2022 – The Best of the Rest; 2. Teil

von Martin Knops

Begonnen hatte die Saison ganz wunderbar am 3. April mit einem Ziel-Rückkehr-Flug von Langenfeld nach Reims in Frankreich. 630 km quer durch die Ardennen in Eiseskälte. Von Langenfeld aus überfliegt man auf dem Weg nach Westen zunächst das Rheinische Braunkohlerevier mit seinen Kraftwerken und Tagebauten. Ich bin den Anblick seit 35 Jahren gewohnt. Jan Böhmermann und viele andere haben offensichtlich erst vor kurzem realisiert, was hier passiert. 100 Quadratkilometer große, bis zu 400m tiefe Löcher, um die herum das Grundwasser noch in 30 km Entfernung abgepumpt wird. Wahnsinn! Gestört hat all das lange niemanden. Die lokale Bevölkerung arbeitete großteils bei RWE und hat im Falle der Umsiedlung gerne die alte Bude gegen ein schickes Haus im neu erbauten “Ersatzdorf” eingetauscht. Und die breitere deutsche Öffentlichkeit interessierte sich für ganz andere Dinge. Im Zweifel war man gegen Atomkraft und sorgte sich in Zeiten des Zechensterbens um die Kumpel im Ruhrgebiet. Gut, dass es immerhin “in der Braunkohle” noch sichere Jobs gab.

Wir Segelflieger waren ohnehin RWE-Fans, sorgen die Kraftwerke doch für zuverlässige Aufwinde inmitten der ansonsten wenig thermikträchtigen Jülicher Börde. Als Mitte der 80er Jahre die Rauchgasentschwefelung eingeführt wurde, diskutierte man ernsthaft, ob sich dies wohl negativ auf die Kraftwerksbärte auswirken würde. Tat es zum Glück nicht und dass es über den Kraftwerken nicht mehr gar so stank und die Flügel-Vorderkanten sich nicht mehr gar so schwarz- gelb färbten, wussten auch die Segelflieger zu schätzen.

Wie sich die Welt doch geändert hat. Heute kennt jeder “Hambi” und “Lützi” und die Verfeuerung von Braunkohle gilt zurecht als Anachronismus. Und doch fürchten die Segelflieger zwischen Aachen und Sauerland den endgültigen Kohleausstieg 2030 – das wird eine harte Zeit. Auf dem Weg dahin werden wir allerdings schon langsam von der Droge entwöhnt. Bevor durch Ukrainekrieg und Gasknappheit die Braunkohle-Kraftwerke eine kleine Renaissance erlebten, liefen sie insbesondere dann, wenn die Sonne schien und/oder der Wind wehte -also dann, wenn Segelflieger in die Luft gehen- nur noch im Leerlauf. Damit sind sie zu unsteten Gesellen geworden und liefern längst nicht mehr so zuverlässig starke Aufwinde wie in der guten alten Zeit.

Es ging also zunächst über die Jülicher Börde. Die Basis war niedrig und wir nahmen die Hilfe der Kraftwerke Fortuna und Weisweiler dankend an. Von letzterem führte der weitere Weg vorsichtig entlang der Kante, die die schneefreie Tiefebene von der verschneiten Eifel trennte. Ein direkter Einflug in die Eifel empfahl sich nicht.

Lehrbuchhaft war zu sehen, dass sich über schneebedeckten Flächen eher schlecht Thermik ausbildet. Weiter im Westen bei Verviers waren die Ardennen zum Glück schneefrei und hier gelang der Einstieg ins Bergige mit ausreichend Bodenfreiheit und zuverlässigem Steigen.

Vervier? Ardennen? Liegt dass nicht in Belgien? Viele deutsche Segelflieger halten Belgien für eine ähnliche No-go Area wie ehedem die DDR. Zu abschreckend ist der Blick auf die ICAO-Karte. Ein gesperrter Luftraum reiht sich an den nächsten. Kein Durchkommen! Erstaunlicherweise gibt es allerdings auch in Belgien Segelflieger und mittlerweile sieht man immer mal wieder Flüge deutscher Piloten nach und durch Belgien. Irgendwie muss es also funktionieren.

Versucht man selbst das Dickicht zu durchdringen und die Luftraumstruktur zu verstehen, so beginnt man allerdings schnell diejenigen zu verstehen, die nach dem Motto “Fliegen kann man auch woanders” lieber Abstand zur Belgischen Grenze halten. Es ist schon kompliziert und zu allem Überfluss findet man die notwendigen Informationen kaum irgendwo zentral und übersichtlich zusammengestellt. Ich wage hier mal einen ganz kurzen Abriß: Belgien versucht sehr konsequent kontrollierten und unkontrollierten Verkehr zu trennen. Unterhalb 4500 ft Höhe ist der Luftraum unkontrolliert. Dies ist das Reservat für Hobbypiloten und Segelflieger. Der Luftraum darüber ist für kontrollierten Verkehr reserviert und für uns Segelflieger gesperrt. Immerhin hat man erkannt, dass 4500 ft über den Ardennen nicht reichen und auch im Flachland unseren Sport massiv einschränken. Daher wird am Wochenende auf Antrag der lokalen Segelflieger die Grenze großflächig angehoben auf FL55, 65 oder sogar 75. Veröffentlicht wird dies auf der Homepage des Flämischen Segelfliegerverbands.

Hier muss man nachschauen. Zusätzlich gibt es über den Ardennen Segelflugsektoren, die unter der Woche geöffnet werden können. Die meisten der in der Karte eingetragenen Lufträume sind zudem entweder nicht relevant (zum Beispiel, weil sie eine sehr niedrige Obergrenze haben) oder regelmäßig inaktiv. Eine tagesaktuelle Übersicht findet man hier.

Für mich war es der erste Flug durch die Ardennen und auch das machte diesen Saisoneinstieg zu einem ganz besonderen. Rein zum Genießen wurde der Flug ab der Belgisch-Französischen Grenze. Im Übergang zum Flachland (!) gab es einen Basissprung um 200-300m auf 1800m und wunderbare Wolkenstrassen auf Kurs. Auf dem Rückflug von Reims reichte dieses Hammerwetter dann bis St. Hubert. Dort verdunkelte sich aber der Himmel: 7 bis 8/8, eingelagerte Schneeschauer, kaum Sonne. In der polaren Kaltluft entwickelten sich dennoch immer wieder Aufwinde und auch die Kraftwerke gingen im Schneeschauer ohne jede Sonneneinstrahlung zuverlässig. Insgesamt ein wunderbarer Flug, an den ich noch länger denken werde!

Frühere Publikationen von Martin Knops:

>> 2022 – The Best of the Rest; Teil 1.

Kommentar verfassen