Gezielt verirrt – der Jura ist vielleicht das schönere Slowenien (1)

Wandersegelflug mit dem Schänner Arcus M von 4. bis 6. Juni 2015.

Wie zwei bereits etwas angejahrte Segelflieger mit einem Segelflugzeug nach Lesce Bled in Slowenien fliegen wollen und wie es dabei möglich ist, dass sie auf dieser Reise trotz zumeist vollen Verstandes auf dem Flugplatz Grenchen am Jura-Südfuss und auf dem Klippeneck an der Kante zur Schwäbischen Alb übernachten…

2015-06-04 13.39.25

Daumen hoch! Endlich klappt unser seit Jahren geplanter Wandersegelflug – Peter Schmid über den Gletschern und Graten der Ötztaler Alpen.

Nachdem wir nun schon seit Jahren erfolglos eine bestimmte Anzahl Tage in der Agenda für ein Wandersegelflug-Abenteuer reservieren, sehen die Wetterprognosen für dieses erste Juni-Weekend vielversprechend aus. Schon seit Tagen wälzen Peter Schmid und ich deshalb jeweils abends am Telefon gemeinsam mögliche Flugpläne.

Zuoberst auf der Wunschliste steht seit längerer Zeit unverändert Slowenien. Einfach, weil wir da aus den heimatlichen Lufträumen noch nie hingeflogen sind. Und eines der Ziele unserer Wanderflugtage ist, fliegerisches Neuland zu betreten – Dinge zu tun, die wir sonst nicht machen – ausgetretene Pfade zu verlassen. Das macht die Aufgabe in unserem Fall nicht einfacher. Letztlich bleiben zwei Haupt-Himmelsrichtungen: Südosten und der Norden. Die Alpen in Österreich, der Schweiz, Italien und Frankreich kennen wir nach 30 Jahren Segelfliegerei nun doch schon einigermassen. Da würden wir hinfliegen, wenn alles andere wegen schlechten Wetters nicht geht.

Täglich Blitz und Donner – wenigstens in manchen Prognosen

Eine grobe Auslegeordnung der Wetterprognosen am Stammtisch in Schänis (nachher sollte vor dem Flugzeug noch jene von Zahnbürsten, Unterwäsche und Kreditkarten folgen) zeigt vor allem viel heiss-feuchte Luftmassen über dem östlichen Alpenraum. Die Prognosen gleichen sich bei den meisten Wetterdiensten für jeden der bevorstehenden Flugtage. Im Tagesverlauf aufschiessende Cumulonimben, Abdeckungen, Schauer, Gewitter, Blitz und Donner. Fehlt nur noch der Hagel. Am interessantesten, weil völlig gegenteilig zu jener von TopMeteo, ist die Wettervorhersage von Alptherm / DWD. Sie spricht von trockenen Verhältnissen, Blauthermik und allgemein hoher Wolkenbasis… Was wir nicht wirklich glauben mögen. Ein paar einzigartige Formulierungen sind mir dabei besonders in die Augen gestochen. Ich weiss nicht, was der dipl. Meteorologe beim Formulieren des Textes geraucht hat – aber es muss schon ein besonderes Kraut gewesen sein:

Haschisch_Prognose

Tatsächlich sollten wir dann während unserer dreitägigen Reise völlig gegenteilige Wetter-Erscheinungen antreffen. Viel Feuchtigkeit, heisse Luft, Labilität, Gewitter und Ausbreitungen.

Wir einigen uns auf eine Taktik

‚Soweit nach Südosten wie möglich’. Wenn es irgendwie geht, sogar in die Dolomiten und von da aus irgendwie nach Kärnten oder gar Slowenien. Und wenn das nicht funktioniert, fliegen wir soweit wie möglich und drehen dann einfach um und fliegen dem Alpenkamm entlang zurück nach Westen. Also starten wir wieder einmal mit völlig klaren Vorgaben zu unserem Vorhaben.

Viele kleine Portionen und Segelfliegen mit Airbags

Zuvor macht mich der Wandersegelflug-erfahrene Peter noch fit für das Packaging. Das Zauberwort heisst: ‚viele kleine Portionen’. Taschen, Mappen, Koffer und dergleichen unhandliche Dinge gehören zurück in den Kofferraum des Opel(is). Es ist erstaunlich, wie wenig am Ende für die Reise übrig bleibt. Und noch erstaunlicher ist es, wie bequem es eigentlich ist, auf einem säuberlich gefalteten Capot-Tuch und Kniestützen aus Unterwäsche in Plastiksäcken zu sitzen. Vor allem auf dem hinteren Sitz war das eine Art ‚Segelfliegen mit Airbags’.

Das Flugzeug – eine Wucht!

Etwa um elf Uhr wagen wir den Start mit dem Arcus M. Nach zeitweise endlos scheinenden Mödeli und Kinderkrankheiten läuft seit einigen Wochen und dem Ersatz der Elektrik der Motor, wie er sollte. Wir heben mit der erwarteten Startstrecke ab und steigen in den klaren Himmel über der Linthebene. Das Flugzeug ist schon auf den ersten Metern eine Wucht. Ich bin erneut begeistert über seine Wendigkeit. Darüber, wie es stabil wie auf Schienen fliegt. Und über seine harmonischen und geringen Ruderkräfte. Seine Ergonomie. Der schwere Flieger fliegt sich wendig, er rollt schnell, die Steuerknüppel-Bewegungen konzentrieren sich auf einen Kreis mit wenigen Zentimetern Durchmesser. Wenn man will und wenn der Arcus M richtig mit Wasserballast ausgetrimmt ist, kann man ihn auf engstem Raum in die Thermik zirkeln. Die einzige Flugphase, in der er mir die Schweissperlen auf die Stirne treibt ist der Flug nahe am Gelände. Da spürt man die hohe Masse beim Zentrieren der Aufwinde und beim Steigen in schwacher Blubber-Thermik. Aber alles kann man nicht haben.

Über den ‚Ziger-Highway‘ – den Sommerweg

Wir sind heute etwas früh unterwegs. Die Thermik über dem Sernftal mag sich noch nicht erheben, die Luft will uns noch nicht tragen, so sehr wir uns auch abmühen, wir versinken zusehends im Zigerschlitz. Schweren Herzens starten wir den Motor ein zweites Mal und nehmen ein paar Meter dazu, um den Anschluss in die natürlich Umgebung eines Segelflugzeuges zu erreichen. Über den ‚Sommerweg’ schleichen wir uns dann aus dem Glarnerland weg Richtung Prättigau. Da graben wir vor der Schesaplana nach längerem erfolglosen Suchen den Anschluss in die Alpen aus. Die Südwand erhebt uns im Nu über den schneebedeckten Grenzgipfel, als wären wir ein leichtes Ahornblatt im lauen Herbstwind.

DSC03156

Ein starker Aufwind an der Südwand der Schesaplana trägt uns schnell über den Gipfel und sichert den Einstieg in die Hochalpen im Silvretta-Gebiet und dem Unterengadin.

Dank einer hohen Wolenbasis und schönen, runden Aufwinden finden wir uns rasch einmal über dem Kauner-, Pitz- und Ötztal. Rund ums uns ist die Wolkenbasis aber deutlich tiefer. Die Luft feuchter. Die Schauer zahlreich. Wir hangeln uns von Gebirgstal zu Gebirgstal, zielen knapp über die Granitgrate, graben auf der Nordostseite jeweils den verwehten und immer unzuverlässiger werdenden Aufwind von der Südwestseite aus und überlegen und suchen eine Möglichkeit, doch nach Südosten Richtung Sarntaler Alpen wegzukommen. Über der Hohen Wilde zwischen dem nördlichen Vinschgau und dem Ötztal schliesst sich dann die Sackgasse aber definitiv. Nach Südosten ist die Überentwicklung weit fortgeschritten, wir sehen nicht mehr durch die graue, schauernde Luftmasse.

Wieder nicht nach Slowenien!

Schweren Herzens begraben wir über dem Hauptalpenkamm südlich von Sölden unsere Pläne, heute Abend in Slowenien die Haube zu öffnen und drehen die Nase unseres Arcus wieder nach Westen. Die Wetterprognose von TopMeteo scheint leider zu stimmen (das ist jene mit den Überentwicklungen). Über Reschenpass, Unterengadin und den zuverlässigen Aufwind an der Nuna bei Zernez fliehen wir vor den andauernd hinter uns niedergehenden Schauern westwärts bis Savognin. Da scheint uns das Ungemach von hinten einzuholen. In Celerina, wo wir noch vor wenigen Minuten unter einem grossen, ausbreitenden Cumulus hochdrehen konnten, ist nichts mehr zu sehen – ausser einer bedrohlichen Regenwand.

Steigen im Regen

Peter zaubert den Arcus über Savognin mit ruhiger Hand und viel Geduld die entscheidenden Meter nach oben, obwohl das Tal unter uns schon vollständig im Schatten liegt und mehrmals vereinzelte Tropfen auf die Haube fallen. Das eröffnet uns die Möglichkeit, in die Surselva und damit in die deutlich trockener scheinende Luftmasse am Oberalp zu gelangen. Dort wollen wir definitiv entscheiden, wohin uns heute die Reise noch führen soll. Zurück ins gemachte Bett in Schänis? Weiter ins Wallis, das schon von weitem von Ausbreitungen zugedeckt scheint? Oder ganz woanders hin, etwa direkt nach Süden oder…

(Hier geht’s zur Fortsetzung)… und zur Bildergalerie. Und das hier ist eine Auswahl der teilweise komplett gegensätzlich lautenden Wettervorhersagen für die Wandersegelflug_Tage. Viel Vergnügen beim Interpretieren.

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