2022 – was für eine Flugsaison! (Teil 3)

Martin Knops berichtet auf flieger.news regelmässig über die Erfahrungen mit seinem Traumflugzeug Jonkers JS 1.

Der Aletschgletscher mit dem Konkordiaplatz (Zusammenfluss der Gletscher).
Autor Martin Knops

Noch ein wunderbarer Alpenflug

Von den Eindrücken eines einzigen Fluges kann ich wochenlang, monatelang zehren. Wenn nötig sogar über den ganzen Winter, wenn Skifahren und andere Aktivitäten die Lücke mehr schlecht als recht füllen.

Ein einziger Flug füllt den Akku für lange Zeit. Aber mehr ist nie Zuviel und gerade in den Alpen geht es meist Schlag auf Schlag. So war ich nach dem atemberaubenden Ritt durch Massif Central und Hochalpen gerade aus dem Cockpit gestiegen, hatte das Flugzeug vertäut, ein wenig gegessen und eine Mütze Schlaf genommen, da saß ich schon wieder in der JS1 und wurde in den Himmel über Serres gezogen; zusätzlich motiviert durch die Aussicht, dass dies wohl der letzte Flug des Urlaubs, vielleicht der ganzen Saison werden würde.

Traumziel aller in Südfrankreich fliegenden Piloten: der Rhônegletscher, die Quelle der Rhône.

Am Nachmittag sollten von Westen dichte Cirren aufziehen, Vorboten des schlechten Wetters der nächsten Tage. Doch vorher versprach es nochmals ein schöner Thermiktag zu werden. Wenn auch mit Überentwicklung und eingelagerten Schauern über den Ecrins und der Vanoise.

Mein Plan war, über den Vercors und die westlichen Ausläufer der Ecrins zum Mont Blanc zu fliegen und von dort das Rhonetal hinauf zum Furkapass vorzustoßen. Das musste dieses Jahr einfach nochmal sein, auch wenn klar war, dass der Rückweg zwischen Schauern im Osten und aufziehender Abschirmung im Westen schwierig werden würde.

Mit weiteren Details des Rückfluges wollte ich mich zunächst nicht beschäftigen. Kommt Zeit, kommt Rat und zur Not… gibt es da ja noch den Jet.

In über 20 Jahren Alpensegelflug bin ich nur einmal aussengelandet und habe nie einen Motor vermisst. Aber ja: Dieses Jahr hätten 2 von 3 Flügen ohne Motor anders ausgesehen. Ich wäre nicht ins Zentralmassiv geflogen und ich hätte am 3. Tag nicht dem Furka „Hallo“ gesagt – der Jet eröffnet neue Horizonte, hilft, den inneren Schweinehund zu überwinden!

So ging es nach dem Ausklinken und einigen Kreisen frohen Mutes Richtung Norden. Statt das mäßige Steigen bis zur Wolkenuntergrenze auszuschöpfen, blieb ich zunächst bewusst unter Hangkante und surfte die sonnenbeschienenen Ostflanken entlang. Dies macht wirklich Spaß und ist zudem recht eindrucksvoll: in den Bergen, nicht über den Bergen.

An der Ostkante des Mont Augille im „Trièves“.

Erst am Mont Aiguille, einem wunderschönen, der Ostkante des dem Parc National du Vercors vorgelagerten Monolithen, schraubte ich mich auf 2700 m und gewann so genug Höhe für die Talquerung Richtung Ecrins. Diesen Weg hatte ich bislang selten gewählt, weil er sich meteorologisch nicht oft anbietet. Leider, denn die Landschaft, die man hier durchfliegt, ist fantastisch, einfach wunderschön und abwechslungsreich. Ich sog die zahlreichen Eindrücke im Vorbeiflug bewusst auf und griff auch wiederholt zur Handykamera. Ich hoffe, die Fotos vermitteln näherungsweise die Anmut dieser Landschaft!

Blick vom Pic des Eustaches / Chaîne de Belledonne (südöstlich von Grenoble Le Versoud) zum Massif des Bauges bei Challes-les-Eaux.

Je weiter ich mich von meinem Startort Serres entfernte, desto vertrauter wurde mir die Gegend kurioserweise. Mont Blanc, Matterhorn, Rhônetal, Furka: diesen Teil der Alpen hatte ich mir in den letzten Jahren Stück für Stück erflogen und mittlerweile fühle ich mich hier so wohl wie im heimischen Sauerland.

Die Gletschwelt des Südwallis. Rechts in der Mitte erkennt man die Silhouette des Matterhorns.

Ich genoss jede Minute dieses zunächst völlig entspannten Fluges zwischen den höchsten Bergen Europas. Das Wetter wurde zunehmend besser und so ging es zügig am Mattertal vorbei auf die Nordseite des Rhonetals und auf dem Hauptgrad Richtung Furka. Alles lief wie am Schnürchen und das änderte sich zunächst auch nicht auf dem Rückweg.

Eines der schönsten Täler der Schweiz, das Goms, zeigt sich thermisch von der besten Seite.

Querab des Mont Blanc wurde allerdings klar, dass es schwierig werden würde, nach Serres zurückzukommen. Über der weitläufigen Vanoise ließ sich kein einziger Sonnenstrahl mehr ausmachen. Hier ging es schon mal nicht durch. Im Westen zog bereits deutlich die angekündigte Abschirmung auf. Die Einstrahlung war bereits massiv eingeschränkt. Dennoch lag hier die einzig sinnvolle Option: Gas rausnehmen, Nase Richtung Südwest, die leidlich angeströmten Westhänge entlang fliegen und auf die eine oder andere Thermikablösung setzen.

Auf dem Rückweg franst das bisher gute Segelflugwetter aus.

Das klappte zunächst auch ganz gut, aber ein richtiger Aufwind ließ sich nicht mehr finden. Aufgeben gilt aber nicht! Landeoptionen gab es genug, zunächst Chambery, dann Grenoble. Ein einziger vernünftiger Bart fehlte noch für den sicheren Gleitflug nach Serres. Aber der wollte sich entlang der Bergkette nordöstlich von Grenoble einfach nicht finden lassen. Jetzt musste eine Entscheidung her: Talquerung nach Westen in die Chartreuse, wo eine eher sterbend aussehende Cumulus-Wolke „lockte“ oder „geradeaus“ unter die einzige, eigentlich noch gut aussehende Wolke weit südlich Grenoble. Letztere Wolke würde ich knapp erreichen. Würde sie nicht „ziehen“, gäbe es keinen weiteren Weg nach vorne, stattdessen nur den zurück zum Flugplatz Grenoble. Die Chartreuse bot dagegen mehrere Optionen, sollte es „die eine“ Wolke nicht tun, gäbe es noch eine 2. und letztlich den Einflug in den Vercors.

Nicht einfach, wie alle „echten“ Entscheidungen. Und doch: hätte es nicht noch einen weiteren Gedanken im Hinterkopf gegeben, hätte ich alle meine Karten auf die (noch) gut aussehende Wolke gesetzt – und wäre nach Hause gekommen, wie ich im Nachhinein im Internet sehen konnte 😖 (ein anderer Flieger hat fast zu gleicher Zeit diesen Weg gewählt).

Vom rechten Pfad abgebracht hat mich, dass ich noch nie zuvor in der Chartreuse war und noch nie zuvor aus dieser Lage den Rückweg westlich des Vercors gewählt hatte. Auch dieser weiße Fleck auf der Landkarte wollte erobert werden: also hinein ins Verderben – Grrr.

Um die Kirche im Dorf zu lassen: Das Verderben bestand letztlich im Zünden des Motors in sicherer Anflughöhe auf Grenoble. Nach zehn Minuten und knapp 1000 zusätzlichen Metern befand ich mich im Endanflug auf Serres und dank einer Wolkenstrasse, die sich trotz der Abschirmung noch gebildet hatte, konnte ich den Flug sogar noch etwas ausdehnen. Genau für solche Situationen habe ich den Motor schließlich. Und doch: ich gräme mich selbst nach Monaten noch. Es wäre möglich gewesen, ohne Jet nach Hause zu kommen und ich habe es nicht geschafft. Diese Gedanken mag mancher Leser kleinkariert finden. Ich bin aber froh, dass ich immer noch so ticke. Nur mit dieser Einstellung wird man besser. Und genossen habe ich den Flug trotzdem. Sehr sogar 😀.

(Fortsetzung folgt).

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