Auf der Flucht vor feuchtheisser Luft

Freitag, 24. Juni 2016: Ortler-Matterhorn

Nach einem ‚gefühlten‘ Monat mit monsunartigen Wetterverhältnissen schaltet die Meteorologie für zwei Tage auf ‚Hochsommer‘. Einen davon, den Freitag, 24. Juni, darf ich dank eines verständnisvollen Chefs im Segelflugzeug-Cockpit geniessen – was für ein Privileg: die schönsten Gipfel der Alpen aus dieser Perspektive und bei diesen Wetterverhältnissen zu erleben. Darunter ist natürlich auch die bellavista – kürzlich nach einem bekannten Beatmungsgerät für Intensivmedizin umbenannt – naja, vielleicht war’s ja auch umgekehrt – aber das schliesse ich hier in mein Dankeschön an meinen neuen Arbeitgeber, der Hightech-Geräte dieses Namens herstellt, natürlich ein 🙂

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An Anfang zäh und tief.
Der Flug verläuft nur am Anfang und am Ende spektakulär. Es ist unglaublich zäh, um aus der feuchtheissen Luft in der Walensee-Region hoch genug hinauszukommen, um im Prättigau Anschluss an die trockenere Luftmasse und die etwas hochbasigere Thermik zu finden. Die Windverhältnisse bleiben mir lange ein Rätsel. Eine Luftströmung aus östlicher Richtung macht es schwierig, die Aufwinde sauber zu erwischen. Die Thermik ist trotz weit ausladender Kondensation häufig sehr eng – ich bekomme meinen Segelflieger, den ich optimistisch mit Wasser gefüllt habe, nicht immer sauber in die Aufwinde und komme anfangs nur langsam und vor allem eine Etage zu tief voran.

Am übelsten ist der Einstieg ins Unterengadin. Die bekannten, trichterförmigen Südflanken der Nuna bei Zernez – wo heute eine Open-Air-Konzertveranstaltung stattfindet, trägt zwar nahe am Hang, aber die Thermik setzt jeweils ruckartig und nur unregelmässig, dafür heftig ein, die Fahrt-Zu- und Abnahme ist gefährlich. So setze ich einfach den Hängen nach weiter ostwärts, um an einer kegelförmigen, etwas tiefer gelegenen Stelle nicht nur am Hang Achten fliegen zu müssen, sondern vor dem Hang an einer ungefährlicheren Stelle sauber in die Thermik eindrehen zu können. Mit etwas Geduld grabe ich tief über der herrlichen Landschaft des Nationalparks endlich einen ruppigen, aber kräftigen Aufwind aus und kann meinen Segelflieger endlich eine Etage höher hinauf zirkeln. Bei jedem Kreis spüre ich die Ränder des Aufwindes, manchmal gerate ich auch darüber hinaus in kräftiges Fallen. Die Luft fühlt sich etwas ‚gummiger‚ an, als die einigermassen knackige Temperatursonde voraussah.IMG_3467

Vor den Schneeflanken des Ortlers wende ich – das Wallis ist schliesslich auch noch auf der heutigen Menukarte – vor allem das Matterhorn. Die Reise dahin verläuft komfortabel und hoch, durch die aufkochenden Luftmassen in der Region Savognin, dann über die Tessiner Alpen direkt an den Nufenen und ohne Kreis weiter über Binntal, Simplon zum Eingang des Vispertales. Die Wetteroptik ist herrlich. Hohe, breite Cumulus, keine Gewittertendenz, glasklare Luft und gute Steigwerte.

Ein brachialer Aufwind – von ganz unten heraus
Vor dem Weissmies erwische ich einen der starken Aufwind von ganz unten heraus und klettere mit dem Variometer am Anschlag auf die hier erlaubte Höhe von 3’900 M.ü.M. hinauf. Vor mir wird der Fächer der gigantischen Gipfelkulisse rund um Saas Fee und Zermatt ausgebreitet. Es ist einfach unglaublich schön hier oben. In der Ferne in Richtung meines Zieles Matterhorn lockt ein einsamer, isolierter Cumulus – es muss jener über dem starken Aufwind aus den Granitflanken der Westseite der Mischabelgruppe bei Täsch sein.

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Über dem Dom – und theoretisch zuhause.
Er trägt mich weit über den Dom hinauf – eigentlich bin ich jetzt mathematisch betrachtet hier bereits wieder zuhause. Diese Höhe würde reichen, um ohne einen Kreis mit meinem Segler nach Schänis zu gleiten, das ca. 120 km von hier entfernt ist. Aber eben nur mathematisch betrachtet – dazwischen liegen noch die Furka und später der Klausen-, Kisten- oder Panixerpass – je nachdem, über welchen Pass ich am Ende des Fluges ins Glarnerland hineinkomme, in dem die feuchtheisse Luft seit Stunden hochkocht und alle Schlupflöcher zurück nach Schänis zustopft.

‚Aussen herum‘ ist auf jeden Fall entscheidend viel weiter und damit schwieriger – egal, ob man das über das ebenfalls im Dampf versinkende Mittelland oder über die Surselva und den Walensee unter die Flügel nimmt.

Die Strategie ist deshalb klar. Ich nehme im Wallis alles an Höhe mit, was ich kriegen kann und strecke die soweit nach Osten, wie es geht. Funktioniert einwandfrei. Das Urserental zieht aus komfortabler Höhe unter meinem Rumpf durch, die Surselva erreiche ich problemlos hoch, wenn das Glarnerland nicht komplett zugestaut ist, werde ich mich einfach irgendwo in eine Lücke fallen lassen und unter die Wolkendecke schlüpfen.

Unter die feuchtheisse Decke ins Dampfbad schlüpfen
Das klappt schon an der ersten möglichen Stelle – am Kistenpass, wo ich einigermassen durch die Wolkenlücken hindurch hellere Stellen dahinter erkennen kann. So gleite ich in absolut ruhiger Luft durch das Glarnerland hinaus nach Rapperswil, begleitet von überall aufschiessenden Cumulus. Eine gehörige Hypothek, wie sich abends herausstellt. In einigen Regionen gehen heftige Gewitter mit Hagelkörnern gross wie Pingpong-Bälle nieder.

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Mein Anhänger-Nachbar Peter Gassmann und ich bringen aber unsere Kunststoff-Vögel trocken in den Hänger. Kurz, bevor die ersten Tropfen niedergehen und später während mehr als einer Stunde ein Gewittersturm unsere Stammtischrunde in der Flugplatzbeiz durächuuttet. Aber mit genügend Schaum auf dem Bier und einem oder vielleicht zwei Appenzellern ist auch das problemlos auszuhalten.

Ein herrlicher Flugtag – und noch immer: was für ein tolles Hobby!
Das ist die Foto-Galerie – und das hier sind die OLC-Flugdetails.

Und das sind die Wettervorhersagen zu diesem Flug:Payerne_Sonde Thermals

toptask

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