Auge in Auge mit dem Adler

Nico Jägli aus Fideris weiss, wie man wenig Material zum Funktionieren bringt. Mit dem Segelflugzeug fliegt der Schweizermeister der Junioren in seiner Freizeit über 500 Kilometer ganz ohne Strom, nur mit Sonne und Wind. Als sein eigener Chef der Firma 3d Profidruck verwandelt er Kunststoff in robuste Teile für Branchen wie Medizin, Luftfahrt oder Maschinenbau. Wer ist dieser motivierte junge Mann?

Da sitzt man bequem im Segelflieger und lässt sich durch die Lüfte tragen, und dann nennt sich das ganze Vergnügen Sport. Tönt auf den ersten Blick einfach. Nico Jägli, Schweizermeister der Junioren im Segelfliegen 2022, kann mich bei sich zu Hause in Fideris eines Besseren belehren: «Segelfliegen ist erstmal geistig extrem anstrengend; die Zeit in der Luft ist man 100 Prozent konzentriert, um die gute Linie zu finden, meistens im Zickzack. Man versucht Luftmassen, die ansteigen, auszunutzen und den Abwindfeldern auszuweichen. Körperlich muss man fit sein, damit man die Höhendifferenzen gut wegstecken kann.» Da hilft viel Wasser trinken gegen Kopfweh. «Bei einem Flug von 500 Kilometern machen wir schnell mal eine Höhendifferenz von 6000 bis 7000 Meter. Das ist recht anstrengend für den Körper.» Gut, das kann ich nachvollziehen, also doch anstrengend und sportlich.

Die Natur lesen
Ich frage, woher die Motivation zum Segelfliegen kommt. «Das Coole am Segelfliegen ist das Spiel mit der Natur. Man muss die Natur lesen, das heisst, man muss wissen, wie die Luft, wie das Wetter ist, wie es sich entwickelt. Wenn man im Aufwind ist und einen Adler sieht, ist es cool, wenn man zusammen mit dem Adler kreisen kann. Meist steigen wir gleich schnell, so dass wir Aug in Aug mit dem Adler fliegen.» Von klein auf war Nico Jägli fasziniert von Helikoptern und Flugzeugen. «Das ist bei mir fast ein Urinstinkt.» Segelfliegen begann Jägli, als er vom stundenlangen Computer-Spielen als Jugendlicher wegkommen wollte und erfahren hat, dass man schon mit 16 Jahren das Brevet fürs Segelfliegen machen kann. Nun steckt er seine Ausdauer also ins Segelfliegen und braucht auch dort gute Computerkenntnisse. Denn das Training besteht nicht nur aus Fliegen, sondern vor allem aus der Fluganalyse. Die Aufzeichnungen zeigen, ob man einen Kreis zu viel genommen hat, wie die Bodenbeschaffenheit ist und ob es thermisch ein besseres Gebiet gebe. Wurde das Wetter gut einbezogen? So studiert Jägli ständig die Flüge von den Besten, die online verfügbar sind.

Auf 5500 Meter Höhe
Fliegen findet also viel im Kopf statt, bis es so richtig gut klappt. Was sind denn gute Bedingungen zum Fliegen, will ich wissen und erfahre, dass bestes Flugwetter mit Wolken und wechselhaften Bedingungen zu tun hat. Eine lange Sonnenscheinperiode ist ungünstig. «Die Luft soll frisch sein, denn Tage alte Luft ist zu trocken. Damit Thermik entstehen kann, braucht es eine gewisse Luftfeuchtigkeit. Am besten sind labile Luftschichten, das heisst Sonne mit Wärme und Wolken, die kältere Luft unter sich haben. Es sollte von unten bis oben konstante Temperaturabnahme haben, sonst wird die Thermik gebremst und man kann keine langen Strecken fliegen». Lange Strecken bedeuten mindestens 250 Kilometer oder bei Weltmeisterschaften eher 550 Kilometer. Jägli ist begeistert, rein mit Sonnen- und Windenergie Distanzen bis 1000 Kilometer zurücklegen zu können – ohne Zwischenlandung. Man wisse am Tagesanfang nicht, wohin man wirklich komme. Reicht es bis zum Matterhorn oder sogar noch weiter? Das tönt ziemlich weit für einen Tag. Mich nimmt wunder, wie hoch so ein Segelflieger kommt. «Ich war mal mit Freigabe vom Tower in Zürich auf 5500 Meter Höhe.» Dann nimmt man über Funk Kontakt mit den Fluglotsen in Zürich auf, damit sich Luftverkehr und Segelflieger nicht in die Quere kommen. Ohne Genehmigung kann man 4500 Meter hoch fliegen in der Schweiz.

Ein Familienunternehmen
Nico Jäggli betreibt das Segelfliegen in seiner Freizeit. Beruflich ist er selbstständig. Seit 2019 baut er als Geschäftsführer zusammen mit Mutter, Bruder und Schwester ein Familienunternehmen auf, die 3d Profidruck AG in Sargans. Hier werden Teile aus dem Kunststoff Polyamid 12 für unterschiedlichste Branchen wie Elektronik, Medizin, Maschinenbau, Luftfahrt gedruckt. Jägli gerät auch hier ins Schwärmen und zeigt mir einige kleine Boxen: «Vor kurzem wurden ja die kleinen Würfel zum Messen des CO2-Gehalts in den Schulzimmern eingeführt, um anzuzeigen, wann gelüftet werden muss, vor allem in der Coronazeit. Dafür haben wir die Sensorboxen gedruckt. Man kann materialsparend, stabil und schnell drucken.»

Wie geht es weiter? Ab Ende Juli geht es für zwei Wochen nach Tschechien an die für Nico Jägli letzten Junioren-Weltmeisterschaften; der Juniorenstatus gilt nur bis 25 Jahre. Wir drücken dem Noch-Junior die Daumen für einen Podestplatz. Nachher tritt er weiter bei der Elite-WM an, wo er bereits seit 2018 mitmachen kann, da es hier keine Alterslimite gibt, sondern die Leistung den Ausschlag fürs Mitmachen gibt. Dort gibt es auch noch Piloten mit 70 Jahren. Kein Problem ist es beim Segelfliegen, zwischendurch kürzer zu treten, zum Beispiel in der Familienphase, um dann später wieder anzufangen. Nico Jägli lässt also einerseits Dinge entspannt auf sich zukommen und packt Gelegenheiten am Schopf. Anderseits prägen ihn Zielstrebigkeit und Ausdauer, wenn er im Kopf und in der Luft fliegt oder Kunststoff in Zukunft verwandelt. Quelle: ‚Vilan24‚.

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