Ein besonderer Streckensegelflug

von Urs Zimmermann

Für Sonntag, 25. April 2021 verheisst Alptherm fantastisches Streckenflugwetter. Der ganze Alpenhauptkamm ist mehr oder weniger rot eingefärbt. Aus Angst, keinen Sitzplatz zu ergattern, habe ich mich für das 08.15-Uhr-Briefing eingeschrieben und somit meine geliebte ASG 29 auf sicher. Das Segelflugzeug ist schnell aufgerüstet und ich setze mich beim Start an die vorderste Stelle. In der vorderen Reihe setzt wie üblich eine leichte Nervosität ein und um 10.01 Uhr zieht mich die Robin in die Luft.

Erste Zweifel nach Frühstart

Ein Hochleistungsflugzeug, erster am Start und eine fantastische Prognose, da kann ja nichts schiefgehen. Der Schlepp verläuft auffällig ruhig und mir kommen langsam erste Zweifel. Der Himmel ist bis Walenstadt bedeckt, meine einzige Rettung ist, Richtung Osten der Sonne entgegen zu fliegen.

Erst bei Landquart über dem Bahnhof auf 1100m finde ich schwache Aufwinde. Mit einer «stolzen» Höhe von 1’500 m mache ich einen kurzen Abstecher nach Seewis, wo ich keine brauchbare Thermik finde. Die Sonneneinstrahlung ist noch zu schwach und dank leichter Bise ist das „lauwarme Etwas“ zudem zerrissen.

Zweimal durch die Klus von Landquart

Der Trichter zwingt mich zurück nach Bad Ragaz. Bei Pfäfers, dem Kerenzerberg (vom Talwind angeströmter Hang) von Bad Ragaz, kann ich wieder Höhe gewinnen. Pfäfers dient mir nach einem Abstecher vor den Calanda ein zweites Mal als Rettungsanker. Nach erneuter Talquerung versuche ich mich an den Ausläufern des Vilan und der Sassauna, wobei ich mich zweimal durch den Taleinschnitt am Eingang des Prättigau kämpfen muss.

Zähes Ringen

Ich ziehe alle Register und nach geschlagenen zweieinhalb Stunden Grundeln überquere ich an der Sassauna wieder die 2’000-m-Marke. Endlich wird es wieder kühler und ich setze meinen Flug über Davos und das vordere Rheintal fort. In mässiger Thermik fliege ich über den Lukmanier ins Val Bedretto.

Knapp über den Nufenenpass

Foxtrott Tango meldet gute Wetterverhältnisse im Wallis, dorthin will ich eigentlich auch. Mit 2’700 m ü. M. überquere ich den Nufenenpass und bin endlich im Obergoms angelangt. Die klassischen Rippen auf der Nordseite liefern keine brauchbare Thermik und bei Bellwald habe ich nicht genug Höhe, um lange nach Aufwinden zu suchen. Ich fliege in Richtung des Flugplatzes Münster zurück und muss nach einstündigem Kampf im Wallis die Flügel strecken und um 16.58 Uhr auf der Piste 05 aussenlanden. Die Landung verläuft problemlos, glücklicherweise ist nur der untere Teil der Piste noch schneebedeckt.

Starker Bergwind

Nach dem Öffnen des Capot wird mir erst bewusst, wie stark mir der Bergwind von der Furka und vom Grimselpass entgegenbläst. Da der Grossteil des Obergoms noch schneebedeckt ist, wird die gegen Abend schwache Thermik schon früh vom Bergwind verblasen. Kurz nach der Landung erfolgt das obligatorische Foto und der Anruf auf den Flugplatz. Beatrice Echter unterstützt mich liebevoll und sorgt dafür, dass ich den Code für den Segelflug-Hangar erhalte. Die ASG 29 soll darin nächtigen.

Unerreichbarer Hangarplatz hinter den Schneehaufen

Das Unterfangen wird jedoch durch den Schnee auf dem westlichen Teil der Piste vereitelt und die ASG 29 wird am Pistenrand verzurrt. Gerhard Kiechler vom Bauernhof nebenan, er ist gleichzeitig der Gemeindepräsident vom Goms, unterstützt mich dabei tatkräftig und liefert Heringe und Schnur. Auf Anraten von Armin Hürlimann fahre ich mit dem Zug nach Hause und komme um 23.30 Uhr müde in Wädenswil an. Während der Heimfahrt ruft mich Gerhard Wesp an und bietet mir seine Unterstützung an.

Ins Herz der Alpen

Am nächsten Tag machen wir uns mit dem Anhänger auf den 280 km langen Hin- und Rückweg. Er führt über den Hirzelpass, das Zugerland, die Axenstrasse und das Reusstal nach Andermatt und schliesslich nach Realp. Dort verladen wir unser Gefährt und rattern mit der Eisenbahn unter der Furka durch. Nach ein paar weiteren Fahrkilometern erreichen wir schliesslich den Flugplatz Münster.

Die klatschnasse ASG 29 wird getrocknet und die Flügel werden vor dem Verladen gewendet, damit das Wasser aus den Bremsklappenschächten abfliessen kann. Die Hilfsbereitschaft des Gemeindepräsidenten wird nach dem Verladen mit einem kleinen Präsent verdankt. Gerhard übernimmt die Rückfahrt und bringt uns sicher nach Schänis zurück. Hungrig und müde gönnen wir uns ein verdientes Abendessen im Flugplatzrestaurant. Damit findet die Aussenlandung ein Happy End.

Pilot und Flugzeug unversehrt

Ich habe mich über die spontane Hilfsbereitschaft von Gerhard sehr gefreut, es hat die Rückholaktion zu einem lässigen Roadtrip gemacht. Der Anhänger hat die 280 km lange Reise gut überstanden, keine Achse ist gebrochen. Hier gebührt Dank an den unermüdlichen Paul Kläger, er ist seit Jahrzehnten unser Gruppen-Materialwart.

Eine Aussenlandung gehört zum Streckensegelflug dazu, auch wenn sie dank Motor immer seltener wird. Auch 1’000 Flugstunden reichen noch nicht zum Streckenfuchs, hier zählt wirklich Erfahrung. Jeden Tag sind die Wetterverhältnisse anders und die regionale Situation kann sich stündlich ändern. Ausgelernt hat man nie und dies alles macht ja schliesslich die Faszination unseres einmaligen Hobbys aus!

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Ein Gedanke zu „Ein besonderer Streckensegelflug

  1. Andris Kade

    Hi Urs,
    vielen Dank für den netten Bericht. Auch ich war an diesem Tag unterwegs in derselben Region.
    Gerade der Hinweis: „Nach dem Öffnen des Capot wird mir erst bewusst, wie stark mir der Bergwind von der Furka und vom Grimselpass entgegenbläst. Da der Grossteil des Obergoms noch schneebedeckt ist, wird die gegen Abend schwache Thermik schon früh vom Bergwind verblasen.“
    …finde ich super!! Aus „Bauchgefühl“ habe ich weiter westlich das Wallis gequert. Schnee im Tal ist aus persönlicher Erfahrung für mich immer ein schlechter Vorbote.
    Herzliche Grüsse
    Andris

    PS: Gut zu wissen, dass man in Münster so gut aufgehoben ist. ich bin nämlich oft auf Wandersegelflügen unterwegs.

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