Comeback der AS 202

Das Schweizer Propellerflugzeug AS 202 wurde bis 1988 gebaut. Jetzt geht es 32 Jahre später wieder in Produktion – ein Trend in der Luftfahrt. Diese Konstruktion ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt: Die AS 202 Bravo wurde schon 1968 beim Flugzeugbauer Siai Marchetti in Italien entwickelt. Gebaut wurde die Maschine von 1971 bis 1989 in der Schweiz. Jetzt entstanden nach 32-jähriger Unterbrechung der Produktion mehrere Exemplare neu, allerdings in Hannover. Die erste dieser Maschinen hatte am 16. März ihren Jungfernflug. Was in der Automobilwelt undenkbar wäre, ein 50 Jahre altes Fahrzeug lediglich mit geändertem Armaturenbrett und sogar dem alten Motor wieder neu zu bauen, kommt in der Aviatik öfter vor. Das liegt vor allem an den ungemein teuren Zulassungsverfahren neuer Flugzeuge.

Deshalb greifen Hersteller mitunter auf betagte Konstruktionen zurück, die bereits eine Luftfahrtzulassung mitbringen. Meist kommt die von der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA oder der europäischen Flugsicherheitsagentur EASA. Dann dürfen die neugebauten Flugzeuge zwar behutsam modernisiert werden, etwa mit zeitgemäßer Instrumentierung, Autopiloten oder Kollisionsvermeidungssystemen. Die Zellenstruktur, also Rumpf, Flügel, Leitwerk und Konfiguration müssen aber unverändert bleiben, damit die alte Zulassung erhalten bleibt. Auch das Triebwerk sollte möglichst das gleiche wie zuvor sein. Im Gegenzug fallen keine Entwicklungskosten an.

So ist es auch für die AS 202 geplant. Die hatte 1969 als kunstflugtauglicher Zwei- bis Dreisitzer ihren Erstflug. Bis 1989 entstanden fast 230 Exemplare, viele fliegen bis heute. Die luftfahrtrechtliche Genehmigung zur Produktion der AS 202 Bravo hält seit 2015 die deutsche Gomolzig Aircraft Service GmbH. In Hannover wurden jetzt drei gebrauchte AS 202 überholt und modernisiert. Die erste Maschine hatte Mitte März ihren Jungfernflug und ist nun in der Flugerprobung. Sollte das Flugzeug gut ankommen, wären 14 weitere in den achtziger Jahren produzierte Maschinen vorhanden, die dann zu Ende gebaut und verkauft werden könnten.
Modernes Cockpit, alter Vierzylinder-Boxermortor

Natürlich kann die Maschine nicht völlig unverändert auf Kundenfang gehen. Während in den siebziger Jahren Piloten gewohnt waren, auf eine Vielzahl von kleinen Instrumenten zu schauen, sind seit etwa 20 Jahren Glascockpits auch in kleinen Maschinen Standard. Dabei werden alle Informationen wie Fluglage, Höhe, Geschwindigkeit, Position und mögliche Kollisionswarnungen auf großen Bildschirmen angezeigt. Solch ein modernes Cockpit erhält auch die AS 202. Auch wenn der gleiche Motor eingebaut wird wie vor 40 Jahren, ein neuer Vierzylinder-Boxermotor des Herstellers Lycoming, hat sich zumindest etwas bei diesem getan. Er ist nun nicht nur für die Verwendung des verbleiten Flugzeugtreibstoffs Avgas geeignet, sondern darf künftig auch mit bleifreiem Superbenzin betrieben werden. Zudem ist die modernisierte Version deutlich leiser. Eine Kombination aus Dreiblatt-Propeller und Nachschalldämpfer macht es möglich.

Wer aber soll eine neue Maschine mit Konstruktionsjahr 1968 kaufen? Zum einen Flugschulen, die einen robusten und seit Jahrzehnten bewährten Trainer suchen. Daneben Anbieter von sogenannten Trainings für angehende Berufspiloten. Um die dafür vorgesehenen Manöver zu üben, muss die Maschine kunstflugzugelassen sein. Zudem interessieren sich Privatleute, die einen Metall-Tiefdecker bevorzugen und die gelegentlich mal eine Rolle oder einen Looping fliegen wollen. Nicht zuletzt sind auch Fliegerclubs eine Zielgruppe, die eine vielfältig nutzbare Maschine zum Segelflug-Schlepp benötigen.

Ein Vorbild für die gelungene Wiederaufnahme einer Flugzeugproduktion findet sich auch in Kanada. Dort gibt es seit zehn Jahren eine Neuauflage des Buschflugzeug-Klassikers Twin Otter. Die hatte ihren Erstflug 1965, wurde von de Havilland Canada bis 1988 produziert und dann eingestellt. Die kanadische Viking Air kaufte die Produktionsrechte und Werkzeuge 17 Jahre später, baut die Zweimotorige mit Propellerturbinen seit 2010 wieder und hat Erfolg damit. Ein anderes Beispiel: Die italienische Partenavia, heute heißt sie Vulcanair, hatte Mitte der 1960er Jahre ein bis zu viersitziges Propellerflugzeug vom Typ P 64/66 entwickelt, zugelassen und in kleiner Serie gebaut. Damals besaß die Maschine keine Chance gegen den Welt-Bestseller des Typs 172 von Cessna. Heute sieht das anders aus. Denn die Neuauflage ist deutlich preiswerter als die ebenfalls noch gebaute Cessna 172. Und so stellt Vulcanair nach einer Produktionsunterbrechung von gut 25 Jahren die P 64 seit 2017 wieder neu her.

Selbst bei Verkehrsflugzeugen gibt es überraschende Comebacks. Aus dem einst in Bayern gebauten Regionalflugzeug Dornier Do 328 mit 33 Passagierplätzen wird nun die D328 Neu. Sie soll am Flughafen Leipzig von der amerikanischen Sierra Nevada Corporation gebaut werden. Von der Ursprungs-Turboprop entstanden 107 Exemplare zwischen 1991 und 1998, viele fliegen noch heute. Die im Wesentlichen identische D 328 Neu soll ab 2023 abheben und den Regionalflugzeugmarkt der 30- bis 40-Sitzer wiederbeleben. Gleiches gilt für das Amphibien-Flugboot Dornier Seastar. Die Zweimotorige für zwölf Passagiere flog erstmals in den 1980er Jahren, ging aber nie in Serie. Seit 2013 entwickelt das neugegründete deutsch-chinesische Unternehmen Dornier Seawings die Seastar weiter. Der Prototyp der Neuauflage flog jetzt Ende März erstmals in Bayern. Quelle: Jürgen Schelling in der ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.net‘.

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