren fliegt und sich als Vorturner der Männerriege Rickenbach fit hält, wie sehr sich der größte Gletscher der Alpen verändert hat. Etwa am Ende der fast nur noch handdick wirkenden Gletscherzunge, wo heute bereits ein See zu sehen ist: „Früher war hier eine 30 Meter dicke Eisschicht.“ Die klimabedingte Veränderung zeigt sich auch am letzten Berg unserer Route, dem 3238 Meter hohen Titlis. Das beliebte Wintersport- und Ausflugsziel ist mit einer Bergbahn erschlossen, doch um das Abschmelzen des Schnees zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, liegen zum Teil Planen auf dem Weiß. Wir verlieren an Höhe, vor uns erscheint wieder die idyllische Bilderbuchlandschaft mit grünen Hügeln, schönen Orten und zahlreichen Seen. Beromünster kommt näher, wir setzen auf. Die intensiven Eindrücke des 90-minütigen Fluges werden wir noch lange in Erinnerung behalten. Quelle: ‚Südkurier‚.

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